13.07.2015
FOTOS UND TEXT: Katja Imme

Marianne Isenschmid und Michael Imhof sind seit über zehn Jahren ein Jobsharing-Tandem.

Arbeitsstellenteilung

Jobsharing nimmt Fahrt auf

Trotz enormer Vorteile – anspruchsvolle Funktionen für Teilzeitschaffende, mehrfache Kompetenz auf einer Stelle für den Arbeitgeber – ist Jobsharing noch wenig verbreitet. Im Kampf um Fachkräfte wird es für Firmen attraktiver.

Gemeinsam brüten sie über dem Budget für das nächste Jahr, mal in ihrem, mal in seinem Büro. Obwohl sie sich eine Funktion teilen, haben sie getrennte Büros. Marianne Isenschmid und Michael Imhof leiten zusammen die Abteilung Bewährungshilfe und alternativer Strafvollzug im Amt für Freiheitsentzug und Betreuung des Kantons Bern. Beide arbeiten Teilzeit im Jobsharing. Was die beiden seit über zehn Jahren praktizieren, ist beileibe nicht selbstverständlich. Jobsharing meint in der Regel zwei oder mehrere Mitarbeitende, die sich eine Vollzeitstelle mit voneinander abhängigen Aufgaben und gemeinsamer Verantwortung teilen. Im Fall der beiden Co-Leiter handelt es sich sogar um ein Pensum von 170 Prozent.

Unterschiedlich verbreitet
Wie viele Personen Jobsharing ausüben, ist nicht bekannt. Erst ab 2016 werden diese Zahlen in der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) des Bundesamts für Statistik erhoben.

Jobsharing in Zahlen

55 Prozent der Betriebe der öffentlichen Verwaltung bieten Jobsharing an.
25 Prozent der privatwirtschaftlichen Unternehmen bieten Jobsharing an.
Über beide Sektoren entspricht das einem Anteil von 27 Prozent.

90 Prozent der Jobsharing-Tandems werden durch zwei Frauen gebildet.
2 Prozent der Tandems werden durch zwei Männer gebildet.
8 Prozent der Tandems sind «gemischte Doppel».

Die erste Studie «Teilzeitarbeit und Jobsharing in der Schweiz» aus dem Jahr 2014 hat immerhin ergeben, dass drei Viertel aller privaten Unternehmen überhaupt kein Jobsharing anbieten, während in jedem zweiten öffentlichen Betrieb diese Form der Arbeitsstellenteilung zumindest theoretisch möglich ist.

«Mich überrascht das nicht», sagt Nathalie Amstutz, die Leiterin der Studie und Professorin für Personalmanagement und Organisation an der Fachhochschule Nordwestschweiz. «Die öffentliche Verwaltung verfolgt durch das Angebot von Teilzeit und Jobsharing einen Gleichstellungsauftrag. Die Privatwirtschaft reagiert mit Jobsharing in erster Linie auf den Fachkräftemangel.»

Wachsendes Interesse
Bemerkenswert ist, dass 20 Prozent derjenigen Betriebe, die noch kein Jobsharing anbieten, sich ausdrücklich für das Modell interessieren, so Nathalie Amstutz. Der Bedarf ist also da.
Dafür sprechen auch die 220 Teilnehmer am schweizweit ersten Kolloquium zum Thema Jobsharing diesen Mai. Vor allem Personalverantwortliche waren der Initiative des Vereins Part Time Optimisierung PTO (siehe Kasten) gefolgt.

«Jene Betriebe, die keine Erfahrungen mit Jobsharing haben, sind am skeptischsten.»

Nathalie Amstutz, Leiterin der ersten Studie über Jobsharing in der Schweiz.

Teilzeitarbeit mag den Wunsch nach Work-Life-Balance erfüllen, selten jedoch werden Führungspositionen in Teilzeit besetzt. Wenn zwei Mitarbeitende ihr Pensum in einer Funktion bündeln, ist das möglich.
Eine Frage der Arbeitsteilung
Im Duo lassen sich anspruchsvollere Aufgaben bewältigen, da beide spezifische Kompetenzen mitbringen, bestätigt «Jobsharerin» Marianne Isenschmid. Obwohl seinerzeit zu den Pionieren zählend, sagt sie: «Das Jobsharing an sich haben wir nicht als Wagnis empfunden. Die grössere Herausforderung lag in der Funktion.»

