«der arbeitsmarkt» 04/2007

«MAssMedia» – das etwas andere Assessment

RAV-Beratende stossen im Umgang mit hochqualifizierten Stellensuchenden oftmals an fachliche Grenzen. Welche spezifischen Berufskenntnisse sind
für bestimmte Branchen erforderlich und wie ist vorhandenes Potenzial zu erkennen? «der arbeitsmarkt» als Kompetenzzentrum für Medienschaffende hat ein Pilotprojekt lanciert.

Mit dem druckfrischen Lizenziat in Philosophie im Dossier meldet sich die 28-jährige Yvonne L. beim RAV an. Der zugeteilte Berater ist vom Auftritt der hochmotivierten Akademikerin anlässlich des Erstgesprächs beeindruckt. Die verkürzte Rahmenfrist beträgt ein Jahr, mit zweihundert versicherten Tagen zum Minimalansatz. Ein scharfer Kontrast zum «magna cum laude» im Universitätsdiplom. Höchste akademische Weihen, aber wohin damit? Der Professor hat Komplimente zur ausgezeichneten sprachlichen Kompetenz der Lizentiatsarbeit gemacht. Schreiben tut Yvonne L. tatsächlich sehr gerne, aber der Einstieg in die Medienbranche, ohne Berufserfahrung und ohne eine fachspezifische Ausbildung, gestaltet sich schwierig. Der RAV-Berater kennt einige arbeitsmarktliche Massnahmen für hochqualifizierte Stellensuchende und informiert die Versicherte darüber. Sie knüpft einen ersten Kontakt mit dem PvB «der arbeitsmarkt» und absolviert das Abklärungsverfahren – eine Art «Mini-Assessment»: detaillierte Dossiersichtung inklusive Arbeitsproben (falls vorhanden), eine journalistische Hausaufgabe, das Vorstellungsgespräch und im Anschluss daran
die Empfehlung zuhanden des RAV-Beratenden.
Etwa ein Fünftel der Kandidatinnen und Kandidaten muss von Anfang an zurückgewiesen werden, da kaum eine reelle Chance für eine Wiedereingliederung im Printmediensektor besteht. Es gibt andere AMM-Anbieter, die vielleicht geeigneter sind. Andere Berufswege, die besser auf die Ressourcen der Versicherten zugeschnitten sind. Zusatzausbildungen, die sich lohnen könnten. Sechs Monate auf einer «AMM-Warmhalteplatte» – das kann und darf es nicht sein. Bei Yvonne L. war journalistisches Potenzial erkennbar – ein ungeschliffener Diamant sozusagen. Während maximal sechs Monaten in der Fachredaktion «der arbeitsmarkt» unter intensiver fachlicher und persönlicher Betreuung mitarbeiten zu können, eröffnete der motivierten und talentierten Kandidatin den Einstieg in die schweizerische Medienbranche. Die aktuellen Arbeitsproben in der Fachzeitschrift «der arbeitsmarkt» verhalfen zu erfolgreichen Bewerbungen als freie Journalistin auf dem schweizerischen Medienmarkt. Der RAV-Berater konnte die Fortschritte monatlich mitlesen und freute sich über «seine» Neojournalistin. Yvonne L. meldete sich beim RAV ab und ist seither ein neuer und guter Name in der Journi-Szene – eine Erfolgsgeschichte.

