«der arbeitsmarkt» 07/2007

Fair bis in die Kragenspitzen

Wie lassen sich Business und Ethik kombinieren? Robin Cornelius, CEO des Lausanner Textilunternehmens Switcher SA, setzt sich gegen die grassierende Kinderarbeit in Billiglohnländern zur Wehr. Konkret, glaubwürdig und mit beträchtlichem Erfolg.

Trotz des sonnigen Wetters ist die Terrasse des Luzerner KKL in blendendes Scheinwerferlicht getaucht. Dort zeichnet das Schweizer Fernsehen im Rahmen des zweitägigen Internationalen Forums für Menschenrechte Luzern (IHRL), das dieses Jahr unter dem Motto «Menschenrechte und Kinder» steht, ein Gespräch zum Thema «Kinderrechte» auf. Mit von der Partie ist Robin Cornelius, CEO der für ihre ethisch-grünen Kleider mit dem Walfischlogo bekannten Switcher SA. Er wird am nächsten Tag am Forum über den «Beitrag der Privatwirtschaft zur Förderung der Kinderrechte» referieren. Mehrmals klemmt der unter Zeitdruck stehende Moderator den quirligen Switcher-Chef ab, denn wenn dieser über seine Firma und seine Projekte zu reden beginnt, ist er kaum noch zu bremsen. Nachdem die Scheinwerfer ausgegangen sind und das steife TV-Setting aufgehoben ist, sprüht der 51-jährige, leger gekleidete Cornelius erst recht vor Energie und Bewegungsdrang. Den Gedankensprüngen des schweizerisch-schwedi-schen Doppelbürgers ist nicht immer leicht zu folgen. Bisweilen erinnert er in seiner unkonventionellen, spontanen und chaotisch-kreativen Art an einen Künstler.

Führend bei T-Shirts und Freizeitbekleidung

Cornelius ist der Gründer und Inhaber der in Lausanne beheimateten Switcher SA, die wie viele andere Textilfirmen in Indien und China produziert, wo illegale Kinderarbeit in Sweat Shops oder ausbeuterische Arbeitsbedingungen in Fabriken an der Tagesordnung sind. Seit Fair Trade und Ökologie im Trend sind, ist der innovative Switcher-Chef ein gefragter Referent. Denn mit der Familienmarke Switcher, die nicht nur für qualitativ gute und preisgünstige, sondern auch für nach ökologischen und ethischen Standards produzierte Kleider steht, beweist Cornelius, dass sich Profit und Nachhaltigkeit nicht ausschliessen. Mittlerweile ist Switcher hierzulande Marktführerin für T-Shirts und Freizeitbekleidung, beschäftigt 140 Mitarbeitende in der Schweiz, gibt weltweit indirekt 20000 Menschen Arbeit und erwirtschaftet bei einem jährlichen Wachstum von sieben bis acht Prozent einen Umsatz von 90 Millionen Franken. 2004 hat Cornelius die Switcher-Stiftung gegründet, die für die Sozialprojekte in den Betrieben seiner Lieferanten zuständig und auch in der Schweiz aktiv ist. Switcher arbeitet mit diversen NGOs (Nichtregierungsorganisationen) zusammen, unter anderen mit der Clean Clothes Campaign und der Fair Wear Foundation (Monitoring, Verifizierung), Helvetas und Max Havelaar (Bio-baumwolle) sowie Swisscontact (Jugendausbildungsprogramm).
Von einem Zufall spricht Cornelius, wenn er von seinem Einstieg in die Textilbranche erzählt. Als Sohn eines Diplomaten 1956 in Schweden geboren, kam er als Einjähriger mit seinen Eltern und seinem Bruder nach Lausanne. Die Schulen hat er mehrmals gewechselt. Aus Mangel an Disziplin, wie er selber sagt («Das muss ich noch lernen!»), sei er im damals autoritären Schul-betrieb immer wieder angeeckt. Nach dem Abschluss des Wirtschaftsstudiums machte er ein Zusatzstudium in Politologie und ging in dieser Zeit im Auftrag der Universität Lausanne in Portugal T-Shirts einkaufen. Weil das mehr einbrachte als sein Job als
Taxifahrer, blieb er beim Handel mit T-Shirts und gründete 1981 die Mabrouc SA (seit 2002 Switcher). Seine Motivation sei ganz normal gewesen, er habe Spass haben wollen und den normalen Wunsch nach Beruf und Familie gehabt. Es hätte auch etwas anderes sein können als Kleider und es werde für ihn immer klarer, dass es nicht wichtig sei, was oder warum man etwas mache. Sein Credo lautet: «Wichtig ist, wie du das machst.»
Zuerst umfasste die Switcher-Kollektion nur ein T-Shirt und ein Sweatshirt. Daraus entwickelte sich dann das Win-win-Konzept der Firma, das bis heute so einfach wie bestechend ist: bequeme Basisbekleidung mit
einfachen Modellen und einem immer gleichen Farbsystem, die nicht an die jüngste Mode gebunden ist und neben den eigenen Shops und Corners Veredelungsfirmen, etwa im Sport- und Berufsbekleidungsbereich,
bedient. Händlern wie Lieferanten bietet dieses Konzept die Garantie, dass sie jedes Jahr die gleichen Farben und Modelle erhalten beziehungsweise liefern können; Switcher selbst kann auf verlässliche Partner zählen, etwa auf Lieferanten aus Billiglohnländern, die gemeinsam mit der Firma gross geworden sind und heute zum Teil ausschliesslich für diese produzieren.

