«der arbeitsmarkt» 04/2006

Vom Winkelhaken zum WYSIWYG

Schriftsetzer, Typograf, Polygraf – wenige Berufe haben sich innerhalb kürzester Zeit so stark gewandelt wie der des Schriftsetzers. Heinz Dohner hat die Entwicklung vom Bleisatz bis zu den heutigen Computerprogrammen miterlebt.

Kalter Wind weht vom See auf das Gelände der Zürichsee Medien AG. Der in moderner Kühle gehaltene Empfang im Haus passt dazu. Trotzdem, es ist ein schönes Privileg, in einer Firma mit direktem Seeanstoss in Stäfa arbeiten zu können. Spätestens im Sommer, wenn man sich in der Mittagspause oder am Feierabend noch schnell einen Sprung ins Nass gönnen kann. Nach einem Anruf der Empfangsdame empfängt uns Heinz Dohner mit seiner fröhlichen, ruhigen und zuvorkommenden Art. Dohner leitet die Lehrlingsabteilung der Zürichsee Druckereien AG, die sich im ersten Stock des Gebäudes befindet. Gleich darüber liegt die Hauptredaktion der «Zürichsee Zeitungen».
Nach einer kurzen Führung bietet uns der Lehrmeister einen Kaffee an und wir setzen uns an einen hölzernen Tisch. Wir befinden uns in einem beinahe leeren, grossen Raum. Eine kleine moderne Druckmaschine, ein paar Kartons und graue metallene Schränke stehen herum. «Ich schaue mal nach, ob das Druckmuseum offen ist», sagt Dohner und verschwindet für kurze Zeit. Der Patron des Hauses, Ulrich Gut, hat mit viel Hingabe allerhand historische Werkzeuge und Maschinen gesammelt und stellt diese nun aus. Dohner kommt zurück: «Das Druckmuseum ist offen, ich kann es euch zeigen, wenn ihr wollt.»

