«der arbeitsmarkt» 11/2011

Jobsuche ist keine Nebensache

Ein eintägiger Streifzug durch das Jobangebot in Stellenanzeigern zeigt, welche Möglichkeiten es gibt, einen Zusatzverdienst zu erzielen, und ob es sich lohnt.

«Seien Sie endlich Ihr eigener Chef» – so oder ähnlich lauten in den Zeitungen, Gratisblättern und im Internet immer wieder Inserate, die für einen Nebenjob werben. Die Versprechungen machen jeden Lohnempfänger neidisch: toller Verdienst, freie Zeiteinteilung, Arbeiten von zu Hause aus, keine Investitionen nötig und so weiter. Da ich von alledem mein ganzes Berufsleben vergeblich träumte, möchte ich heute erfahren, was hinter diesen Angeboten steckt. Und falls aus dem grossen Geld nichts wird, möchte ich am Abend immerhin wissen, was es für Möglichkeiten gibt, einen Nebenverdienst zu erzielen. Einen Tag lang schaue ich mich nach Nebenjobs um. Während die grossen Stellenportale vor allem Arbeit im Verkauf und im Gastgewerbe und somit eher Aushilfs- und Teilzeitjobs anbieten, sind Tagespresse und Internetplattformen einiges ergiebiger.

Ich rufe also als Erstes den potenziellen Arbeitgeber an, der mir in einem «Tages-Anzeiger»-Inserat den attraktivsten Job zu bieten scheint. Die Verheissung «Ein Leben lang nachhaltig Geld verdienen» tönt verlockend, aber so einfach ist es nicht: Die freundliche Dame am Telefon bittet mich, Name, Adresse und Telefonnummer zu hinterlassen, sie werde mich an einem bestimmten Wochentag um punkt 14 Uhr anrufen und mir dann mehr Infos geben. Ich sage, ich will es mir noch einmal überlegen, und hänge auf. Dann versuche ich, mich im Internet über diesen Superjob schlauzumachen. Via Telefonnummer stosse ich auf eine Website mit wohlklingendem Namen. Ich ignoriere die Phishing-Warnung des Web-Browsers. Ich gelange auf die Homepage einer Gruppe, die Wellnessprodukte vertreibt.

Umständliche Kontaktaufnahme

«Erfolg ist kein Zufall!», heisst es in einem weiteren Inserat. «Es sei denn, ich gewinne im Lotto ...», denke ich mir und klicke gleich die angegebene Adresse an. Es geht um den Vertrieb von Energy Drinks. Für mehr Infos muss ich mich erst online anmelden. Ich gebe meine persönlichen Daten nur ungern preis – und erhalte die Antwort: «Wenn Sie an einem persönlichen Termin interessiert sind, schicken Sie einen kurzen Lebenslauf.» Einen Lebenslauf sozusagen ins Leere zu schicken, geht mir dann doch zu weit. Beim Weitersurfen auf derselben Website gelange ich wieder zur Gruppe, die unter verschiedenen Namen Wellnessprodukte vertreibt.

Wer übrigens naheliegend unter www.nebenjobs.ch sucht, gelangt zu einer Seite mit gerade einmal drei Angeboten – im Wellnessbereich. Ziemlich veraltet ist die Kontakttelefonnummer mit 01 für Zürich. Seit viereinhalb Jahren ist diese Vorwahl nicht mehr in Betrieb. Ein umfangreicheres Angebot aus verschiedensten Branchen findet sich unter www.nebenjob.ch. Und hier wird im Bereich «Arbeitnehmer» auch gleich vor teuren, aber nutzlosen Schulungen oder zuerst zu kaufenden Waren gewarnt – ohne die Wellnessbranche explizit zu erwähnen.  

