«der arbeitsmarkt» 12/2014TEXT: Nicola MohlerFOTO: Simone Gloor
Islamisches Banking

Geld verwalten im Namen Allahs

Muslime, die ihre Finanzen nach islamischem Recht verwalten, nutzen das islamische Banking. Auf diesem Terrain arbeitet der Banker Fares Mourad – weniger aus religiöser Überzeugung, als aus dem Selbstverständnis heraus, ein Brückenbauer zwischen dem islamischen und dem herkömmlichen westlichen Finanzsystem zu sein.

«An Heiligabend lasen mein Vater und ich abwechselnd die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel und aus dem Koran vor.» Fares Mourad trägt zwei Kulturen in sich: die muslimisch-arabische und die christlich-europäische. Als Kind eines Damaszeners und einer Berlinerin war es für ihn selbstverständlich, beide Kulturen zu leben. In ihrem Haus in Damaskus war der geschmückte Weihnachtsbaum so normal wie die Feierlichkeiten zum Ende des Fastenmonats Ramadan.

Heute liest Fares Mourad mit seinen Kindern beide Weihnachtsgeschichten. Inzwischen lebt der 51-Jährige aber nicht mehr in der syrischen Hauptstadt, sondern in Zürich. Vor 15 Jahren zog der grossgewachsene Mann in die Schweiz. Damals realisierte er, dass sich sein bisheriger Werdegang zwischen Ost und West bewegt hatte: Kindheit in Syrien, Wirtschaftsstudium in Jordanien, erste Berufserfahrungen in Deutschland und Luxemburg. «Bis dahin schlug ich unbewusst eine Brücke zwischen zwei Kulturen, zwischen zwei Religionen», sagt Fares Mourad.

Jetzt wollte er auch beruflich die Rolle ausüben, in die er hineingeboren worden war. Er nimmt sein Schicksal in die Hände und arbeitet seit 2000 als Mittler zwischen Okzident und Orient – zwischen dem herkömmlichen westlichen und dem islamischen Finanzsystem.

Bezug zur Realwirtschaft

Fares Mourad unterstützt unter anderem strenggläubige Muslime, ihre finanziellen Angelegenheiten in Einklang mit den religiösen Regeln zu tätigen. Nach Stationen bei grossen Finanzinstituten wie UBS und Credit Suisse macht er dies seit einem Jahr im eigenen Unternehmen «Peak Values». In der Nähe des Hauptbahnhofs Zürich bietet er zusammen mit drei Partnern Finanzdienstleistungen an.

Die Räumlichkeiten von Peak Values unterscheiden sich nicht von anderen urbanen Bankbüros: Laptops, Papierstapel, Mitarbeiter in gebügelten Hemden. Nur zwei Hinweise auf die arabische Kultur sind zu erkennen: die Kaffeetasse mit dem Aufdruck eines karikierten Kamels sowie die Duftstäbchen in einem Glas mit gemalten Palmen und Dromedaren. Der Unterschied liegt im Angebot. Eine Spezialität des jungen Unternehmens ist die nach islamischem Gesetz, der Scharia, konforme Vermögensverwaltung. Fares Mourad berät sowohl islamische als auch nichtislamische ausländische Finanzinstitute, die etwa ein konkurrenzfähiges Finanzprodukt kreieren wollen, das aber den Regeln des Islam nicht widerspricht.

Er kann dabei auf seine langjährige Erfahrung zurückgreifen: Bei der UBS lancierte er islamische Fonds, bei der Credit Suisse führte er ein islamisches Portfoliomanagement ein, und bei der damaligen Bank Sarasin baute er das islamische Private Banking auf.

Zwischen dem herkömmlichen Bankensystem im Westen und dem islamischen sieht Fares Mourad viele Unterschiede. Aber das stets als Hauptdifferenz genannte Zinsverbot sei nicht die wichtigste. «Das Zinsverbot ist nicht die oberste Vorgabe der islamischen Theologie, sondern ein Instrument, um soziale Verantwortung und Gerechtigkeit zu erreichen.»

Geld mit Geld zu verdienen, entspreche nicht der islamischen Ethik. Darüber hinaus werde es als sozial ungerecht empfunden, einen Schuldner zusätzlich mit Zinsen zu belasten. Fares Mourad wählt die Worte mit Bedacht, lässt hier und dort ein englisches Wort in den deutschen Satz einfliessen und erklärt die trockene Materie mit Beispielen aus dem Leben. Dazu hält er ab und an inne, scheint Gedanken und Wörter zu sammeln, bevor er auf den Punkt kommt.

