13.09.2017

Die Stimmung ist herzlich. Organisatorin Adina Graber von JASS inmitten der Teilnehmer von «Grenzenlos geniessen».

Genussvolles Integrationsprojekt

Mit Kochlöffel und Rüstmesser im Einsatz für ein Miteinander

Das Projekt «Grenzenlos geniessen» will Menschen aus der Schweiz und «Refugees» beim gemeinsamen Gemüserüsten, Kochen und Essen einander näherbringen. Das Einzige, was dem gegenseitigen Kennenlernen im Wege stehen kann, ist der Einzelne selbst.

Ich bin auf dem Weg zur Veranstaltung «Grenzenlos geniessen auf dem ‹Hof Narr›» und bin sehr gespannt: Beim gemeinsamen Kochen mit Menschen aus der Schweiz und Menschen, die in die Schweiz geflüchtet sind, soll es um Themen wie Migration, Integration, Ethik, Tierwohl und Nachhaltigkeit gehen. Das Event findet auf einem Tierschutzhof statt, auf dem um die 70 gerettete Tiere zufrieden leben. Pünktlich um 14 Uhr komme ich an diesem herrlichen Sommertag im Juli im zürcherischen Hinteregg an. Ein kleiner Ort, ländlich, ruhig und urig. Ich fühle mich gleich wohl. Der Tierschutzhof «Hof Narr» befindet sich unweit des Ortseingangs, umgeben von Feldern und Wiesen.

Im Innenhof haben sich bereits einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingefunden. Alle bekommen ein Namensschild, neugierig begrüssen wir einander, während uns Ben, der gemütliche Schäferhundmischling, gelassen beobachtet. Um uns herum befinden sich die Koppeln der Pferde und Ponys, die Hühnerställe, der Ziegen- und der Schweinestall mit grosszügigem Auslauf. Gegenüber steht das «Hof Narr»-Wohnhaus mit dem beeindruckenden Gemüsegarten.

Wer schon eine Rezeptidee hat, kann sich gleich bei den Zutaten bedienen.

Adina, Projektleiterin bei JASS, dem Verein, der den Anlass organisiert, eröffnet die Veranstaltung mit einer kleinen Ansprache: «Grenzenlos geniessen bedeutet gemeinsames Kochen und Essen, um die inneren Grenzen zu überwinden, sich auf Fremdes einzulassen und Geschichten aus der Ferne zu lauschen. Durch den Austausch lernen sich Menschen kennen, nehmen sich gegenseitig die Angst und können Vorurteile überwinden.»

Menschen, die in die Schweiz geflüchtet sind, sollen sich hier integrieren. Nur so können sie Fuss fassen in einem fremden Land. Nur: Wie geht «integrieren» für geflüchtete Menschen, die hier völlig fremd sind und die Sprache oft noch nicht gut sprechen? Wie können sie Kontakt zu Einheimischen bekommen? Genau hier setzt der Verein JASS mit Veranstaltungen an, die den Kontakt «von fern zu nah» erleichtern. Das gemeinschaftliche Kochen und Essen soll als Brücke zwischen den Kulturen dienen, damit etwas gemeinsames Neues entstehen kann.

Der Verein möchte unter anderem die Toleranz gegenüber der muslimischen Glaubensgesellschaft in der Schweiz fördern. JASS steht für «just a simple scarf» – also «nur ein einfaches Tuch». Das Tuch ist eines der offensichtlichsten Erkennungsmerkmale muslimischer Frauen, aber gleichzeitig eben auch nur ein Tuch, das bekleiden, schmücken, verhüllen oder wärmen kann.