Potenzial schneller und billiger abklären

Sechs Monate hat diese ausserordentlich fachspezifische arbeitsmarktliche Massnahme gedauert. Nachhaltigkeit ist für uns ebenso wichtig wie schnellstmögliche (Wieder-)Eingliederung. Im letzten Jahr konnte das PvB «der arbeitsmarkt» 66 Prozent erfolgreiche Stellenantritte während oder direkt im Anschluss an den Programmaufenthalt verbuchen. Die sorgfältige Vorauswahl zählt hierbei mit zu den Erfolgsgaranten.
Gäbe es denn kein beschleunigtes und damit kostengünstigeres Verfahren zur Potenzialermittlung? Diese Frage wurde schon mehrfach von RAV- und anderen Personalberatenden an uns herangetragen. Das «arbeitsmarkt»-Leitungsteam hat sich im letzten Sommer an einen Assessment-Pilotversuch herangewagt und diesen im Rahmen einer Fachhochschul-Projektarbeit konzipiert, durchgeführt und in einem Projekt-bericht gründlich evaluiert.
Die Idee einer interinstitutionellen Zusammenarbeit stand am Anfang der Konzeptionsphase. Könnte es nicht möglich sein, Kompetenzen im Bereich der Anbieter von arbeitsmarktlichen Massnahmen zu bündeln und interdisziplinär zusammenzuarbeiten? Um Nachhaltigkeit zu erreichen, wäre durchaus auch eine fachliche Öffnung anzustreben und von Anfang an ein modular ausbaubares Assessmentkonzept zu generieren, welches schweizweit in den unterschiedlichsten Fachbereichen für hochqualifizierte Stellensuchende einsetzbar wäre. Als nationaler PvB-Anbieter war uns schnell klar, dass hier die nötigen Voraussetzungen optimal gegeben sind. Wir «Nationalen» sind allesamt bei derselben SECO-Abteilung angegliedert. Die Suche nach Ko-operationspartnern war demnach bereits sinnvoll eingegrenzt und führte bald zu einer sich bestens ergänzenden Mischung. Die Programmverantwortlichen von «InnoPark» und dem Assistenzprojekt der Föderation Schweizer Psychologinnen/Psychologen («FSP») konnten für die Idee begeistert werden und suchten nun ihrerseits nach geeigneten und zu diesem Experiment gewillten Programmteilnehmenden zur Projektmitarbeit.

Aus Betroffenen sollen Beteiligte werden

Sicherlich spielte auch das Glück der Tüchtigen eine gewisse Rolle, dass aus den drei PvB «InnoPark», «FSP» und «der arbeitsmarkt» kompetente Fachpersonen rekrutiert werden konnten, die im gegebenen Zeitfenster willens und in der Lage waren, sich in einem interdisziplinären Team gemeinsam dieser Aufgabe anzunehmen. Ein wichtiger Aspekt für Projektleiter André Häring war von Anfang an die Berücksichtigung der besonderen Rahmenbedingungen innerhalb der Vermittlungsstrukturen von arbeitsmarktlichen Massnahmen. Hierzu schien auch der Einbezug von Stellensuchenden in die Projektgruppe sehr geeignet. Betroffene zu Beteiligten machen war die Devise. Zudem musste eine multiperspektivische und professionell fundierte Herangehensweise an die Aufgabe durch ausgewiesene Fachkräfte der jeweiligen Berufssparten gewährleistet sein. Wichtig war auch, weder bestehende AMM-Angebote noch solche auf dem ersten Arbeitsmarkt zu konkurrieren, sondern ein ergänzendes Komplementärinstrument zu bereits vorhandenen Abklärungsmassnahmen zu kreieren.