Ausbildung als Weg aus der Gewalt und dem Elend

Das soziale und ökologische Engagement kam erst mit der Zeit hinzu, und es scheint fast, als wolle Cornelius durch den Eifer und das Tempo, mit denen er heute seine Vision verfolgt, Zeit wettmachen. Jeder habe seine eigenen Umwege im Leben, meint er ernst, und müsse das akzeptieren. Sensibilisiert hat ihn der Erdgipfel in Rio 1992, aber auch die eigene Wahrnehmung in Indien («Man sollte CEOs ins Feld fliegen»). Schon als er 1983 zum ersten Mal dorthin gefahren sei, habe er Kinder gesehen, die nicht zur Schule gingen, und das vom Färben der Textilien vergiftete Wasser. «Da beginnt man zu überlegen: Kann ich nicht etwas tun?» Unterdessen sei das eine Art Überlebensstrategie geworden – nicht grübeln, sondern handeln und Vertrauen haben. «Respekt ist wichtig, vor den Mitarbeitenden und ihren Familien, aber auch vor den Kunden», sagt der Chef. «Fashion with Respect» heisst denn auch der Leitsatz von Switcher, wobei «Fashion» durchaus in der Doppelbedeutung von Mode und Haltung gemeint ist. Seine Motivation sei aber auch egoistisch gewesen, er habe ein gutes Gewissen haben wollen und wolle sich mit sechzig nicht sagen müssen, dass er nichts als Kleider verkauft habe.
Zuerst baute Switcher beim indischen Lieferanten in der Textilmetropole Tirupur eine Wasser-Recyclinganlage, 1995 kam die erste Schule für Kinder von Mitarbeitenden hinzu. Ohne es geplant zu haben, aus dem Bauch heraus, habe er bei der Abschlussfeier nach dem ersten Schuljahr vor den anwesenden Eltern dann den Bau von sechs weiteren Schulen angekündigt, sagt Cornelius. Heute finanziert Switcher in Indien sieben Schulen sowie zwei mobile Schulbusse für Strassenkinder und hat in Zusammenarbeit mit Swisscontact ein Ausbildungsprogramm für Mitarbeitende ab sechzehn in Indien, China, Tunesien und Portugal lanciert (Youngster Educational Programme).
Im Verlauf des Gesprächs fällt auf, dass Cornelius lieber von Lösungen spricht, als zu kritisieren. Im Geschäft gehe es darum, Leute zu überzeugen, um in einem fortwährenden Prozess Verbesserungen zu erreichen, nicht zu konfrontieren. Beim Thema Kinderarbeit wird Cornelius, selber Vater von drei Teenagern, allerdings kategorisch – auch gegenüber Argumenten, wonach Kinder in Drittweltländern zum Familienbudget
beitragen müssten. Kinderarbeit, wie sie in armen Ländern an der Tagesordnung ist, sei inakzeptabel und nicht zu vergleichen mit Kindern im Berner Oberland, die nach der Schule auf dem Hof mithelfen. Da müsse man reagieren, weil Ausbildung der einzige Weg raus aus Gewalt und Elend sei. «Wer keine Ausbildung hat, hat keine Zukunft.»
Ab 1998 systematisierte Switcher die Aktivitäten in Sachen Sozialmanagement und begann mit der Umsetzung eines für alle Lieferanten verbindlichen Verhaltenskodex, der sich auf die Standards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) stützt. Ein Jahr später verpflichtete sich die Firma zusammen mit Migros und Veillon zur Zusammenarbeit mit der Clean Clothes Campaign, welche die Überprüfung des Verhaltenskodex in den Betrieben in Indien und China und die Veröffentlichung eines Berichts über die fortlaufenden Massnahmen zur Umsetzung zum Ziel hatte. Switcher arbeitet seither mit Gewerkschaften zusammen, treibt die Schulung und Sensibilisierung von Mitarbeitenden und Management voran und beschäftigt in jedem Betrieb eine Art Ombudsmann, mit dem das Switcher-Management bei Mängeln Lösungen sucht. Um mehr Unabhängigkeit und Vertraulichkeit zu gewährleisten, läuft die Verifizierung seit 2002 extern über die ISCOM-Stiftung (International Social Compliance Verification), eine Gemeinschafts-
initiative von Brot für alle, Fastenopfer und Max Havelaar, beziehungsweise neu über die holländische Fair Wear Foundation (FWF). Die beiden Stiftungen, die sich im Mai zusammengeschlossen haben, stützen sich
auf den so genannten partizipativen Multi-Stakeholder-Ansatz, der bei der Verifizierung des Sozialmanagements alle Beteiligten wie auch NGOs und Gewerkschaften einbezieht.
Das Engagement bleibt nicht unbemerkt. So meint etwa Stefan Indermühle, Verantwortlicher für die Clean Clothes Campaign bei der Erklärung von Bern: «Das Renommee von Switcher ist vollkommen berechtigt. Ich kenne keine andere Firma, die Ökologie und Ethikstandards derart konsequent umsetzt.» Miges Baumann von Brot für alle und der Fair Wear Foundation wiederum lobt Switcher als innovatives und ideenreiches «Mus-terunternehmen», das bei Problemen sehr offen kommuniziere und schnell handle.