Das feine Biogemüse wartet auf seine Zubereitung. In einer Art Scheuneneingang stehen die restlichen Zutaten bereit. Nebenbei kann man auch viel über Kräuter und Gemüse lernen. Der Salat sieht schon sehr gut aus. Es fehlen noch ein paar Tomaten. Nils ist auch ein Hofnarr. Er konzentriert sich gerade auf das Dessert. Von Weitem schon kann man den «Hof Narr» am Ortseingang von Hinteregg erkennen. Das vegane Tsatsiki wurde kunstvoll mit Blüten verziert. Das tunesische Couscous erhält den letzten Schliff mit Gewürzen. Sarah brät die Sojaschnitzel auf dem Grill. Hier entsteht das pakistanische Reisgericht. Der Schäfermischling Ben nimmts gemütlich. Er ist auf dem Hof der Älteste. Eine kurze Verschnaufpause bietet die Gelegenheit, sich zu unterhalten. Einfach mal alles auf sich wirken lassen, denkt sich Canuto. Er wurde aus einer Tötungsstation in Spanien gerettet. Georg, Mitbegründer des «Hof Narrs», erklärt mir viel über die Nutztierhaltung und warum sie nicht der richtige Weg ist. Melanie sitzt bei Sämi. Sämi wäre fast ein Pfingstgitzi geworden, aber er wollte natürlich lieber leben. Enya, die Araberstute, ist knapp sieben Jahre alt. Sie hatte keine gute Zeit bei ihrem Bereiter in Polen. Nun lebt sie entspannt auf dem «Hof Narr». Im Hintergrund kommt Jessy vorbei. Dieses schöne Huhn ist Aretsina, eine ehemalige Legehenne. Sie hat keine Berührungsängste mit Fremden, wie sie dieser Teilnehmerin anschaulich demonstriert.

Adina arbeitet seit rund einem Jahr beim Verein JASS, der seit 2015 aktiv ist. «Es war eine Herausforderung, gleich Projektleiterin zu sein. In diesem Job ist eine Menge Flexibilität und Improvisation gefragt.» Die Teilnehmer von fern, also geflüchtete Menschen sowie Migrantinnen und Migranten, werden für solche Anlässe von JASS persönlich angefragt. «Wir stellen uns manchmal auch bei der AOZ (Asylorganisation Zürich) vor und erklären unsere Arbeit. Einige Migranten melden sich auch von sich aus, wenn sie bereits von JASS gehört haben oder schon an einem anderen Anlass dabei waren.»

Vor dem Genuss kommt die Arbeit: waschen, schneiden, schälen

Auf den vorbereiteten Holztischen im Innenhof stehen alle möglichen Gemüsesorten bereit, und in einer Art Scheune finden sich Kochutensilien und weitere Zutaten. In kleinen, spontan gebildeten Gruppen überlegen wir uns, was wir kochen wollen. Adina erklärt die Vorgehensweise: «Wer möchte, kann bei den Reisgerichten aus Pakistan mitkochen. Und wir haben Couscous aus Tunesien geplant, hier kann man sich an Omar wenden. Die restlichen Gerichte könnt ihr selbst gestalten.»

Zunächst müssen wir das Gemüse verteilen und verarbeiten. Ich setze mich an einen der Holztische zu Pati und Dagmar. Pati und ich rüsten Rüebli. Sie ist mit ihrem Freund Tobias gekommen und das erste Mal an einem Event von JASS. Sie findet die Themen des Anlasses sehr spannend und freut sich auf den gemeinsamen Tag mit fremden Menschen und glücklichen Tieren.

Dagmar stiess über Facebook auf die Veranstaltung. «Da ich sehr gerne koche, habe ich mich gleich angemeldet.» Auch sie ist zum ersten Mal an einer Veranstaltung von JASS und auf dem «Hof Narr».

Dagmar und ich unterhalten uns angeregt beim Gemüseschälen.
Dagmar und ich unterhalten uns angeregt beim Gemüseschälen.

Das Unternehmen «Hof Narr» wurde 2014 von Sarah Heiligtag und Georg Klingler gegründet und ist seit 2015 als Tierschutzverein anerkannt. Der «Hof Narr» setzt sich für eine nachhaltige und gewaltlose Welt sowie die Befreiung aller Tiere ein. Jedes Tier auf dem «Hof Narr» soll Stellvertreter seiner Artgenossen sein, die noch nicht aus der Nutz-, Zucht-, Masttierhaltung oder einer Tötungsstation gerettet wurden. Die «Hofnarren» klären mit Öffentlichkeitsarbeit über ethische, ökologische und gesundheitliche Aspekte der Tiernutzung auf.

