«der arbeitsmarkt» 04/2006

Zuhören, helfen und motivieren

Sie sind seit Jahren im zweiten Arbeitsmarkt tätig und haben die Entstehung der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren hautnah miterlebt. Eine Beraterin und zwei Berater ziehen ihre persönliche Bilanz.

Der Kommunikator

Rainer Sommerhalder ist Einsatzprogramm-Organisator beim RAV Rapperswil. An seiner 
Arbeit schätzt er den vielseitigen Aufgabenbereich und die Einsätze ausserhalb des Büros.
In diesem kalten Februar bilden mannshohe weisse Buchstaben auf dem Hauptplatz von Rapperswil das Wort «Fasnacht». Sie dienen als Autobarriere. Unweit des Hauptplatzes, im Schaufenster eines Altstadthauses, sind ebenfalls grosse weisse Buchstaben angebracht: «RAV». Statt närrischer Stimmung herrscht im Gebäude jedoch emsige Betriebsamkeit. Im zweiten Stock des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums Rapperswil hat Rainer Sommerhalder sein Büro. Er war zu Anfangszeiten des RAV Personalberater, heute ist er für Einsatzprogramme zuständig.
In seiner Funktion als Einsatzprogramm-Organisator vermittelt der 49-jährige Sommerhalder nach Auftrag der Personalberater den Stellensuchenden verschiedenste Beschäftigungsprogramme. «Wohl das Beste an dieser Arbeit sind die Vielseitigkeit und der Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen», erzählt der in Rüti ZH aufgewachsene Vater zweier Kinder. «Ich kann nicht die ganze Zeit im Büro sitzen. Die Zeiten, die ich dort verbringe, beinhalten viel Pflichtprogramm. Deshalb gefällt es mir, häufig unterwegs sein zu können.» Sommerhalder erkundigt sich vor Ort bei Arbeitgebern, die Einsatzprogrammplätze anbieten, und pflegt das Beziehungsnetz. Zu seinen Kernaufgaben gehört es, Einsatzprogrammplätze zu vermitteln und auch als Bindeglied zwischen Arbeitgebern und Stellensuchenden zu dienen.
Der Wunsch nach Vielseitigkeit spiegelt sich auch in Sommerhalders beruflicher Laufbahn wider. Nach einer Lehre als Mechaniker machte er die Ausbildung zum Betriebsfachmann, wurde Werkmeister, leitete Abteilungen und betreute Lehrlinge. Und während er als Instruktor beim Zivildienst tätig war, interessierte er sich für die Funktion des Personalberaters: «Zu diesem Zeitpunkt waren die RAV am Entstehen. Die stellensuchenden Personen wurden noch von den Gemeinden betreut. Die Tatsache, als Personalberater bei einer sich im Aufbau befindenden Organisation arbeiten zu können, hat mich gereizt. Am Anfang war von der Betreuung der Stellensuchenden bis zu Firmenbesuchen, wo ich nach möglichen Praktika und Stellen anfragte, alles möglich.»
Zweieinhalb Jahre nach seinem Stellenantritt wurde die Arbeitsvermittlung professionalisiert, wie Sommerhalder es ausdrückt. Das RAV Rapperswil wurde nochmals umstrukturiert. Für ihn selbst geriet die Spezialisierung der Personalberater zum Problem: «Ich sass im Büro und empfing einen Stellensuchenden nach dem andern. Das wurde mir zu eintönig.» Trotzdem bewertet er diesen Schritt für die RAV durchaus als positiv: «Ende der Neunzigerjahre war die Wirtschaft auf dem Tiefpunkt. Durchgreifende Massnahmen in der Stellenvermittlung waren nötig. Seitdem es die RAV gibt, ist alles viel professioneller geworden.»
Sommerhalder wechselte zurück in die Privatwirtschaft, wo er fünf Jahre als Projektleiter in der Industrie tätig war. Trotzdem blieb er mit seinen ehemaligen RAV-Kollegen in Kontakt. Im Oktober 2003 wurde ihm eine Anstellung beim RAV Rapperswil als Einsatzprogramm-Organisator angeboten. Dazu erzählt er: «Die Personalberater kommen auf mich zu mit dem Auftrag, für einen betreffenden Stellensuchenden ein passendes Programm ausfindig zu machen. Das kann ein Motivations- oder Einsatzprogramm sein.» In der jetzigen Funktion kommen ihm auch die guten Kontakte mit den Arbeitgebern und Behörden entgegen. 
Störend an seiner Arbeit findet Sommerhalder unmotivierte Stellensuchende: «Ich ärgere mich über ALV-Bezüger, die lieber in der Badi hängen, anstatt etwas aus sich zu machen.» Auch die teils sehr negative Berichterstattung über die RAV ärgert ihn: «Überall kommen Fehler vor, auch bei uns. Im Laufe der Jahre wurden jedoch die Messinstrumente verfeinert und die Kontrollen verbessert.» Der Programmverantwortliche gibt jedoch auch zu verstehen, dass der Druck auf die Personalberater zugenommen hat: «Es ist kein Geheimnis, dass es bei den RAV viele Wechsel gibt. Die Anforderungen sind nicht mehr dieselben wie früher. Es ist auch möglich, dass es Personalberater gibt, die diesen Anforderungen nicht genügen.»
So schön seine Arbeit für Sommerhalder auch ist, er kann sein Werk nie in Händen halten. Für einen gelernten Handwerker ist das ungewohnt. Sommerhalder, der in Hombrechtikon ZH wohnhaft ist, beschäftigt sich deshalb in der Freizeit mit Handwerklichem. So schraubt er gerne an seinem Motorrad herum. Und so ganz nebenbei führt er mit einem Kollegen ein eigenes kleines Geschäft. Sommerhalder: «Wir bauen handelsübliche Velos nach den Bedürfnissen von Behinderten um. Die grössten Schwierigkeiten bereiten die gesetzlichen Bestimmungen. Beispielsweise müssen einarmige Personen dem Strassenverkehrsamt beweisen, dass sie mit unserem umgebauten Velo fahren können.»

