«der arbeitsmarkt» 03/2014TEXT: Viera Malach
Medicus Mundi Schweiz

Vernetzt für die Gesundheit weltweit

Netzwerke gibt es viele. Dank der Online-Kommunikation dienen sie in privaten Kreisen ebenso wie in der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur. Wo die Vorteile und Grenzen liegen, zeigt das Beispiel «Medicus Mundi Schweiz – Netzwerk Gesundheit für alle».

«Gesundheit für alle» ist Programm und Pflicht: Erstaunlich viele Schweizer Ärztinnen und Ärzte sowie Organisationen setzen sich für die Gesundheitsversorgung der Ärmsten ein. Waren ihre Projekte lange Zeit karitativ geprägt, gehen sie heute von einem universellen Grundrecht auf Gesundheit aus. Das Netzwerk Medicus Mundi Schweiz (MMS) mit Geschäftsstelle in Basel vereint eine Arbeitsgemeinschaft von 46 Schweizer Institutionen und regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs), die in der internationalen Gesundheitszusammenarbeit tätig sind.

Bereits die Namen der MMS-Mitglieder zeigen die unterschiedlichen Aktionsfelder. Die bekannten sind das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) sowie das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut. Andere arbeiten auf Spezialgebieten, wie die Christoffel-Blindenmission, Handicap International, der Verein Partnerschaft Kinderspitäler Biel-Haiti und mediCuba-Suisse. Dazu kommen rund 200 Einzelmitglieder. Workshops und Symposien, deren Themen die Mitglieder bestimmen, ermöglichen einen direkten Austausch. Die Geschäftsstelle sondiert diese Bedürfnisse und organisiert die Tagungen. Vor allem aber knüpft sie im Hintergrund weitere Kontakte, um die Anliegen der Mitglieder zu erfüllen. Für sie und weitere Interessierte gibt sie ein in Fachkreisen anerkanntes «MMS Bulletin» heraus und sorgt für Online-Information.

Neue Partnerschaften

«Fachgespräche unter Mitgliedern von Medicus Mundi ermöglichen uns neue Partnerschaften», sagt Monika Christofori-Khadka, Beraterin für Gesundheit beim SRK und ehemals Länderprogramm-Verantwortliche. «Der regelmässige Austausch mit SolidarMed bereichert uns zu den Themen HIV/Aids, Migration von Gesundheitspersonal und Wirkungsmessung. Im Anschluss an ein Symposium erarbeiteten wir eine Checkliste für grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, die alle Menschen weltweit erhalten sollen, ohne in finanzielle Not zu geraten.»

Als Nächstes strebt das Schweizerische Rote Kreuz einen Austausch mit der auf Mutter-Kind-Gesundheit spezialisierten Iameneh Schweiz an. «Deren Erfahrungen gegen die Beschneidung von Mädchen in Mali sind für uns sehr wertvoll», erläutert Monika Christofori-Khadka. Im Netzwerk wird die Mutter-Kind-Gesundheit in Entwicklungsländern immer wieder auch mit den anderen Mitgliedern vertieft, so auch am diesjährigen MMS-Symposium im April.

Von den Erfahrungen anderer lernen, die eigenen auf einer breiten Plattform präsentieren und weitergeben sowie das gemeinsame Ziel «Gesundheit für alle» – darin liegt für das Rote Kreuz der wesentliche Nutzen der Mitgliedschaft. Eine Grenze für die humanitäre Organisation liegt dort, wo es um politische Kampagnen geht. Viele Mitglieder von Medicus Mundi sind ausserhalb des Netzwerks MMS formal oder ideell mit weiteren Organisationen verbunden und gehen punktuelle thematische Allianzen ein.

Fachplattform Aidsfocus.ch

Innerhalb des Netzwerks MMS beteiligt sich rund ein Drittel an der Fachplattform Aidsfocus.ch. Auf Initiative der Mitglieder 2003 ins Leben gerufen, setzt sich diese aktiv für Ressourcen zur HIV-Prävention und Aids-Behandlung im Weltsüden ein. Zu dieser Teilgruppe des Netzwerks gesellten sich kleinere NGOs als Partner. Weitere wie Médecins Sans Frontières (MSF) beteiligen sich an den Fachtagungen im weltweiten Kampf gegen Aids.

