«der arbeitsmarkt» 01/2005

Neuanfang ohne Gitter

Rund 6000 Personen sind derzeit in der Schweiz inhaftiert. Sie benötigen nach der Entlassung wieder einen Wohn- und Arbeitsplatz. Vollzugsanstalten und Hilfsorganisationen unterstützen sie bei ihrem schwierigen Neuanfang.

Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist grundsätzlich schwierig – für Haftentlassene ist sie fatal. «Potenzielle Arbeitgeber sind heute einfach heikel, sie blocken ab, wenn jemand keine weisse Weste vorweisen kann», sagt eine Beraterin eines Stellenvermittlungsbüros in Basel, die seit rund fünf Jahren auch Personen im Strafvollzug vermittelt. Viele Strafentlassene fänden erst einmal eine Anstellung als Hilfsarbeiter in Fabriken oder auf dem Bau. Die Arbeitsverträge würden jedoch oft auf Temporär-basis abgeschlossen, weil der Arbeitgeber abwarten wolle, wie sich das Arbeitsverhältnis entwickle.
Vollzugsanstalten und Hilfsorganisationen versuchen, Straffällige und Haftentlassene bei der Arbeitssuche zu unterstützen, vor allem bei der Aufbereitung ihrer Lebensläufe. Viele erhalten auch Bewerbungstrainings, manchmal werden ihnen auch Kontakte zu Stellenvermittlungsbüros oder Arbeitgebern vermittelt. «Wichtig ist, dass man sich nicht zu grosse, sondern realistische Ziele setzt», weiss Christian Zogg, Leiter des Vollzugszentrums Klosterfiechten, Basel: «Und das beginnt bereits im Alltäglichen, in der Konfliktbewältigung und im konstruktiven Gespräch. Dies wird auch in der Gruppe geübt, um die Sozialkompetenz zu stärken. Massgebend ist, dass man sich selber einzuschätzen weiss und erkennt, welche Berufswünsche überhaupt realistisch sind.»
Allerdings ist die Betreuung durch die Anstalten und Organisationen nicht überall derart professionell. Ihre Qualität ist zudem von der Beziehung zwischen dem Betreuer und dem Häftling oder Strafentlassenen abhängig. Ein 56-jähriger Mann, der derzeit seine Strafe verbüsst, erzählt, dass man im Grunde auf sich selbst
gestellt sei. «In der Strafanstalt, in der ich während der letzten Jahre inhaftiert war, beschränkte sich die Betreuung nur aufs Kontrollieren.» Im Gefängnis sei man auch zu sehr abgeschottet, habe keine Ahnung von den Problemen draussen, geschweige denn vom rasanten Tempo. «Viele Häftlinge haben Angst, wenn sie sich bewerben. Sie sagen oft nicht, dass sie im Gefängnis sind.»
Strafgefangene und -entlassene verfügen meistens nur über unzureichende berufliche Qualifikationen. Sie haben oft auch aufgrund ihrer kriminellen Laufbahn mit zum Teil mehrjährigen Freiheitsstrafen keinen Beruf gelernt oder verfügen nur über wenig Berufserfahrung. «Viele haben resigniert», berichtet Martin Erismann
Leiter vom team72, Zürich: «Sie denken, dass sie auf dem Arbeitsmarkt sowieso keine Chancen haben. Sie sind auch häufig derart mit ihren Problemen aus der Vergangenheit beschäftigt, dass es ihnen schwer fällt, ihr Denken und Handeln auf die Zukunft auszurichten.»
Ob man den Arbeitgebern sagt, dass man straffällig war, ist jedem selber überlassen. Dies ist oftmals eine
Frage der eigenen Geschichte und des verübten Delikts. Für jemanden, der wegen finanziellen Betrugs eine
Strafe verbüsst, wird es schwieriger, eine Anstellung im Finanzbereich zu finden. Täter von Sexual- oder Tötungsdelikten erhalten praktisch keine Chance, einen Job zu finden. Auch Ehemalige aus der Drogenszene sind aufgrund der höheren Rückfallgefahr eher schwierig unterzubringen. «Es sind vor allem noch die jüngeren Leute, die weitervermittelt werden können», so die Personalberaterin aus Basel. Wer keine Stelle hat, kann sich beim RAV melden. Nach rund einem Jahr Gefängnisstrafe wird man stempelberechtigt. Hier ergeben sich Chancen, den Wiedereinstieg via Beschäftigungsprogramm zu schaffen.
Doch es gibt auch Arbeitgeber, die bereit sind, Menschen, die mit dem Gesetz im Konflikt gerieten, eine Chance zu geben. Ein Jungunternehmer in Basel zum Beispiel beschäftigt im Moment eine Person, die sich noch im Strafvollzug befndet. Er sagt: «Für mich zählt der erste Eindruck, und dass die Person am Produkt interessiert ist, welches die Firma verkauft.» Es sei ihm wichtig zu wissen, wieso jemand straffällig wurde.
Er wolle Transparenz, und das von Anfang an. Die Zusammenarbeit mit der Vollzugsanstalt sei dabei sehr eng. So würden die Arbeitsverträge gemeinsam und mit den Straffälligen ausgearbeitet – dies nicht zuletzt, um dubiosen Vertragswerken oder allfälligen Lohndumpings vorzubeugen.
«Eine Integration von Straffälligen und Haftentlassenen ist sowohl aus menschlicher als auch wirtschaftlicher Sicht wichtig. Klappt diese nicht, besteht die Gefahr, dass man wieder rückfällig werden könnte und erneut Straftaten begeht» sagt Gaby Salner, Mitarbeiterin beim Verein Neustart, Basel. «Jemand, der eine Stelle hat, wird motiviert, es stärkt das Selbstbewusstsein. Und gerade das ist wichtig für den Neustart von Straffälligen und Haftentlassenen.»

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