Beliebtes Instrument in der Personalselektion

Natürlich ging es ebenso darum, ein effizientes und kostengünstigeres Verfahren zu konzipieren, welches den zuweisenden Stellen einen bislang nicht vorhandenen Zusatznutzen verschaffen würde. Innert eines Tages müssten ein Einzel- und ein Gruppenassessment mit verschiedenen Übungen abgewickelt werden können. Sechs bis acht Personen sollten in einem derartigen Setting auf Eignung und Potenzial geprüft werden können, um einen Durchführungspreis von 500–600 Franken pro Person zu gewährleisten. Obwohl die Pilotveranstaltung auf eine Abklärung für den Printjournalismus ausgelegt war, sollte das modulare Assessmentkonzept auch auf andere Berufssparten übertragbar sein. Diese Aufgabe hatten insbesondere der Psychologe und der Teilnehmer von «InnoPark» im Auge zu behalten.
Gemäss einer Studie aus dem Jahr 2005 über die Häufigkeit von Auswahlverfahren in der Personalselektion werden Assessments von rund einem Drittel aller 521 befragten Schweizer Unternehmen angewandt. Zusätzlich werden ebenfalls bei einem Drittel Persönlichkeitstests eingesetzt. Die Analyse der Bewerbungsunterlagen und das Vorstellungsgespräch gehören bei allen Firmen zum kompletten Auswahlverfahren mit dazu. 88,9 Prozent der Unternehmen holen zusätzlich Referenzen über die Bewerberinnen und Bewerber ein. Diese Aspekte wurden selbstverständlich auch für unser Abklärungsverfahren mitberücksichtigt, fanden jedoch ausserhalb des eigentlichen Assessmenttages statt.
Während der bald elf Jahre des Bestehens als PvB und der Fachzeitschrift «der arbeitsmarkt» haben wir zum Teil intensive und wiederkehrende Kontakte zu RAV-Beratenden aller Kantone knüpfen können. Dieses Netzwerk war uns bei der Rekrutierung von potenziell Interessierten nützlich. Von den Angeschriebenen erhielten wir genügend Rückmeldungen, um schliesslich mit je drei Frauen und Männern aller Alters- und Erfahrungsstufen den «MAssMedia»-Assessmentpilotversuch durchzuführen. Vorab wurden die einzelnen Aufgabenstellungen innerhalb des Redaktionsteams von den damaligen «arbeitsmarkt»-Programmteilnehmenden in einem Probelauf getestet und für die Pilotdurchführung nochmals optimiert. Das fünfköpfige Assessorenteam wurde während der Konzeptionsphase durch den Psychologen und Assessmentspezialisten mit den zu berücksichtigenden Aspekten dieser wichtigen Auswahlarbeit vertraut gemacht. Im Gegenzug lernten die mitbeteiligten Nichtjournalisten die fachspezifischen, personalen und sozialkompetenten Voraussetzungen kennen, die Redaktorinnen und Redaktoren für eine gelingende Arbeit mitzubringen haben.
Der eigentliche Pilottag begann für die sechs mehr oder weniger angespannten Assessmentteilnehmenden mit einer Be-grüssung des Projektleiters bei Kaffee und Gipfeli. Danach übernahm der Journalist die fachliche Einführung in die verschiedenen Teile des ganztägigen Assessments. Eine fachliche Selbstsicht-Standortbestimmung, Recherchen, ein Interview, ein journalistischer Wissenstest, zwei zu schreibende Texte sowie eine Redaktionssitzung für die gruppendynamischen Aspekte und die Ermittlung der Sozialkompetenzen bildeten die einzelnen Programmpunkte. Immer mit dabei – und für die Teilnehmenden gewöhnungsbedürftig – die Assessoren, welche sich zu den Personen und deren fachlichen, personalen und sozialen Handlungsweisen ihre Notizen machten. Den Abschluss des Tages bildeten die individuellen Feedbackgespräche mit dem «arbeitsmarkt»-PvB-Leiter André Häring und Redaktionsleiter Gery Nievergelt zu den ersten Eindrücken auf beiden Seiten. Für alle Beteiligten war dieser Tag sehr intensiv, und natürlich liessen sich gewisse Prüfungsängste nicht ganz aus dem Weg räumen.
Tags darauf trafen sich die fünf Assessoren zu einer Art «Notenkonferenz», wo es darum ging, die Erkenntnisse zu den sechs Kandidatinnen und Kandidaten zu erfassen und in eine stimmige Form zu bringen. Dass hierbei unterschiedliche Kriterien der Be-obachtenden mit hineinspielten, zeigte, wie wichtig der multiperspektivische Anspruch an ein derartiges Setting ist. Gerade dadurch ist eine umfassende Standortbestimmung erst möglich, und erst diese sehr aufwändige Herangehensweise ergibt die wertvollen Hinweise für weitere Schritte und Empfehlungen. Davon profitieren sowohl die Zuweisenden als auch deren Klientinnen und Klienten.
Für zwei der sechs Pilotkandidatinnen und -kandidaten wurde eine Programmteilnahme im PvB «der arbeitsmarkt» empfohlen, den vier weiteren beziehungsweise deren Beratungspersonen wurden andere Massnahmen vorgeschlagen. Mittlerweile haben die beiden Teilnehmen-den den PvB-Aufenthalt bei uns beendet, sich beim RAV abgemeldet und eine Stelle angetreten. Mit den vier anderen haben die RAV-Beratenden individuelle Lösungen aufgrund der Assessmenterkenntnisse erarbeitet. Zweifellos wurde hier einiges an Geld eingespart oder andersherum betrachtet für die richtige, weil optimal auf den individuellen Qualifizierungsbedarf zugeschnittene Massnahme eingesetzt.

