02.12.2015
TEXT: Jürg StreuliFOTO: Reinhard Reiss

Ein moderner Schlafwagen von City Night Line. Das Nachtzüge-Angebot wird laufend ausgedünnt.

Gefährdete Nachtzüge

Der Kampf um die Nachtzüge

Das Reisen mit Schlaf- und Liegewagen wird zunehmend in Frage gestellt. Manche Bahnmanager bezeichnen die Nachtzüge als nicht mehr zeitgemäss und deren Fahrgäste als Nostalgiker. Zahlreiche Verbindungen wurden gestrichen. Dagegen wehrt sich die schweizerische Umweltorganisation Umverkehr.

Die Schlafwagenzüge sind der Inbegriff der Eisenbahnromantik. Damit verbinden sich klingende Namen wie der «Canadian» von Toronto nach Vancouver, der «Blue Train» von Pretoria nach Kapstadt, der «Rossiya» von Moskau nach Wladiwostok sowie der ehemalige «Orient-Express» von Paris nach Istanbul. In Westeuropa sind die Strecken kürzer. Doch noch immer besteht ein dichtes Geflecht von Nachtverbindungen. Von Zürich fahren Nachtzüge nach Budapest, Wien, Graz, Belgrad, Amsterdam, Hamburg, Berlin und Prag. Die Ankunft am Morgen ist mitten in der City. Der Komfort eines Deluxe-Abteils mit eigener Nasszelle ist hoch, was natürlich seinen Preis hat. Für Liebhaber macht das den Unterschied zwischen Reisen und Transport.

Immer weniger Nachtzüge

Doch das Angebot von Nachtzügen wird schleichend abgebaut. Im Dezember wird auch die Verbindung von München nach Berlin gestrichen. Die Entwicklung zeigt sich besonders deutlich bei City Night Line, die im Herzen Europas die meisten Nachtzugverbindungen betreibt. Diese Gesellschaft wurde 1998 von der deutschen DB, der österreichischen OeBB sowie den Schweizerischen Bundesbahnen gegründet. 

Ein Deluxe-Single für ein komfortables Reisen.Doch bereits nach wenigen Jahren stiegen die Schweizer und Österreicher wegen interner Differenzen aus. Nach einem Zuständigkeitswechsel sind die Nachtzüge heute bei DB Fernverkehr neben den dominierenden ICE eher zum Störfaktor geworden. 

Das drängendste Problem ist die überfällige Beschaffung neuer Liegewagen. Die veralteten Fahrzeuge aus den 1960er-Jahren könnten als Begründung dienen, den Verkehr einzustellen. Bei den topmodernen Schlafwagen besteht hingegen ein Unterbestand. Das führt dazu, dass die Nachfrage mangels Kapazitäten häufig nicht befriedigt werden kann.

Was sind die Ursachen für das langsame Aussterben der Nachtzüge? Dazu zählen die billigen Flugpreise und die immer zahlreicheren Hochgeschwindigkeitsstrecken in Europa. Diese ermöglichen kurze Reisezeiten, weshalb manche Bahnmanager die Nachtzüge als Auslaufmodell betrachten. So benötigt ein ICE von Zürich nach Hamburg siebeneinhalb Stunden, während es beim Nachtzug 11 Stunden sind. Allerdings wird von den Reisenden eine zu frühe Ankunft am Morgen häufig gar nicht gewünscht. Ein weiteres Argument gegen die Nachtzüge liefert die schwache oder fehlende Rentabilität. Eine dramatische Fehlinvestition waren die für den Englandverkehr zur Eröffnung des Kanaltunnels beschafften Schlafwagen. Wegen der aufkommenden Billigflieger wie Easyjet rollten die Fahrzeuge ab Fabrik direkt aufs Abstellgleis.

Umverkehr kämpft für Beibehaltung

Für die Beibehaltung des Angebots engagiert sich in der Schweiz die Umweltorganisation Umverkehr. Gefordert wird die Mitfinanzierung neuer Schlaf- und Liegewagen durch das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek). Im September 2015 wurde eine von über 100 000 Personen unterzeichnete Petition zur Rettung der Nachtzüge an das Uvek übergeben. Nebst Podiumsdiskussionen mit Fachleuten demonstrierten Mitglieder im Pyjama auf einem Perron in Zürich HB gegen die Streichung der Nachtverbindungen nach Kopenhagen, Barcelona und Rom. Von Umverkehr wird auf die Nachtzüge als Bestandteil des Gesamtangebotes hingewiesen. Mancher Fahrgast benütze für seine Reise sowohl einen Tages- wie auch einen Nachtzug. Bei der Streichung des Nachtzuges werde auf das Flugzeug umgestiegen. Eine Gesamtbetrachtung, welche den Bahnen als Folge der Zersplitterung in einzelne Divisionen abhandengekommen ist. 

Zum Deluxe gehört eine Nasszelle mit Dusche und WC.

Die Nachtzüge haben Zukunft

Obschon kaum noch Werbung betrieben wird, besteht die Nachfrage weiterhin. Das zeigen auch die neuen Schlafwagenbeschaffungen in England, Spanien, Finnland und Russland.

Nicht immer kundenfreundlich sind die Buchungsplattformen der Bahnen. Zwar bestehen keine Probleme bei Reservationen ab der Schweiz und den Nachbarländern. Möchte der Kunde jedoch einen Nachtzug in Spanien und Portugal buchen, stösst er nach längerer Sucherei darauf, dass die Reservationen einzig bei der Red Nacional de los Ferrocarriles Españoles (Renfe) vorgenommen werden können.

Die Streichung von Nachtzügen wie Genf–Paris ist unbestritten, wo der TGV die Strecke in drei Stunden bewältigt. Doch ab einer Tageszug-Fahrzeit von sechs Stunden und mehr behalten Nachtverbindungen ihre Berechtigung.

Auch in Zukunft werden Nachtzüge aus den Bahnhofshallen hinaus in die Nacht rollen. So dürfen sich Romantiker weiterhin über Highlights wie den norwegischen Nachtzug der Nordlandbahn von Trondheim über den Polarkreis nach Bodø erfreuen.