Die Führung der vier Regionalstellen der Abteilung Bewährungshilfe und alternativer Strafvollzug teilen sie und Michael Imhof sich je zur Hälfte. «Eine Arbeitsteilung entsprechend den Kompetenzen und Neigungen ist der Schlüssel. Eine 100-prozentige Überschneidung der Aufgaben wäre gar nicht in unserem Interesse. Und für den Arbeitgeber unattraktiv, weil nicht effizient», meint die Co-Leiterin. So koordiniert sie die gemeinnützige Arbeit und das Electronic Monitoring, ihr Kollege die Bewährungshilfe und die freien Mitarbeitenden.
Nur mit Toleranz und Teamgeist
Die beiden Co-Leiter anerkennen auch die Vorteile beim Entscheiden. Sie diskutieren auf Augenhöhe, schätzen das Vier-Augen-Prinzip, das gemeinsame Reflektieren. Derart getroffene Entscheide geben Sicherheit und lassen sich besser vertreten.

«Jobsharing gelingt nur, wenn Vorgesetzte es fördern und unterstützen.»

Marianne Isenschmid und Michael Imhof, «Jobsharer»

Jobsharing ist jedoch nicht jedermanns Sache. «Gegenüber unterschiedlichen Arbeitsweisen muss man tolerant sein», sagt Marianne Isenschmid. Ihr Erfolgsgeheimnis lautet: gleicher Führungsstil, Kollegialität und Transparenz – gegenüber Mitarbeitenden wie Vorgesetzten. «Teamgeist ist wichtig. Wir ziehen am selben Strang, haben ein gemeinsames Ziel», formuliert Michael Imhof. «Ehrgeizige Egomanen mit Konkurrenzdenken sind im Jobsharing fehl am Platz. Es braucht Selbstvertrauen im besten Sinne – Vertrauen zu sich und in den anderen.»
Arbeitgeber profitieren mehrfach
Für Jobsharing spricht bereits eine höhere Produktivität, denn diese kann bei Teilzeitschaffenden als grösser eingestuft werden verglichen mit Vollzeittätigen. Qualitativ profitieren Unternehmen vor allem von Kompetenzen aus zwei Köpfen.

Irenka Krone-German und Nathalie Amstutz in Diskussion während des Jobsharing-Kolloquiums.
Irenka Krone-German und Nathalie Amstutz in Diskussion während des Jobsharing-Kolloquiums.

Diesen Vorteil betont Irenka Krone-German, Co-Direktorin des Vereins PTO. Die Fachkenntnisse und Erfahrungen von zwei Mitarbeitenden decken sich zu einem Teil. Darüber hinaus ergänzen sie sich. Jeder der zwei Köpfe bringt zusätzliche Kenntnisse und Fertigkeiten ein. Offensichtliche Beispiele dafür sind die Fremdsprachenkenntnisse und das doppelte Netzwerk.
Zwei zum Preis von einem
Zudem entscheiden zwei Partner – dank der Diskussion untereinander – fundierter. «Nicht zuletzt üben die Tandempartner durch ihre Zusammenarbeit Vertrauen, Teamgeist, Kommunikation und Konfliktmanagement, was ebenfalls wertvoll ist für das Unternehmen», so Irenka Krone-German.

Diese Zusatznutzen fangen den befürchteten höheren Aufwand für Information, die Führung von zwei Mitarbeitenden sowie für Arbeitsplatzkosten auf. «Die Rechnung ‹zwei Mitarbeitende zum Preis von einem› stimmt», ist Irenka Krone-German überzeugt.

«Teilzeitarbeit und Jobsharing in der Schweiz» ist die erste nationale Erhebung zur aktuellen Situation und zu Erfahrungen mit Jobsharing in der Schweiz. Die Studie wurde im Auftrag des Vereins Part Time Optimisierung (PTO) durch die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) 2013/2014 unter Federführung der Professorin Nathalie Amstutz erstellt. Befragt wurden 2600 Betriebe mit mindestens 50 Mitarbeitenden des privaten und öffentlichen Sektors. Von den 400, die geantwortet haben, stammten 85 Prozent aus der Privatwirtschaft.

