«der arbeitsmarkt» 09/2009

Modernste Lyrik trifft auf historisches Handwerk

Handdruckereien kennt man heutzutage fast nur noch als Museums- oder ­Nostalgiebetriebe. Eine der raren Ausnahmen ist das Atelier Bodoni in Frauenfeld: Diese Handsetzerei und -druckerei überlebte als Teil des Waldgut Verlages. Weil Beat Brechbühl über die Jahrzehnte hartnäckig an seinem Jugendtraum festhielt – und so bis heute zeitgenössische Lyrik im alten Gewand produziert.

Noch sieht alles etwas unordentlich aus; noch sind nicht alle Setzkästen eingeräumt im Atelier Bodoni in Frauenfeld. Kein Wunder, aus drei Stockwerken wurde eines. Vor kurzem zügelten Verlag und Druckerei in den ehemaligen Atelierladen. Schwere Millimeterarbeit sei das gewesen, erzählt Beat Brechbühl erschöpft: «Zügeln hoch zehn!» Für die Abziehpressen musste ein Kran her, dann wurden sie passgenau in ihrer neuen Umgebung fixiert. Der Bleisatz selbst wiegt auch einiges, rund zehn Kilogramm bringt eine gesetzte Druckseite DIN A4 auf die Waage. Etwas eng wirkt es nun in der Offizin, aber zugleich gemütlich und frisch. Der ­Gegensatz der modern eingerichteten Arbeitsplätze der Verlagsmitarbeitenden zu den schweren, alten Maschinen, welche die Ateliermit­ar­bei­tenden bedienen, fällt ins Auge.

Handsatz mit Bleilettern wie zu Gutenbergs Zeiten

Beat Brechbühl ist Autor und Verleger – und gelernter Schriftsetzer. 1980 gründete er den Waldgut Verlag (damals noch «Verlag im Waldgut»), einen modernen, unabhängigen Verlag, bei dem bislang über 200 Fach- und Sachbücher sowie und insbesondere Belletristik erschienen. Die dem Verlag angeschlossene Handdruckerei ist sein ganzer Stolz und trägt den Namen des «Königs der Drucker und Drucker der Könige», Giam­battista Bodoni. Begeistert beschreibt Brechbühl die Schriftkunst des Italieners und dessen Leistung, als Erster ein richtiges Schriftmusterbuch gefertigt zu haben, welches allerdings erst nach seinem Tode 1818 erschien. Brechbühl blättert in der von ihm selbst verlegten Bleischriftensammlung und zeigt uns seine Lieblingsschrift: Cochin, «die feurige Südfranzösin». Diese wilde, unaus­geglichene Schrift mit den breiten Serifen findet im Atelier Bodoni neben der feinen Bodoni und vielen anderen Verwendung.  
Im Grunde wird der Handsatz mit den Bleilettern heute noch so wie zu Gutenbergs Zeiten ausgeführt. Karl Baumann, Bleisetzer und seit drei Jahren Mitarbeiter des Ateliers Bodoni, setzt zur Demonstration einen ­kleinen Text im Winkelhaken. «Zu wissen, wo die Buchstaben im Setzkasten sind, das ist das A und O», meint er, «aber das ist so­zusagen die leichte Arbeit.» Die «schwere Arbeit» führt er an der massiven, von Hand zu bedienenden Abziehpresse vor. Er richtet die Druckform ein, hantiert mit Papier und Druckfarbe, und mit Getöse bewegt er die Presse. Gerade die Mischung aus filigraner Setzarbeit und schwerer Handarbeit kennzeichnet den ausgestorbenen, kunstgewerblichen Beruf, das «schwarze Handwerk».
Über annähernd zwei Jahrzehnte trug der Bleisetzer Brechbühl seine Schriften und Geräte zusammen; am Anfang zahlte er, über die Jahre wurden sie immer billiger, zuletzt bekam er sie gratis. «Mit der Zeit kannten mich die Leute und riefen an», sagt er, und wenn er Interesse zeigte, merkten dies seine Mitarbeitenden: «Achtung, er hat wieder seinen Bleisatzholblick, hiess es dann.» In jungen Jahren arbeitete Brechbühl als Setzer und erlebte hautnah, wie die alte Handwerkstechnik dem Offset- und Filmdruck, später digitalen Verfahren weichen musste. Früh verspürte er einen Wunsch, der ihn auch heute noch antreibt: «Ich sagte damals zu mir: Wenn die neue Technik überhandnimmt, dann will ich in Bleisatz arbeiten, und zwar nicht nostalgisch, sondern kreativ.» Der Bleisetzer arbeitet, wie Beat Brechbühl betont, kreativ mit dem, was er vorfindet: den Lettern, also den Buchstaben, dem Blindmaterial, damit sind die Abstandhalter gemeint, und natürlich den alten Maschinen. «Wenn wir produzieren, dann ist es wichtig, dass wir es mit Freude machen», erklärt er und weist auf die besondere Haptik hin, das besondere Gefühl beim Lesen und Anfassen, das seine Bücher ausgezeichnet.
Das Programm des Ateliers Bodoni umfasst dabei bibliophile Druckprodukte, die rein oder teilweise in Bleisatz und Handdruck hergestellt wurden. Neben dem alten Herstellungsverfahren sind Brechbühl die ­besondere Aufmachung der Drucke, Blätter und Bücher wichtig sowie die Verwendung edlen Papiers. Ist das alte, aufwendige ­Herstellungsverfahren mehr als ein Anachronismus im Zeitalter digitalen Bücher­lesens, vielleicht sogar eine Überlebens­strategie auf dem heutigen Buchmarkt? Der Blick fällt auf den PC an seinem Arbeitsplatz. Während das Atelier Bodoni sozusagen die ­Produktionsabteilung für Literatur- und Schriftenthusiasten ist, läuft nebenher der normale Verlagsbetrieb. Und das tut er ­gegenwärtig mehr schlecht als recht.