Neben Zinsen, Spekulationen und Glücksspielen sind für einen Muslim gemäss dem Koran Geschäfte verboten, die mit Alkohol, Schweinefleisch oder Pornographie zu tun haben. Den Handel mit Waffen untersagt der Koran zwar nicht explizit, er sei aber aus moralischen Gründen zu vermeiden, präzisiert der Banker.

Der Hauptunterschied zwischen den beiden Systemen liegt für ihn im Bezug zur Realwirtschaft. Jeder Geldbewegung muss im islamischen Banking ein Sachwert zugrunde liegen. «Derivate oder Leerverkäufe gibt es keine», sagt Fares Mourad. «Hätten die Finanzmärkte 2008 nach islamischen Regeln funktioniert, wären sie nicht derart explodiert», ist er überzeugt.

«Will ein islamisches Finanzinstitut ein strukturiertes Produkt wie Partizipationsscheine islamisch haben, suchen wir nach einer Lösung.» Dazu arbeitet er eng mit den islamischen Rechtsgelehrten des Bankinstituts zusammen. Sie entscheiden, ob sein Lösungsvorschlag mit dem Islam vereinbar ist oder nicht. Danach macht sich Fares Mourad an die Ausarbeitung der Details. «Mit unserem fertigen Vorschlag gehen wir wiederum zu den Gelehrten. Erst wenn sie dem vorgeschlagenen Produkt das religiöse und juristische Okay erteilen, können es die Berater ihren Kunden präsentieren.»

Weil die äusserst komplexe islamische Rechtsordnung immer wieder neu ausgelegt werden muss, kennt das islamische Banking keine Standardisierung. Akzeptieren also malaysische Rechtsgelehrte ein von Fares Mourad vorgeschlagenes Finanzprodukt, heisst das nicht automatisch, dass dieses Produkt in den Golfstaaten anerkannt wird.

Eintritt ins Paradies

Doch wer legt sein Geld nach Regeln an, die im 7. Jahrhundert verwurzelt sind? Fares Mourads Kunden verfolgen unterschiedliche Ziele: Ein Drittel sind gläubige Muslime, die ihr Geld gemäss dem islamischen Recht anlegen. «Im Koran steht, was ein Gläubiger zu erfüllen hat, damit er ins Paradies kommt.» Dieser Kunde will also sein Nachleben regeln. Ein anderes Drittel sind Kunden, die den Islam zwar praktizieren, das islamische Banking aber für Humbug halten. Deshalb legen sie ihr Geld über Fares Mourad im westlichen Finanzsystem an.

Bleiben die Opportunisten. Sie entscheiden je nach Rendite und Preis, ob sie ihr Geld nach islamischen Regeln verwalten. «Allahs Option bekommen sie gratis mitgeliefert», scherzt Fares Mourad. Selbst nicht strenggläubig, legt er sein Geld nicht konsequent nach den Regeln des Islam an. Er achte aber darauf, dass seine Anlagen eine Verbindung zur realen Wirtschaft hätten und ethisch vertretbar seien. So investiere er beispielsweise nicht in Tabakproduzenten oder in Unternehmen, die ihre Mitarbeiter ausnützen oder Kinder arbeiten lassen.

Das weltweite Vermögen im islamischen Banking wird auf 1,8 Billionen US-Dollar geschätzt. Grösster Umschlagplatz des islamischen Finanzsystems ist Kuala Lumpur mit einem verwalteten Vermögen von 137 Milliarden US-Dollar, gefolgt von Dubai mit 74 Milliarden und London mit 19 Milliarden. Wie viel Geld in der Schweiz mit dem islamischen Finanzsystem verdient wird, sei schwierig zu schätzen.

«Erstens gibt es in der Schweiz keine islamischen Banken. Und zweitens wird das islamische Geschäft bei konventionellen Banken nicht publiziert. It is a black box», sagt Fares Mourad. Bis heute dominiert in muslimischen Ländern zwar das herkömmliche Bankensystem. Doch das islamische Banking birgt Wachstumspotenzial: Immer mehr Produkte der konventionellen Finanzindustrie werden heute von Banken auch Scharia-konform angeboten.

