16.06.2015
TEXT: Tito ValcheraFOTO: Friederike Tröndle / Personal Swiss

Gesunde Arbeit für die Psyche

Die betriebliche Gesundheitsförderung sollte sich vermehrt auf die anwesenden Mitarbeitenden konzentrieren und deren Gesundheit erhalten – vor allem die psychische. Dieser Ansicht ist Professor Bernhard Badura, Hauptreferent an der «Corporate Health»-Messe in Zürich.

Unternehmen, die sich um die Gesundheit der Mitarbeitenden kümmern, verschaffen sich einen Standortvorteil und sind je länger, je mehr die Regel und nicht die Ausnahme. Dieses Umsorgen, betriebliches Gesundheitsmanagement genannt, ist bei grossen Unternehmen ausgeprägter als in kleineren Firmen. Im KMU-Land Schweiz ist Nachholbedarf vorhanden.
Wo die Schwerpunkte von bisherigem und zukünftigem betrieblichem Gesundheitsmanagement liegen, darüber referierte im April unter dem Titel «Führung, Gesundheit und Produktivität» der emeritierte Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld. Bernhard Badura plädiert für einen verstärkten Fokus auf die anwesenden Mitarbeitenden.

Gesundheit der Anwesenden erhalten
Die Arbeit des 21. Jahrhunderts unterscheidet sich in verschiedenen Bereichen von derjenigen des vergangenen. Im heutigen kompetitiven Arbeitsmarkt ist Stress unvermeidbar. Als Folge verausgaben sich viele Menschen «aus übersteigertem Ehrgeiz oder kulturell bedingtem Erfolgstrieb». Badura fordert dann auch: «Wir müssen die Gesundheit der Mitarbeitenden beobachten und fördern, in ihrem eigenen Interesse, denn nur mit einer stabilen Gesundheit können sie den Belastungen widerstehen, ohne dass sie krank werden.»
Zudem wandelte sich die Arbeitsform von der Handarbeit zur Kopfarbeit. Für Letztere ist eine solide psychische Gesundheit Voraussetzung. Wie nach körperlichen Anstrengungen braucht unser Körper auch nach einem psychischen Einsatz Erholung. Die psychische Gesundheit ist aber zunehmend beeinträchtigt und kann einen Risikofaktor für die Wirtschaft darstellen – vor allem in sicherheitsrelevanten Berufen wie beispielsweise bei Piloten.

Kooperative Chefs und Teamwork
Im Führungsverhalten nehmen mittlerweile hierarchische Formen zugunsten der Selbstorganisation und der konstruktiven Kooperation ab. Gute Chefs haben folglich einen wertschätzenden Führungsstil, bei welchem Mitarbeitende viel Eigenverantwortung erhalten und aus eigenem Ansporn motiviert die Ziele erreichen. Neben der Führungsart sollten in den Unternehmen auch die Organisationskultur und das Beziehungsklima im Team stimmen. Und Raum für sinnhafte Tätigkeiten geschaffen werden: «Wenn wir etwas haben, das uns Spass macht, und wir es als sinnvolle Arbeit ansehen, dann können wir Tag und Nacht arbeiten, wir werden nicht krank. Im Gegenteil, das wird uns vielleicht seelisch weiter aufbauen, weil wir von der Wichtigkeit dessen, was wir tun, überzeugt sind. Wichtig sind allerdings auch ausreichende Ruhepausen nach längerer Zeit hochkonzentrierter Arbeit.»

Gute Organisationskultur als Vorteil
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Zunahme von psychischen Störungen, auch in der Allgemeinbevölkerung, betont Badura die Wichtigkeit eines intakten sozialen Umfeldes – nicht nur privat, sondern auch am Arbeitsplatz. Er verweist auf eine Untersuchung zweier Stahlwerke. Trotz ähnlicher geschäftlicher Struktur und ähnlicher Arbeitsbedingungen wiesen die Betriebe ganz unterschiedliche Fehlzeiten auf. Die fast doppelt so hohe Abwesenheitsquote des einen Standortes ist hauptsächlich auf die Unternehmenskultur, die Qualität der Führung und das Beziehungsklima im Team zurückzuführen. Sogar bei Organisationen mit körperlich anstrengenden Arbeitsbedingungen, wie es Stahlwerke sind, ist somit neben der Arbeitssicherheit das soziale System für das Wohlergehen der Mitarbeitenden ausschlaggebend. Badura beteuert schliesslich: «In der Diskussion über Belastungen und Stress am Arbeitsplatz wird oft vergessen, dass die Arbeit heute eine enorme Sinnstiftung darstellt.»

Professor Bernhard Badura ist ein deutscher Soziologe und Emeritus der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld. Er hat zwischen 1998 und 2004 unter anderem die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Europäische Union (EU), die Bundesregierung der BRD und zahlreiche Unternehmen in Sachen Gesundheitssysteme beraten und war Präsident der deutschen Public Health Association. Weiterhin unterrichtet er an den Universitäten Bielefeld und Graz, hält Vorträge zum betrieblichen Gesundheitsmanagement und ist bei verschiedenen Unternehmen in leitender Position tätig. Ausserdem ist er Autor zahlreicher Veröffentlichungen, unter anderem des jährlich erscheinenden Fehlzeitenreports, der seit 1999 aktuelle Befunde und Bewertungen zu den Gründen und Mustern von Fehlzeiten in Betrieben vorstellt.