Unterscheidung zwischen Werbung und Information

Beim Thema Transparenz kommt Cornelius erneut in Fahrt und erzählt von seinem neuen Projekt «respect inside», das er gleich live auf dem Laptop präsentiert. «respect inside» ist eine offene Internet-Plattform, an der sich Firmen beteiligen können, welche sich auf die zugrunde liegende Ethikcharta ver-pflichten. Sie können für ihre Konsum- und Industriegüter eine DNA-Nummer registrieren lassen, um dann die Beschaffungskette jedes einzelnen Produkts offenzulegen und aufzuzeigen, was bei Missständen unternommen wird. Sie erklären sich zudem mit unabhängigen Kontrollen und der Veröffentlichung von Berichten einverstanden. Transparenz und Rückverfolgbarkeit der Beschaffungskette – bei Switcher heisst sie «Smiling Chain» – seien das A und O. «Wenn eine Firma sauber produziert, warum soll sie ihre Beschaffungskette dann nicht offenlegen?
Als Kunde habe man ein Recht auf In-formationen. «Ich will alles wissen!», sagt Cornelius, springt auf, nimmt einen Stuhl, dreht und wendet ihn: «Was ist das für Holz? Woher kommt es? Wo wurde es wie verarbeitet und transportiert? Kann man den Stuhl zusammenklappen?» (Zu seiner Überraschung kann man.) Und eigentlich müsste jedes Produkt einen Strichcode haben, der darüber informieren würde, wie der Preis zusammengesetzt ist: wie viel für die Produktion, den Transport, die Fixkosten bezahlt und wie viel für die Marge und Werbung draufgeschlagen werde (oft 20 Prozent). «Im Business ist es wie im Sport: Es muss einen Massstab geben, damit man vergleichen kann, wer kompetent ist und wer nicht.»
Klar, dass Transparenz und Vergleich-barkeit gute Imagewerbung für Switcher bedeuten. Das Switcher-Werbebudget beträgt gerade mal zwei bis drei Prozent des Gesamtbudgets, während die Firma in Sachen Transparenz und Information weiter geht, als die meisten ihrer Konkurrenten es wollen oder können. Bei Switcher unterscheide man zwischen Werbung und Information, so Cornelius. Man setze auf den guten Ruf und glaube an den bewussten Kunden, der mehr sei als ein Konsument, sich informiere, ein bisschen politisch sei (consumer vote). Das bedeute auch, sich grundsätzlich Fragen zu stellen: «Brauche ich dieses Kleid? Habe ich nicht schon genug Kleider?» Und dann kommt Cornelius auf ein Beispiel mit zwei Jungs zu sprechen, die seine Frau kürzlich bei einem Switcher-Shooting getroffen habe und die, als der Name Switcher fiel, von «respect inside» zu sprechen begonnen hätten und einen Blog vorschlugen. Er findet das fantastisch, sieht die Zukunft positiv, weil die Jugendlichen heute nicht so naiv seien wie seine Generation, mehr wüssten und wissen wollten, dabei aber offener seien als Erwachsene. «Die Jugend ist art brut, ohne siebzehn Filter.»
