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Vernetzen und koordinieren

«Gefährdete Jugendliche» sollen künftig besser betreut werden. Bis Ende August 2007 nahm das Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) die kantonalen Gesamtkonzepte entgegen. Im Frühling 2008 starten die ersten Projekte.

Jugendliche mit sozialen und schulischen Defiziten sollen bei der Integration ins Berufsleben besser unterstützt werden. Deshalb hat der Bund das Projekt Case Management Berufsbildung (CM BB) initiiert. Serge Imboden, Vizedirektor und Leiter Berufsbildung des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie (BBT), koordiniert den Dialog zwischen Bund und Kantonen. Imboden ist zufrieden: «Fast alle Kantone haben ihr Konzept eingereicht. In zahlreichen Konzepten findet sich der Gedanke des Case Management wieder, bei anderen gibt es noch Klärungsbedarf.» Von Februar bis Ende August 2007 arbeiteten die zuständigen kantonalen Berufsbildungsämter ihre Konzeptvorschläge aus. Der Bund beteiligt sich an den Kosten. Serge Imboden: «Wir unterstützen die Kantone bei der Entwicklung des Case Management Berufsbildung. Zwingende Voraussetzung ist aber ein kantonales Gesamtkonzept. Für innovative Ideen zur oder während der Umsetzung besteht ausserdem die Möglichkeit, eine finanzielle
Unterstützung auszurichten.»

Früher erfassen und länger betreuen

Die Diskussion zur Einführung des Case Management Berufsbildung (zum Begriff siehe Kasten Seite 8) lancierte Bundesrätin Doris Leuthard im November 2006 anlässlich der Lehrstellenkonferenz. Jetzt befinden sich die Verantwortlichen beim Bund und bei den Kantonen in der entscheidenden Phase: Die Umsetzung steht bevor, im Frühling 2008 starten die ersten Projekte.
Was will das Case Management Berufsbildung? «Es geht um die Integration der Jugendlichen in die Berufsbildung. Gefährdete Jugendliche sollen ab der siebten Klasse identifiziert und bis zum Übertritt in den Arbeitsmarkt gezielt unterstützt werden», erklärt Serge Imboden das primäre Ziel
der Massnahme. «Wir wollen erreichen, dass 95 Prozent aller Jugendlichen einen ersten nachobligatorischen Bildungsabschluss aufweisen können.» Deswegen sollen die Jugendlichen mit Risikopotenzial früher und länger betreut werden. Von der siebten Klasse bis nach Abschluss der beruflichen Grundbildung. Einem Grossteil der Jugendlichen ermöglichen die bestehenden Strukturen wie etwa die Berufsberatung einen reibungslosen Übergang von der obligatorischen Schule in die berufliche Grundbildung oder eine Mittelschule. Einem Teil dieser jungen Menschen jedoch bereitet diese Schwelle Schwierigkeiten. «Eine Gruppe Jugendli-
cher – wir gehen von 3 bis 5 Prozent pro Jahrgang aus – hat langfristig Probleme, nach dem neunten Schuljahr eine Stelle zu finden», weiss der vormalige Direktor einer Westschweizer Privatschule. «Deshalb ist Case Management – betroffen sind schätzungsweise 2000 bis 2500 Jugendliche pro Jahrgang – sinnvoll und notwendig.»
Der Kanton Bern hat das Projekt an eine externe Stelle delegiert. Die Projektleitung trägt Judith Renner-Bach von der Res Publica Consulting AG in Bern. Wer sind die jungen Menschen, an die sich das Projekt richtet? «Es handelt sich um Jugendliche und junge Erwachsene mit Lernschwierigkeiten, Migrationshintergrund oder einem schwierigen sozialen Umfeld. Oft kommen Drogenprobleme oder Gewaltbereitschaft dazu. Das Elternhaus, aber auch Schule und Lehrbetrieb sind in solchen Situationen oft über-fordert», erklärt Judith Renner-Bach.
Das Problem besteht schon länger. Es gibt verschiedene Hilfsangebote an den Volksschulen, den Berufsfachschulen oder bei der Berufsberatung. Hinzu kommen die Programme der RAV und schulexterner Beratungsstellen. Reicht das nicht? «Bisher hat ein stufenübergreifendes Angebot von der Oberstufe bis zum Berufsabschluss gefehlt. Diese Lücke schliessen wir und verhindern, dass das Wissen über die einzelnen Jugendlichen verloren geht. Und wir verhindern weiter, dass Jugendliche unbemerkt aus dem Bildungssystem fallen.» Die Projektleiterin und Beraterin für Organisations- und Bildungsprojekte weist auf das primäre Ziel des Case Management Berufsbildung hin: «Ziel ist ein erster nachobligatorischer Abschluss. So können wir das Risiko senken, dass junge Menschen früher oder später auf Sozialhilfe oder Arbeitslosenunterstützung angewiesen sind. Das CM BB hilft langfristig auch dem Staat.»

