«der arbeitsmarkt» 10/2005

Glaubwürdig und charmant – die seriöse Sterndeuterin

Ihre Mutter riet ihr zu einem reichen Mann oder einem guten Beruf. Sie selbst wollte nur eines:
Unabhängigkeit. Die Astrologin Monica Kissling berät heute nicht nur Privatkunden, sondern auch Manager von Grossfirmen.

«Ich kann Ihnen maximal eine Stunde geben.» Monica Kissling, neben Elisabeth Tessier die bekannteste
Astrologin der Schweiz, steht unter Zeitdruck. Sie liege mit ihrem Buch «Madame Etoile’s Sternenküche», einem Œuvre über die kulinarischen Vorlieben der verschiedenen Sternzeichen, arg im Verzug. Ausserdem will
sie unbedingt in die Ferien.
Monica Kissling betreibt seit 1985 in Zürich ihre astrologisch-psychologische Gemeinschaftspraxis, die «Impuls Beratung» (www.madameetoile.ch). Menschen in Lebenskrisen fragen sie um Rat. Aber auch günstige Termine für Vertragsunterzeichnungen, Hochzeiten, Operationen oder Reisen mit dem Flugzeug kann man von Madame Etoile in Erfahrung bringen. Der Name wurde für ihre Sendung bei Radio DRS 3 geboren. «Ich fand ihn zu Beginn daneben.» Mittlerweile könne sie aber damit leben, er sei ihr Markenzeichen geworden.

Weder Kristallkugel noch Henna im Haar

Kissling wirbelt durch die Praxis – «Sie müssen entschuldigen, ich war einige Tage nicht mehr hier» – giesst leicht verlegen die halb verdorrten Zimmerpflanzen und reisst die Fenster auf. Allerdings nicht, um den Duft
abgebrannter Räucherstäbchen aus dem Sitzungszimmer zu bringen. Wer hier eine esoterisch angehauchte Atmosphäre mit entsprechendem Interieur erwartet, sieht sich enttäuscht. Es hängen keine indischen Tücher und nirgends ist eine Kristallkugel auszumachen. Rote Sofas, zwei Bücherregale, Ausgaben der Zeitschrift
«Psychologie heute» liegen auf dem Tisch in einem der Beratungszimmer. Monica Kissling ist elegant, aber schlicht gekleidet; nicht an jedem Finger Ringe, kein Henna im Haar. Auch umgibt sie keine geheimnisvolle
Aura. Im Gegenteil, sie wirkt wie jemand, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht, sie spricht direkt und einfach. «Länger als eine Stunde geht aber wirklich nicht», meint sie freundlich, aber bestimmt und blickt auf die Uhr.
Wie kam sie zur Astrologie? Gab es da eine Initialzündung, die sie bewog, Sterndeuterin zu werden? Nein, sie habe aus purer Neugier 1979 einen Abendkurs belegt und seither lasse sie die Faszination für die Sterndeutung nicht mehr los. Der eigentliche Antrieb sei ihre Neugier, ihr Forscherdrang. Die Astrologie biete ihr die Möglichkeit, hinter die Kulissen zu blicken – Dinge zu erkennen, die man halt sonst nicht wahrnehme. Zudem sei das Thema enorm komplex. «Man hat in der Astrologie nie, aber gar nie ausgelernt!»