Technischer Fortschritt macht laufend Weiterbildung nötig

Der 59-Jährige zieht sich für die Fotos eine Arbeitsschürze an. «Das ist sogar meine. Ich habe sie Ulrich Gut für sein Museum geschenkt», erzählt Dohner stolz. Nach der Schule machte er die Aufnahmeprüfung zum Drucker. Dohner: «Nach der Prüfung wurde mir gesagt, dass das Ergebnis zu gut für eine Druckerlehre sei. Also machte ich eine Lehre als Schriftsetzer.» Der gemütliche Mann posiert vor dem Handsetzkasten. Mit flinken Bewegungen nimmt er einzelne Bleibuchstaben aus den Fächern und setzt sie auf einem kleinen Brett, dem Winkelhaken, zu Wörtern zusammen. «So hat man früher gearbeitet», erzählt er stolz. Dohner hat schon immer gerne gelesen. Einen Beruf auszuüben, der das Drucken von Texten und folglich das Lesen überhaupt ermöglicht, hat ihn gereizt. Früher galten die Schriftsetzer aufgrund des verlangten guten Allgemeinwissens als die Intellektuellen unter den Handwerkern. Nach seiner 
4-jährigen Lehre ging er für anderthalb Jahre nach Genf, um Französisch zu lernen.
Zurück in der Deutschschweiz, bildete sich Dohner zum Maschinensetzer weiter. Der Setzer gab Texte nun an einer Tastatur ein, während die Maschine das Zusammenfügen (Ausgiessen mit heissem Blei) der aneinander gereihten Buchstaben übernahm. «Die technische Revolution nahm ihren Lauf. In grösseren Betrieben wurden einzelne Handsetzer zu Maschinensetzern spezialisiert», erläutert Dohner. «Nicht zuletzt dank der Weiterbildung wurde ich Abteilungsleiter.» 
Kaum hatte sich der in Zürich geborene Dohner mit der Maschine vertraut gemacht, kam Anfang der 70er-Jahre die nächste technische Neuheit: der Fotosatz. Mittels einer Tastatur wurde die Schrift auf einen Film ausgegeben. «Das war nicht einfach. Die Setzer sahen erst am Schluss, wie das Resultat aussah. Man setzte quasi blind», erinnert sich Dohner. Viele Setzer bekundeten Mühe, sich mit der neuen Materie auseinander zu setzen. Erste Stimmen wurden laut, die Qualität der Satzkunst würde abnehmen. Doch Heinz Dohner sah die Entwicklung eher pragmatisch: «Ich hatte wenig Mühe, mir wieder etwas Neues anzueignen.» Und mit der Weiterentwicklung des Filmsatzes auf EDV-Systeme, insbesondere des Herstellers Berthold, wurde eine sehr hohe Satzqualität erreicht.
Dohner hat sich regelmässig weitergebildet. So besuchte er den Führungspsychologie-Kurs am Institut für Angewandte Psychologie (IAP) und liess sich als Techno-Polygraf ausbilden. Dohner: «Ich arbeite sehr gerne mit jungen Menschen zusammen.» Bei der «Neuen Zürcher Zeitung» baute er eine Lehrlingsabteilung auf. «Ich wollte generell die schlechten Verhältnisse in der Ausbildung zum Typografen verbessern», erklärt Dohner, der seit 1969 mit seiner Frau Irene verheiratet ist. Dass er mit ihr zwei Kinder grossgezogen hat (der Sohn ist Elektroingenieur und die Tochter Kindergärtnerin), kommt ihm als Lehrmeister entgegen: «So verstehe ich die Jungen und weiss, was sie alles durchmachen.»
Mitte der Neunzigerjahre kam der Siegeszug der Computer. Mit den elektronischen Geräten, allen voran von Apple, war erstmals auch WYSIWYG möglich. Ausgeschrieben heisst das «What You See Is What You Get» und bedeutet, dass über Monitor eine verbindliche Vorschau des endgültigen Resultats ermöglicht wird. Layout-Programme wie Pagemaker oder XPress zwangen Schriftsetzer in grosser Zahl zur Umschulung oder zum Berufswechsel. Dohner erinnert sich: «Für viele Schriftsetzer war der Umstieg sehr schwer. Vor allem weil mit Computern die Typografiequalität des Fotosatzes nicht zu erreichen war. Ich habe mich auch hier weitergebildet, muss aber eingestehen, dass die Lehrlinge von heute mehr von Computern verstehen.» Text und Bild wurden vereint. Der Schriftsetzer, der zur Unterscheidung vom Bildspezialisten, dem Lithografen, auch Typograf genannt wurde, heisst heute Polygraf. Dieses Berufsbild vereint die einstigen Text- und Bildberufe zu einem.

Das oberste Ziel ist eine qualitativ gute Ausbildung

«Gehen wir noch in die Lehrlingsabteilung?», fragt Dohner, der zum Thema Freizeit Lesen, Politik, seine Ferienwohnung im Tessin und Gartenarbeit angibt. Nachdem der in Au-Wädenswil wohnhafte Dohner vor etwa 24 Jahren die Lehrlingsabteilung der NZZ aufgebaut hatte, zog es ihn nach Stäfa zur Zürichsee Druckereien AG. Er entsinnt sich: «Hier hatte es schon ein Lehrlingsabteilung, aber es wurden nur drei oder vier Lehrlinge ausgebildet. Ausserdem wurden sie zu dieser Zeit zu wenig betreut.» Unter Dohners Führung wuchs die Abteilung auf zehn Lehrlinge an. Er geniesst nicht nur unter den angehenden Polygrafen einen guten Ruf. Auch mit der Geschäftsleitung, welche sich engagiert für die Lehrlingsausbildung einsetzt, hat er ein sehr gutes Verhältnis.
Sein Bestreben nach einer qualitativ guten Ausbildung hat Dohner nie beiseite gelegt. Heute ist er verantwortlich für die Durchführung der Polygrafen-Lehrabschlussprüfung im Kanton Zürich. Unabhängig davon, wie das Berufsbild gerade aussieht, bemüht sich Heinz Dohner um eine gute Ausbildung des Nachwuchses. «Bis zu meiner Pensionierung in sechs Jahren möchte ich noch weitermachen», schaut er voraus und widmet sich fürsorglich den Lehrlingen.
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