Ich widme mich dem nächsten Inserat im Gratisblatt «20 Minuten»: Es werden junge Promoter/innen gesucht, Nebenberuf oder Teilzeit. Auch hier gibt der angerufene Herr sich bedeckt. Wie alt ich denn sei, ist die erste Frage. Ich sage: 25. «Hehe, das beste Alter», ist sein Kommentar. Wie viel ich denn verdienen wolle, lautet die zweite Frage. Nun frage ich zurück, was man eigentlich machen müsse. Es gehe um die Promotion verschiedener Produkte, alles seriöse, hochwertige Sachen. Die Firma sei in der ganzen Schweiz tätig. Mehr war aus ihm nicht herauszukriegen. Wir sollten uns am besten gleich verabreden und das Ganze Auge in Auge besprechen – nein, das möchte ich nicht, danke.

Tiefer Fixlohn – mit Aussicht auf viel mehr Geld

Jung sollte man auch bei der folgenden Nebenjobkategorie sein: Es geht darum, Leute auf der Strasse anzusprechen und Geld für eine «gute Sache» zu sammeln, nicht bar, sondern per Lastschriftverfahren. Solche Jobangebote verschiedener Firmen findet man sowohl in den Printmedien als auch im Internet. Ich bin schon einigen dieser jungen Leute begegnet und war verblüfft über so viel Verkaufsrhetorik verbunden mit Charme. Sie sammeln beispielsweise für anerkannte Non-Profit-Organisationen wie Pro Infirmis oder Greenpeace. Ich rufe eine der Firmen an. Der Fixlohn betrage 150 Franken pro Tag, es komme aber noch eine Provision dazu, wenn man gut arbeite. Das könne in die Tausende gehen. Mehr sagt der Mann dazu nicht.

Im Telemarketing würde ich wohl sofort einen Job finden. In sämtlichen Medien, die ich für meine Recherchen heranziehe, werden Leute gesucht, die gut und gerne telefonieren, auch unter dem Namen «Moderatoren» oder «Plaudertaschen». Häufig wird in den frühen Abendstunden gearbeitet. Über die Löhne gibt man hier relativ bereitwillig Auskunft, oft schon im Inserat: so ungefähr zwischen 24 und 26 Franken pro Stunde. Umso weniger erfährt man aber über die Produkte, die es zu verkaufen gilt. Von «hochwertigen Produkten für hochwertige Kunden» ist auch da die Rede – ob es sich um den Verkauf von Zeitungsabos, von Krankenkassenmitgliedschaften oder gar um Telefonsex handelt, bleibt vorerst meiner Fantasie überlassen. Nein, das möchte ich nicht, die Leute nach Feierabend anrufen und mich mehr oder weniger freundlich abwimmeln lassen.

Auch als morgendliche Zeitungsverträgerin fände ich jederzeit einen Job, wenn man die zahlreichen Inserate in diversen Medien betrachtet. Doch die Arbeitsbedingungen der professionellen «Frühaufsteher» sind nicht gerade verlockend (siehe Kasten).

Putzfrauenagenturen statt Gratisinserat im Supermarkt

Statt für wenig Geld früh aufzustehen, mache ich mir lieber die Hände nass und erkundige mich nach den Arbeitsmöglichkeiten als Putzfrau. Im Internet gibt es mittlerweile zahlreiche Putzfrauenagenturen, so dass man kein Gratis-Inserätli bei Coop oder Migros mehr aufzuhängen braucht. Bei der ersten, die ich kontaktiere, beträgt der Anfangslohn 21 Franken und 65 Rappen. Das Arbeitspensum liegt zwischen 20 und 50 Prozent, geputzt wird vor allem tagsüber in privaten Haushalten. Eine zweite Agentur, die ich telefonisch kontaktiere, gibt sich wesentlich zugeknöpfter: Der Lohn werde erst bekannt gegeben, wenn man sich beworben habe. Warum ich meine Daten preisgeben soll, wenn ich keine Ahnung von den Konditionen habe, frage ich. Das sei bei ihnen eben so, meint die Dame freundlich, aber bestimmt. «Sie sind dann ja bei uns angestellt», lautet die kryptische Antwort weiter. Wie viel denn das Institut vom Kunden erhalte, wage ich erst gar nicht zu fragen.

Geld für die eigene Meinung

Nichts gegen das Putzen, aber wesentlich attraktiver erscheint mir da das Gebiet der Meinungsumfragen und der Degustationen: Beurteilen, Vergleichen und Kritisieren von neuen Produkten. Esswaren, Getränke, Accessoires, Logos, Werbekampagnen und so weiter stehen zur Auswahl. Wunderbar, man darf seine Meinung sagen und wird erst noch dafür bezahlt. Ich rufe ein paar Anbieter an.

In einem Zeitungsinserat werden Männer zwischen 18 und 45 für einen Biertest gesucht. Ich bitte einen Kollegen, für mich zu telefonieren. Es geht um das Degustieren einer neuen Biersorte mit einem Alkoholgehalt von einem Prozent. Das Ganze dauert 40 Minuten, und man bekommt einen Franken pro Minute. Bei einer weiteren Firma, die auch für den «Kassensturz» des Schweizer Fernsehens Aufträge annimmt, erhält man für etwa 20 Minuten Degustieren 25 Franken. Es gibt auch Internetumfragen zum Online-Ausfüllen: 3 bis 5 Franken pro Auftrag.

Auch auf eher skurrile Angebote stosse ich bei meinen Recherchen: Im Berner «20 Minuten» sucht die Universitätsklinik für Psychiatrie in Bern Teilnehmer für eine Studie über Spinnenphobien – über das Gehalt wird nichts geschrieben. Auf www.tutti.ch finde ich ein Inserat zu einer Gesundheitsstudie. Etwas schräg ist dann das Gespräch mit einem Herrn vom Psychologischen Institut der Universität Zürich. Ich solle Argumente zu Medikamenten beurteilen, ob ich beispielsweise die Aussage gut finde, dass das Medikament X wenig Nebenwirkungen hat. So ähnlich hätte ich mir das vorzustellen. Der Lohn beträgt hier 25 Franken für 60 Minuten sowie Einblick in die Ergebnisse der Studie.

Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen

Degustieren kann man auch härteren «Stoff» und wird dafür entsprechend besser bezahlt. Auf der Website «Marktplatz» von Uni und ETH oder in Inseraten von grossen Pharmafirmen werden regelmässig Probanden für teilweise aufwendige klinische Studien gesucht. In diesen Inseraten sind die Angaben zur Studie und zu den Teilnahmevoraussetzungen präzise, auch Zeitaufwand und Entschädigung werden häufig mit angegeben. Diese kann mehrere Tausend Franken betragen. Absolute Vertraulichkeit wird zugesichert. – Wahrlich absolute Vertraulichkeit, denn es ist ganz und gar unmöglich, herauszufinden, was für Personen sich für diese Studien zur Verfügung stellen. Sich als Versuchsperson zu verdingen, ist nicht jedermanns Sache. Aber vielleicht wenn man pleite, verschuldet oder randständig genug ist? – Mangels Infos kann ich darüber nur spekulieren.

«Taschengeld» für junge Frauen

Den eigenen Körper kann man – oder hier insbesondere die Frau – auch auf andere Weise lukrativ einsetzen. Zahlreich sind die Inserate, die jüngeren Frauen üppiges «Taschengeld» in der Erotikbranche versprechen – dies nicht etwa in Schmuddelblättern, sondern zum Beispiel im Stellenanzeiger des «Tages-Anzeigers». Ich habe nicht wirklich Lust, mich nach den genauen Konditionen zu erkundigen, und lasse es bleiben.

Auch auf ein Inserat im «Tages-Anzeiger», das eine «Mama mit Power» für einen Nebenjob sucht, reagiere ich nicht. Am Telefon eine verschuldete junge Frau darstellen könnte ich noch, aber ein paar Kleinkinder vortäuschen wäre dann doch unpassend. Als Pizzakurier komme ich auch nicht in Frage. Eine grosse Pizzakette verspricht 18 bis 19 Franken pro Stunde. Zum Babysitten bin ich definitiv zu alt. Wie wärs mit Fitnessinstruktorin? Gemäss der etwas genervt wirkenden Geschäftsführerin einer Fitnesscenterkette verdient man zwischen 20 und 27 Franken, muss aber bereits ausgebildet sein. Das stand nicht im Inserat.

