«der arbeitsmarkt» 06/2006

Virtuelles Vitamin B

Networking ist gerade für Stellensuchende enorm wichtig. Findige vernetzen sich jetzt auch per Mausklick.

Auf allen erdenklichen Websites werden Kontaktbörsen angeboten. Sei es für den Zweck der Partnervermittlung, der Wohnungssuche oder der Versteigerung von Gebrauchtwaren. Auch Arbeitsuchende begeben sich in den Dschungel der elektronischen Stellenangebote. Die Suche nach dem richtigen Job kann gezielter angegangen werden, indem sich die Stellensuchenden 
einem Netzwerk anschliessen. Dieses kann den Zugang zu direkten Kontakten mit Unternehmern, leitenden Angestellten oder Freiberuflern öffnen. Ein virtuelles «Sesam, öffne dich!» sozusagen, vorausgesetzt, man kennt die richtige Person und ist zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort – online, versteht sich.
Unter dem Begriff «Online Business Club» entstanden Netzwerkplattformen, über die Kleinstunternehmer sowie Stellensuchende auf Geschäftsleute stossen. Die Kontaktaufnahme geschieht in den meisten Clubs über physische Treffen an den Roundtables. Die Mitglieder solcher Netzwerke erhalten monatliche Newsletter und können sich über interaktive Diskussionsgefässe wie Weblogs oder Foren über marktspezifische Fragen unterhalten. Es ist dies eine wunderbare Art, sich austauschen zu können, doch der User kann nicht direkt von virtuellem Angesicht zu Angesicht mit seinen Business-kollegen parlieren, da die Foren und Weblogs nur Gruppendiskussionen offerieren.

Die ersten Kontakte mit Freundesfreunden

Den Mangel, bei einer Stellensuche oder Geschäftsabsicht nicht in direkten Kontakt treten zu können, versuchten einige wenige offene E-Netzwerke zu beheben. Direktes Online-Networking lautet ihr Konzept und es besteht darin, dass die User dieser Portale über ihr persönliches Profil gradlinig im Netz aufeinander zugehen können. Sobald ein Profilabruf vom Gegenüber bestätigt wird, kann die virtuelle Geschäftsverhandlung beginnen. Auf linkedin.com, einem international ausgerichteten Kontaktgeflecht, treten Private in derartigen, direkten «Augenkontakt». Das 1997 noch als Nischenkonzept angesehene, von Reid Hoffmann, dem ehemaligen Vizepräsidenten des 
Online-Zahlungsdienstes Paypal, gegründete linkedin.com zählt in Europa mehr als 300000 Knotenpunkte beziehungsweise Mitglieder. Für die Registrierung muss der User allerdings bereits ein linkedin-Mitglied kennen und von diesem eingeladen werden. linkedin ist für jene Kontaktsuchenden zu empfehlen, die sich im internationalen Netzwerkraum bewegen möchten. 
Für die Navigation im deutschsprachigen E-Raum eignet sich openBC.com. Das Kontaktmanagement des Open Business Clubs kann über neun Sprachen betrieben werden. Die Erstellung eines persönlichen Profils ist für Standard-User kostenlos. Allerdings kann die direkte Verbindung mit anderen openBC-lern nur via Premium-Mitgliedschaft, die sich monatlich auf 5.95 Euro beläuft, erzielt werden. Der Premium-User erhält direkten Zugriff auf die persönlichen Daten der anderen Mitglieder, so dass er schneller als der Standard-User zur Geschäftsverhandlung gelangt. Mark Svoboda, Produktmanager bei Elan Microelectronics Corp. Europe, besucht als eingefleischter Standard-User der Plattform auf openBC hauptsächlich die Profile seiner Freunde und Kollegen. Über diese wagt er sich an die Profile der Freunde seiner Freunde heran. Wenn diese Freundesfreunde seinen Kontakt bestätigen, kann er zum Gespräch über offene Stellen übergehen.  
Svoboda wurde neulich sogar von einer Premium-Userin angeschrieben, die er nicht kannte. Die Personalfachfrau sah sich nach Angestellten im Account Managing um und stiess dabei auf ihn. Ihr Anliegen war, für einen ihrer Kunden über openBC eine Stelle zu vermitteln. Letztlich konnte Svoboda ihrem Kunden keine Offerte machen, da zurzeit in seinem Betrieb keine Vakanz vorhanden war. Aber immerhin: Ihre beiden Netze hatten sich erweitert.

