«der arbeitsmarkt» 05/2006

Wenn das Spiel wirklich zu Ende ist

Fussball Jeder Profi träumt davon, einmal an einer Weltmeisterschaft dabei zu sein. In Wirklichkeit leiden viele unter der Angst vor Arbeitslosigkeit und vor der ungewissen Zukunft.

Auch wer mit Fussball wenig am Hut hat, horchte auf: Massenentlassungen jetzt auch im Sport? Eine ganze Mannschaft wurde vom Rasen auf die Strasse gestellt, als im Herbst 2004 in Genf der Servette FC Pleite ging. 15 Millionen Franken Schulden. Fussballfans witzelten, dass nach der gelben und roten Karte jetzt noch die blaue eingeführt werde – der blaue Brief. Die ausländischen Servette-Spieler retteten sich wohl oder übel vor allem in ihre Heimat und fanden dort wieder einen Club, meist verbunden mit einem Abstieg doppelter Art: tiefere Liga, tieferer Lohn. Unter die Räder kam damals auch der schweizerisch-italienische Doppelbürger Massimo Lombardo, der nach vier Saisons bei Servette fast schon zum Clubinventar gehörte. Nachdem er bereits ein halbes Jahr ohne Lohn war, fragte die NZZ ihn damals, ob er nicht langsam Existenzangst spüre. Er verneinte, gestand aber: «Zum Glück habe ich eine Frau, die gerne arbeitet. Ich habe zwar schon etwas auf die Seite legen können, aber ohne sie wäre es auch finanziell schwierig geworden.» Lombardo schaffte es: Nach einem «Abtaucher» zum Genfer Vorortsclub FC Meyrin ist er bei Neuchâtel Xamax gelandet, dem zurzeit einzigen Aushängeschild in der Romandie, was «le football» betrifft.
 

Welche Arbeit ist für einen Fussballprofi zumutbar?

In der Fussballbranche weht ein rauer Wind, auch sie hat ihre Arbeitslosen. Die RAV-Beraterin Karin Lewis in Emmenbrücke weiss: «Drei Dutzend arbeitslose Fussballer sind zurzeit schweizweit gemeldet.» Sie muss sich gar nicht erst vorstellen, wie sie vorgehen würde, hat sie doch selbst einen jungen Fussballer in der Beratung. Da ein Berufssportler eigenen Marktgesetzen unterworfen ist, läuft der Support anders. «Als RAV-Beraterin», erklärt Lewis das Vorgehen, «versuche ich mich zu informieren, welchen Marktwert der Fussballer hat. Ich möchte herausfinden, wie gross die Chancen sind, dass wieder eine Anstellung als Fussballer gefunden wird. Nach einiger Zeit der Arbeitslosigkeit schlage ich einen Standortbestimmungskurs vor oder den Besuch beim Berufsberater. Es geht darum abzuklären, welche Einsatzmöglichkeiten eine Person ausserhalb des Spielfelds hat. Eine Zweitausbildung ist über die ALV nicht finanzierbar. Wir können jedoch mit einem Einsatzplatz die Möglichkeit zur Praxiserfahrung geben.»
Es kann auch die «grossen Tiere» treffen.
Franco Di Jorio, auch er ein italo-helvetischer Ballakrobat, hatte für grosse Schweizer Clubs gearbeitet, er spielte ein Dutzend Mal in der Schweizer Nationalmannschaft – und trotzdem stand er im Juli 2003 plötzlich in sehr kurzen Hosen da: ganz ohne Vertrag. Zusammen mit einem Partner hatte er zwar am Zürcher Limmatquai ein Café gekauft, doch um sich einen Lohn zu zahlen, dafür reichte es noch nicht. Er ging stempeln. Als Familienvater wurde er der höchsten Lohnklasse zugeteilt, er erhielt monatlich rund 7000 Franken. Angebote aus der Fussballwelt gab es zwar, doch für 5000 Franken war er nicht bereit, das runde Leder zu treten. Schliesslich kam er beim FC Zürich unter.
Welche Arbeit ist für einen Fussballprofi überhaupt zumutbar? Schwierige Frage.
Lucien Valloni, Mitbegründer und Präsident der Swiss Association of Football Players (SAFP), spricht einen Fall an, den seine Organisation bis vor Verwaltungsgericht gezogen hat, weil die Arbeitslosenkasse nicht bezahlen wollte. «Einem Spieler ist von Anfang an die so genannte Vermittelbarkeit abgesprochen worden, während doch Arbeitslose aus anderen Branchen eine Zeit lang in ihrem ursprünglichen Beruf suchen dürfen, bevor sie angehalten werden, sich auch anderweitig zu orientieren.» Grundsätzlich gelten für jede arbeitslose Person die gleichen Bestimmungen. Insbesondere auch die Pflicht zur Stellensuche ausserhalb des bisherigen Tätigkeitsbereichs. Kompliziert wird es, wenn der Spieler vom letzten Arbeitgeber, also einem Verein, noch eine Abgangsentschädigung erhalten hat.
Wer jedoch argwöhnt, Fussballer könnten sich über die Arbeitslosenversicherung bereichern, übersieht, dass nur 70 bis 80 Prozent des letzten Lohnes ausbezahlt werden, höchstens 8900 Franken pro Monat. Dazu kommen dann allfällige Kinderzulagen.
Geld ist eines, aber nicht alles. Die 2001 gegründete SAFP setzt sich für die Rechte der Fussballer weit häufiger in anderen Bereichen ein. Die freiwillige und unentgeltliche Mitgliedschaft soll den Spielern die Möglichkeit geben, sich neutralen Rat einzuholen. So etwa über ihre Rechte gegenüber Vereinen, Veranstaltern, Versicherungen, Sponsoren und Medien. Die Gründer betreiben die junge Gewerkschaft ehrenamtlich. Ihr Pendant im gewerkschaftlich stark organisierten England beschäftigt 150 Mitarbeiter. Vierzig nationale Spielervertretungen sind in der Dachorganisation FIFpro vereinigt, die ihre Fäden von den Niederlanden aus zieht.
 

