«der arbeitsmarkt» 12/2007

Immigrierte Mentorinnen für qualifizierte Migrantinnen

Das Projekt «Mentoring mit Migrantinnen» unterstützt Ausländerinnen im Raum Bern beim Einstieg in die Arbeitswelt. Warum es trotz Universitätsdiplom und guten Deutschkenntnissen keine Garantie für eine berufliche und soziale Integration gibt, erklären Theodora Leite Stampfli und Alicia Gamboa, Projektleiterinnen vom Christlichen Friedensdienst (cfd).

Frau Leite, Frau Gamboa, was wollen Sie mit dem Projekt «Mentoring mit Migrantinnen» erreichen?
Theodora Leite Stampfli: Wir wollen gut qualifizierte Migrantinnen unterstützen, berufliche Netzwerke zu bilden, um ihnen so die Integration in den Arbeitsmarkt zu erleichtern.
Alicia Gamboa: Und wir wollen auf die Situation der Migrantinnen als Arbeitnehmerinnen aufmerksam machen.

Wie funktioniert das Mentoring?
Gamboa: Es ist auf zwei Ebenen aktiv. Es besteht aus so genannten Duetten. Das sind eine Mentee und eine Mentorin.
Leite Stampfli: Die Mentee ist eine gut qualifizierte Migrantin mit einer Berufs- oder einer tertiären Ausbildung. Die Mentorin ist eine berufstätige Frau. Sie begleitet ihre Mentee und soll ihr mit ihren Beziehungen und Kontakten den Zugang zum ­Arbeitsmarkt erleichtern.

Ihre Mentees haben alle ein Universitätsdiplom und sprechen Deutsch. Warum haben sie dennoch Mühe, eine ihren Qualifikationen entsprechende Stelle zu finden?
Leite Stampfli: Es bestehen verschiedene, strukturelle Ausschlussmechanismen, die diskriminierend wirken und diese Frauen vom Arbeitsmarkt fernhalten. Ein grosses Problem ist zum Beispiel die Nicht­anerkennung ausländischer Diplo­me und Berufserfahrung. Oft sind die Qualifika­tionen veraltet und nicht mehr aktuell.
Gamboa: Wir raten den Mentees, in der Schweiz ein Nachdiplomstudium zu absolvieren. Denn so werden vorhandene Qualifika­tionen aufgefrischt und im Ausland erworbene Diplome auf dem Arbeitsmarkt besser anerkannt.

Im Integrationsbericht des Bundesamtes für Migration (BFM) steht, dass fehlende Sprachkenntnisse und mangelnde Bildung die Hauptprobleme bei der Integration von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz seien. Ihre Mentees sind alle sehr gut gebildet. Wie gut sind ihre Deutschkenntnisse?
Leite Stampfli: Wir verlangen von den Mentees, dass sie Deutsch verstehen und sprechen können. Es ist für uns selbstverständlich, dass für den beruflichen Ein- oder Aufstieg gute Deutschkenntnisse zwingend sind.
Gamboa: Wir haben festgestellt, dass die Sprache als Ausschlusskriterium missbraucht wird.
 
Was meinen Sie damit?
Gamboa: Die Sprachkenntnisse werden oft instrumentalisiert: Spricht eine Migrantin Deutsch, wird ihr erklärt, dass die Stelle, auf die sie sich bewirbt, leider Dialektkenntnisse verlangt. Versteht sie Dialekt, verlangt das Stellenprofil Französischkenntnisse. ­Diese Ausschlussmechanismen erleben wir immer wieder.

Sie wohnen und arbeiten beide seit über zehn Jahren in der Schweiz. Wie haben Sie Ihre eigene Integration erlebt?
Leite Stampfli: Am Anfang war es schwierig. Ich war primär die mit einem Schweizer verheiratete Brasilianerin. Mit dem Etikett «Migrantin» wird vielen Aus­länderinnen die klassische, traditionelle Rolle der Mutter und der Hausfrau zugesprochen. Ich war aber nicht daran gewöhnt, auf die Rolle der Hausfrau und der Mutter reduziert zu werden.
Gamboa: Ich erlebte den Integrationsprozess sehr ähnlich. Meine beiden Nachdiplomstudien in Kommunikation und in Management haben mir dabei geholfen. Sie haben mich intellektuell und sozial bereichert und mir Türen geöffnet. Die berufliche Integration ist unbedingt notwendig, um sich auch sozial zu integrieren.

Frau Leite Stampfli, haben Sie in der Schweiz auch ein Nachdiplomstudium absolviert?
Leite Stampfli: Ich habe in Brasilien Rechtswissenschaft und Geschichte studiert. Hier verspürte ich auch bald wieder Lust, zu studieren. Deshalb habe ich mich an der Universität in Freiburg für Germanistik eingeschrieben. Dieser Wiedereinstieg an der ­Universität half mir, ein eigenes Umfeld aufzubauen und Kontakte zu knüpfen. Durch das Studium in Freiburg erhielt ich das Gefühl, integriert zu sein.

Können Sie bereits ein Fazit zum Mentoring-Projekt ziehen?
Gamboa: Das Projekt lief bis Ende November. Im Moment eva­luieren wir noch die Berichte. Mit dem bisherigen Verlauf sind wir aber sehr zufrieden.
Leite Stampfli: Bis jetzt haben vier Frauen eine Stelle gefunden. Eine Kommunikationswissenschafterin aus Argentinien erhielt eine Praktikumsstelle in der Öffentlichkeitsarbeit, eine Soziologin aus Polen arbeitet in Zürich als Soziologin, eine Informatikerin aus Peru hat bereits seit drei Monaten eine Stelle in der IT-Branche. Und in diesen Tagen haben wir erfahren, dass eine aus Brasilien stammende Psychologin ebenfalls eine für sie passende Stelle gefunden hat.

Wie geht es weiter?
Leite Stampfli: Das Echo war bisher sehr gross. Wir mussten sogar eine Warteliste mit Mentorinnen und Mentees erstellen, obwohl das Projekt eigentlich als Pilotprojekt geplant ist. Das stimmt uns zuversichtlich. Der Wille und das Engagement, sich für unsere Anliegen einzusetzen, sind vorhanden.
Gamboa: Wir möchten mit unserem Projekt vor allem Arbeit­geber und Institutionen sensibilisieren, dass es, entgegen vielen Vorurteilen, sehr viele gut qualifizierte Migrantinnen auf dem Arbeitsmarkt gibt. Es ist eine Tatsache, dass in der Schweiz der Anteil der Frauen mit akademischem Abschluss unter Ausländerinnen höher ist als unter Schweizerinnen. Dieses brachliegende Potenzial gilt es besser zu nutzen.

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