«der arbeitsmarkt» 11/2007

Meeting Point Planet 13

Seit dem Sommer gibt es in Kleinbasel das erste kostenlose Internetcafé von Armutsbetroffenen für Armutsbetroffene. «der arbeitsmarkt» hat den Treffpunkt besucht.

Das Internetcafé Planet 13 an der Klybeck-strasse 60 in Basel ist kurz nach dem Öffnen am frühen Nachmittag bereits voll besetzt. Vor dem Eingang stehen Besucherinnen und Besucher und rauchen. Sie warten auf einen frei werdenden Computerarbeitsplatz. Selbst die Wartestühle im Vorraum sind sämtliche besetzt. Täglich hat Planet 13 bis zu 50 Be-sucherinnen und Besucher, dies bei einem Angebot von zehn Computerarbeitsplätzen. Seit der Eröffnung Mitte Juli können die Gäs-te hier nicht nur im Internet surfen; sie finden auch Beratung bei der Stellenbewerbung und Unterstützung im Bereich des Internets. Konkret heisst das: Anfänger erhalten eine Einführung in die geläufigsten Programme und in die Benutzung von Internetsuchmaschinen. Fortgeschrittene können lernen, eine eigene Website zu erstellen.
Christoph Ditzler ist Projektleiter von Planet 13. Er kennt das Sozialamt aus eigener Erfahrung. Fünfzehn Jahre arbeitete er selbständig als Marktfahrer, bis ihm eines Tages der Standplatz gekündigt wurde.
Als Selbständigerwerbender konnte er kein Arbeitslosengeld beziehen und landete beim Sozialamt. Ditzler, der selber eine Integrationsmassnahme durchlebt hat und durch die Mühlen des Sozialstaates geschoben wurde, fordert Selbstbestimmung. «Niemand macht etwas gerne, wenn er oder sie dazu gezwungen wird», ist er überzeugt. Die Betroffenen sollen nicht mit irgendeinem Druck oder mit Versprechungen von aussen oder von Behörden in ein Projekt gezwungen werden.
Armutsbetroffene, also Arbeitslose mit niedrigen Taggeldern, Sozialhilfebezügerinnen, AHV/IV-Rentner oder Working Poor, können sich häufig den Zugang zu modernen Kommunikationsmitteln nicht leisten. Der Zugang zu vielen Bereichen des täglichen Lebens, sei es bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche oder aber auch bei der Informationsbeschaffung, wird jedoch heute ohne Computer und Internet zunehmend schwieriger. So verzichten viele Unternehmen aus Kostengründen auf teure Inserate in Zeitungen und stellen ihre Ausschreibungen ins Internet.
Die Idee zum Internetcafé entstand 2004 im Rahmen der «Armutskonferenz von unten». Der Plan, einen kostenlosen Internet-zugang anzubieten, stiess von Beginn an auf grosse Unterstützung. Der Verein Planet13 wurde gegründet, der gleichnamige Internet-Treffpunkt realisiert, und im Sommer 2007 konnte das Internetcafé Planet13 eröffnet werden.

Lernen, lehren und von aussen wahrgenommen werden

Das Selbsthilfeprojekt wird von einer Gruppe von Armutsbetroffenen betrieben. Sie wollen ihre Fähigkeiten und ihr Potenzial nicht einfach brachliegen lassen, sondern sich aktiv um die Erhaltung ihrer Kompetenzen und ihre soziale Integration bemühen. Gleichzeitig möchten sie ein Angebot schaffen, das Menschen in ähnlicher Lage dienen kann. Alle, die an diesem Projekt mitarbeiten, tun dies ehrenamtlich. Zurzeit sind 15 Personen aus fünf Nationen als Betreuer oder «Gastgeber» freiwillig dabei. Neben den wichtigen Gesprächen von Betroffenen untereinander, der gegenseitigen Informationsvermittlung sowie dem Lernen und Lehren voneinander geht es den Betreibern auch darum, nach aussen hin aktiv zu werden, um von den Nichtbetroffenen überhaupt wahrgenommen zu werden.
Die Finanzierung ist vorerst gesichert. Die Christoph Merian Stiftung unterstützt das Projekt Internetcafé Planet 13 mit einem Investitionskostenbeitrag von 25000 Franken im Jahr 2007 und Mietkostenbeiträgen für die Jahre 2007 und 2008 von je 40000 Franken an den Verein Planet 13. Der Arbeitgeberverband Basel-Stadt stiftete 10000 Franken für Büromöbel. Zusätzlich schenkt das Kaufhaus Manor ein Jahr lang 3000 Blatt Papier pro Monat. Microsoft erlässt die Lizenzgebühren für die Programme. Zwecks Kostenoptimierung laufen auch Verhandlungen mit dem Internetanbieter.
Das Internetcafé soll auch einen kleinen Beitrag dazu leisten, den digitalen Graben zu überbrücken. Denn laut dem Bundesamt für Statistik hat sich die Internetnutzung seit Ende der 90er-Jahre zwar deutlich erhöht, von 15 Prozent im Jahr 1997 auf
68 Prozent Anfang 2005. Bei den Einkommensschwachen mit einem Verdienst von unter 4000 Franken nutzen jedoch nur 28 Prozent das Internet. Bei denjenigen, die monatlich über 10000 Franken verdienen, sind es 84 Prozent. Das Internetcafé von Projektleiter Christoph Ditzler möchte ein Mosaiksteinchen sein, um dieses Ungleichgewicht egalisieren zu helfen.
Die Besucher des Internetcafés sind zu einem grossen Teil Männer. «Grob gesagt», antwortet Christoph Ditzler auf die Frage, weshalb dies so sei, «denkt der männliche Besucher: ‹Ich kann sowieso alles.› Die Besucherin dagegen glaubt eher, dass sie zum Surfen eine Programmiererin sein muss.» Hat jemand Fragen, wenig oder überhaupt keine Computererfahrung, kann er oder sie sich an einen Gastgeber wenden. Besucher finden Betreuung, falls sie diese brauchen. Oft helfen sie sich auch gegenseitig, wie Ditzler zu erzählen weiss: «Einmal hatten wir einen jungen Obdachlosen. Er war sehr scheu und redete fast nicht. Mittlerweile ist er ein Stammkunde und berät die anderen Besucher mit seinen Erfahrungen, die er gesammelt hat. Sein Selbstwertgefühl ist in den paar Wochen enorm gestiegen.»

