«der arbeitsmarkt» 11/2013TEXT: Nicola Mohler
Mich Gerber

Mein Tag als Musiker und Fährmann

«Ich bin Bassist, Komponist und Fährmann. Meine Leidenschaft für Musik und Wasser verbinde ich in meiner Konzertreihe «l’heure bleue»: Während der blauen Stunde – zwischen Sonnenuntergang und Nacht – bespiele ich auf dem oder am Wasser mit meinem Kontrabass das Dämmerungslicht. Die Natur führt dabei Regie. Das Licht verändert sich ständig, erst ist es blau, dann hell, bevor es ins Dunkel der Nacht übergeht. Das Rauschen des Wassers untermalt meine Musik. Eine wunderbare Kombination. Ich liebe alles, was fliesst. Daher meine Liebe zum Wasser und zur Musik, die auf ihre Weise auch vorbeizieht. Ja, sie geht vorüber, so wie die Zeit selbst.

Auf der Fähre Bodenacker in Muri untermalte ich 2008 die blaue Stunde zum ersten Mal – inzwischen ein jährliches Spektakel: Ich mit meinem Bass auf dem mit Laternen geschmückten Fährschiff in der Mitte der Aare, die Zuhörer am Ufer.

2010 ging einer der drei Fährmänner in Rente. Die anderen zwei wussten von meiner Passion für Boote und fragten, ob ich nicht die freie Stelle übernehme. Ich überlegte nicht lange. Ein Boot beruflich zu führen, ist eine tolle Aufgabe für einen Hobbysegler wie mich.

Mein Hauptberuf ist Musiker, rund sieben Tage im Monat stehe ich als Fährmann im Einsatz. Meine Arbeitstage am Wasser beginnen um zehn Uhr und enden mit dem Sonnenuntergang. Diesen Sommer hatten wir dank dem schönen Wetter viele Passagiere. Da fahre ich quasi nonstop, gehe kaum vom Boot. Aber dann gibt es auch wieder die ruhigeren Tage, an denen ich viel Zeit im Fährhäuschen verbringe. Bevor ich die ersten Passagiere über den Fluss manövriere, kontrolliere ich als Erstes den Wasserstand. Je nach Höhe muss ich die Länge des Drahtseils, an dem das Fährschiff hängt, anpassen. Jede Überfahrt ist anders. Neben dem Wasserstand wirken die Anzahl Passagiere und das Widerwasser auf das Schiff. Gewittert es in Schangnau im Emmental, steigt der Aarepegel rasch. Letzten Juli nach einem Gewitter in Eriz ob Steffisburg mussten wir den Betrieb einstellen. Der Wasserpegel stieg und stieg. Baumstämme schwammen wie Flösse an mir vorbei. Ansonsten fahren wir das ganze Jahr, egal ob es regnet oder schneit.

Bei Regen und Schnee arbeite ich am liebsten. Den Regen empfinde ich als etwas Aufgeregtes. Die Tropfen, die sich mit der Aare vereinen, oder das Plätschern unter den Bäumen. Nach dem Regen triefen die Bäume, und die Farben kommen intensiver zur Geltung. Auch der Schnee schafft eine einzigartige Atmosphäre. Scheint das schwache Winterlicht durch den kargen Wald hindurch, möchte ich die Zeit am liebsten anhalten – das Fliessen für einen Moment einfrieren. Überhaupt geniesse ich es, in der Natur zu arbeiten, hier in der Ruhe den Tag zu verbringen. Die wilde Umgebung an der Aare und der Elfenau inspirieren mich und meine Musik. Weit weg ist der Stadtlärm. Einzig Fussgänger und Flugzeuge im Landeanflug auf den Flughafen Belp erinnern, dass Bern nur vier Kilometer entfernt ist. Als Fährmann muss man die Einsamkeit mögen, sonst sind die Tage hart. Meistens bleibe ich nach Betriebsschluss noch im Fährhäuschen und übe auf meinem Bass. Meinen kleinen elektrischen Bass habe ich immer dabei, auch auf meinem Segelschiff am Bielersee.

Als Kind spielte ich verschiedene Instrumente, blieb dann aber beim Bass hängen. Mit den vielen Klangmöglichkeiten dieses Streichinstruments zu experimentieren, das fasziniert mich. Ich kombiniere Basstöne mit Melodien und mit Zwischenstimmen. Der Bass muss nicht immer nur im Hintergrund eines Orchesters oder einer Band sein. Er ist ein wunderbares Soloinstrument mit viel Raum für Neuland. Neuland war die Kombination von Bass und Live Looping. Diese Technik, die ich als einer der Ersten einsetzte, ist eine Erweiterung des Instruments: Ich nehme eine Tonsequenz auf und lasse diese ohne Pause immer wieder abspielen. Darüber spiele ich live andere Melodien und Klänge, die ich wiederum aufnehme und abspiele. Ich kreiere Klanglandschaften, denen kaum Grenzen gesetzt sind.

Meine vielen Reisen geben mir immer wieder viele neue Impulse. Vor allem meine Aufenthalte in der Türkei haben mich und meine Musik beeinflusst. Der Austausch mit anderen Musikern gefällt mir. Was geschieht, wenn sie meine Stücke spielen? Wie interpretiere ich ihre Melodien? Wer weiss, vielleicht fahre ich eines Tages auf einem Schiff von Basel nach Rotterdam und gebe jeden Abend an einem schönen Ort ein Konzert. Immer wieder an einem anderen Fleck spielen, die Zeit vergehen lassen. Eine fliessende Variante der «heure bleue» sozusagen.»

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