«der arbeitsmarkt» 06/2015FOTO UND TEXT: Robert Altermatt
Lieblingsstücke

Der Herr des Bakelits

Jörg Josef Zimmermann ist der Inbegriff eines leidenschaftlichen Jägers und Sammlers. Seit 1985 sammelt er Alltagsgegenstände aus Bakelit. Mittlerweile hat der gelernte Dekorateur über 7500 Objekte aus dem spröden Kunststoff zusammengetragen, die er in seinem Privatmuseum in Arlesheim bei Basel zeigt.

Mit einem breiten Lachen empfängt mich Jörg Josef Zimmermann im düsteren Untergeschoss eines riesigen Betongebäudes in der Arlesheimer Industriezone und führt mich schnurstracks in sein Reich. Sein Paradies, das ist eine 300 Quadratmeter grosse Halle, in der die weltweit umfangreichste Sammlung von nostalgischen Gebrauchsgegenständen aus Bakelit Besucher in ihren Bann zieht. Hier hat der Wahlbasler neben dem Museum auch sein Büro und Atelier eingerichtet. Zielstrebig schreitet der quirlige Dekorateur, selbständige Designer und Messestandgestalter voran und steuert auf die Kaffee-Ecke zu. Stilecht nehmen wir auf zwei Bakelitstühlen Platz. Serviert wird der Espresso – natürlich – auf einem formvollendeten Bakelittablett aus den 1920er-Jahren. Aus Jörg Josef Zimmermann sprudeln sogleich Geschichten und Anekdoten rund um seine Sammelstücke in atemberaubendem Tempo heraus.

Jäger und Sammler

Der 68-Jährige ist nicht nur mit Haut und Haar Jäger und Sammler, sondern auch ein begnadeter Kommunikator. Mir geht es wahrscheinlich wie vielen anderen auch: Jörg Josef Zimmermann spricht nicht nur schnell und mit grossem Sprachwitz, dieser Mann weiss auch unglaublich viele und spannende Details über Design und Designgeschichte von der Art-déco-Epoche über die Bauhaus-Zeit bis hin zu den 1950er- und 1960er-Jahren zu erzählen. Dem gebürtigen Zuger, der seit bald 50 Jahren in der Region Basel wohnt, könnte ich stundenlang zuhören.

Die Bandbreite an nostalgischen Objekten und Haushaltsgegenständen aus Bakelit, die in Jörg Josef Zimmermanns Museum ausgestellt oder in unzähligen Kisten auf Paletten gestapelt aufbewahrt sind, ist enorm. Im Arlesheimer Bakelitmuseum stehen unter anderem alte Radios und Fernseher, Staubsauger, Ventilatoren, Telefone, Haarföne, Rasierapparate, Mixer, Toaster, Kaffeemühlen, Geschirr, Uhren, aber auch Schmuck oder Spielsachen. Die mehr als 7500 Objekte präsentiert Jörg Josef Zimmermann in seinem Museum in 47 selbst gebauten Vitrinen à 2,5 Meter Höhe und Breite sowie 1 Meter Tiefe. Die Einzelstücke sind thematisch nach Kategorien – wie zum Beispiel Radio- und Fernsehgeräte oder Staubsauger – in den dazu passenden Vitrinen gruppiert.

Fotografisches Gedächtnis

Besonders beeindruckend ist, dass der Museumsherr beinahe jedes seiner mehreren tausend Sammlerobjekte kennt. «Ich weiss, von ein paar wenigen Ausnahmen abgesehen, von jedem einzelnen Gegenstand, wo ich ihn gekauft habe und wo sich dieser befindet.» Das erste Stück, das Zimmermanns Liebe für Bakelit entfacht hat, war eine Kaffeemühle der Firma Dienes aus den 1930er-Jahren. Seither kommen laufend neue Gegenstände dazu – und ein Ende ist nicht abzusehen. Gibt es so etwas wie einen Favoriten unter den vielen tausend Objekten? Die Antwort folgt postwendend: «Bei einem Sammler ist es in der Regel so, dass sein Lieblingsteil immer das neueste Stück ist.»