Offener Treffpunkt und Kommunikationsraum

Wer sind die Besucher des Planet 13? An einem Computer sitzt eine Frau in einem bunten Kleid. Noëlle Antoniazzi, 58, ist eine ehemalige Dolmetscherin. Heute arbeitet sie in einem Flickstübli. Sie lebte 29 Jahre in Côte d’Ivoire. Seit dem Bürgerkrieg, der 2002 in dem westafrikanischen Land ausbrach, wohnt sie wieder in der Schweiz. Noëlle Antoniazzi ist gerade dabei, Schriftstücke auszudrucken. Ob das ihre Memoiren seien? Die Vermutung liegt gar nicht so weit daneben. «Nein, Memoiren klingt zu hochgestochen. Nennen Sie es Erinnerungen», antwortet sie. «Es sind alles wahre Geschichten, die das Leben schrieb.» Zuhause hat sie mehr als 200 A4-Seiten Kurzgeschichten geschrieben. Diese heftet sie zu Manuskripten von zwei bis sechs Blättern zusammen. Später will sie ihre Kurzgeschichten an einen Verlag schicken. Zwar hat sie zuhause einen alten Computer zum Schreiben, doch sie könne nicht ausdrucken, deswegen sei sie hier. Sie ist erst das zweite Mal im Planet 13. Das Internetcafé habe sie durch Bekannte kennen gelernt.
Ihr gegenüber sitzt Ghebreyesus Mehari. Er ist 37 und Flüchtling aus Eritrea. Erst vor zwei Tagen kam er in der Schweiz an. Aufmerksam auf das Internetcafé wurde er durch seine Freunde. Er ist gerade am Chatten. Das Internet braucht er, um mit seinen Verwandten in Eritrea zu kommunizieren. Vor allem wegen seiner fehlenden Deutschkenntnisse ist ihm diese Kommunikation wichtig. Ghebreyesus Mehari kann zwar die Internetsituation in der Schweiz noch nicht einschätzen, ist aber sehr froh, dass er hier kostenlos die Infrastruktur benützen kann.
Derweil wartet Tanja Zivkovic, 40, arbeitslose Verkäuferin, noch auf einen freien Computer. Sie ist vor allem hier, um sich Informationen zu holen. Nicht nur via Internet, sondern auch über die vielen aufgelegten Zeitungen und Handzettel. Der relativ kleine Frauenanteil im Planet 13 schreckt sie nicht ab: Im Gegenteil, ihr gefällt es hier. «Ich bin ein, zwei Mal die Woche hier und komme auch mal vorbei, nur um einen Kaffee zu trinken.» Sie ist ein eher zurückhaltender Mensch. Daher sucht sie jetzt einen anderen Job, in dem sie sich nicht so exponieren muss wie in ihrem bisherigen als Verkäuferin. Sie besuchte einen Computerkurs und hofft auf einen Bürojob.
Auch Christoph Ditzler sieht das Internetcafé in erster Linie als Treff- und Kommunikationspunkt für alle. Hier kommt es immer wieder zu spannenden Begegnungen. Als beispielsweise Ende Juli in der Türkei Parlamentswahlen waren, war das Interesse der Türken und Kurden in Basel natürlich gross. Also trafen sich viele der aus der Türkei stammenden Armutsbetroffenen im Planet 13, um die Wahlen via Internet zu verfolgen. Ditzler erinnert sich: «Anfänglich wollte kein Kurde neben einem Türken sitzen – und umgekehrt. Erst als ich dann einschritt und fragte, wo denn um Himmels willen das Problem sei, kamen sie sich näher. Später wurde untereinander eifrig über Politik diskutiert.»

Ein Modell, das Schule macht

Wie soll es weitergehen? Ditzler möchte einen Beamer anschaffen, um Lehrfilme und Ähnliches zu zeigen. Auch in Planung ist eine PC-Werkstatt. Hier sollen aus Occasionscomputerteilen brauchbare Computer zusammengebaut und kostenlos an Armutsbetroffene abgegeben werden.
Nach seinen Wünschen für die Zukunft befragt, antwortet Christoph Ditzler: «Es wäre schön, wenn dieses Projekt in weiteren Städten Anklang finden würde. Ich finde, dass jede grosse Stadt ein Internetcafé für Armutsbetroffene bieten sollte.» In Berlin hat man «seine» Idee vom kostenlosen Internetcafé schon aufgegriffen. Dort ist ein
solches im Entstehen.

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