«der arbeitsmarkt» 04/2006

Die Reformer mit dem langen Atem

Arbeitsvermittlung Vor zehn Jahren wurden die RAV in Rekordzeit aufgebaut. Worauf sind die «Väter» im Nachhinein stolz, was ging damals schief, und wo besteht noch heute Handlungsbedarf? Dominique Babey, Chef des Leistungsbereichs Arbeitsmarkt und Arbeitslosenversicherung im seco, und Florian Imstepf, Leiter des Ressorts Arbeitsvermittlung und LAM-Koordination, ziehen Bilanz.

der arbeitsmarkt: Die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren feiern ihren zehnten Geburtstag. Herr Babey, wie fühlt man sich dabei als Vater der RAV?
Babey: Danke für die Nachfrage, aber ich bin nur einer von vielen RAV-Vätern. Als ich 1992 ins damalige BIGA zurückkehrte, machte die Schweiz zum ersten Mal mit dem eigentlichen Problem der Arbeitslosigkeit Bekanntschaft. Im Zeitraum 1991/93 stieg die Arbeitslosenquote nämlich von 0,5 auf 4,5 Prozent an. Die mit der Arbeitsvermittlung betrauten Gemeinden waren hoffnungslos überfordert, und so haben wir entschieden, bei Arthur Andersen eine Studie in Auftrag zu geben, die Reformvorschläge beinhalten sollte.
Imstepf: Dass dringend etwas geschehen musste, hatte auch die Umfrage gezeigt, die wir 1993 bei den Sozialpartnern, den Kantonen und den privaten Arbeitsvermittlern durchführten.
Babey: Dazu kam mit der Motion Fasel der politische Druck. Wir brachten in der Antwort, die wir zuhanden des Bundesrats verfassten, unsere Reformvorschläge ein. Diese stiessen mehrheitlich auf Zustimmung, und so ging es schliesslich noch darum, die Finanzierung sicherzustellen. Denn eine professionelle Arbeitsvermittlung – so viel war sicher – würde mehr Mittel erfordern.
Imstepf: Grundsätzlich gab es damals in dieser Frage zwei Lager. Das eine beharrte auf der geltenden Regelung, wollte die Arbeitslosigkeit weiterhin bloss verwalten und primär die Auszahlung der Taggelder sicherstellen. Das andere Lager war der Meinung, man müsse nun aktiv werden und die Arbeitslosigkeit mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten bekämpfen. Priorität sollte der «aktiven» Arbeitsmarktpolitik mit Beratung/Vermittlung und arbeitsmarktlichen Massnahmen zukommen.
Und im BIGA setzten sich die Aktiven durch.
Imstepf: So ist es. Man kann schon sagen, dass wir damals die Marschrichtung vorgaben. Im Grunde haben auch die externen Experten unsere Meinung übernommen.
Babey: Aber auf externe Expertenmeinungen hört man ja eher als auf die Verwaltung.
Wenn Sie nun zurückblicken: Worauf sind Sie im Nachhinein besonders stolz?
Babey: Ich bin stolz, dass es gelungen ist, die öffentliche Arbeitsvermittlung zu professionalisieren, und dass die Grundidee der RAV im BIGA entstanden ist.
Imstepf: Und ich bin zusätzlich stolz auf die Kantone. Diese mussten ja von einem Moment auf den anderen ihre Organisation komplett umkrempeln. Das lässt sich mit einem Privatunternehmen vergleichen, das innert kürzester Zeit schweizweit 130 Filialen eröffnen soll. Zudem war der qualifizierte RAV-Personalberatende, der plötzlich gefordert war, auf dem Markt nur schwer zu finden. Professionelle Arbeitsvermittlung fand damals praktisch nur in den grossen städtischen Arbeitsämtern statt.
Was waren im Rückblick die negativen Überraschungen?
Babey: Das Ganze gestaltete sich unglaublich schwierig. Wir waren keine Spezialisten im Aufbau einer derartigen komplexen Organisation, und wir operierten anfangs mit alten Methoden. Das war falsch.
Was heisst alte Methoden?
