«der arbeitsmarkt» 09/2011

Diplomanerkennung – mehr als soziale Bestätigung

In der Schweiz gibt es rund ein Dutzend Anerkennungsstellen für ausländische Abschlüsse. Zwar lassen immer mehr Leute ihre in der Heimat erworbenen Diplome beglaubigen. Noch sind aber viele schlecht über die Möglichkeiten informiert. Dabei kann die Bescheinigung von grossem Nutzen sein.

Als der Informatikstudent Armend Filani* vor vier Jahren aus einem osteuropäischen Land in die Schweiz einreiste, fand er zu seiner Freude rasch einen Job als Lagerist. Nach einem Jahr wurde im IT-Bereich des Unternehmens eine Stelle frei, Filani bewarb sich und erhielt den Job. «Die Arbeit als IT-Supporter ist häufig mit Herausforderungen verbunden. Das bereitet mir aber umso mehr Spass», sagt Filani. Die Firma sei mit seinem Einsatz sehr zufrieden.

Unterdessen hat er an der heimatlichen Universität die für den Abschluss fehlenden Prüfungen abgelegt. Entlöhnt wird Armend Filani aber nach wie vor wie ein Lagerist. Den Vorgesetzten habe er seinen Abschluss – einen Bachelor in Informatik – vorgelegt. «Im Unternehmen schien man davon nicht so begeistert: Den Abschluss anzurechnen, ginge mit einer Lohnerhöhung zusammen», erzählt Filani. Beim Bewerbungsverfahren hatte er sich unter anderem gegen einen Konkurrenten mit Universitätsabschluss durchgesetzt. Damit der Abschluss berücksichtigt wird, müsse Filani ihn anerkennen lassen, habe ihm sein Arbeitgeber mitgeteilt. Ein Landsmann, der über denselben Abschluss aus derselben Universität verfügt, habe diesen für seinen Arbeitgeber dagegen nur übersetzen lassen und mit einem Vermerk amtlich beglaubigen müssen, weiss Filani. Nun verdiene er einiges mehr als zuvor.

Reglementierte und nicht reglementierte Berufe

«Institutionen und Unternehmen können autonom entscheiden, ob sie einen ausländischen Abschluss anerkennen», sagt Christine Gehrig von Swiss ENIC, der Informationsstelle für Anerkennungsfragen bei der Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten (CRUS). Armend Filani ist ratlos: «Einen Abschluss nach Bologna muss man doch nicht darauf prüfen, ob er gleichwertig mit dem eines anderen Landes ist. Das ist nicht der Sinn der Bolognaerklärung.» Was beide Parteien – Filani und sein Arbeitgeber – nicht wissen: Für nichtreglementierte Berufe, wie der des Informationstechnologen, braucht es keine Diplomanerkennung in der Schweiz, um ihn ausüben zu dürfen. In diesem Fall genügt eine sogenannte Niveaubestätigung beziehungsweise eine Empfehlung, die keine Anerkennung im juristischen Sinne ist. Sie dient dazu, künftige Arbeitgeber über das Niveau der Ausbildung zu informieren. Reglementierte Berufe dagegen sind jene, für die ein Diplom, ein Zeugnis oder ein Befähigungsnachweis notwendig ist. Auch ein Abschluss nach Bologna werde geprüft, «weil die Bachelor- und Masterstudien je nach Land unterschiedlich gestaltet sind», stellt Christine Gehrig klar.

Zwar habe die Zahl der Antragsteller in den letzten drei, vier Jahren zugenommen, über die Struktur des Anerkennungssystems seien viele Migranten und auch viele hiesige Arbeitgeber dennoch schlecht informiert, sagt Gehrig. Wie gross diese Zahl überhaupt ist, kann keiner sagen. Das hängt mit der Vielzahl der Anerkennungsstellen zusammen: Mehr als zehn sind für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse zuständig. Dazu sind für denselben Beruf mehrere Stellen verantwortlich, je nach Ausbildungsniveau, allfälligen praktischen Qualifikationen und so weiter. Für nichtreglementierte Berufe und universitäre Abschlüsse ist grundsätzlich die CRUS zuständig. Dabei ist Swiss ENIC zugleich Informationsstelle für Anerkennungsfragen und eine der Anerkennungsstellen. Sie prüft die Anträge selbst oder leitet sie an die betreffende Anerkennungsstelle weiter. 2010 verwaltete Swiss ENIC 2600 Anträge, 2200 davon intern.