Virtuelle Kontaktpflege und reale Geschäftsabsichten

Zu Beginn hat Svoboda nicht viel Zeit bei openBC verbracht. Er hatte sich ein ganz einfaches Porträt ohne Foto erstellt. Unterdessen hat der Suchende feststellen müssen, dass User mit Foto viel häufiger angesprochen werden als jene ohne Bild; man ist neugierig, mit wem man es im virtuellen Raum zu tun hat. Mark Svobodas persönliches Fazit über die Nutzung von openBC ist, dass er zwar selber noch über keine wichtigen Geschäfte verhandeln, jedoch sein Netzwerk deutlich ausweiten konnte. Hinzu kommt, dass er als Standard-User gegenüber dem 
Premium-User in der Anwendung eingeschränkt ist. Die Konsequenz: Es erfordert viel mehr Zeit, über Freunde an die Freundesfreunde heranzukommen.
Gemäss der zweiten internationalen openBC-Studie «Kommunikation und Networking im Internet» vom März 2006 zahlt sich der elektronische Austausch mit Klein- und Grossunternehmern, Projektleitern und Dienstanbietern aus. Von Mitte November 2005 bis Ende Januar 2006 wurden 
weltweit 24511 openBC-Nutzer zu ihrem Kommunikationsverhalten auf der Plattform interviewt. Die Befragung ergab, dass bis zu 85 Prozent der openBC-ler die Kontaktpflege im Internet als «wichtig» bis «sehr wichtig» erachten. 55 Prozent der Vernetzten geraten an interessante Geschäftskontakte und fast jeder Sechste berichtet von einem neuen Job. Ein Viertel strebt keinen Businessabschluss an, sondern möchte lediglich weiter an seinem Netz weben, und nur gerade mal knapp 7 Prozent erwarten keine neuen geschäftlichen Kontakte. Rund 10 Prozent der Nutzer haben mehr als 100 bestätigte Kontakte.

Unternehmerinnen setzen sich gemeinsam an einen Tisch

openBC floriert: Am 31. Januar 2006 wurde die 1-Million-Mitglieder-Marke durchbrochen. Die Aussage von openBC-Initiant Lars Hinrich lässt auf eine Kettenreaktion schliessen: «Jedes Mal, wenn sich ein neues Mitglied openBC anschliesst, wachsen Dynamik und Nutzen des Netzwerks, jedes Mal vergrössert sich das Potenzial, passende Geschäftskontakte rund um die Welt zu finden und Geschäftsbeziehungen zu knüpfen. openBC ist eine lebendige Business-Community und keine Datenbank voller Karteileichen.»
Online-Business-Kommunen postulieren, dass Netzwerken auf dem Internet via E-Mail, Messenging und Blogging inzwischen für Stellensuchende erfolgversprechender ist als das Netzwerken auf Veranstaltungen, an denen Businesspartner in Anwesenheit den direkten Dialog führen. Nelly Meyer-Fankhauser, Gründerin von NEFU, dem Netzwerk der Einfrau-Unternehmerinnen, kann derartige Aussagen nicht unterschreiben. Ihr ist es wichtig, dass ihre Frauen sich auf Veranstaltungen treffen, um über ihre Unternehmensvisionen zu diskutieren. Ein Netzwerk könne rein virtuell nicht funktionieren. Einerseits würde der spontane Ideenaustausch fehlen, und andererseits könnte Meyer nicht mehr ihre Rolle als Mentorin der NEFU-Frauen wahrnehmen.
NEFU entstand aus Meyers ureigenem Bedürfnis, mit gleichgesinnten Einfrau-Unternehmerinnen zusammenzuwachsen, mit denen sie die gleiche (Geschäfts-) Sprache spricht. 1992 wurde Meyer zu einem zweistündigen Interview im Radio DRS 1 zum Thema der Selbständigkeit von Frauen eingeladen. Damals war es in der Schweiz noch revolutionär, dass sich eine Frau als Einzelkämpferin in ihrer Schreib- und Denkwerkstatt selbständig machte. Sie klagte, dass sie sich in der Geschäftswelt isoliert fühle. Sie würde gerne Erfahrungen und Gedankengut mit anderen Kleinstunternehmerinnen austauschen. Die Reaktionen auf den Hilfeschrei waren enorm: Über hundert Anrufe und Schreiben trafen bei ihr ein. Offensichtlich teilten andere Frauen Meyers Kernansatz. So entstanden 1993 unter dem Namen NEFU Workshops und Roundtables mit Inhalten wie Marktanalysen, Finanzwesen, Werbekampagnen und so weiter. 

Wer ernten will, muss zuerst säen

Zurzeit sind 400 Netzwerkerinnen im virtuellen Branchenverzeichnis von NEFU eingetragen, doch netzwerken nur gerade etwa ein Viertel davon online. Der Erfolg des Netzwerks ist nur schwer messbar, da es sich um einen informellen Verein handelt, wo keine Mitgliederbeiträge gezahlt werden und demnach keine einheitliche Statistik aufgestellt wird. Die meistgestellte Frage der Neuzukömmlinge ist: «Was habe ich vom Netzwerk, was springt dabei für mich raus?» Darauf Meyer: «Zuerst bringt die Frau hundertmal etwas von sich selber ein, bevor sie mittel- und langfristig das Doppelte zurückerhält. Sie muss aktiv netzwerken, selbst viel von sich einbringen, auch mal ein Projekt vorschlagen, um dann erst von den Ratschlägen der andern profitieren zu können.» 
Die NEFU-Gründerin könnte sich die Zukunft ihres Netzwerks als Balanceübung zwischen virtuellem und physischem Kontakt vorstellen. Aber es müsste eine raffinierte Lösung sein, so dass sich die NEFU-Netzwerkerinnen über einen Newsletter mitteilen könnten, der alle über die aktuellsten Veranstaltungen auf dem Laufenden hält. Bei NEFU handelt es sich in erster Linie um ein Netzwerk im Internet, aber nicht unbedingt um das Networking im Internet, wie es bei openBC der Fall ist. Dieses findet nämlich immer nur da statt, wo Frauen zusammenkommen und sich die Hände reichen.
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