«der arbeitsmarkt» 05/2007

«Williges Mädchen gesucht»

Stelleninserate haben sich in den vergangenen hundert Jahren formal und inhaltlich markant verändert. Nicht unbedingt zu Gunsten der Arbeitsuchenden.

«Intelligentes, williges Mädchen zu kleiner Familie, Obstgartenstrasse 20, Parterre»: Diese Stellenanzeige stand in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 12. März 1918. Heute wäre ein solches Inserat nicht nur wegen der etwas missverständlichen Formulierung nicht mehr denkbar. Früher hatten Arbeitgeber jedoch andere Prioritäten, was die Eigenschaften ihrer Wunschkandidaten betraf. «Solide», «tüchtig», «fleissig» und «treu»: Dies waren die Attribute, mit denen ein Arbeitender noch vor gut einem Jahrhundert punkten konnte. Ausbildung und Erfahrung waren zweitrangig. Denn wenn einer tüchtig war, würde er den Rest schnell genug lernen. Einem Faulpelz die Lust am Arbeiten beizubringen, wäre viel schwieriger. Diese – zugegeben nicht ganz von der Hand zu weisende – Logik prägte die Denkweise der damaligen Arbeitgeber. Sie selbst hingegen gaben nur wenig von sich selbst preis. Was kümmerte es den Stellensuchenden, bei wem er arbeitete? Der konnte froh sein, überhaupt bezahlte Arbeit zu kriegen! Denn schliesslich gab es Arbeitsuchende im Überfluss.
Erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts tauchten in den Stelleninseraten Verlockungen wie «hoher Lohn» oder «interessante Stellung mit Aufstiegsmöglichkeit» auf. Denn mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der fünfziger und sechziger Jahre wurden qualifizierte Stellensuchende zunehmend rarer, so dass sich Unternehmen intensiver um zukünftiges Personal bemühen mussten. Heute geben sich suchende Firmen gerne als erfolgreich, modern, fortschrittlich, sozialkompetent, mit vorteilhaften Anstellungsbedingungen und breit gefächertem Aufgabenspektrum. Mitunter nehmen diese – zuweilen einschüchternden – Eigenbeschreibungen bis zu einem Drittel der Stellenanzeige, die ganze Anzeige nicht selten ein Viertel einer Zeitungsseite in Anspruch. Auch optisch wird eine Stellenanzeige immer mehr zu einem Marketinginstrument. Mit aufwändigen grafischen Mitteln und Firmenbeschreibungen wird Flagge gezeigt. Kein Wunder, haben sich die durchschnittlichen Inserate­kosten seit 1950 bis heute mehr als verzehnfacht.

Aus- und Weiterbildung machen Karriere

In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts stellte man zum ersten Mal einen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsklima und der Produktivität der Mitarbeitenden fest. Nun wurde in Stelleninseraten etwa «Freude an interessanten statistischen Arbeiten» verlangt (NZZ, 17. März 1962). Für manche wäre das bestimmt heute noch ein echtes Ausscheidungskriterium. Ausserdem wurde die Fähigkeit zu selbständigem Arbeiten immer wichtiger. Bedeutet das, dass frühere Arbeitnehmende dazu nicht fähig waren? Wahrscheinlich nicht, doch es zeigt, wie sich die Arbeit und damit die notwendigen Qualifikationen veränderten.
Denn die Ansprüche der Wirtschaft an die Stellenbewerber sind vor allem hinsichtlich der mitzubringenden Ausbildung in den letzten fünfzig Jahren deutlich gewachsen. Nicht nur wird heute in der Regel eine Ausbildung verlangt, auch das durchschnittliche Niveau derselben steigt. Personen ohne Berufsausbildung fallen auf dem heutigen Arbeitsmarkt zunehmend durch die Maschen. Stösst man trotzdem auf eine Stellenanzeige, die keine Qualifikationen verlangt, steckt meist eine dubiose Firma dahinter. Dafür verantwortlich, dass heute ohne solide Ausbildung nichts mehr geht, sind vor allem zwei Dinge: Einerseits gewinnen Branchen, welche schon früher eine höhere Ausbildung verlangten, immer stärker an Gewicht. Andererseits werden «traditionelle» Arbeiten immer komplexer. Sprich: Ein Automechaniker muss nicht mehr «nur» mit dem Schraubschlüssel umgehen können, sondern auch die komplizierte Elektronik eines modernen Autos verstehen. Schon ist ein neuer Beruf – der des «Fahrzeugdiagnostikers» – entstanden, natürlich mit der dazugehörigen Ausbildung.

Killerkriterium Berufserfahrung

Die Tendenz geht sogar noch weiter: Blättert man heute durch den Stellenmarkt einer Zeitung, fällt auf, dass selbst eine gute Ausbildung oft schon nicht mehr genügt. Immer öfter wird explizit eine Zusatzausbildung verlangt. So suchte etwa ein nationales gelbes Grossunternehmen im April 2007 einen «belastbaren» Kommunikationsspezialisten mit «mehrjähriger Erfahrung», welcher zudem über «eine entsprechende Weiterbildung» verfügen sollte.
Das genannte Beispiel zeigt noch einen weiteren Trend: Seit Mitte der achtziger Jahre wird die Berufserfahrung der Kandidaten immer wichtiger. 2007 findet man fast kein einziges Stellenprofil mehr, welches diese Qualifikation nicht fordert. Manch hoffnungsvoller, frisch diplomierter Berufseinsteiger ist an diesem Kriterium bereits verzweifelt. Die Motivation der Firmen ist nachvollziehbar: «Lehrjahre» kosten das Unternehmen unter Umständen ein kleines Vermögen. Dass diese Politik langfristig gesehen zu einem Eigentor wird, liegt auf der Hand.
Der deutlichste Unterschied zwischen den Anforderungsprofilen von 1907 und 2007 ist jedoch ein anderer: «Soft skills» heisst das Zauberwort, was nichts anderes als «Charakterzüge» bedeutet. Und in der Beziehung haben sich die Wünsche von Stellenanbietenden bemerkenswert gewandelt: Anständigkeit und Ehrlichkeit, aber auch Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit wurden ersetzt durch Teamfähigkeit, Belastbarkeit, Flexibilität und Selbstmotivation. Dies ist begründet durch eine immer vernetztere, schneller funktionierende Wirtschaft. Selbstverständlich sollen heutige Arbeitnehmende nach wie vor ihre Aufgaben erfüllen. Doch dies soll immer häufiger auch noch Freude und Spass bereiten – jedenfalls gemäss den Angaben in den Stelleninseraten. Hätte ein Bankdirektor aus den Fünfzigern heute noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt? Vielleicht. Aber früher war sie grösser.
www.arbeitsmarktforschung.ch

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