Als die Ärzte ohne Grenzen 2012 eine Petition an den Pharmakonzern Novartis mit dem Titel «Menschen sind wichtiger als Patente» lancierte, beschloss die Steuergruppe von Aidsfocus.ch einstimmig, die Petition zu unterstützen. «Bis heute setzen sich viele schweizerische und internationale NGOs für das indische Patentrecht ein. Millionen Menschen in Entwicklungsländern sind auf lebensrettende, bezahlbare indische Generika angewiesen», erläutert Helena Zweifel. Sie ist Koordinatorin von Aidsfocus.ch und Geschäftsleiterin des Netzwerks MMS.

Im Netzwerk Medicus Mundi Schweiz stand die Petition nicht zur Debatte. Die Konsultationen für eine gemeinsame Stimme hätten weit länger gedauert. Der indische Oberste Gerichtshof entschied im April 2013, dass Novartis in Indien kein Patent auf das Antikrebsmittel Glivec erhält.

Mitglied Novartis-Stiftung

Mitglied des Netzwerk Medicus Mundi Schweiz ist erstaunlicherweise auch die Novartis-Stiftung für Nachhaltige Entwicklung. Die Mitgliedschaft der Stiftung bei MMS geht auf ihren langjährigen Geschäftsführer, den Soziologieprofessor Klaus Michael Leisinger, zurück, einen führenden Kopf des Weltwirtschafts-Netzwerks «Global Compact» für soziale Unternehmensverantwortung.

«Persönlich kann ich aus Sicht von anwaltschaftlichen Organisationen die Vorbehalte gegen Patente nachvollziehen. Meiner Ansicht nach ist die Thematik etwas komplexer. Aber als Stiftung nehmen wir nicht an der Patentdebatte teil», sagt Projektmanager Alexander Schulze. «Wir platzieren keine Produkte der Firma Novartis in den von uns unterstützten Programmen. Nur über ein Spendenprogramm der Weltgesundheitsorganisation stellen die Stiftung und der Novartis-Konzern Lepramedikamente bereit.»

Der Name Novartis ist gross, doch die Novartis-Stiftung mit neun Mitarbeitenden eher klein an finanziellen und personellen Ressourcen. Sie unterstützt Einrichtungen und Programme in Ländern wie Mali oder Tansania, zum Beispiel das tansanische Ausbildungszentrum für Internationale Gesundheit. Dort engagiert sich die Stiftung zusammen mit dem Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut in der Gesundheitsausbildung, Forschung und medizinischen Praxis zur Behandlung von Tropenkrankheiten wie Malaria.

«Die Tagungen von Medicus Mundi erlauben uns, an Debatten zu übergeordneten Themen wie universellen Gesundheitsdiensten teilzunehmen. Wir lernen die Arbeit von Schweizer Akteuren und NGOs in der internationalen Gesundheitszusammenarbeit kennen, und wir laden auch dazu ein, unsere Arbeit kennenzulernen. Ausserdem hat die Stiftung über das Netzwerk Expertise für ein Projekt gefunden», erläutert Schulze die Vorteile.

Unterschiedlichkeit als Stärke

Die Unterschiedlichkeit ihrer Engagements verstehen die Mitglieder des Netzwerks Medicus Mundi Schweiz als Stärke. «Indem sie ihre Erfahrungen und ihr Wissen untereinander teilen, verbessern sie die Wirksamkeit und die Qualität der Programme, sie stärken sich damit gegenseitig in ihrer Projektarbeit», fasst MMS-Geschäftsleitungsmitglied Martin Leschhorn zusammen.

Selbst wenn die Mitglieder von Medicus Mundi inhaltlich und teils auch politisch unterschiedliche Ansätze vertreten, erarbeiteten sie gemeinsame Positionspapiere. «Unsere Mitglieder stossen oft auf systembedingte Probleme, die nicht auf Projektebene angegangen werden können. Dazu gehört etwa der schwerwiegende globale Mangel an Gesundheitspersonal», erläutert Leschhorn.

Bis heute findet das mit einer breiten Koalition lancierte Manifest «Gesundheitspersonalmangel nicht auf Kosten der Ärmsten beheben» von 2012 Beachtung. Darin wird die Schweiz aufgerufen, selber mehr Gesundheitspersonal auszubilden und es nicht nur aus ärmeren Ländern im Osten und Süden zu holen. Mit dem gemeinsamen Auftritt der 46 Organisationen als Netzwerk will sich Medicus Mundi Schweiz bei Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft Gehör verschaffen. Die Öffentlichkeitsarbeit soll «ein klares Bild der Notwendigkeit und Dringlichkeit unseres Engagements vermitteln».