Regionale Umsetzung ohne Standardlösungen

Wie aber hilft es konkret? «Die Verantwortung liegt primär bei den Schulen und übrigen Lernorten (Lehrbetriebe und überbetriebliche Kurse). Sie machen Standortbestimmungen und erheben Unterstützungsbedarf. Die Case Managerin oder der Case Manager beraten dann die Jugendlichen bei der Berufswahl oder der Suche nach einem geeigneten Ausbildungsplatz. Sie vernetzen und koordinieren die gemeinsam diskutierten Massnahmen.» Judith Renner-Bach betont die Aufgabe der Case Manager: «Sie
müssen sehr gut vernetzt sein. Es braucht erfahrene Fachkräfte.» Denn: «Jeder Fall ist anders, es gibt keine Standardlösungen.» Vermitteln und koordinieren sei absolut zentral. «Die Berufsberatungen sind die Schaltstellen. Bei ihnen ist das Angebot angegliedert. Von dort aus koordiniert die
Case Managerin oder der Case Manager die zuständigen Stellen.»
Wichtig ist die Koordination involvierter Stellen und Parteien. Daher macht auch die Umsetzung in den Kantonen Sinn: «Das föderalistische System schafft in jedem Kanton andere Verhältnisse. Eine Umsetzung durch den Bund würde die Kommunikation zwischen den Institutionen erschweren. Bereits der Kanton Bern ist eine zu grosse Einheit, deshalb soll das Case Management in fünf Regionen aktiv werden. Das CM BB ist zwar kantonal gesteuert, die Umsetzung läuft aber regional», erklärt Renner-Bach. Deswegen sei auch die interinstitutionelle Zusammenarbeit zwischen der Erziehungsdirektion, der Volkswirtschaftsdirektion und der Gesundheitsdirektion sehr zentral. Das Case Management funktioniert als Schaltstelle zwischen diesen Institutionen.

Lehrbetriebe bitten vermehrt um Unterstützung

Wie ist die aktuelle Situation der Schulabgänger und -abgängerinnen? Anfang September informierte das BBT über die Lehrstellensituation. Gegenüber dem Vorjahr sind mehr Lehrstellen vergeben worden. Ein Zuwachs von einem bis vier Prozent wurde gemeldet. Die Anzahl Schulabgängerinnen und Schulabgänger relativiert diesen Wert. Sie nahm um drei Prozent zu. So präsentiert sich die Situation auf dem Lehrstellenmarkt ähnlich wie vor einem Jahr: Jugendliche mit sozialen und schulischen Defiziten finden kaum eine Lehrstelle.
Geeignete Bewerberinnen und Bewerber für Ausbildungsplätze mit hohen Anforderungen sind rar. Was unternimmt der Bund dagegen? Und welches ist die Rolle der Wirtschaft? «In allen Kantonen existiert heute ein gut ausgebautes Lehrstellenmarketing. Zudem achten wir bei den Berufsreformen darauf, dass sich Ausbilden weiterhin lohnt», erklärt Serge Imboden. Es sei wichtig, dass auch in Zukunft ausreichend Lehrstellen zur Verfügung gestellt werden. Er spricht von niederschwelligen Angeboten. Allerdings zeige sich, dass die Betriebe vermehrt um Unterstützung und Beratung im administrativen Bereich oder bei sozialen Problemen bitten. Hier könnten die kantonalen Berufsbildungsämter weiterhelfen. Sie seien mit den Verhältnissen vor Ort vertraut. Der Bund unterstütze die Kantone finanziell. Er helfe mit, innovative Projekte wie eine kos-tenlose Helpline für Betriebe zu realisieren.
Im September 2007 fand eine Sitzung mit allen Verantwortlichen der kantonalen Berufsbildungsämter sowie des BBT statt. Noch gebe es viel zu diskutieren, sagt der Vizedirektor des BBT. So etwa die Frage nach einer zentralen Lösung für eine Datensoftware und das Problem des Datenschutzes. Oder die Identifikation der Jugendlichen. Serge Imboden glaubt an den Erfolg: «Die eingereichten Projekte sind vielversprechend. Der Fahrplan stimmt.»

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