«Revoluzzerin» aus Familientradition

Ihre Ausbildung absolvierte Monica Kissling beim API (Astrologisch-Psychologisches Institut) in Adliswil, die einzige Schule, die es Anfang der Achtzigerjahre in diesem Bereich gab. Bereits 1985 eröffnete sie ihre Praxis. «Davon kannst du doch niemals leben», tönte es aus ihrem Umfeld. Doch Kissling, die ursprünglich in der Werbebranche tätig war, liess sich nicht beirren. Sie habe immer das gemacht, was sie wollte, und sei mit
einem gesunden Selbstvertrauen ausgerüstet. Ihre Eltern waren geschieden, sie wuchs bei ihrer Mutter auf. Auch Monica Kissling ist alleinerziehend. Die zwölfjährige Tochter Leandra sitzt während des Gesprächs im Wartezimmer und schmökert in einem Buch. «Aber schreiben Sie das mit der alleinerziehenden Mutter nicht.» In einem Interview wurde sie nämlich gefragt, was sie wolle, hätte sie einen Wunsch frei. «Einen Koch», war ihre Antwort. Darauf wurde sie mit E-Mails und Telefonen von kochwütigen Männern geradezu bombardiert.
Von ihrer Mutter bekam sie den Rat: «Entweder hast du einen guten Beruf oder einen reichen Mann.» Da ihr die persönliche Freiheit über alles gehe, sei für sie klar gewesen, dass nur das Erstere in Frage komme, meint sie lachend. Das liege überhaupt in der Familie, die Kissling-Frauen seien immer «Revoluzzerinnen» gewesen. Wenn sie nicht Astrologin geworden wäre, hätte sie irgendetwas anderes gemacht, Hauptsache selbständig. Aber es sei hart gewesen. Sie habe wie «blöd» gearbeitet und musste die ersten Jahre «untendurch».
Neben ihrer Beratertätigkeit schrieb sie ausführliche Wochen- und Jahreshoroskope für alle möglichen
Printmedien. Dann, 1990, hatte sie eine «Vision», wie sie schmunzelnd meint: eine astrologische Wochenprognose, «präsentiert wie ein Wetterbericht». Sie produzierte Tapes und schickte sie an verschiedene Radiostationen. Es hagelte Absagen, aber schliesslich liess sich Radio DRS 3 auf das Experiment ein. Im Januar 1991 ging Kissling als Madame Etoile erstmals auf Sendung.
Steht beruflich oder privat eine Krise ins Haus, soll man aktiv werden oder in Deckung gehen? Jeweils am Montag- und Samstagmorgen deutet Madame Etoile für die Hörerinnen und Hörer die Sterne und liefert quasi
einen astrologischen Wetterbericht ins Haus. Es ist bekannt, dass ihre Fangemeinde sich ihren Prognosen entsprechend auf die Woche einstellt. Sie sei tatsächlich so etwas wie eine Institution geworden, heisst es im Umfeld von DRS 3. Ihre Sendung hat Kultcharakter und ist im kurzlebigen Medienzeitalter ein wahrer Dauerbrenner. Monica Kissling meint, sie sei selbst vom Erfolg überrascht worden, und sagt das ohne Koketterie.

Podiumsdiskussion mit Unternehmern

Sie lacht viel, wirkt herzlich und ungemein vertrauens-erweckend. Man sieht sich automatisch geneigt, ihr
sein Leid zu klagen und von ihr eine günstige Zukunftsprognose zu erhaschen. Wann kommen Menschen zu ihr in die Beratung? Immer, wenn Veränderungen ins Spiel kommen, meint sie. Wenn eine Kündigung drohe oder eine neue Liebe vor der Tür stehe. Dabei «prophezeie» sie nichts, ihr Arbeitsgerät ist der Computer, die Astrologie sei keine Wahrsagerei, sondern ermögliche einen tieferen Einblick in die aktuelle Lebenssituation. «Meistens bestätige ich den Leuten nur, was sie bereits spüren»,
erklärt sie. Die Astrologin argumentiert plausibel und eloquent, sie missioniert nicht.
Wie reagiert sie auf Kritiker, welche in schöner Regelmässigkeit versuchen, die Astrologie als Humbug zu entlarven? Auf diese Frage reagiert sie mit einer abweisenden Handbewegung und meint nur, dass ihr die Zeit zu knapp sei, sich darüber aufzuregen. Zudem sei die Akzeptanz in den letzten Jahren enorm gestiegen. Das sehe man auch daran, dass sie schliesslich keine Woll- und Sockenläden berate.
Tatsächlich: Monica Kissling ist in. Manager suchen sie in ihrer Praxis auf und lassen sich aus den Sternenkonstellationen Anhaltspunkte für anstehende Geschäftsentscheide geben. Sie hält Vorträge an Schulen und erstellt Horoskope bei der Eröffnung eines neuen Shopping-Centers oder der Präsentation eines neuen Mercedes-Typs. Und im Herbst wird sie an einer Podiumsdiskussion teilnehmen, welche die Zukunft
eines grossen Unternehmens zum Thema haben wird. Gesprächsteilnehmer sind Grössen aus Wirtschaft und Politik sowie die Astrologin, die eine Prognose aus Sicht der Sterne stellen wird. Wie fühlt sie sich, wenn sie
zusammen mit Vertretern von Avenir Suisse, des Think Tanks der Schweizer Wirtschaft, referiert? «Klar, für manche bin ich einfach die Exotin.» Aber die Astrologie werde salonfähig und sie werde – mit wenigen Aus-
nahmen – an solchen Anlässen respektiert.