Konsequenterweise sind die Nahrungsmittel, die wir an diesem Event zum Kochen verwenden, vegan und bio. Veganismus geht weiter als Vegetarismus, bei dem auf Fleisch und Fisch verzichtet wird. Bei der veganen Ernährungsweise werden sämtliche tierischen Produkte, also auch Milch, Eier oder Honig, gemieden. Die Motivation, vegan zu leben, kann vor allem ethisch, gesundheitlich oder ökologisch begründet sein. Grundsätzlich will der Veganismus Tierleid vermeiden und lehnt jede Art von Nutztierhaltung ab.

So bunt und vielfältig die Kochgruppen sind, so lustig ist auch das gemeinsame Rüsten und Kochen. Es herrschen geschäftiges Treiben und fröhliches Stimmenwirrwarr.
«Macht ihr Gurkensalat?»
«Nein, das wird veganes Tsatsiki.»
«Was machen wir dann mit diesen Gurken? Salat?»
«Zuerst mal schälen.»
«Okay!»

Alle sind damit beschäftigt, Gemüse zu waschen und zu schälen oder Pfannen zu ergattern. In der «Waschküche» treffe ich einen jungen Eritreer beim Gemüsewaschen. Wir wechseln uns dabei ab, denn viel Platz ist hier nicht.

In der improvisierten «Waschküche» wäscht jeder sein Gemüse selbst – aus Platzgründen abwechselnd.
In der improvisierten «Waschküche» wäscht jeder sein Gemüse selbst – aus Platzgründen abwechselnd.

«Meine» Kochgruppe hat inzwischen genügend Gemüse gerüstet und auch eine der begehrten Pfannen ergattert. Zum Kochen stehen in der Scheune vier kleine, mobile Kochplatten zur Verfügung. Dagmar wird aus dem gerüsteten Gemüse einen grossen Topf feines Curry zaubern. Ich habe eine Schüssel gefunden und bereite das zu, was ich am besten kann: Hummus aus Kichererbsen, Tahini, Zitronensaft, Salz und Knoblauch.

Was sagen die Teilnehmer?

In einer kleinen Pause treffe ich den 50-jährigen Wilmer aus Zürich. Der gebürtige Peruaner hat fünfzehn Jahre in Spanien gelebt und kam vor einiger Zeit mit seiner spanischen Frau und seinem Sohn in die Schweiz. «In der Schweiz zu leben, ist nicht leicht. Arbeit zu finden, ist sehr kompliziert. Es ist eine andere Kultur, eine andere Sprache. Ich mache einen Sprachkurs, aber es bleibt trotzdem schwer», erzählt Wilmer. «Schweizer kennenzulernen, ist nicht einfach. Deshalb kommen wir gerne zu den Veranstaltungen von JASS.»

Wilmer aus Peru kocht gerne spanische Spezialitäten.
Wilmer aus Peru kocht gerne spanische Spezialitäten.

Tobias, Patis Freund, ist Radiomoderator und zum ersten Mal auf dem «Hof Narr» und an einem JASS-Event. Er bedauert, dass sich die Teilnehmergruppen noch nicht richtig durchmischt haben. «Aber das ist am Anfang ja immer etwas schwierig. Vielleicht kommt das beim gemeinsamen Essen», hofft er.

Ein fast federloses Huhn kreuzt unseren Weg. Es wurde von den «Hofnarren» aus der Masthaltung gerettet. Offensichtlich hatte es dort so viel Stress und wenig Platz, dass es sich die Federn ausgerupft hat. «Ob die Federn schnell wieder nachwachsen?», fragt mich Tobias. «Nein, das dauert sehr lange», erklärt uns Nila, die Tochter der «Hofnärrin» und Nachbarin Melanie.

Das fast federlose Ex-Masthuhn nascht Salatblätter vom Boden.
Das fast federlose Ex-Masthuhn nascht Salatblätter vom Boden.