Die Helferin
Erika Häfliger betreut seit über 20 Jahren Stellensuchende. Was ihr damals wichtig war, gilt 
heute noch: Der Mensch steht im Mittelpunkt.
Erika Häfliger hat sich vorbereitet: Vor ihr liegt ein Blatt Papier, auf dem sie sich aufgeschrieben hat, was sie über ihre Arbeit erzählen möchte. Und nach wenigen Sätzen spürt man: Hier sitzt eine RAV-Beraterin, der das Einzelschicksal am Herzen liegt. Vor über 20 Jahren begann sie auf einem Zürcher Gemeindearbeitsamt mit der Betreuung von Stellensuchenden. Drei Arbeitslose 
waren damals gemeldet, und sie hatte vorwiegend mit Alimentenbevorschussung zu tun. Mittlerweile ist sie seit zehn Jahren RAV-Beraterin für den Kreis 4 in Zürich. Seit März 2005 am jetzigen Standort an der Hardturmstrasse. 
«Mich fasziniert der Mensch und wie anders jede Situation immer wieder ist», versucht sie zu erklären, was ihr an ihrem Beruf gefällt. Für sie laute die zentrale Frage: «Was kann einer Person weiterhelfen, damit sie wieder in den Arbeitsprozess zurückfindet?» Das könne beispielsweise ein neu gestalteter Lebenslauf oder aber ein Sprachkurs sein.
Erika Häfliger betreut im 80-Prozent-Pensum 110 bis 115 Stellensuchende. 15 davon sind Jugendliche, die nach dem Schulabgang eine Anschlusslösung in Form eines Motivationssemesters anstreben. Dies mit dem Ziel, eine Lehrstelle zu finden. Die RAV-Beraterin und ein Team von sechs Mitarbeitern versuchen, Arbeitslosen aus den Bereichen KV, Recht, Marketing, Medien, PR, Soziales und Wissenschaften wieder eine Stelle zu vermitteln.
Jeder Arbeitslose, der zu ihr kommt, bringt seine ganz spezielle Biografie mit. Bei Härtefällen, wie etwa einem älteren Stellensuchenden, der über schlechte Qualifikationen verfügt, versucht Häfliger herauszufinden, wo die besonderen Stärken des Betroffenen liegen, und erarbeitet mit ihm eine Bewerbungsstrategie. Die kann unter anderem darin liegen, dass er einen Zwischenverdienst sucht oder sein Bewerbungsdossier bei einem Arbeitgeber persönlich abgibt. Zweimal pro Woche bespricht die RAV-Beraterin komplexe Fälle mit ihrem Team. Hier wird beispielsweise darüber beraten, ob es angezeigt ist, bei einer Person mit gesundheitlichen Problemen eine IV-Abklärung vorzunehmen. Es sei besser, eine solche Massnahme zur Sprache zu bringen, bevor der Betreffende auf Grund seines Gesundheitszustands eine Absage nach der anderen bekomme, merkt sie an.
Häfligers Büro im dritten Stock ist hell und freundlich und zeugt vom Willen der Bewohnerin, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. «Als die Beratertätigkeit immer mehr ins Zentrum rückte, habe ich gemerkt, dass ich in diesem Bereich Besseres leisten kann», erzählt sie. Deshalb besucht sie seit drei Jahren eine Weiterbildung in personenzentrierter Beratung. Der Studiengang basiert auf den drei Grundpfeilern «Respekt vor dem Gegenüber», «Einfühlungsvermögen» und «Echtheit der beratenden Person».
Es gibt immer wieder Situationen, die Erika Häfliger betroffen machen. «Ich hatte letzthin einen Fall, wo eine Frau ihr Kind verloren und der Arbeitgeber ihr kurz darauf gekündigt hat», berichtet sie. Solche Erfahrungen hinterlassen ihre Spuren. Als Ausgleich und Gegengewicht zur Bürotätigkeit ist das grösste Hobby der RAV-Beraterin der Ausdruckstanz zu klassischer Musik. «Ich bin ein Bewegungsmensch», sagt sie, und der Tanz sei die Quelle, bei der sie auftanken und Abstand nehmen könne. Seit sechs Jahren besucht sie jährlich stattfindende Kurse und ist dadurch gelassener geworden. «In der Tanzimprovisation kann ich ausdrücken, was mich bewegt.»

