«der arbeitsmarkt» 05/2006

Ins zweifache Abseits gestolpert

Schwierige Zeiten für den Fussballer und Kaufmann Giampietro Cicoria: Er ist gleich doppelt arbeitslos.

Was haben Fussball und das Betreibungsamt gemeinsam? Beide wollen der Gegenseite Beine machen. Trotzdem hatte Giampietro Cicoria bis heute noch nie das Gefühl, er lerne im Betreibungsamt in Littau eine Taktik, die ihm auf dem Spielfeld helfen könnte. Der 22-jährige Innerschweizer muss sich gleich in zwei sehr unterschiedlichen Berufen umschauen. Er ist doppelt arbeitslos: als Kaufmann und als Fussballer. Um ihm im «Sitzberuf» zu einer Tranche Erfahrung zu verhelfen, hat ihn seine RAV-Beraterin Karin Lewis in ein höchstens sechs Monate dauerndes
60-Prozent-Praktikum in den Luzerner Vorort Littau vermittelt. Was den «Laufberuf» betrifft, so hat dieser seine sehr eigenen Gesetze.
Die Mutter aus Avellino, der Vater aus Viterbo – Sohn Giampietro hat heisses Blut. Am Ball tobte er sich schon als 7-jähriger Knirps aus; macht 15 Jahre Praxis. «Ich habe beim FC Luzern eigentlich die ganze Leiter gemacht, und mit der U15» – also mit der Mannschaft der bis 15-Jährigen – «sind wir Schweizer Meister geworden.» Er sagt es fast verschämt, als wäre es ein Unfall gewesen. Er ist kein wilder Stürmer, eher ein Verhinderer. Er spielte als Junior meistens als Innenverteidiger, heute ist sein Platz in der rechten Verteidigung. Dort hinten schiesst man nicht sehr oft Tore, aber man kann dem Gegner mit schnellem Bein ganz schön das Handwerk legen. Nomen est omen: Cicoria heisst in Italien auch «Wegwarte» – den Weg zum Tor schafft nur, wer zuvor Giampietro «pflückt». Und der mag das gar nicht.
Die kaufmännische Berufsausbildung hat der junge Emmer in vier statt drei Jahren gemacht, samt den dazugehörenden Praxisblöcken in einer Lehrfirma. Die von «Freis Schulen» angebotene «Kaufmännische Berufsschule für Leistungssportler/innen» ist sehr geschätzt und beliebt unter Sportskanonen, bietet sie doch grosszügige Zeitlöcher an. Nur dank aufwändigem Training konnte Cicoria geschehen, wovon mancher Gleichaltrige träumt: Der FCL «kaufte» ihn, kaum hatte er seine Ausbildung fertig, für ein Jahr als Kicker. 25-mal wurde er in der Challenge League aufs Spielfeld geschickt. Der Lohn ist hier in der niederen Nationalliga – und für einen Neuling sowieso – recht bescheiden. Zweitausend Franken gab es im Monat. Das wäre gar nicht so schlecht, wenn man daneben noch einen 60-Prozent-Job hätte. Aber eben.
In die Zeit seines Engagement beim FCL fiel unglücklicherweise die 21-wöchige RS, die Cicoria bei der Fliegerabwehr auf dem Flugplatz Emmen antrat, praktisch vor der Haustür. So konnte er mehrmals pro Woche das klobige Armeeleder gegen die leichten Nockenschuhe auswechseln und in seinem Club trainieren. Bis dann die berühmtberüchtigte Verlegung kam. «Da habe ich viele Wochen nicht mehr richtig trainieren können.» Und so etwas rächt sich schnell. Es wurde der erste schmerzliche Karriereknick. Die Daumen der FCL-Verantwortlichen zeigten nach einem Jahr nach unten, es gab keinen neuen Vertrag. Cicoria wechselte zum FC Kickers Luzern, ein Stockwerk tiefer: 1.Liga. Hier gibt es keinen fixen Lohn, sondern Spesen und Prämien. «Sagen wir mal so: ein recht gutes Feriengeld ist es.» Weil die Mannschaft jedoch verblüffend gut spielt und bereits auf Platz zwei liegt, könnte eintreffen, womit Cicoria ganz stark rechnet: «dass wir in die Challenge League aufsteigen». Der Kreis wäre wieder geschlossen.
Gegen den Sommer hin wird das Treiben auf dem Fussballermarkt immer hitziger. Spieler wechseln die Farben ihrer Trikots, sie steigen die Ligen rauf und runter, sie gewinnen oder verlieren an Wert. Vielleicht wird Cicoria frisch ab Rasen weggekauft oder der Spielervermittler, der sich für ihn umschaut, findet das richtige Plätzchen. So oder so will sich der Secondo gleichzeitig auch in seinem Sitzberuf neu positionieren. Neben der AMM beim Betreibungsamt, die bald zu Ende geht, hat er einen Wochentag voll der Weiterbildung verschrieben. Er steckt in einem kaufmännischen Jahreskaderkurs, wo ein nützliches Diplom winkt. «Vom Fussball leben», sagt Cicoria, «kann man in der Schweiz eigentlich kaum, wer das möchte, muss ins Ausland. Höchstens vielleicht noch in Basel.» Halbprofis müssen sehr flexibel sein. E ci vuole un bel po’ di fortuna.
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