«der arbeitsmarkt» 01/2007

«Ich will zurück zur Zeltwerkstatt»

Abbau bei den Programmplätzen um 25 Prozent, Zertifizierung und öffentliche Ausschreibung: Die Programmanbieter im Kanton Zürich erleben derzeit bewegte Zeiten. Verantwortlich für den Umbruch ist Edith Gitermann, Leiterin der Abteilung Qualifizierung für Stellensuchende (QuS). Im Gespräch mit dem «arbeitsmarkt» verrät sie, was andere Kantone von Zürich lernen könnten – und Zürich vom Rest der Schweiz.

der arbeitsmarkt: Frau Gitermann, Sie zitieren in Ihrer Neujahrskarte das Bonmot: «Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird. Wenn es aber besser werden soll, muss es anders werden.» Was muss in Ihrem Bereich anders werden?
Edith Gitermann: Wir verfügen über immer knappere Mittel, die ALV schreibt dunkelrote Zahlen. Allein schon deshalb muss es zu Veränderungen kommen. Ich bin aber auch der Meinung, dass wir bei der Wiedereingliederung noch nicht so weit sind, wie wir sein könnten.

An wen richtet sich diese Kritik?
Sie richtet sich an uns alle, also an die RAV, die Programmanbieter und an die Abteilung Qualifizierung für Stellensuchende (QuS). Schliesslich haben wir auch alle denselben gesetzlichen Auftrag, nämlich die rasche Wiedereingliederung der arbeitslos gemeldeten Personen. Das ist keine leichte Aufgabe, ein enges Korsett für uns alle, aber ein Korsett kann auch Halt geben.

Beginnen wir bei der QuS. Was muss in Ihrer eigenen Abteilung anders werden?
Durch zusätzliche Aufgaben wie die Abwicklung des Einspracheverfahrens und die öffentlichen Ausschreibungen sind wir noch mehr gefordert, unsere Ressourcen richtig und zweckmässig einzusetzen. Zudem ist das interne Dienstleistungsverständnis gegenüber den RAV ein Thema, das uns immer wieder beschäftigt.

Was könnte auf Ebene der RAV verbessert werden?
Grundsätzlich halte ich den Begriff Regionale Arbeitsvermittlungszentren für falsch. Er weckt bei Stellensuchenden Erwartungen, die gar nie erfüllt werden können, weil wir nicht in der Lage sind, in grossem Stil Arbeit zu vermitteln. Wichtig wäre es stattdessen, dem Stellensuchenden unseren Auftrag klarzumachen, eben die rasche Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Zudem sehe ich bei der Beratung nach wie vor Möglichkeiten, besser zu werden.

Wie denn?
Der Versicherte steht im Zentrum unserer Arbeit; ihm sollte noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Wenn ein Personalberatender zum Beispiel bemerkt, dass ein Stellenloser in einer Motivationskrise steckt, kann er diesen ja auch jede Woche kommen lassen statt nur einmal im Monat. Wir müssen individuell betreuen und aktiv Hilfe zur Selbsthilfe bieten.

Bleiben die Anbieter. Was machen diese falsch?
Wir haben im Kanton Zürich derzeit etwa hundert Programmanbieter, und ich bin mir nicht sicher, ob wirklich alle verstanden haben, dass die rasche Wiedereingliederung für alle von Vorteil ist. Ich weiss, dass für manche Programmteilnehmende auch die Tagesstruktur wichtig ist, und Weiterbildung ist immer nützlich. Aber die rasche Wiedereingliederung geht nun einmal vor.

Auch «der arbeitsmarkt» ist ein auf sechs Monate angelegtes, qualifizierendes Programm, und wir sind der
Meinung, dass solche Prozesse ihre Zeit benötigen, wenn sie nachhaltig wirken sollen.
Ich denke, Höherqualifizierte benötigen generell etwas mehr Zeit, gerade wenn sie sich neu orientieren müssen. Trotzdem finde ich es problematisch, wenn der Druck, eine Stelle zu suchen und zu finden, nicht aufrechterhalten wird. Ich habe nicht den Anspruch, dass alle Programmteilnehmenden bereits nach zwei Dritteln des Programms wieder vermittelt werden sollten. Aber ich erwarte, dass in den Programmen das Thema der raschen Integration stets an erster Stelle kommt.

Die Arbeitslosigkeit sinkt auch im Kanton Zürich, und Sie werden in Zukunft wohl weniger als die derzeit jährlich rund 100 Millionen Franken für Kurse und Programme zur Verfügung haben. Eine erste Massnahme verfügten Sie bereits im vergangenen Jahr: Alle kantonalen Anbieter mussten auf Anfang 2007 ihre Programmplätze um 25 Prozent kürzen. Das löste Verunsicherung und Unmut aus. Wie ist die Umstellung aus Ihrer Sicht verlaufen?
Zuerst dies: Wir hatten letztes Jahr bei den Stellensuchenden einen Rückgang um 20 Prozent. Die Kürzung bei den Programmplätzen ist also berechtigt. Selbstverständlich war es ein schmerzhafter Prozess, es mussten sich einige Programme von Teilbereichen trennen, einige Leute waren gezwungen, sich beruflich neu zu orientieren. Doch nach der ersten Aufregung hat sich das beruhigt, man fand da und dort phantasievolle und solidarische Lösungen.

Das nennt sich prosaisch Stellenabbau.
Dass ein Programm eine sinnvolle Sache ist und dass es weh tut, hier Abstriche zu machen, ziehe ich nicht in Zweifel. Allerdings erwarte ich von einer Organisation beziehungsweise deren Geschäftsleitung die Einsicht, dass es in der Wirtschaft nicht nur Zeiten des Wachstums gibt, sondern auch solche des Abbaus. Diese gilt es zu meistern.

Zu reden gab ja vor allem die lineare Kürzung. Finden Sie das auch heute noch gerechtfertigt?
Ja. Ich stehe zur Programmvielfalt im Kanton Zürich und will nicht, dass einzelne Versichertengruppen benachteiligt werden.

Nun läuft ja in diesem Jahr auch die gesetzlich vorgeschriebene Ausschreibung für das Jahr 2008. Wird es im Feld der Programmanbieter zu einem Kahlschlag kommen?
Nein. Es ist unsere dritte Ausschreibung nach den Vorgaben der WTO, und sie wird uns wie schon die ersten zwei die Chance bieten, gewisse Strukturbereinigungen vorzunehmen, die auch den Personalberatenden die Orientierung wieder einfacher machen.

Was heisst das konkret?
Der PB will eine klare Antwort auf die Frage: Für welche Zielgruppen gibt es welche Angebote? Die Programme und Kurse entwickeln sich ja, erweitern ihr Angebot, verlängern die Kurszeiten. So sind einige
von ihnen im Laufe der Zeit gleichsam zu Schlössern geworden mit immer neuen Anbauten, immer noch mehr Türmchen. Ich dagegen möchte zurück zur Zeltwerkstatt. Zelte baut man rasch auf und rasch wieder ab, um sie an einem anderen Ort eventuell wieder aufzustellen. Dies ist die Flexibilität, die es heute braucht. Wenn wir aber Schlösser bauen, sind wir zu träge.

Im letzten Jahr sind zwei zürcherische Programme zu nationalen Programmen mutiert, neben ONLINELABOR auch innovation.tank, das von Ihrem Mann geleitet wird. Damit hat sich der vor einigen Jahren in der Presse geäusserte Verdacht auf Begünstigung erledigt. Sind Sie erleichtert?
Ja, eindeutig. innovation.tank hatte im Kanton Zürich unter diesen Bedingungen keine Zukunft mehr.

Ist es ein Trend, dass immer mehr Programme für Hochqualifizierte zum Bund abwandern?
Die Anzahl Hochqualifizierter ist unter den Stellensuchenden immer gering. Deshalb sind die Kantone praktisch gezwungen, sich für diese Versichertengruppe in irgendeiner Form zusammenzuschliessen. Ich wünschte mir allerdings, dass wir, also die Kantone, diese Programme auch selber zahlen.

Sie wünschen sich mehr Kontrolle?
Darum geht es nicht. Das SECO wird nicht unendlich lange nationale Programme aufbauen können. Irgendwann wird es die Finanzierung auf die Kantone überwälzen müssen. In dieser Hinsicht sind für mich die nationalen Massnahmen ein aussterbendes Modell.

Sie verfügen über Insiderwissen?
Nein. Ich habe keinen Hinweis, und es gibt diesbezüglich auch keine Vernehmlassung. Aber nach meinem betriebswirtschaftlichen Denken kann ein nationales Programm, das sechs Monate läuft, einfach nicht gratis sein für den Kanton, der einen Stellensuchenden dorthin schickt.

Wir stellen immer wieder fest, dass nationale Programme vielen Personalberatenden nur ungenügend bekannt sind.
Das ist tatsächlich so. Das Angebot an nationalen Programmen wird nicht überall gleich gut kommuniziert, ist auch uneinheitlich geregelt, und das ist aus Sicht der Stellensuchenden nicht fair.

Es herrscht ja auch oft Unklarheit darüber, wie Beschäftigungsprogramme für sich selbst werben dürfen. Sie vertreten diesbezüglich ja eine harte Linie.
Die Frage ist: Bei wem wollen Sie werben? Sie können es nur bei den Personalberatenden tun, und in dieser Hinsicht existieren gesetzlich klare Rahmenbedingungen. Wenn Sie dagegen direkt auf den Stellensuchenden zugehen wollen, behindern Sie den Beratungsprozess zwischen dem Versicherten und seinem Berater. Es kann ja nicht sein, dass der Versicherte zur Einstellung gelangt: Ich bin stellenlos, arbeitslos gemeldet und nutze diese Zeit mit einer Ausbildung, die mir auch noch gefallen würde. Es geht in Beschäftigungsprogrammen punkto Ausbildung einzig um eine Qualifizierung, die Stellensuchende in den Arbeitsmarkt zurückführen hilft, und da sind die Auffassungen von Personalberatenden und ihren Klienten halt nicht immer deckungsgleich.

Sie sind also dagegen, dass ein Stellensuchender zum PB kommt und sagt: Dieses oder jenes Programm würde mich interessieren?
Nein. In allen unseren RAV liegt die ganze Palette an Angeboten auf und wird einheitlich präsentiert. Mein Ziel ist, dass die rund 30000 Stellensuchenden überall die genau gleichen Informationen und Werbeunterlagen erhalten.

Dürfen Personalberatende in ein Programm eingeladen werden oder ist das bereits eine unzulässige Beeinflussung?
Sie dürfen es – aber wir möchten zuvor benachrichtigt werden und dabei sein, wenn über allfällige Probleme gesprochen wird.

Es gibt Anbieter, die in Tageszeitungen inserieren. Erlaubt?
Grundsätzlich ja, aber ich frage mich: Sind das anrechenbare Kosten?

Sind sie es?
Ich meine nein. Wir haben soeben ein achtzehnseitiges Werk mit dem Titel «Finanzweisungen für Beschäftigungsmassnahmen» herausgegeben. Darin ist genau beschrieben, was wir tolerieren und was nicht. Es geschieht in gegenseitigem Interesse. Der Anbieter weiss nun, was er budgetieren und in Rechnung stellen darf, und wir müssen nicht erst aufgrund der Schlussabrechnung sagen: So war das nicht gemeint.

Ist dieses Reglement eine Folge der gravierenden finanziellen Unregelmässigkeiten bei der «Bauteilbörse», die auch gerichtlich ein Nachspiel haben werden?
Ja, die finanziellen Unregelmässigkeiten bei der Bauteilbörse waren mit ein Grund. Ebenso wollen wir aber dem Umstand Rechnung tragen, dass uns das SECO in den letzten Jahren und insbesondere mit dem neuen Finanzierungsmodell für arbeitsmarktliche Massnahmen Verantwortungen übertragen hat.

Worauf sind Sie als Abteilungsleiterin der zürcherischen QuS stolz?
Aufgrund unserer Grösse können wir eine Programmvielfalt anbieten, wie es andere nicht können, und an dieser Vielfalt wollen wir auch festhalten. Zudem bin ich stolz, dass wir zusammen mit den Programmen das Zertifizierungsmodell SVOAM auf die Beine stellen konnten.

Was könnte Zürich von anderen lernen?
Ich weiss, dass es in einigen Kantonen Abklärungsmodule gibt, die zur Anwendung kommen, bevor man Leute in ein Beschäftigungsprogramm schickt. Dabei geht es um Fragen der Motivation, der körperlichen und psychischen Gesundheit oder das soziale Umfeld des Versicherten. Diese Auslegeordnung kann bei der Programmzuteilung zu einer höheren Trefferquote verhelfen, und das macht auch aus finanziellen Überlegungen Sinn.

Wie wird der zweite Arbeitsmarkt in zehn Jahren aussehen?
Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass der zweite Arbeitsmarkt hierzulande wachsen wird – nicht zuletzt deshalb, weil die Sockelarbeitslosigkeit weiter steigt. Aber er wird gegenüber dem ersten Arbeitsmarkt viel durchlässiger sein. Gefragt sind neue Modelle wie etwa die Teillohnjobs, das heisst Angebote, die von Stellensuchenden, Langzeitarbeitslosen und ausgesteuerten Personen genutzt werden können. Ich
denke da an all jene, die nicht mehr zu hundert, aber vielleicht zu vierzig Prozent in den Markt integriert werden können, für die es aber dennoch darum geht, würdevoll leben zu können, ohne in unnötige
Abhängigkeit von der Sozialhilfe zu geraten.

Damit rückte für die Programmanbieter, sollte es sie in dieser Form noch geben, die Forderung nach rascher Wiedereingliederung in den Hintergrund.
Das ist richtig. Die Aufgabe bestünde für die Programmanbieter nicht mehr ausschliesslich in der raschen, sondern auch in der nachhaltigen Wiedereingliederung. Ich bin überzeugt, dass Beschäftigungsprogramme sinnvolle und gute Lösungen für verschiedene Fragestellungen bieten können. Darum werden sie auch in Zukunft von Bedeutung sein.

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