21.04.2016
FOTO UND TEXT: Ines Tanner

Sperrgut wird mit dem Rolli, dem Velo, dem Postiwägeli oder zu Fuss angeliefert.

Erfolgreiche Zusammenarbeit

Begehrtes Entsorgungsangebot

Gratis entsorgen an Zürcher Tramstationen ist ein Renner. Das Cargo- und das E-Tram sammeln jährlich über 400 Tonnen Müll ein, das entspricht 5000 durchschnittlichen Kleiderschränken, von 45 000 Kunden. Angenommen werden nur Sperrgut und der Elektroschrott, wenn sie ohne Auto angeliefert werden.

Es ist ein warmer, stiller Mittwochnachmittag. An der Tramhaltestelle Letzigrund tröpfeln das Leben und der Verkehr gemächlich vor sich hin. Vögel zwitschern. Rentner und Mütter mit Kinderwagen sitzen auf den Bänkli des Wartehäuschens. Plötzlich wird die Ruhe von ohrenbetäubendem Quietschen unterbrochen. Es ist 15 Uhr. Das Cargo-Tram fährt auf die Wendeschlaufe des Rondells und bremst. Zeitgleich kommen Frauen und Männer aus allen Richtungen herbei. Sie kommen mit dem Fahrrad, zu Fuss mit oder ohne Anhänger, manche mit einem Einkaufswagen. Eines haben sie gemeinsam: Sie wollen heute ihr Sperrgut gratis entsorgen.

Im Tram wird er angenommen, nach Abfallgruppe sortiert, eingeladen und später im Recyclinghof Werdhölzli zur Wiederverwertung aufbereitet oder im Kehrichtkraftwerk Hagenholz verbrannt und in Energie umgewandelt. Das E-Tram sammelt elektrische und elektronische Geräte ein. Beide Schienenfahrzeuge bedienen in der Stadt Zürich elf Haltestellen zweimal monatlich. Dies seit 13 beziehungsweise seit 10 Jahren.

Das Cargo-Tram rollt seit 2003 durch Zürich und das E-Tram seit 2006. Es ist schweizweit das einzige derartige Angebot. Gemäss dem Geschäftsbericht von ERZ Entsorgung + Recycling Zürich bleiben die Zahlen des gebrachten Sperrguts und des entsorgten Elektroschrotts konstant. So wurden 2011 vom Cargo-Tram 388 Tonnen und vom E-Tram 66 Tonnen Abfall eingesammelt. Im letzten Jahr 387 Tonnen Sperrgut und 65 Tonnen elektrische und elektronische Geräte. Wertstoffe wie Metall, Papier, Karton, Glas und Plastik werden mit dem Tram zum Recyclinghof Werdhölzli gebracht und recycelt. Das übrige Sperrgut wird von der Tramendstation Werdhölzli per Lastwagen ins Kehrichtkraftwerk Hagenholz gefahren und dort thermisch verwertet. Der vom E-Tram eingesammelte Abfall wird in Mulden abgefüllt und in Schattdorf (UR) vom RUAG-Konzern recycelt.

Die Trams bedienen zweimal monatlich elf Stationen und nehmen die angelieferten Waren während jeweils vier Stunden an. Informationen zu den Sammelterminen erhält man unter www.erz.ch, beim Kunden-Service-Center von ERZ oder mit der App «Sauberes Zürich».

Zu diesem schweizweit einzigartigen Projekt kam es dank der Zusammenarbeit zwischen Entsorgung + Recycling Zürich (ERZ) und den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ). Schon lange mit dabei ist Marko Ivkic. Er ist beim Cargo-Tram der Teamleiter vor Ort. «Es gibt keine bessere Arbeit als diese. Als ich die Stelle bekam, dachte ich, dass ich höchstens zwei Jahre bleiben wolle. Jetzt bin ich seit acht Jahren dabei und liebe meine Aufgabe», erzählt er. Die Freude an seiner Arbeit ist dem jungen Mann anzusehen. Er strahlt, wenn er erzählt, wie er viele wertvolle Kontakte geniessen darf. «Die meisten Kunden, die zu uns kommen, sind froh, dass es uns gibt. Einige lassen keine Tour aus. Viele erzählen ihre Geschichten oder ihre kleinen oder grossen Freuden, Sorgen oder ihre privaten Ängste.» Weiter schildert er, wie er mit diesen Menschen mitfühlt und das Zuhören auch ein Bestandteil seiner Aufgabe sei.