Noch in den Kinderschuhen

Das konventionelle westliche Bankgeschäft entstand Mitte des 15. Jahrhunderts – die erste islamische Bank hingegen in den 1960er-Jahren in Ägypten. Das vergesse gern, wer beide Systeme miteinander vergleiche. «An das islamische Banking werden hohe Erwartungen gestellt. In den knapp 50 Jahren hat es Fortschritte vorzuweisen. Doch um sagen zu können, das Experiment Islamic Banking sei erfolgreich, ist es noch zu früh.»

Fares Mourad bringt das Beispiel eines westlichen und eines muslimischen Zuckerhändlers: Im Westen kauft ein Zuckerhändler Futures, eine Art börsengehandeltes Termingeschäft, um den Preis des Zuckers über das ganze Jahr hinweg zu stabilisieren. Ein muslimischer Händler möchte dies auch tun, nur steht ihm im islamischen Banking kein vergleichbares Finanzprodukt zur Verfügung. Weil er denkt, der Preis sei tief, erwirbt er die ganze Ware zu Beginn des Jahres. Während er also sein ganzes Kapital einsetzt, gibt der Händler im Westen nur einen Teil seines Geldes aus. Fällt danach der Zuckerpreis, profitiert er. «Die islamische Forschung hat noch keine islamische Alternative zu Futures entwickelt.»

Solange die grosse Palette von konventionellen Finanzdienstleistungen nicht ins islamische Banking «übersetzt» ist, bleibt der Brückenbauer Fares Mourad gefragt. Und da ständig neue konventionelle Finanzprodukte auf den Markt kommen, dürfte er noch viele Jahre zwischen dem konventionellen und dem islamischen Finanzsystem vermittelnd tätig sein.

Islamisches Bankwesen
Quellen Wie Muslime mit ihrem Geld umzugehen haben, klären der Koran, die Sunna – als überlieferte Handlungsweisen des Propheten Mohammed die Richtschnur muslimischer Lebensweise – und das islamische Recht. Da alle drei Quellen aber verschieden ausgelegt werden können, herrscht kein universeller Konsens über die Handhabung des islamischen Banking.
Zinsverbot Der Koran verbietet Muslimen, bei Gelddarlehen Zinsen zu nehmen. Niemand, so auch nicht die Banken, darf weder Zinsen verlangen noch bezahlen. An die Stelle des verzinsten Darlehens treten andere Rechtsgeschäfte meist in Form von Leasing oder Miete. Dabei trägt die Bank wie beim konventionellen Finanzgeschäft gewisse Risiken, für die sie entlöhnt wird.
Risikoteilung Der Investor ist sowohl am Gewinn wie auch am Verlust beteiligt. Dies gilt ebenso, wenn der Investor sein Investment in Form von Fremdkapital zur Verfügung stellt.
Spekulationsverbot Nicht erlaubt in der islamischen Welt sind Spekulationen und die Übernahme von nicht quantifizierbaren Risiken, zum Beispiel die Ernte eines Apfelbaums zu kaufen, wenn nur die Blüten zu sehen sind. Options- und Futures-Kontrakte sowie klassische Forward-Geschäfte sind ebenfalls verboten.
Verbotene Geschäfte Neben Investitionen in Finanzinstitute, die Zinsgeschäfte tätigen, sind Investitionen in die Produktion von Alkohol, Tabak oder Schweinfleisch sowie in Bereiche des Glücksspiels, der Pornographie und der Prostitution verboten.
Scharia-Rat Die meisten Banken verfügen über einen Scharia-Rat: Islamische Rechtsexperten prüfen die Vereinbarkeit der von der Bank anzuwendenden Finanztechniken und Vertragskonstruktionen mit dem islamischen Recht.
Entwicklung In den 1960er-Jahren eröffnete sich Muslimen mit der Gründung der ersten islamischen Bank in Ägypten eine Alternative zum kapitalistischen westlichen Finanzsystem. Mit dem Ende der Kolonialzeit und den Erdöleinnahmen in den Golfstaaten erlebten die islamischen Banken einen Aufstieg. Gemäss Weltbank existieren heute 400 islamische Finanzinstitute in 58 Ländern. Heute bieten auch westliche Banken zunehmend Finanzprodukte an, die dem islamischen Recht entsprechen.

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