Bakelit, der Vorläufer von Plastik, wurde von allem Anfang an von der Industrie aufgrund seiner guten Formbarkeit und der grossen Verfügbarkeit seiner Ausgangsmaterialien Phenol und Formaldehyd sehr geschätzt. Das Kunstharz eignete sich hervorragend für Ummantelungen, Schalter, Fassungen und Leiterplatten. Während der farblich neutrale Werkstoff in den USA und in Grossbritannien in verschiedensten Farbtönen produziert wurde, kamen Bakelitgegenstände in Kontinentaleuropa zumeist dunkelbraun oder schwarz eingefärbt daher. Mit der braunen Farbe sollte Holz imitiert werden. Als Pressmaterial ermöglichte der Kunststoff hohe Stückzahlen und tiefe Kosten. Bakelit fand in Rekordzeit in beinahe allen Bereichen des täglichen Gebrauchs Eingang. Der Kunststoff wird übrigens auch heute noch produziert, allerdings in wesentlich tieferer Stückzahl als in seiner Blütezeit. Aktuell wird Bakelit nur noch für spezielle Anwendungen eingesetzt, die mechanische und thermische Belastbarkeit und Brandschutz erfordern, wie zum Beispiel Bremsbeläge oder Schleifscheiben.

Schlüsselerlebnis

Bevor sich Jörg Josef Zimmermann Mitte der 1980er-Jahre für Bakelit zu interessieren begann, sammelte er hauptsächlich Aschenbecher, Wasserkaraffen und andere Sammelgegenstände aus Glas und Porzellan. Als das Regal, auf dem er diese Schätze hortete, aufgrund des zu hohen Gewichts eines Tages barst, blieben letztlich nur drei Objekte aus dem widerstandsfähigen Werkstoff Bakelit schadlos. Des Sammlers Interesse für Bakelit war schlagartig geweckt. Kam dazu, dass ihn 1984 in Zürich eine Bakelitausstellung des deutschen Sammlers Hans-Ulrich Kölsch im Schweizerischen Landesmuseum nachhaltig beeindruckte. Für Jörg Josef Zimmermann war diese Ausstellung ein Schlüsselerlebnis. In der Folge begann er zusammen mit seiner Frau Manon, intensiv nach Bakelitexponaten Ausschau zu halten.

Der Liebhaber von formschönen Dingen klapperte ab 1985 während rund 20 Jahren an Wochenenden und auf Ferienreisen unzählige Flohmärkte, Brockenhäuser und Antiquitätengeschäfte in halb Europa, den USA und Australien ab. Seit knapp zehn Jahren feilscht und erwirbt der Mann mit der markanten runden Brille die Objekte seiner Begierde grösstenteils auf Auktionsplattformen im Internet – das spart Zeit und Reisekosten. Gleichwohl nimmt er aber auch heute noch ab und zu weite Reisewege in Kauf, um ein ausgefallenes oder rares Stück zu ergattern.

2300 Kilometer für ein Radio

So legten der Sammler und seine Frau kürzlich für ein seltenes Radiogerät der britischen Herstellerfirma E.K. Cole & Co. Ltd. aus den 1920er-Jahren mit dem Auto total 2300 Kilometer von Basel via Calais nach London und umgekehrt zurück. «Die dreitägige Fahrt nach Grossbritannien hat sich gelohnt, denn wir haben dieses wunderschöne Designstück heil nach Hause gebracht», erklärt Jörg Josef Zimmermann mit einem Funkeln in den Augen.

Jörg Josef Zimmermann faszinieren vor allem Form, Funktion und Gestaltung der Stücke: «Das Design der Bakelitgegenstände und die eigene, unverwechselbare Ausstrahlungskraft dieses Kunstharzes sind reizvoll.» Das Material erinnert ihn aufgrund der leicht gemaserten oder marmorierten Oberflächenstruktur und der permanent ändernden Spiegelungseffekte an Wanderdünen. Beim Rundgang durch seine Schatzkammer legt der Hausherr beim Vorbeischlendern an den Vitrinen immer wieder einen Zwischenhalt ein, zeigt dann auf einen bestimmten Gegenstand oder nimmt ihn sogleich in die Hand. Meistens fällt ihm dazu eine oder gleich mehrere Geschichten ein, die Angaben zu Fundort, Verkäufer, Kaufmodalitäten oder zur Wahl des Transportmittels umfassen.