Hört die NASA mit?
Als Monica Kissling Mitte der Achtzigerjahre begann, sei es unvorstellbar gewesen, dass sie für einen derartigen Anlass überhaupt eingeladen worden wäre. Was sind die Gründe für den Wandel? Es sei halt schon so, dass Zeiten allgemeiner wirtschaftlicher oder politischer Verunsicherung ihr Metier begünstigen, meint sie. Heute sei man zudem einfach «offener». Vorbei die Zeiten, in
denen sie in Sendungen wie dem «Zyschtigs-Club» zum Teil heftig angegriffen wurde. Stattdesssen nimmt sie mit dem Referat «Erfolg hat, wer die Zeichen der Zeit erkennt – Trends im Spiegel der Sterne» an der Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für Marketing teil. Sie referiert beim Rotary-Club, lokalen Industrie- und Arbeitgeberverbänden oder an Tagungen des internationalen Business Forums der Wirtschaftsfrauen Schweiz. In kleineren Firmen berät sie oft ganze Teams, erteilt quasi eine astrologische Supervision. Mittlere und obere Kader-leute wiederum lassen sich günstige Termine für neue Projekte und Firmengründungen geben. Einer ihrer langjährigen Kunden, ein Bündner Hotelier, bestätigt, bei wichtigen Terminen zuerst ihren Rat einzuholen. Und das ist noch längst nicht alles: Kissling wurde sogar schon von Personalverantwortlichen grosser Banken
bei Einstellungsentscheiden um ein astrologisches Gutachten für den jeweiligen Bewerber zu Rate gezogen.
Die Liste ihrer Auftritte liesse sich beliebig verlängern.
So vergeht die Zeit im Nu, die Stunde ist um. Doch wir begegnen der viel beschäftigten Astrologin noch ein zweites Mal. Montagmorgen, Monica Kissling fährt kurz vor halb zehn vor dem Radiostudio Zürich vor. Um 9.40 Uhr bereits beginnt die wöchentliche Live-Sendung auf DRS 3. Sie verpasse nie einen Termin, meint sie, erscheine jedoch immer erst im letzten Moment. Im Studio empfängt sie der Moderator und will gleich wissen, was die Sterne für die kommende Woche meinen. Es sehe nicht gut aus, meint Kissling lachend. Wir schiessen Fotos von ihr, sie macht uns darauf aufmerksam, dass es der Programmdirektor sei, der jetzt gerade durch die Fensterfront schaue, und wirkt dabei leicht nervös. Punkt 9.40 Uhr, wie jeden Montag seit 14 Jahren, heisst es: «Madame Etoile schaut in die Sterne.» Kissling wirkt sehr ernsthaft, berichtet von konfliktbeladenen Sternenkonstellationen, Angriffen am Arbeitsplatz und abrupt auftauchenden Altlasten in der Liebe. Auch wenn man nicht an Astrologie glaubt – diese Astrologin hat eine überzeugende Art und wirkt extrem seriös. Und wieder ist da ihre vertrauenswürdige Art: Man ertappt sich unweigerlich dabei, ihr zu glauben, dass die kommende Woche miserabel wird.
In den Gängen und in der Kantine von Radio DRS 3 wird sie erkannt und angesprochen – sie scheint tatsächlich eine Institution zu sein. Eine langjährige Moderatorin meint, viele Leute im Hause hörten sich die Sendung regelmässig an. Sie selber stehe der Astrologie skeptisch gegenüber, aber viele der Aussagen von Kissling, das Weltgeschehen betreffend, hätten sich bewahrheitet.
Da muss was dran sein: Monica Kissling, die von sich sagt, sie informiere sich rund um die Uhr, um die
Geschehnisse in einen astrologischen Bezug zu stellen, meint, sie würde sich wundern, sollte die Landung der Raumfähre Discovery tatsächlich wie geplant an diesem Montag über die Bühne gehen. Die Sternenkonstellation sei nicht günstig; der Dienstag dagegen wäre ideal. Die NASA muss mitgehört haben. Die Landung wird auf den Dienstag verschoben – und verläuft reibungslos.

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