«der arbeitsmarkt» 07/2007

«Zürich, Zürich über alles»

Heinrich Gartentor gibt im Herbst sein Amt als erster «Schweizer Kulturminister» ab. Der Thuner Künstler über die Beziehung von Kultur und Wirtschaft, Mäzenatentum, Preise, Pro Helvetia und peinliche Ratings.

Herr Gartentor, wie soll ich Sie nennen: Herr Lüthi oder Herr Gartentor?
Das ist mir egal, wie Sie wollen.

Ich habe gelesen, dass Sie ein Workaholic sind und oft ganze Nächte durcharbeiten. Muss ich befürchten, dass Sie während dieses Interviews einschlafen?
Das ist nicht mehr so schlimm wie früher. Seit ich eine Tochter habe, gehe ich es ruhiger an. Natürlich arbeite ich, wenn ich inspiriert werde. Das kann auch nachts sein. Im Moment bin ich ausgeruht. Oder haben Sie etwa mitten in der Nacht ein E-Mail von mir gekriegt?

Nein. Kommt das vor?
Ja.

Ihre Amtszeit als Kulturminister neigt sich dem Ende zu. Was haben Sie erreicht?
Ich habe vermittelt. Als kleines Beispiel habe ich die Schriftsteller Daniel de Roulet und Oskar Freysinger eingeladen und bekocht. Dabei haben die beiden herausgefunden, dass sie sich gar nicht so unsympathisch sind. Ich habe es geschafft, dass Leute miteinander reden. Das ist ein wichtiger Schritt. Allerdings glaube ich nicht, dass die Leute die Taten des ersten Schweizer Kultur-ministers als besonders herausragend in Erinnerung behalten werden.

Warum nicht?
Der Job des Vermittlers ist nicht besonders spektakulär. Aber natürlich habe ich auch viele Texte verfasst, Reden gehalten und Interviews zur Lage der Kultur gegeben.

Ich habe ein Foto von Ihnen gefunden, das Sie vor einem grossen rosa Plakat zeigt. Darauf steht die Frage: «Wer verdient an Kunst?» Darunter: «Ich!» Verdienen Sie so gut?
Natürlich! Wahnsinnig gut! Nein, ich verdiene nicht gut. Etwa 2000 Franken im Monat. Das ist, glaube ich, unter dem Existenzminimum. Trotzdem kann ich in einem grossen Haus leben und mir manchen Luxus leisten. Billigen Luxus wie Gelassenheit und Zeit und einen Morgenkafi mit intensiver Zeitungslektüre in der Beiz.

Im Kunstmarkt erwirtschafteten knapp 2000 selbständig Erwerbende und Unternehmen im Jahr 2000 einen Gesamtumsatz in Höhe von 2,6 Milliarden Franken. Rund 8700 Beschäftigte finden so einen Arbeitsplatz. Leben diese alle am Existenzminimum?
Nein, selbstverständlich nicht, sonst würde ja keiner mehr in dieser Branche tätig sein. Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Künstler oft mit sehr wenig Geld leben – oder leben wollen, um mehr Geld in Projekte investieren zu können.

Sie verfügen laut Presse über ein Sponsorennetz, welches Künstler finanziert, die noch nie mit Preisen bedacht wurden. Ist dieses Sponsorennetz ein Modell für die zukünftige Schweizer Kulturförderung?
Nein, das sollte nie irgendein Modell sein. Ich bekam damals einfach einen sehr hoch dotierten Preis. Und ich fand, dass es doch das Sinnvollste wäre, dieses Geld nicht nur für mich, sondern für die Förderung der Kunst im Allgemeinen auszugeben. Also beschloss ich, Künstler zu fördern, welche noch nie einen Preis gewonnen haben. Die Sponsoren sind in dem Fall nicht Sponsoren, es sind Gönner. Sie helfen mit, mein Projekt zu finanzieren, und verlangen keine Gegenleistung.