Die Wirtschaftskrise macht dem Buchmarkt zu schaffen

Seit Verlagsgründung vor 29 Jahren habe er noch keinen einzigen Rappen herausgenommen, aber Millionen erschrieben und ­hineingesteckt. Ob herbeigeredet oder nicht, die Wirtschaftskrise sei auf dem Buchmarkt zu spüren. «Den kleinen Ver­lagen steht das Wasser bis über den Hals hinaus. Aber wir kämpfen natürlich weiter», gibt sich der ­Verleger entschlossen, der sich auch im ­Zusammenschluss der ­unabhängigen Schweizer Verlage betätigt, den Swiss ­Independent Publishers (SWIPS). Gründe für die Krise gebe es viele: Die ­traditionellen Vertriebswege seien aus­getrocknet, die ­Sortimentsbuchhändler bestellten weniger, und das drastisch. ­Sponsoren zu finden sei unter den ­aktuellen Umständen schwierig. Früher arbeiteten die Buchhandelsketten, beispielsweise ­Ex Libris, enger mit den ­kleinen Verlagen ­zusammen; «schwierige Literatur» wurde mit Gewinnen gefördert. «Heute gehen ­die da gnadenlos über die Bücher», klagt Brechbühl. Es fehle eine seit langem ge­forderte Buch- und Verlagsförderung, wie sie anderen Kultursparten wie beispielsweise Film, Theater, Museen oder Medien eingeräumt wird.
Dennoch wirkt Beat Brechbühl keineswegs verzagt. «Ich kann genauso gut jammern wie ein Grossbauer», sagt er mit einem Augenzwinkern. Um das Programm dennoch an die Leute zu bringen, versuche man durch Veranstaltungen auf sich aufmerksam zu machen, seien es Messen, Kulturtage, Ausstellungen oder beispielsweise die alle zwei Jahre stattfindende Buch- und Handpressenmesse in Frauenfeld. Diese wird vom Atelier Bodoni/Waldgut Verlag organisiert. «Man kommt sich vor wie ein Eventmanager, der auch Bücher verkauft», habe ein befreundeter Verleger mal zu ihm gesagt. An seinem hohen Anspruch hält Beat Brechbühl indes fest: «Die Gesellschaft muss lernen, dass man moderne Lyrik und Literatur jenseits des Mainstreams braucht wie das Wasser zum Trinken.»

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