Nicht immer verlaufen die Verfahren problemlos. Einmal habe man sogar die Polizei um Rat fragen müssen, erinnert sich Christine Gehrig. «Es gibt Personen, die sich schwertun mit der Ablehnung eines Antrages, der die Anforderungen für eine Anerkennung beziehungsweise Empfehlung nicht erfüllt.» Es sei schon vorgekommen, dass Leiterinnen von Anerkennungsstellen von Bewerbern bedroht wurden. «Manche Antragsteller haben ein Problem damit, dass eine Frau ihnen sagt, was sie nachweisen müssen, oder ihnen gar eine Ablehnung erteilt.»

Einfaches Verfahren

Rund die Hälfte der 2600 Antragsteller im Jahr 2010 kam aus den Nachbarländern Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich. Viele kommen auch aus dem ehemaligen Jugoslawien: Slowenien, Serbien, Mazedonien und aus dem Kosovo. Wie Ardian Tahiri, der an der öffentlichen Universität von Pristina Psychologie mit einem Bachelor abgeschlossen hat. 2006 zog er in die Schweiz, das Anerkennungsprozedere hat er hinter sich. Am Anfang habe er nicht gewusst, was tun mit seinem Diplom. Keiner seiner Kontakte konnte ihm sagen, wie er vorgehen solle, bis er sich 2009 bei einem Berufsbildungszentrum informierte. Er verfolgte das empfohlene Zwei-Schritte-Verfahren: Zuerst reichte er sein Dossier beim Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) ein, wo man ihn an die zuständige Stelle weiterverwies. Swiss ENIC stellte ihm eine Anerkennungsempfehlung aus, in der es heisst: «Wir bestätigen, dass der oben erwähnte akademische Grad formal einem Bachelor in der Studienrichtung Psychologie einer Schweizer Universität entspricht.» Und weiter: «Sie sind berechtigt, Ihren Titel in der Form zu führen, wie er in Kosovo aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen geführt werden darf. Ein Schweizer Titel kann nicht geführt werden.»

Das Verfahren habe circa sechs Wochen gedauert. «Alles lief korrekt und unbürokratisch», betont Tahiri. Eine amtlich beglaubigte Kopie und die Übersetzung seines Diploms hatte der Psychologe bereits im Kosovo organisiert. Er musste nur noch eine Liste der besuchten Vorlesungen und Seminare sowie der absolvierten Praktika nachreichen. «Nach Eingang des vollständigen Dossiers dauert das Prozedere bei uns höchstens 14 Tage», versichert Christine Gehrig.

Beim BBT dauere das Verfahren in bestimmten Fällen bis zu vier Monate. Die Bearbeitungsgebühr für eine Niveaubestätigung beträgt 150 Franken, diejenige für eine Gleichwertigkeit respektive Anerkennung kostet 550 Franken. «Die Prüfung eines Dossiers erfolgt einzig aufgrund des Studienprogramms und hat nichts mit dem Land zu tun, welches das Diplom ausgestellt hat – ausser es gibt mit dem betreffenden Land ein Abkommen», sagt die Fachfrau. Gebe es Zweifel an der Echtheit eines Diploms, verlange man das Original, eine Kopie des Passes und den Lebenslauf, um zu sehen, ob widersprüchliche Angaben vorliegen. Wichtig für die Prüfung eines Antrages seien grundsätzlich die Anerkennung beziehungsweise Akkreditierung der Institution, wo der Bewerber abgeschlossen hat, wie auch das Niveau und die Dauer des Studiums, die Kreditpunkte und absolvierten Praktika. Ist eine Ausbildung wesentlich anders gestaltet als in der Schweiz, beispielsweise weniger lang, werde für die Anerkennung reglementierter Berufe eine Anpassungsmassnahme verlangt, weiss Gehrig.