Im Internet finde ich weitere interessante oder zumindest amüsante Angebote, die sich allerdings weniger für einen dauerhaften Nebenverdienst eignen: Znüni-Verkaufs-Chauffeurin, Teilzeit-Musikmanager, (Velo-)Kurier, Plakateur, Hostess für Messen, Verkäuferin für die Weihnachtszeit, Garderobiere, Kolporteur, Single-Beraterin, Testkäuferin, Statist/in im Opernhaus Zürich – die Liste liesse sich beliebig fortsetzen. Meinen Nebenjob mit dem tollen Verdienst zu Hause und den flexiblen Arbeitszeiten habe ich an diesem Tag nicht gefunden.

Grosse Unterschiede beim Gehalt

Telefonmarketing: Die Gewerkschaft Syndicom ist für die Telekommunikationsbranche zuständig und führt auch Gesamtarbeitsverträge mit vielen Callcenter-Betreibern, darunter der Swisscom als grösstem. Gemäss Giorgio Pardini vom Zentralsekretariat sind die Callcenter-Agenten in der Schweiz relativ gut bezahlt, da meist Mehrsprachigkeit und auch Schweizerdeutsch verlangt werden. Teilpensen und Vollanstellungen seien möglich. Der Monatslohn betrage zirka 4000 Franken für 100 Prozent. Winkt eine Verkaufsprämie, sind die Fixlöhne erheblich tiefer. Die genannten Zahlen beruhen auf einer Studie, die von der Gewerkschaft Kommunikation und dem Soziologen Walter Schöni erstellt wurde, die allerdings schon zehn Jahre alt ist. Seitdem dürfte sich die Situation deutlich verschlechtert haben, meint Pardini. In der Branche gebe es natürlich auch schwarze Schafe. Solche Firmen beschäftigen beispielsweise ausschliesslich Studenten für rund 20 Franken Stundenlohn.

Zeitungsverträger: Schon bevor die Zuvo 2009 der Post verkauft wurde und nun Presto Presse-Vertriebs AG heisst, seien die Bedingungen härter geworden, sagt Fritz Gurtner, bei der Gewerkschaft Syndicom Sekretär für private und öffentliche Logistik. Ein Zeitungsverträger verdient je nach Wirtschaftsregion in der Deutschschweiz zwischen 16.80 und 18.50 Franken pro Stunde. Hinzu kommen 10 Prozent Zuschlag für den Arbeitsbeginn um 5 Uhr früh. Mit der Presto AG besteht seit 2010 ein GAV. Ob er 2013 erneuert wird, ist noch offen. Die Fluktuation bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist hoch, sie variiert zwischen 15 und 20 Prozent. In diesem Job können auch Randständige einen kleinen Verdienst erzielen. Davon leben können die allerwenigsten.

Putzbranche: Auch Angestellte von Reinigungsfirmen unterstehen seit 2004 einem GAV, sofern der Betrieb mindestens sechs Personen beschäftigt. Der Bundesrat hat diesen GAV in der Deutschschweiz für allgemeinverbindlich erklärt. Gemäss Rita Schiavi von der Gewerkschaft Unia gilt dieser GAV in der Deutschschweiz bis Ende 2015 und soll bis dahin noch ausgebaut werden. Der Mindestlohn für Unterhaltsreinigung beträgt 17.05 Franken, hinzu kommen Ferienanteil, 13. Monatslohn und Feiertage. Neben Mindestlöhnen und -sozialleistungen umfasst der GAV auch einen Weiterbildungsfonds zur Qualifizierung der Angestellten. Für Putzfrauen und Angestellte in Privathaushalten, die nicht bei einem Reinigungsinstitut beschäftigt sind, gilt seit dem 1.1.2011 der Normalarbeitsvertrag Hauswirtschaft (NAV Hauswirtschaft). Dieser sieht Löhne von 18.20 bis 22 Franken pro Stunde vor. Dieser NAV ist ebenfalls verbindlich.

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