08.12.2015

Die Buchbinderinnen Sandra Merten (links) und Kerstin Hennings begutachten eine restaurierungsbedürftige alte Bibel.

Bücher von Hand binden

Kerstin Hennings pflegt das traditionelle Handwerk. Sie fertigt Bücher in kleinen Auflagen, restauriert alte Bände und stellt bibliophile Kostbarkeiten her. Ein Besuch in Gottlieben (TG).

Spannend ist der erste Blick in die helle, zweckmässig eingerichtete Werkstatt. Die Vielzahl von Gerätschaften fällt auf. Bücher, gebündelte Buchseiten, eine kleine Presse finden sich auf Tischen. Aber auch Schere, Leimtopf, Japanmesser, Ahle, Nadel und Faden liegen bereit. Viel Raum nehmen die grosse Papierschneidmaschine und die mächtige Handpresse ein. Hier ist das Reich von Kerstin Hennings. Die Buchbindermeisterin ist fröhlich, unkompliziert und nimmt sich viel Zeit für die Gäste.

Seit 15 Jahren bindet und restauriert die 51-Jährige Bücher. Sie übt ein traditionelles Handwerk aus, das nach wie vor gefragt ist und von dem es sich leben lässt.

Begonnen in Gottlieben hat Kerstin Hennings im Jahr 2000. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Ende des 17. Jahrhunderts erbaute Bodman-Haus in eine Stiftung überführt, renoviert und zum Literaturhaus umgebaut (siehe Kasten). Teil des Konzepts war es, im Haus eine Werkstatt unterzubringen, die einen engen Bezug zu Buch und Literatur hat. Hennings, die zuvor Abteilungsleiterin einer süddeutschen Buchbinderei war, erhielt so die Chance, sich selbständig zu machen. Seit ein paar Jahren unterstützt die auf eigene Rechnung arbeitende Buchbinderin Sandra Merten sie.

Das Bodman-Haus

Das Bodman-Haus am Dorfplatz in Gottlieben ist nach dem Dichter Freiherr Emanuel von Bodman (1874–1946) benannt. Er lebte von 1920 bis zu seinem Tod in diesem Haus. Auf Initiative der 1996 gegründeten thurgauischen Bodman-Stiftung wurde es fachgerecht restauriert und als Haus des Buches und der Literatur wieder mit Leben gefüllt. Heute ist das Bodman-Haus wieder eine Stätte der Kultur, der Begegnung und des Austauschs, was es bereits zu Lebzeiten Bodmans war, als es in Gottlieben eine Künstlerkolonie gab. Das Bodman-Haus beherbergt Stipendiaten und hat ein hochkarätiges literarisches Programm mit alle zwei Wochen stattfindenden Lesungen.
www.bodmanhaus.com

Die beiden Frauen stellen Bücher in Einzelanfertigungen oder kleinen Auflagen her, bis maximal 200 Exemplare. Ihr anderes Standbein sind Buchrestaurationen. Kunden sind Bibliotheken, Archive, Museen, Anwaltskanzleien oder Privatsammler.

Zum Beruf gekommen ist Hennings über eine persönliche Begegnung: Sie brachte im thüringischen Bad Salzungen, in der ehemaligen DDR, selber Bücher zum Restaurieren. In der Werkstatt begegnete sie einem Handwerker, wie er im Buche steht. Sie war fasziniert von der Sorgfalt, mit welcher der Mann mit den Büchern umging, und nutzte die Gelegenheit, um ihn Löcher in den Bauch zu fragen. 

«Me muess nu schwatze mit de Leut», sagt Hennings lachend. Das führte dazu, dass sie in der Werkstatt helfen konnte. «Da habe ich gemerkt, dass das der richtige Beruf für mich ist.» Sie absolvierte in der Folge die dreijährige Buchbinderlehre und bildete sich anschliessend zur Meisterbuchbinderin weiter.

Liebhaberobjekte

In ihrer Werkstatt stechen künstlerisch gestaltet Unikate ins Auge. Hennings präsentiert ein Tagebuch mit einem Einband aus grauem Kalbsleder, auf dem dezent eine aus Rot und Blau komponierte Kalligraphie geschrieben ist. Allein schon das Buch in die Hand zu nehmen, ist ein Genuss. Gedacht sind solche künstlerisch gestalteten Einbände zur mehrfachen Verwendung. Wenn das Buch vollgeschrieben ist, wird der Inhalt herausgenommen, kommt in einen weniger aufwendigen Umschlag, und die Buchbinderin bestückt den edlen Einband mit neuen Tagebuchseiten oder Skizzenblättern.

Die Arbeiten in der Buchbinderei: Schritt für Schritt zum Buch. Fotos: Nana do Carmo

Sandra Merten, 40, ist ebenfalls ausgebildete Buchbinderin. «Beide können alles», sagt Kerstin Hennings. «Das hat den Vorteil, dass wir uns austauschen und mit Rat und Tat gegenseitig unterstützen können.» Merten wollte nach langen Jahren an der Universität als IT-Fachfrau für ein Jahr etwas anderes als Kopfarbeit machen. Bei Hennings bot sich Gelegenheit dazu.

«Ich habe gemerkt, das ist genau das, was ich schon immer wollte», sagt Sandra Merten. Sie sei zurück nach Schweden, dem Land ihrer Grosseltern, gegangen, habe dort die Ausbildung zur Buchbinderin absolviert und sei danach ins Bodman-Haus zurückgekommen. An ihrem Beruf schätzt sie das kontinuierliche und präzise Arbeiten. «Das hat für mich etwas Meditatives.» Begeistert ist sie auch von der Arbeit an alten Büchern und Folianten. «Ein Hauch von früher kommt da hereingeweht.»

Restaurieren erfordert Sorgfalt

Wie anspruchsvoll Restaurierungsarbeiten sind, erläutert Kerstin Hennings anhand einer von ihr erworbenen Bibel aus dem 17. Jahrhundert. Sie weist die üblichen «Beeinträchtigungen» auf. Das Leder ist verletzt, Beschläge fehlen, sind beschädigt, und einer ist verkrümmt.

Als Erstes kontrolliert die Restauratorin, ob das rund 350 Jahre alte Buch vom Holzwurm befallen ist. Sie schaut nach, ob sich im Buch kleine Kotringelchen entdecken lassen. Zwar findet sie am Buchdeckel und auf gewissen Seiten Löcher. Doch der Holzwurm hat zum Glück schon längst das Zeitliche gesegnet. Andernfalls rückt ihm die Restauratorin mit Alkohol zu Leibe. Sie testet an unauffälliger Stelle, ob das möglich ist. Wenn das Papier das erträgt, spritzt sie Alkohol in kleinsten Mengen in die Löcher. Der Alkohol verflüchtigt sich sehr schnell, sodass keine Feuchtigkeitsschäden entstehen.

Buchbinderausbildung in der Schweiz

In der Schweiz heisst die Berufsbezeichnung seit 2006 offiziell Printmedienverarbeiter/in. Die Berufslehre dauert vier Jahre. Buchbinderei ist eine von vier Fachrichtungen. Die Auszubildenden arbeiten in kleinen Ateliers, wo sie direkten Kundenkontakt haben. Sie stellen exklusive Einzelstücke her und fertigen Einbände, Ringbücher, Mappen, Schachteln oder Alben in Kleinserien. Neben Buchbinderei ist eine Ausbildung in Bindetechnologie, Versandtechnologie und Druckausrüstung möglich.

Seite für Seite

Risse in einzelnen Seiten bessert die Restauratorin aus, indem sie ein Japanpapier unterlegt. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die einzelne Papierseite aufzuspalten und die Seite durch Einfügen einer dünnen Papierlage zu verstärken.

«Restaurieren erfordert grosse Materialkenntnis», erläutert Hennings. «Ich muss wissen, wie das Papier zusammengesetzt ist, wie gross seine Festigkeit ist und – falls sich handschriftliche Notizen auf Buchseiten finden – wie die Tinte reagiert.

Kenntnisse über die seinerzeit verwendeten Leder und die für die Buchdeckel verwendeten Holzsorten sind ebenfalls nötig. Wenn geleimt wird, fertigt die Restauratorin den Leim selber mit Hilfe von Weizenstärke an. Für die gewöhnlichen Buchbinderarbeiten verwendet sie einen speziellen Papierleim. Die Beschläge bestellt Hennings auswärts. Zum Glück gibt es noch wenige Spezialisten, die solche anfertigen. Restauriert die Buchbinderin ein stark beschädigtes, jahrhundertealtes Buch fachgerecht, sind schnell einmal 30 bis 40 reine Arbeitsstunden nötig. Nicht eingerechnet Stunden, in denen das Buch ruht. Die Restauration ihrer Bibel kostet rund 4000 Franken.

360° – Handbuchbinderei

Panorama: Nana do Carmo
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