20 000 Pflegefachleute gesucht

Fatima Leon ist ein solches Beispiel. Die Auslandschweizerin hat Pflegefachfrau an einem US-amerikanischen College gelernt; 2008 kam sie nach rund 40 Jahren von Peru in die Schweiz. Seither arbeitet sie Teilzeit als Pflegeassistentin im Alters- und Pflegeheim Haus Rosenhügel in Hochdorf LU. «Von der Möglichkeit der Anerkennung meines Diploms und wohin ich mich dafür wenden sollte, erfuhr ich zufällig bei einem Besuch im Universitätsspital Zürich vom dortigen Pflegepersonal», erzählt die 49-Jährige. Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK), das für den Gesundheitsbereich und damit für diesen reglementierten Beruf zuständig ist, traf den Teilentscheid für die Diplomanerkennung und wies Fatima Leon auf den notwendigen Anpassungslehrgang hin. Dafür haben in der deutschsprachigen Schweiz drei Institutionen einen Auftrag, eine ist das Weiterbildungszentrum des Schweizer Dachverbandes für Heime und soziale Institutionen Curaviva in Luzern. Für Irène Mahnig, stellvertretende Leiterin des Weiterbildungszentrums, ist Leon ein repräsentatives Beispiel. Den Anpassungslehrgang besuchen Personen aus zwölf Nationen; Leute mit einer akademischen oder einer Fachausbildung im Tertiärbereich, die ihren Beruf berechtigt ausüben wollen und dafür diese komplementäre Ausbildung brauchen. Zusätzlich gehört zur Anpassung ein praktischer Teil.

Einmal ausgebildet hätten ausländische Pflegefachleute gute Chancen auf eine Anstellung, weiss Mahnig: «Aufgrund der demographischen Entwicklung der Schweiz brauchen wir in den nächsten Jahren 20 000 Pflegefachpersonen.» Curaviva hat deshalb einen Leitfaden zur Anerkennung des Pflegediploms für Heime erstellt. Der Lehrgang dauert 20 Tage, verteilt auf elf Monate. «Die Kandidaten machen sich dabei mit dem Schweizer Gesellschaftssystem vertraut, den Gesetzen, der Pflegephilosophie und dem Thema Diagnose. Sie lernen hier das Schweizer Pflegekonzept lernen. Es ist eine Stätte der kulturellen Integration», sagt die Fachfrau. Um sich bei Curaviva weiterbilden zu können, wird eine höhere Fachausbildung vorausgesetzt, der Teilentscheid des SRK, ein Arbeitspensum von mindestens 40 Prozent im Beruf und ein Sprachdiplom über fortgeschrittene Deutschkenntnisse auf Niveau B2. «Wenn ein Kandidat noch am Sprachkurs dran ist, die anderen Anforderungen jedoch erfüllt, nehmen wir ihn auf», präzisiert Mahnig. Die Ausbildung wird mit einer schriftlichen Arbeit von zehn bis zwanzig Seiten abgeschlossen.

Im März 2011 hat Fatima Leon den Theorieteil absolviert, im August den praktischen. Noch vor dem praktischen Abschluss erhielt sie in dem Heim, wo sie arbeitet, eine bessere Position, die mit mehr Verantwortung einhergeht. Der praktische Teil ist streng definiert; es braucht einen sechsmonatigen gezielten Einsatz von 80 bis 100 Prozent. Damit erlangt die Kandidatin oder der Kandidat die sogenannte Arbeitgeberqualifikation; die Diplomanerkennung ist abgeschlossen. Für die Weiterbildungskosten von 5800 Franken kam die Pflegefachfrau selber auf.

Eine Investition, die sich lohnt

Für Fatima Leon hat sich der Anpassungslehrgang gelohnt. «Ich habe Tagesverantwortung und übe die Tätigkeit einer Pflegefachfrau aus», freut sie sich. Irène Mahnig bestätigt: «Die Tagesverantwortung, die Frau Leon innehat, ist nicht wenig. Es bedeutet, den Pflegeprozess zu führen und zu steuern.» Bei einem 100-Prozent-Pensum würde die Pflegefachfrau ohne die Diplomanerkennung rund 3500 Franken im Monat verdienen. «Mit dem anerkannten Diplom kann ich für dieselbe Arbeit um die 45 Prozent mehr verdienen: 5000 Franken», weiss Leon.