Lobbying für finanzielle Mittel

Ein Beispiel zeigt, dass auch kleinere Organisationen in Netzwerken etwas bewirken können, vor allem im Lobbying für finanzielle Mittel in der internationalen Gesundheitszusammenarbeit. Besonders für Mitglieder von Aidsfocus.ch ist die Finanzierung von Programmen wichtig. Doch die UNO muss ebenso sparen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Ende 2011 strich auch der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria mit Sitz in Genf die geplante Finanzierungsrunde. Zwei Mitglieder von Aidsfocus.ch – SolidarMed und der Fonds für Entwicklung und Partnerschaft in Afrika (fepa) – gelangten an Aidsfocus.ch-Koordinatorin Helena Zweifel. Sie waren besorgt, weil ihren Partnern in Simbabwe Geld für die Aids-Programme auszugehen drohte. Die Fachplattform kontaktierte die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) wie auch Medien, zunächst ohne Erfolg.

Aidsfocus.ch vertiefte die Kontakte zum Globalen Fonds sowie zu internationalen Netzwerken und organisierte eine Veranstaltung zum Thema. Die Aidsfocus-Mitglieder beschlossen, gemeinsam an die DEZA zu schreiben, um den Schweizer Beitrag an den Fonds zu erhöhen. «Als anlässlich des Treffens des Direktors des Globalen Fonds im Sommer 2013 mit Aussenminister Bundesrat Didier Burkhalter ein runder Tisch organisiert wurde, konnte Aidsfocus.ch als einzige zivilgesellschaftliche Organisation daran teilnehmen», blickt Helena Zweifel zurück.

Dass der Gesamtbundesrat wenige Monate später dem Globalen Fonds für die kommenden drei Jahre 60 Millionen Franken sprach und so die Schweizer Unterstützung von 10 auf 20 Millionen Franken pro Jahr verdoppelte, freut Aidsfocus-Koordinatorin Helena Zweifel enorm. «Für den Erfolg ausschlaggebend war, dass verschiedene Akteure im Rahmen ihrer Einflusssphäre auf das gemeinsame Ziel hingewirkt haben: die Stärkung des Globalen Fonds, um Leben zu retten.»

Spinne im Netz

Synergien zu nutzen für die Qualität und Wirksamkeit der Projektarbeit und sich Gehör für ihre gemeinsamen Anliegen zu verschaffen, das musste aufgebaut werden. Seit 1973 versammelt Medicus Mundi Organisationen, die sich in Projekten in Entwicklungsländern engagieren. Angesichts der unterschiedlichen Ansätze war der Erfahrungsaustausch zunächst eher bescheiden. Mit Internet-Technologie erhielt der Wissensaustausch neue Dynamik, ein Organisationsentwicklungsprozess Mitte der 1990er-Jahre gab Medicus Mundi Schubkraft.

«Trotz unterschiedlicher Schwerpunkte, unterschiedlicher Strategien und Konkurrenz auf dem Spendenmarkt: Wir haben uns neu positioniert und stellten den Vereinsstatuten ein Leitbild mit Vision und Mission voran. Die neuen Dokumente zur Identität waren eine Herausforderung, doch der Prozess hat sich gelohnt», fasst Thomas Schwarz zusammen. Er war von 1995 bis 2007 MMS-Geschäftsführer und übernahm 2008 die Leitung von Medicus Mundi International. Auch Medicus Mundi Schweiz gehört dazu.

Heute versteht sich das Netzwerk MMS als offene, einbindende Arbeits- und Lerngemeinschaft. Immer mehr aktive Mitglieder kamen an Bord. «Der Vorteil ist: Wir sind keine Dachorganisation, sondern ein Netzwerk, in welchem die Mitglieder bestimmen, wie und zu welchen Themen sie zusammenarbeiten wollen», sagt Thomas Schwarz. «Das im Vergleich mit den Kapazitäten einzelner Mitglieder kleine Sekretariat versteht sich als Spinne im Netz, hier laufen die Fäden zu den Organisationen und ihren Themen zusammen.

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