Der Motivator

Seit es die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren gibt, ist Res Klingler als Personalberater dabei. Jahrelang war er in der Stadt Zürich tätig. Vor drei Monaten zog es ihn zum RAV Uster.
Leicht gewelltes Haar, mittlere Statur, eine feinrandige Brille. Res Klingler sieht jünger aus, als sein tatsächliches Alter von 56 Jahren erwarten lässt. Als Vater zweier Söhne im Alter von 19 und 21 Jahren steht er seit bald zehn Jahren einem Männerhaushalt vor. Dazu gesellt sich Kater «Tarzan», der, wie Klingler sagt, «nicht wegzudenken» sei. Im zürcherischen Thalwil geboren, wuchs er als richtiger «Seebub» auf. Dass er ein schlechter Schwimmer ist und es nur mit Müh und Not auf das Strandbadfloss schafft, hütete er bis jetzt als kleines Geheimnis. Trotzdem bleibt er dem nassen Element verbunden. Der bekennende Wasserfan liebt es, ans Meer in die Ferien zu fahren.
Im Berufsleben konnte sich Klingler über ungenügenden Auftrieb nie beklagen. Sein beruflicher Werdegang begann als KV-Lehrling. Der erfolgreiche Abschluss war auch die Basis für seine weiteren Tätigkeiten. Einige Jahre als bilanzsicherer Buchhalter angestellt, betrieb er danach, für die damalige Zeit ungewohnt, oft zwei Berufe nebeneinander. Tätigkeiten, die er meistens zwischen seinen diversen Auslandaufenthalten ausübte. Er arbeitete als Kellner, Interviewer für ein Markt- und Meinungsforschungsinstitut, Disponent für Kies und Beton und als Kleider-, Teppich- und Antiquitätenhändler. Schliesslich schloss er seine «Sturm-und-DrangJahre» ab und liess sich für eineinhalb Jahre als Reiseleiter auf Teneriffa nieder.
Der jetzige RAV-Mitarbeiter präzisiert: «Wenn eine ‹Dauerstelle› angesagt war, zeigte ich jeweils Firmentreue.» Das gilt auch für die sechs Jahre, in denen er in einer privaten Stellenvermittlung tätig war, zuletzt als Filialleiter. Doch als die Wirtschaft lahmte, erhielt er zum ersten Mal eine Kündigung. «Das war eine Erfahrung, die bei mir als Familienvater einen ziemlichen Schock auslöste. Ich weiss, was es bedeutet, entlassen zu werden. Dies vergesse ich auch in meiner Tätigkeit als Personalberater nicht», so Klingler.
Nach der Kündigung ging er zum Arbeitsamt, wo er aber nicht als «Stempelgeldbezüger» vorsprechen musste, sondern übergangslos als Personalberater eingestellt wurde. 1993, zu Beginn seiner Zeit beim Arbeitsamt der Stadt Zürich, ging es ab und an chaotisch zu und her. Klingler denkt aber gerne an diese Pionierzeit zurück. Er schwärmt: «Wir hatten interessante Projekte. So wurden neue Beratungsformen realisiert, die im Vorgehen identisch mit denen der privaten Stellenvermittler verlaufen. Das ganze Anmeldeverfahren wurde optimiert, und wir trennten die Personalberatung klar von Fragen der Arbeitslosenentschädigung und der Anspruchsberechtigung, für welche ja die Arbeitslosenkasse zuständig ist. Zudem hatte ich das Glück, in einem Team zu arbeiten, bei dem der Chef das Beste aus allen rausholte.»
Als 1996 die RAV entstanden, konnte Klingler somit auf viel Vorarbeit zurückblicken. Im Vergleich zu den Startzeiten scheinen die Vermittlungsstellen heute wie eine gut geölte Maschinerie zu laufen. 
Klingler ist ein Mann, der einen respektvollen und freundlichen, aber auch bestimmten Umgang mit seinen Kunden pflegt. Er scheint so etwas wie ein Prototyp eines RAV-Personalberaters zu sein. Er bemüht sich, in einem Beratungsgespräch eine gute Atmosphäre zu schaffen und seine Stellensuchenden gut motiviert aus dem Gespräch entlassen zu können. Seit drei Monaten arbeitet Res Klingler beim RAV Uster. Auf die Frage, ob er, was seine Arbeit betrifft, zwischen den Städtern und den Leuten auf dem Land Unterschiede feststellen könne, meint er: «Hier fällt die Anonymität der Stadt weg. Jeder kennt jeden, was den Druck auf Arbeitslose erhöht.» Keine Frage: Klingler wird gebraucht.
Zur PDF-Version: