«der arbeitsmarkt» 06/2006

Go east

Osteuropa Die Weltwirtschaft entdeckt die Ukraine. Seit der «orangen Revolution» werden dort Bürokratie und Willkür abgebaut. Auch mehr und mehr Schweizer Firmen mischen im ehemaligen «wilden Osten» mit.

Mit der «orangen Revolution» ist die in der Vergangenheit immer wieder besetzte und ausgebeutete Ukraine dem Wirtschaftsraum Europa wesentlich näher gerückt. Das manifestierte sich sehr bald auch im Engagement ausländischer Investoren aus aller Herren Ländern – darunter auch der Schweizer Firma Eurogold Service Zumbühl & Co.
Die Personengesellschaft, eine Handelsagentur, hatte seit ihrer Gründung 1995 über mehrere Jahre Vertretungen von italienischen Fabrikanten für international angesiedelte Grossabnehmer wie Lidl oder Aldi inne. Die italienische Ware – Bügelbretter, Klapptritte, Pfannen und andere Haushaltartikel – wurde seit Jahren von Familienbetrieben produziert und dann vorwiegend auf europäischen Märkten verkauft. Im Jahr 2000 waren diese Hersteller für Bügeltische jedoch nicht mehr in der Lage, sich der Entwicklung am Weltmarkt anzupassen. Gemeinsam mit den langjährig angestellten Handelsagenten suchte das Management der Eurogold Service deshalb nach Lösungen.

Mit Vorurteilen aufräumen und Grenzen überwinden

Es wurden Hersteller in China besucht, Kooperationen in Italien besprochen und Wege in Osteuropa gesucht, aber die Pläne scheiterten an engen familiären Strukturen und den Managementproblemen von Kleinbetrieben. Als «self-defense»-Projekt war zuletzt eine gemeinsame Produktion in der Ukraine geplant, doch die anfangs positiv eingestellten italienischen Hersteller zogen sich nach negativen Informationen über die Ukraine zurück. Das Risiko schien ihnen zu hoch.
Um nicht sämtliche Kunden an chinesische Produzenten zu verlieren, beschloss die Eurogold Service, auf eigene Faust eine Produktion in der Ukraine aufzubauen. In der Stadt Zhytomyr fand man den geeigneten Standort und baute das notwendige Beziehungsnetz aus. Da die ukrainische Seite ein Entgegenkommen bekundet hatte, entschlossen sich die vier Männer zu raschem Handeln. Die 17000 Quadratmeter grosse künftige Produktionshalle wurde in kürzester Zeit instand gesetzt. Anschliessend siedelte man sämtliche Produktionsmaschinen und Fabrikanlagen von Norditalien nach Zhytomyr um. 620 Menschen fanden dort einen Job. Im August 2003, nur zehn Monate nach dem Spatenstich, verliessen die ersten Klapptritte die neue Fabrik.
«Als der erste Lastwagen mit unserem Produkt Richtung Westen aufbrach, haben wir und die ganze Fabrikmannschaft uns vor Freude regelrecht betrunken», erinnert sich der CFO der Eurogold Service, Reto Oldani.
Gab es auch Probleme? «Wo gibt es die nicht?», antwortet Oldani. «Gewiss, bevor wir die Produktion in die Ukraine verlagerten, hatten wir eine Art dumpfen Respekt in Bezug auf die kolportierten Horrorgeschichten aus dem ‹wilden Osten› – Mafiamethoden, Oligarchen, Erpresser und dergleichen. Und als wir die ersten Schritte auf dem ukrainischen Boden gemacht hatten, erhielten wir einen Vorgeschmack dessen, was uns bevorstand. Die Lastwagenkolonne, welche 2002 unsere Fabrikmaschinen aus Italien in die Ukraine transportierte, wurde an der Grenze unter irgendeinem Vorwand mehrere Tage zurückgehalten, weil die ukrainischen Zöllner Schmiergeld erpressen wollten. Aber wir haben eben unsere Devise: Wir zahlen kein Schmiergeld! Die Eurogold Service blieb beharrlich und in den folgenden Monaten  konnten die Standzeiten der LKW wesentlich verkürzt werden, bis sie dann endlich ganz wegfielen.»

Soziales Engagement statt Schmiergelder

Die Erzählungen von grenzenloser Kriminalität und Chaos im Osten sind allerdings stark übertrieben. Gerade in der Ukraine bessert sich die Lage nach der «orangen Revolution» zusehends. Dies konnte die Eurogold Service auch in Zusammenarbeit mit den Behörden feststellen. Vieles wird in der Ukraine einfacher. Es gibt weniger Bürokratie, Missverständnisse oder unbegründete Willkür. Dabei ist der Lernprozess wechselseitig. Die Behörden wissen die Leistungen und Innovationen der Schweizer Firma zu schätzen. Denn nicht nur die Steuer wird an den ukrainischen Staat entrichtet. Das Unternehmen mischt tatkräftig im sozialen Bereich der Region mit. Statt Schmiergelder an die dubiosen Personen zu zahlen, werden offizielle Hilfswerke und sozial Schwache unterstützt. Nicht genug des Guten – zwei Arbeitsstellen bei dem Zhytomer Werk sind vollamtlich damit beschäftigt, für die Hilfsorganisation «Kinder der Strasse» tätig zu sein. Tausende von Waisen und heimatlosen Kindern bevölkern die Städte und Dörfer der verarmten Landesteile. Ihnen zu helfen, sie vor unbeschreiblicher Not zu retten, sei auch eine moralische Aufgabe, meint Reto Oldani. 
Die Zukunft der jungen schweiz-ukrainischen Fabrik sieht gut aus – zu gut in den Augen der Konkurrenz, welche sie wegen vermeintlicher Dumping-Preise mittels EU-Sanktionen zu verhindern sucht. Ob das gelingt? Die Eurogold Service will ihre ukrainischen Kapazitäten sukzessive steigern. Bis Ende 2007 werden weitere 65 Millionen Griwna (CHF 3903000) investiert, das Fabrikareal um 15000 Quadratmeter vergrössert und das Personal um 300 neue Arbeitsplätze aufgestockt.
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