Babey: Wir schrieben den Kantonen alles und jedes vor. So wurden die kantonalen Vollzugsstellen mit einer Fülle von Handlungsanweisungen konfrontiert. Teilweise setzten wir dabei falsche Anreize. Das ging, etwas übertrieben gesagt, bis hin zur Frage, wie lange eine Kaffeepause dauern soll. Nicht sehr erfolgreich waren auch die ersten Steuerungsversuche mit Leistungsaufträgen, weil Leistungs- und Wirkungsziele vermischt wurden.
Imstepf: Wir haben jedoch rasch gespürt, dass es so nicht funktioniert. Was bringt es, etwa die Zahl von Beratergesprächen vorzuschreiben, wenn doch letztendlich nur zählt, ob die bei den RAV gemeldeten Stellensuchenden möglichst rasch und dauerhaft wieder einen Job finden? Nichts.
Das Unbehagen breitete sich auch unter den Politikern aus. In einer Motion von Jean-Pierre Bonny, der einst selbst Direktor beim BIGA war, wurden Nachbesserungen verlangt.
Babey: Die Motion wurde in ein Postulat umgewandelt, aber wir versprachen, die Sache nicht zu schubladisieren. Erneut kamen eine Expertengruppe und externe Analytiker zum Zug. Das Grundkonzept der RAV wurde bestätigt, doch gleichzeitig wurden zahlreiche Optimierungsmöglichkeiten aufgezeigt. So konnte im Jahr 2000 aufgrund der sogenannten technischen AVIG-Revision die neue Steuerung eingeführt werden. Diese folgte der Strategie, nur das Was vorzugeben, nämlich messbare Wirkungsziele, das Wie jedoch den Kantonen zu überlassen. Damit verfügten wir endlich über eine zeitgemässe Organisationsstruktur und Steuerung. Das war für mich ein ganz entscheidender Schritt.
Die RAV, so hiess es zu Anfang, sollten Erwerbslose informieren, beraten, betreuen und vermitteln. Ist diese Reihenfolge für Sie noch gültig?
Imstepf: Die RAV haben primär einen wirtschaftlichen Auftrag. Sie sollen, etwas drastisch ausgedrückt, nicht Händchen halten, sondern wieder eingliedern helfen. Deshalb kann ich mich mit dem Begriff «Betreuung» nicht anfreunden.
Babey: Zudem müssen die RAV kontrollieren und – wenn nötig – sanktionieren.
Die Diskussion um die Kontrolltätigkeit begleitet die RAV seit ihrer Entstehung. Haben Sie es manchmal satt, immer wieder darauf angesprochen zu werden?
Babey: Die Kontrolltätigkeit, die unter anderem der Bekämpfung des Missbrauchs der Arbeitslosenversicherung dient, gehört nun einmal von Gesetzes wegen zu den Aufgaben der RAV. Dass das immer wieder thematisiert wird, erstaunt mich nicht. Es gehört dazu.
Imstepf: Aber aus Erfahrung und extern durchgeführten Evaluationen wissen wir auch, was den erfolgreichen RAV-Berater ausmacht. Es ist nicht der idealistisch motivierte Betreuer, sondern derjenige, der von Anfang an den Tarif erklärt, gleichzeitig jedoch seine Hilfe zur Wiedereingliederung anbietet.
Die RAV sind ja durchaus erfolgreich. Trotzdem haben sie seit Anbeginn eine schlechte Presse. Wie erklären Sie sich das?
Babey: Wir sind in einem Umfeld tätig, welches für die Betroffenen nicht einfach ist. Aber schauen wir uns einmal die Relationen an: Zählt man den Anfangsjahresbestand an gemeldeten Stellensuchenden und die Neuzugänge das Jahr über zusammen, hatten die RAV letztes Jahr mehr als 520000 Kunden zu beraten. Nehmen wir an, nur fünf Prozent seien nicht zufrieden, so ergibt das bereits über 25000 Unzufriedene. Diese verschaffen sich Luft, das ist normal. Für die Medien ist es daher einfach, so genannte negative Beispiele zu finden.
Wir sind mal wieder schuld. Anders gefragt: Hätte man gerade zu Anfang PR-mässig nicht mehr machen müssen, um die RAV positiver zu positionieren?