Der Psychologe Ardian Tahiri ist mit der Anerkennungsempfehlung seinem Ziel nach einer besseren sozialen Stellung näher gerückt. Eine Stelle im erlernten Beruf hat er noch nicht. «Als mir der Polier Hammer und Helm reichte, brach für mich eine Welt zusammen», erinnert sich der Akademiker an den Antritt einer Arbeitsstelle auf dem Bau. «Den sozialen Abstieg konnte ich nur dank meiner Fachkenntnisse als Psychologe bewältigen», erzählt er. Auf dem Bau arbeitete er zwei Jahre lang. Nach seiner Freistellung wegen Umstrukturierungen fand er eine andere Arbeit – wiederum eine unqualifizierte, als Heizungsmonteur. Er verschickt bis zu fünf Bewerbungen im Monat für eine Anstellung als Psychologe – bislang vergebens. «Ich kann dafür keinem etwas vorwerfen», betont Tahiri. «Der Grund für die Absagen sind meine nicht ausreichenden Sprachkenntnisse.» Er habe nur einen kurzen Sprachkurs absolvieren können. Wegen der unregelmässigen Arbeitszeiten könne er derzeit keinen besuchen, erzählt der 30-Jährige, der für seinen dreijährigen Sohn aufkommen muss. Er sucht eine Stelle von 60 bis 70 Prozent, um einen intensiven Deutschkurs besuchen zu können. «Mit der Anerkennungsempfehlung von der Rektorenkonferenz habe ich ein Stück Würde zurückerlangt», sagt Tahiri. Und: «Ich gebe nicht auf.»

Der Informatiker Armend Filani hat zuerst den seiner Ausbildung entsprechenden Job gefunden; anders als Tahiri fehlt ihm die Diplomanerkennung. Er ist am Vervollständigen des dafür erforderlichen Dossiers. «Dann wird der bessere Lohn nicht mehr auf sich warten lassen», ist er sich sicher.

Was die Anerkennung von Diplomen und Ausbildungen für den Einzelnen und den Arbeitsmarkt bringt, kann man nicht mit Sicherheit sagen. Eine Studie, die darüber Auskunft gibt, existiere zumindest für die Anerkennungsempfehlungen der CRUS nicht, sagt Christine Gehrig von Swiss ENIC. Zwar habe man vor einigen Jahren den Nutzen dieses Verfahrens genauer erkennen wollen und den Erwerbern einer Anerkennungsempfehlung einen Fragebogen geschickt. Die Rücklaufquote sei aber zu klein und damit praktisch nicht auswertbar gewesen. Klar ist für Gehrig aber: «Die Diplomanerkennung ist zumindest eine Erleichterung und bringt Selbstwertgefühl und soziale Anerkennung mit sich.»

Migranten seltener in hochqualifizierten Stellen

Repetitive Arbeit Rund 28 Prozent der Migranten mit Niederlassungsbewilligung B und C verrichten anspruchsvolle und qualifizierte Arbeiten. Bei den Schweizern und Schweizerinnen liegt diese Quote laut Bundesamt für Statistik bei nahezu 42 Prozent. Umgekehrt üben nur circa 17 Prozent der Einheimischen einfache und repetitive Tätigkeiten aus, während bei den Ausländern diese Rate doppelt so hoch ausfällt: 38,5 Prozent.

Ausnahme Lehrerberuf Massgeblich beeinflussen diese Verhältnisse Leute mit einem Lehrerpatent. 15 Prozent der ausländischen Lehrer mit B- und C-Ausweis erledigen einfache und repetitive Arbeiten, bei den Einheimischen mit einem Lehrerpatent sind es nur 2,6 Prozent, die solche Arbeiten verrichten. Etwa 48,5 Prozent der Migranten, die über ein Lehrerpatent verfügen, üben qualifizierte und anspruchsvolle Tätigkeiten aus. Weitere Kategorien, die das Anforderungsniveau am Arbeitsplatz prägen, sind die abgeschlossene Berufsausbildung, die unternehmensinterne Ausbildung und weitere Ausbildungsabschlüsse.

 

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