Diejenigen Betriebe, die Jobsharing anbieten, tun dies, um ihren qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern attraktive Positionen bieten zu können. Damit halten oder gewinnen sie begehrte Fachkräfte.

An zweiter Stelle nennen sie laut Studie Wissenstransfer als Motiv. Jobsharing fördert ihn, insbesondere wenn erfahrene Mitarbeitende mit Nachwuchskräften ein Tandem bilden.

Verschiedenheit begünstigt Innovationen. Dazu können zum Beispiel Tandems aus Männern und Frauen beitragen.

Skepsis mangels Erfahrung
«Jobsharing gelingt nur, wenn Vorgesetzte es fördern und unterstützen», sind sich Marianne Isenschmid und Michael Imhof einig. Ihre Stelle war dank des Einsatzes der damaligen Berner Regierungsrätin bereits im Jobsharing ausgeschrieben. Die anfänglichen Bedenken ihres Chefs verflogen – dank guter Erfahrungen mit dem Duo – schnell.
Die Meetings inklusive Zielvereinbarungs- und Qualifizierungsgesprächen führen sie mittlerweile zu dritt. Das ist sogar effizienter.

«Gerade diejenigen Betriebe, die keine Erfahrungen mit Jobsharing haben, sind am skeptischsten», bemerkt die Leiterin der Studie, Nathalie Amstutz. Sie argumentierten an erster Stelle mit der mangelnden Nachfrage durch die Mitarbeitenden. Nathalie Amstutz lässt das nicht gelten: «Wäre das Angebot grösser, das heisst, die Stellen entsprechend ausgeschrieben, stiege auch die Nachfrage», ist sie überzeugt.

Mythos Unersetzbarkeit
Die zweitgrösste Schwierigkeit sehen Unternehmen im Teilen von Funktionen und Rollen in einer Stelle. Nathalie Amstutz ortet die Hürde vor allem bei Kaderfunktionen, denn hier werde am Konzept von Führung selbst, am Mythos der Unersetzbarkeit gerüttelt. Man könne entgegnen: Eine Stelle mit nur einer Person zu besetzen, kann ein gleich grosses, mitunter sogar grösseres Risiko sein.

Auf diese Anzeige aus dem Jahr 2003 haben sich Marianne Isenschmid und Michael Imhof gemeinsam beworben.«Personalverantwortliche müssen das Modell kennen. Führungskräfte sollen ermuntert, geschult und unterstützt werden», betont Nathalie Amstutz. «Die gewonnenen Erfahrungen – gute wie schlechte –müssen strukturierter gesammelt und geteilt werden. Davon können alle Beteiligten lernen.»

Chancen für alle?
Wegen des demografischen Wandels leiden bereits heute Teile der Wirtschaft unter einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative wird das Problem verschärfen.

Mit Jobsharing lassen sich begehrte Fachkräfte gewinnen und binden, denn Jobsharing ermöglicht Teilzeitarbeit auf höheren Hierarchiestufen. Das kann eine Chance sein, einen Teil der 50 000 studierten Hausfrauen für die Arbeitswelt zurückzugewinnen.

«Firmen, die nicht Teilzeit oder Jobsharing anbieten, werden einen Nachteil haben», so Hans Hess, Präsident von Swissmem, im Mai am ersten Kolloquium zum Thema: «Jobsharing wird seinen Platz in der Arbeitswelt finden.»

«Part Time Optimisierung (PTO)» ist eine private, unabhängige Initiative mit dem Ziel, Jobsharing in der Schweiz zu fördern und Arbeitnehmer wie Arbeitgeber über Arbeitsstellenteilung zu informieren. Der Verein wird vom Eidgenössischen Büro für Gleichstellung von Mann und Frau und privaten Unternehmen finanziert. Dessen Co-Gründerinnen und -Direktorinnen Irenka Krone-German und Anne de Chambrier sind als Programmverantwortliche für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im SECO auch beruflich seit acht Jahren ein Jobsharing-Tandem.
PTO betreibt die Website  www.go-for-jobsharing.ch. Der praktische Ratgeber «Jobsharing – zwei Kompetenzen zum Preis von einer» – viersprachig – kann dort bestellt werden.