Das Bundesamt für Kultur (BAK) will die Kantone mehr in die Pflicht nehmen, was Kulturförderung betrifft. Wird Kunst nur noch in reichen Kantonen stattfinden?
Wenn das so wäre, müsste zum Beispiel der Kanton Schwyz eine Hochburg der Kunst sein. Davon ist er aber weit entfernt. Was heisst hier: die Kantone in die Pflicht nehmen? Es fällt auf, dass die lebendigste Kunstszene in den grossen Städten stattfindet, wo auch die wirtschaftlich stärksten Unternehmen sitzen. Die wahren Player sind nicht die Kantone, es sind die Städte.

Wie wichtig ist die Kultur für die Schweizer Wirtschaft?
Das muss die Wirtschaft selbst erkennen. Es wäre etwas selbstgerecht, zu behaupten, die Kultur sei wichtig für die Wirtschaft. Kultur ist aber immerhin wichtig für die Gesellschaft. Es ist nicht die Wirtschaft, welche der Gesellschaft eine Identität verleiht, das macht die Kultur. Ohne Kultur blieben die Geschichtsbücher weiss, ohne Wirtschaft die Mägen leer. So läuft das.

Nimmt die Schweiz die Kultur als Wirtschaftsfaktor zu wenig ernst?
Das mag sein. Jedenfalls sind jeweils alle erstaunt, wenn
man erzählt, wie viel Geld in der Kultur umgesetzt wird. Doch eigentlich sind die Zahlen egal. Die Wirtschaft soll die Kultur als Kultur ernst nehmen. Das mit dem Wirtschaftsfaktor ist bloss das Dessert.

Was erwarten Sie vom neuen Bundesgesetz über die Kulturförderung?
Nichts. Es ist ein Verwaltungsgesetz und ich befürchte eine Bürokratisierung der Kultur. Das wäre fatal. Es kann nicht sein, dass die Verwaltung nun mehr Geld brauchen will und dieses dann in der Förderung fehlt.

Sie wollen eine «schnelle und effiziente Pro Helvetia». Die Frage ist doch: Hat Pro Helvetia in Zukunft noch eine Existenzberechtigung?
Es ist extrem wichtig, dass die Stiftung Pro Helvetia unabhängig bleibt. Die Politik soll da nur ganz schön brav die Finger raushalten. Und wer wie ich Freunde im Ausland hat, weiss wieso. Meine Freunde gehen da hin, wo Pro Helvetia Anlässe mitträgt. Denn wo Pro Helvetia draufsteht, ist Qualität drin.

Bestimmt der Staat, was Kultur ist?
Nicht der Staat, sondern vielmehr der Markt. Schauen Sie mal das Künstler-Rating der «Bilanz» an. Zürich, Zürich über alles. Zürich ist die Marktmetropole, spätestens am Voralpenfuss hört die Wahrnehmung auf. Deshalb heisst das Rating ausserhalb Zürichs auch bloss «Züriwixete», was die «Bilanz» sicher noch nicht bemerkt hat. Man stützt sich zwar auf Fachleute ab, aber die hecheln halt sehr oft irgendwelchen Hypes hinterher. Auch dort hört die Wahrnehmung am Voralpenfuss auf.

Sie setzen sich für steuerlich begünstigtes Mäzenatentum ein. Schliesst das nicht generell künstlerische Unabhängigkeit aus?
Ich setze mich nur für das steuerlich begünstigte Mäzenatentum ein, wenn es zeitgenössische Kunst fördert. Wir sind Zeitgenossen und zeitgenössische Kunst kommt in der Förderung stets zu kurz. In der Stadt Bern zum Beispiel fliessen bloss 8 Prozent der Fördergelder in zeitgenössische Kunst. Das ist ziemlich beschämend, denn heute werden die Werte für morgen geschaffen. Mäzenatentum schliesst Unabhängigkeit überhaupt nicht aus. Ich habe trotz meinen Gönnern stets gnadenlos meine Meinung vertreten und nie Kompromisse in meiner Arbeit gemacht. Meine Gönner hätten es auch nicht verstanden, wenn ich ihnen nach dem Mund geredet hätte.

Wie schlimm war dieses Interview für Sie? Mussten Sie gegen den Schlaf kämpfen?
Das war für mich noch lange nicht schlimm. Fanden Sie es etwa schlimm?

Nein.
Gut.

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