Schweine sind reinlich und empathisch

Bis das Essen fertig ist, schlendere ich vorbei an den glücklichen Pferden, Ponys und Ziegen und treffe den «Hof Narr»-Mitgründer Georg bei den Schweinen. Tobi, das Schwein, grunzt genüsslich. «Wenn hier so viel los ist, rufen sie nach uns, weil sie meinen, sie bekommen jetzt auch etwas zu essen», sagt Georg und lacht.

«Entgegen allen Vorurteilen sind Schweine sehr saubere Tiere», erklärt Georg. Schweine seien zudem untereinander sehr sozial. «Als Tobi krank war, hat immer einer aus der Gruppe nach ihm geschaut und sich um ihn gekümmert. Oh, da kommt die Mimi!» Mimi, ein zweites Schwein, legt sich, frisch im Schlamm gewälzt, neben Tobi. «Wir haben die Tiere von einem Zuchtbetrieb. Mit sechs Wochen wären sie an einen Mastbetrieb verkauft worden. Normalerweise werden sie dort nur sechs Monate alt. Sie sind dann um die 100 Kilo schwer und schlachtreif. Unsere vier Schweine sind nun 200 Kilo schwer und fast drei Jahre alt. In der Natur können sie bis zu fünfzehn Jahre alt werden.»

Tobi und Mimi geniessen nach einem Schlammbad den Nachmittag im Stroh.
Tobi und Mimi geniessen nach einem Schlammbad den Nachmittag im Stroh.

Ich lerne von Georg noch, dass Schweine schnell eine enge Beziehung zu ihrem Halter aufbauen und sehr empathisch sind. Die Nachbarskinder legen sich im Stroh zwischen oder auch auf Tobi und Mimi und geniessen die friedliche und entspannte Atmosphäre mit den Tieren. Wer möchte hier nicht Schwein, Huhn, Hund, Katze, Ente, Pferd oder Ziege sein?

Es ist angerichtet!

Sarah, die Mitbegründerin des «Hof Narr», brät auf einem grossen Grill die über Nacht in Marinade eingelegten Sojamedaillons. Auch die anderen Gruppen haben grossartige Gerichte gekocht. So sitzen wir trotz fehlendem Rezeptplan und viel Improvisation an einem reich gedeckten Tisch mit vielen feinen Speisen. Neben Dagmars Gemüsecurry locken tunesisches Couscous, pakistanischer Curryreis, Fatoush, Taboulé, veganes Tsatsiki, zweierlei Hummus, verschiedene Salate und vieles mehr.

Gemeinsam geniessen wir unsere Kochkreationen.
Gemeinsam geniessen wir unsere Kochkreationen.

An zwei grossen Holztischen sitzen wir alle auf den Bierbänken und lassen uns das Essen schmecken. Die Stimmung ist locker und offen, aber so richtig klappt der Austausch zwischen den Kulturen noch nicht. Ich sitze beim Essen neben einem Mann aus Pakistan. Er hat das Reisgericht mitgekocht. Ich frage ihn, was genau im Reisgericht drin ist. Er lächelt verlegen. Ich versuche es auf Englisch, aber vielleicht traut er sich nicht recht, etwas zu sagen. Ich möchte auch nicht aufdringlich sein.

Nach dem Essen räumen wir zusammen auf, versorgen Tische und Bänke, und die ersten Gäste brechen auch schon auf. Auch für mich ist es Zeit, mich zu verabschieden. Auf der Heimfahrt lasse ich das Erlebte Revue passieren: Der Tag hat viel Freude gemacht, und ich habe spannende Gespräche mit interessanten Menschen geführt. Aber das Gefühl bleibt, dass ich mehr auf die Menschen von fern hätte zugehen können, sollen – wollen. Integration ist schwieriger, als ich dachte. Sie beginnt letztlich in jedem selbst, in Menschen von fern und in Menschen von nah. Aber ein Anfang ist gemacht. Beim nächsten Mal integriere ich mich vielleicht schon besser in die verschiedenen Gruppen und gehe beherzter auf die Menschen von fern zu. Diesen Wunsch nehme ich von diesem Tag mit.