Servette kaufte vor dem Konkurs noch Spieler ein

In den Wirren nach dem Servette-Fiasko nahm sich die SAFP Grosses vor. Sie wollte die Mannschaft interimistisch weiterführen, was letztlich aber scheiterte. Die Meisterschaft in der Super League ging mit neun statt zehn Mannschaften weiter. Die arbeitslosen Spieler – es war eine stattliche Zahl, denn der französische Besitzer von Servette hatte vor dem Kollaps noch kräftig eingekauft – stoben rasch auseinander, die Südamerikaner vor allem nach Spanien. Die Marktchancen waren für die vereinslosen Profis gar nicht so schlecht: Weil der Servette FC Vertragsbruch begangen hatte, mussten jene Clubs, welche die Fussballer übernahmen, keine Ablösesumme bezahlen.
Ein Fussballer, der nicht am Ball bleibt, ist schnell keiner mehr. Seine «Halbwertszeit» ist noch kürzer als die von «normalen» Berufsleuten. Sensibilisiert durch die Geschehnisse um den Servette FC, der vorläufig nur noch als Amateur-Club existiert, will sich die SAFP verstärkt darum kümmern, dass vertragslose Spieler zu Trainingsmöglichkeiten und Wettkämpfen kommen. Sehen und gesehen werden – das ist in dieser Branche unerlässlich, um zu einem neuen Job zu kommen.
 

Der Fussballverband versteht sich nicht als Arbeitgeber

Und wenn das Flutlicht endgültig ausgeht? Einer, der die Szene kennt, aber keinen Giftanschlag gegen sich provozieren möchte, wie er schmunzelnd meint, erlebt manche Fussballer am Ende der Karriere als «zum Heulen hilflos. Sie kommen nicht einmal mit einem Mietvertrag zurecht, es wurde ihnen vom Verein oder Manager oft alles abgenommen, jetzt strampeln sie ziemlich
allein.»
Wer als Fussballer das Bankkonto in seiner knapp bemessenen Aktivzeit nicht auspolstern kann, ist gefordert, die zweite Karriere frühzeitig und clever zu planen. Tore öffnen statt schiessen! Sogar wer eine gute Grundausbildung mitbringt, ist nicht automatisch im Trockenen. Nach langen Jahren vollster Konzentration auf den Ball ist auch der gelernte Automechaniker in
der Autowerkstatt ziemlich fehl am Platz.
Franco Di Jorio, selber gelernter Autoersatzteilverkäufer, sagte es einmal ungeschminkt: «Nach zehn Jahren Profifussball nützt einem die frühere Ausbildung nichts mehr.»
So ist die hohe Kunst gefragt, auch ausserhalb des Stadions ein paar trickreiche Dribblings hinzulegen und ein paar Tore zu schiessen, für die es weder Zuschauer noch Applaus gibt: entscheidende Volltreffer für die Zukunft ohne Ball. Versuche, finanzschwachen Spitzensportlern in «das Leben danach» zu helfen, sind auch schon institutionalisiert worden – mit wenig Erfolg. «Sportprofiplus», mit ziemlichem Gedröhn gestartet, zeigt im Internet nur noch leere Seiten. Und das Wiedereingliederungsprogramm für Profis des Fussballverbands wurde nach nur zwei Jahren eingestellt und gehört sowieso nicht zum Kerngeschäft des SFV. Dort heisst es lapidar: «Wir sind keine Arbeitgeber.»
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