Kurz vor 15 Uhr fährt das Cargo-Tram auf die Wendeschlaufe der Haltestelle Letzigrund. ERZ-Mitarbeiter Dimitrios Papadopalos schliesst den Strom für die elektrisch betriebene Mulde an. Denise Wolf (rechts) von der Securitas hilft beim Einweisen der Kunden. Der gebrachte Abfall wird begutachtet. Dieses Sperrgut ist fein säuberlich verpackt. Es darf aber auch lose entsorgt werden. Ein Kunde nutzt die Gelegenheit für einen kurzen Schwatz. Marko Ivkic ist seit acht Jahren Einsatzleiter und täglich mit dem Tram unterwegs. Grubengut wird separat gesammelt. Auch Neues wird entsorgt. Albert Schöbi ist «Stammgast». Er lässt keinen Entsorgungstermin aus. Kunden, die Sperrgut mit dem Auto anliefern, werden weggewiesen. Für Papier, Karton, PET und Plastik stehen separate Container bereit.

Neben dem eigentlichen Entsorgen schätzt auch Albert Schöbi diese zwischenmenschlichen Kontakte. Er ist regelmässiger Kunde der beiden Trams und kommt beim Berichten regelrecht ins Schwärmen. «Das Angebot ist sensationell, ich finde immer etwas zum Fortwerfen. Und alle, ERZ-, VBZ- und Securitas-Mitarbeiter, sind supernett und aufgestellt. Ich freue mich regelrecht auf die zwei Tage im Monat.» Transportiert hat der alte Mann seine Ware mit einem ausgedienten Rollator. Andere schleppen gefüllte Koffer oder leihen sich kostenlos einen Transportwagen von ERZ.

Die Stimmung ist friedlich. Alle Beteiligten, Bringer und Angestellte, versichern, wie zufrieden sie sind, etwas zum «Sauberen Zürich» beizutragen. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie überzeugt sind, dass die illegalen Entsorgungen in Wäldern, Pärken oder vor Haustüren, seit es das Projekt gibt, gemildert haben. «Das Stadtbild hat sich verschönert», glaubt auch Anna Gebert. Sie bringt in einer Tragtasche allerlei Krimskrams wie Kerzenständer, Stricknadeln und Porzellanfiguren mit. Und auch sie kommt regelmässig zum Entsorgen. Egal bei welchem Wetter. «Es ist tatsächlich so, dass wir immer ungefähr gleich viele Kunden bedienen. Unabhängig davon, ob es stürmt, schneit, regnet oder die Sonne scheint», sagt Marko Ivkic.

Neue Wegwerfware

Mit dabei ist jedes Mal auch ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin der Securitas. Dieses Mal ist es Denise Wolf. Da Entsorgungsmaterial aus verkehrstechnischen Gründen nur zu Fuss, mit dem Velo oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln angeliefert werden darf, ist es ihre Aufgabe, Autofahrer, die ihr Material mit ihrem Fahrzeug bringen wollen, wegzuweisen. Das kommt pro Tag durchschnittlich zehnmal vor. Die junge Frau erzählt, dass die meisten einsichtig seien, ab und zu aber die Autos auf einen in der Nähe liegenden regulären Parkplatz stellten, um danach ihre Waren doch noch und zu Fuss zum Entsorgen zu bringen. So ein Beispiel kennt auch Marko Ivkic. Er erzählt, wie ein Rolls-Royce-Fahrer zwei nigelnagelneue Koffer mit seiner Karosse anliefern wollte. Auch er wurde weggewiesen und kehrte zu Fuss und mit der Erklärung zurück, die Farbe der Koffer gefalle ihm einfach nicht. Beim E-Tram brachte ihm ein Mann sogar einen Laptop in der Originalverpackung. Seine Entschuldigung war, seiner Frau gefalle er nicht, und er schäme sich, ihn umzutauschen.

Auch neue Gegenstände zu vernichten, gehört zur Arbeit der Tramteams. «Am Anfang meiner Tätigkeit reuten mich die hochwertigen Sachen noch. Jetzt nicht mehr. Sie sind einfach Entsorgungsgegenstände. Egal ob neu, alt, schön, noch brauchbar oder unbrauchbar», sagt der Einsatzleiter, dreht sich um und hilft einer jungen Mutter, den Kinderwagen zu entladen.

Der Unterbau des Trams wurde Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut. Die Blattfedern (rechts) sind Raritäten und stammen aus den USA. Das Arbeitsmaterial befindet sich im Inneren des alten Trams. Gas- und Bremshebel kommen aus der ehemaligen Maschinenfabrik Oerlikon. Die hohen Stufen sind für Gehbehinderte ungeeignet.