Imstepf: Wir informieren regelmässig, zum Beispiel über die Resultate unserer jährlichen Wirkungsmessung. Die Resultate sind jeweils überwiegend positiv, das heisst, in den RAV wird gute Arbeit geleistet. Parallel dazu wird im Auftrag der Aufsichtskommission der Arbeitslosenversicherung periodisch die Vermittlungseffizienz der RAV beurteilt, und zwar durch einen externen Experten. Wie im letzten Jahr bekannt wurde, hat sich die Vermittlungseffizienz im Zeitraum 1998–2003 um mehr als 22 Prozent gesteigert.
Babey: Aber darüber wird in den Medien kaum berichtet. Wer ist schon an guten Nachrichten interessiert.
Das tönt etwas verbittert.
Babey: Nein, verbittert bin ich nicht. Ich habe mir mittlerweile eine dicke Haut zugelegt.
Imstepf: Ich will noch anfügen, dass wir der Kritik auch immer Positives abzugewinnen versuchen. Und es zeigt sich immer wieder, dass in konkreten Fällen auch Fehler passiert sind, aus denen wir lernen können und müssen.
Babey: Wir versuchen ständig, uns zu verbessern. Unter anderem führen wir ja auch die sogenannten besonderen Lagebeurteilungen durch bei Kantonen, die bei der Erreichung der vereinbarten Wirkungsziele Mühe haben.
Wer macht besonders Mühe?
Babey: Das wechselt sich ab. Aber der Kanton Genf ist zu einem «Stammkunden» geworden. Die gemessene Wirkung hinkt dort leider seit einiger Zeit dem schweizerischen Durchschnitt hinterher.
Imstepf: Es herrschen dort für die Erfüllung des Auftrags der öffentlichen Arbeitsvermittlung aber auch schlechte kantonale Rahmenbedingungen.
Babey: Das ist richtig. Allgemein ist es ja so, dass der beste Personalberatende nicht viel bewirken kann, wenn die Rahmenbedingungen nicht gut sind.
Noch zählen «Ihre» Personalberatenden nicht überall zu den Besten.
Imstepf: Was die Qualifizierung der Personalberatenden betrifft, so ist man nicht in allen Kantonen gleich weit, das stimmt. Doch wir machen Druck.
Steht die Qualifizierung des RAV-Beratenden oben auf Ihrer Prioritätenliste?
Babey: Ja. Es ist auch gesetzlicher Auftrag, dass die Mehrheit der in den RAV beschäftigten Leute einen Fachausweis besitzen müssen. Bis 2007 soll das 80 Prozent der Beratenden betreffen. Das ist für uns alle eine grosse Herausforderung.
Imstepf: Ein zweite Herausforderung ist die Modernisierung des Informatiksystems AVAM, die spätestens 2008 abgeschlossen sein sollte. Ziel ist es, die Vollzugsprozesse in den Kantonen mit
einer gesamtschweizerisch einheitlichen IT-Lösung zu unterstützen. Zudem wollen wir im Rahmen der Interinstitutionellen Zusammenarbeit weitere Fortschritte erzielen. Es gilt, noch enger und effektiver mit den IIZ-Partnern zu kooperieren.
Existieren im seco auch Szenarien, die RAV in wirtschaftlich sehr viel besseren Zeiten dereinst wieder abzuschaffen?
Babey: Es gibt derlei Szenarien, was die Zukunft der RAV betrifft, wobei wir uns grundsätzlich am Beispiel der Feuerwehr orientieren. Nur weil es über einen längeren Zeitraum hinweg nicht brennt, schafft man diese ja nicht ab. Wir sind jedoch bereit, uns der Wirtschaftslage anzupassen. Sinkt die Zahl der Stellensuchenden, werden auch die RAV redimensioniert. Damit unterscheiden wir uns zum Beispiel von der Praxis in Österreich. Dort bleiben die Bestände in der Arbeitsvermittlung immer dieselben, unabhängig von der Anzahl der Stellensuchenden. Man überträgt den Beschäftigten einfach je nach Lage mehr oder weniger Aufgaben. Allerdings gibt es für uns bei der Redimensionierung eine Grenze, die wir nicht unterschreiten wollen. Sie entspricht dem Personalbestand, den wir für 1,2 Prozent Stellensuchende benötigen. Das bezeichnen wir als «Bereitschaftsfunktion» der RAV-Organisation.
So was nennt man eine dynamische Verwaltung.
Babey: Ich will nicht unbescheiden sein, aber ich denke, das trifft auf unseren Vollzugsapparat zu.
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