Die Erwachsenen, so Cornelius, könnten von Kindern lernen, müssten ihnen besser zuhören und ihr eigenes inneres Kind zu Wort kommen lassen. In diesem Kontext sieht er auch seine Rolle als Unternehmer. «Ethik kommt von ethos, sich kümmern», lautet einer seiner häufig wiederholten Sätze. Dazu gehört für Cornelius, der sich durchaus zum Kapitalismus und Liberalismus bekennt, auch wirtschaftlicher Erfolg, denn Erfolg sei nötig, um etwas bewirken zu können. «Als so null!» bezeichnet er das Bild, wonach ein CEO nur dafür zu sorgen habe, dass Cash reinkommt. «Ein CEO ist kein Cashmaker, sondern ein Organisator, ein Vorbild, nicht nur als Geschäftsmann, sondern auch als Mentor für Jugendliche und Kinder.» Nicht als Manager, der lerne, was er tue, und von Posten zu Posten wechsle, sondern als Unternehmer, als Entrepreneur, der lebe, was er tue, will sich Cornelius verstanden wissen. «Als Unternehmer bin ich frei, anders zu denken, sonst wäre ich kein Unternehmer.»

Empathie, Spontaneität und kreative Ideen

Als solcher fühlt er sich besonders den Werten der KMU und der Familie verpflichtet: Nähe zu den Mitarbeitenden, Verantwortung, Transparenz und Dienst am Kunden. Zudem schwebt ihm eine Art Plattform für Politik und Wirtschaft unter dem Namen «Schweiz Aktive Gesellschaft (Schweiz AG)» vor, die den Austausch zwischen Politikern und Wirtschaftsvertretern fördern soll. Denn in der Wirtschaft, die kurzfristig sei, habe man zu viel Angst vor der Politik, während man in der Politik, die langfristig sein sollte und deshalb für ihn immer wichtiger werde, zu wenig von Wirtschaft verstehe. Grundsätzlich appelliert Cornelius an mehr Solidarität unter den Unternehmern, fordert mehr Spontaneität, Empathie und kreative Ideen – «weibliche Werte» heisst das bei ihm.
Gar einen Hauch von utopischem Gedankengut enthält das Statement, das Robin Cornelius in seinem Referat am zweiten Tag des Menschenrechtsforums in Luzern über den möglichen Beitrag der Wirtschaft zu ökologischer und ethischer Verantwortung macht und das die umfassende switchersche Vision in einem Satz umschreibt: «Wir sollten das ökonomische System nutzen, um ein ‹système de conscience› zu kreieren, ein kollektives Gewissen zu schaffen.» Das Referat ist persönlich gehalten, improvisiert. Zum Schluss noch eine «Schlussbemerkung», die ihre Wirkung beim Publikum nicht verfehlt und die Normalität auf den Kopf stellt, wie Robin Cornelius selber es tut: «Wir sind eine ethische Firma. Aber ich bin nicht hier, um Werbung zu machen. Ich verstehe nicht, warum wir als Beispiel gelten. Was wir machen, ist normal, total normal! Was nicht normal ist, ist, dass wir als Beispiel gehandelt werden. Oder würden Sie es akzeptieren, dass Ihre Kinder in der Fabrik arbeiten?»
Links:
www.switcher.com
www.switchershop.com
www.switcher-stiftung.org
www.respect-inside.org

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