Die Liebe zum Detail

An Bakelit gefallen Jörg Josef Zimmermann insbesondere auch die vielen kleinen Details, die es rund um die Alltagsgegenstände aus Kunstharz zu entdecken gibt. Mitten im Redefluss hält er im Verlaufe unseres Rundgangs für einen kurzen Moment inne, und während er kurz Luft holt, beginnen seine Augen zu leuchten. Mit seinen Händen lenkt er das Augenmerk des Besuchers sogleich auf ein kleines Objekt. Dieses auf einen ersten flüchtigen Blick unscheinbar wirkende runde Teil entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Drehknopf mitsamt einer grafisch raffinierten Reliefstruktur. «Dieser wunderschön gestaltete braune Knopf mit den feingliedrigen Ziselierungen ist ein Paradebeispiel für die wunderbare Formenvielfalt von Bakelit.»

Der riesige Formen- und Variantenreichtum der Bakelitobjekte dient Josef Jörg Zimmermann, der sich selbst als «Formenfetischisten» und «Nostalgiker» bezeichnet, als Inspirationsquelle für seinen Beruf. Die Designteile motivieren ihn und bringen ihn immer wieder auf neue und unkonventionelle Ideen für seine tägliche Arbeit als Dekorateur und Gestalter. Seine Sammlung ist sein Leben und sein Hobby zugleich.

Jörg Josef Zimmermann ist ein Nostalgiker, der gleichzeitig ein ausgeprägtes Flair für Hightech hat. Des Nostalgikers zweite grosse Liebe in materieller Hinsicht sind Telekommunikations- und Computergeräte der neuesten Generation. Während unseres Gesprächs erklingen zwischendurch immer wieder Summ- und Vibrationstöne des Zimmermannʼschen Mobiltelefons und Tablet-Computers. Die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verlaufen bei ihm fliessend. Dazu passt, dass der Sammler kurz entschlossen zu seinem iPad greift, die Videoclip-Plattform Youtube aufruft und einen Original-UFA-Film über Bakelit aus den 1930er-Jahren vorführt. Altes und Neues miteinander zu kombinieren, das gefällt ihm: «Ich liebe es, auf dem Sofa sitzend einen Krimi am Fernsehen anzuschauen – und dabei gleichzeitig auf dem Laptop im Internet zu surfen und nach einem antiken Bakelitstaubsauger Ausschau zu halten.»

Des Sammlers Drama

Zu den Beweggründen, die ihn dazu veranlasst haben, ein eigenes Museum auf die Beine zu stellen, erklärt Jörg Josef Zimmermann: «Einerseits war und ist da der Wille, Objekte nicht nur für sich selber zu sammeln, sondern den Leuten die schönen Dinge des Lebens zu zeigen und ihnen eine Freude zu bereiten. Andererseits wollte ich endlich wieder einmal meine eigenen Gegenstände sehen, und dies möglichst unverpackt.» Als Museumsdirektor wird es dem umtriebigen Sammler nicht langweilig. Führungen organisieren, Eintrittsgelder eintreiben, Sammelstücke reparieren und von Staubpartikeln befreien – es gibt immer etwas zu tun.

2001, lange bevor Jörg Josef Zimmermann seine vielen Schätze im eigenen Museum in Arlesheim präsentierte, war seine Bakelitsammlung für die Öffentlichkeit erstmals an der grossen Muba-Publikumsmesse in Basel zu sehen. Die damalige Ausstellung auf rund 1000 Quadratmetern war ein Erfolg, das Publikum von der Einzigartigkeit der Kollektion begeistert. Seither schickt der Herr des Bakelits seine Exponate zwischendurch immer wieder einmal auf Reisen, so auch in europäische Nachbarländer. Wanderausstellungen sind ganz nach dem Gusto von Jörg Josef Zimmermann, schliesslich hat er sich darauf in logistischer Hinsicht gut vorbereitet. Der Dekorateur hat die Organisation seiner Sammlung so konzeptioniert, dass er bei Bedarf das gesamte Ausstellungsgut oder nur Teile davon innert ein paar Tagen an einen neuen Ort verschieben kann.

Nach mehr als zwei äusserst kurzweiligen Stunden Besuchszeit erklärt Jörg Josef Zimmermann, dass ihm die Sammelei noch nie verleidet sei. Und verabschiedet sich vom Besucher mit der ihm eigenen Prise Humor: «Ein richtiger Sammler findet für seine Objekte immer wieder einen Platz. Das ist ja das Drama.» Sagt’s und zieht lachend von dannen – zurück in sein Sammlerreich.

 

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