Ressourcen für Projekte ausserhalb der Kerngeschäfte
Das Assessmentteam konnte bei der ausführlichen Evaluation auf eine intensive interdis-ziplinäre Zusammenarbeit zurückblicken. Auf mehreren Ebenen konnten gewinnbringende Resultate vorgewiesen werden. So wurde der Beweis erbracht, dass innerhalb von AMM-Anbietenden durchaus fachliche und personelle Ressourcen für innovative Projekte ausserhalb der Kerngeschäfte zu finden und zu nutzen sind. Die drei ehemaligen Programmteilnehmenden sind mittlerweile ebenfalls wieder im ersten Arbeitsmarkt in führenden Stellungen erfolgreich tätig. Das Assessment-konzept wurde durch die Erkenntnisse aus der Pilotdurchführung modifiziert und wird zurzeit vom PvB «InnoPark» für die Rekrutierung ihrer hochqualifizierten Programmteilnehmenden in verschiedenen Projektarbeitsgruppen intern eingesetzt. Last but not least hat der Projektbericht, der im Rahmen einer Semesterarbeit an der Fachhochschule für Soziale Arbeit Luzern (HSA) eingereicht wurde, dieser Tage die Benotung A für «ausgezeichnet» erhalten. Die innovative Projektidee sowie der partizipativ-interdisziplinäre Aspekt wurden als besonders lobenswert hervorgehoben.

Selbstverständlich wurden auch die Assessmentkandidatinnen und -kandidaten mündlich und schriftlich zu ihrer Meinung über den Pilotversuch befragt. Der Tenor: Es sei ein anstrengender Tag gewesen, der sich aber für alle Beteiligten individuell gelohnt habe. Sei es, indem die Selbst- und die Fremdsicht über das eigene Potenzial zu stark auseinanderklafften und das Wunschdenken von der Realität eingeholt wurde. Sei es, dass man sich jetzt ein genaueres Bild von den Anforderungen in diesem Metier machen konnte oder aber erstmals ein Quervergleich im Feld der Mitbewerbenden möglich wurde. Auch die Bestätigung des bereits eingeschlagenen Weges und der vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten wurde von den Teilnehmenden als sehr positiver Erkenntnisgewinn mit nach Hause genommen.

Für sämtliche Teilnehmenden die geeignete Massnahme finden

Als Verantwortliche einer Qualifizierungsmassnahme im Erwerbslosenbetreuungsbereich darf es unserer Meinung nach nicht darum gehen, möglichst viele Teilnehmende bei uns aufzunehmen, sondern es muss das Ziel aller Beteiligten sein, die Versicherten in die richtigen, sprich für sie geeigneten Massnahmen zu platzieren. Dahinter stehen nicht nur ideelle Beweggründe, sondern auch das Bestreben, nach Möglichkeiten zu suchen, wie und wo Kosten eingespart werden können. Dass wir vom «arbeitsmarkt» hier mit unseren fach- und arbeitsmarktspezifischen Kenntnissen und einem über lange Jahre geknüpften Netzwerk in unserer Branche über einen grossen Nutzen für unsere Klientel verfügen, soll nicht verschwiegen werden. Wenn es allen Beteiligten in der Begleitung und Betreuung von Erwerbslosen wirklich um einen optimalen Einsatz der knapper werdenden Finanzen geht, dann dürfte eine solche Zusammenarbeit nach dem IIZ-Vorbild auch unter AMM-Anbietenden Schule machen. Wir haben mit unserem PvB «der arbeitsmarkt» einen ersten Schritt gewagt und wurden, zumindest was die positiven Feedbacks und Erkenntnisse aus dem Pilotassessment «MAssMedia» angeht, bereits für unsere Arbeit entschädigt. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn unsere Idee von Entscheidungsträgern aufgenommen und als Zusatzangebot von Abklärungsmassnahmen in der Erwerbslosenbetreuung institutionalisiert werden würde. Gute Ideen sind das eine – zu deren Umsetzung braucht es die Unterstützung von Entscheidungsträgerinnen und -trägern auf den Amtsstellen. An der Basis scheinen wir mit unserer Assessmentidee jedenfalls überzeugt zu haben. Ein beteiligter RAV-Berater bringt es auf den Punkt: «Im Ergebnis deckt sich die Fremd- und Selbsteinschätzung des Stellensuchenden mit den Erfahrungen aus den persönlichen Beratungsgesprächen auf dem RAV. Ein derartiges Assessmentverfahren halte ich für angemessen und sinnvoll.» Und sein Kollege aus einem anderen Kanton schrieb: «Ich finde Ihr Verfahren optimal, da es sehr praxisnah ist. Und unseren Versicherten tut es gut, wenn sie sich einer Herausforderung stellen müssen und nicht einfach durch eine Verfügung ‹locker› angemeldet werden. Versicherte müssen bei Ihrem Assessment eine in meinen Augen recht hohe Leistung erbringen, um zum Ziel zu gelangen. Ich bin davon überzeugt, dass Ihr Angebot die Leute weiterbringt und entscheidend dazu beiträgt, dass wir eine langfristige Wiedereingliederung schaffen.»

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