«der arbeitsmarkt» 06/2006

Die Kunst, sich zu verkaufen

Karriere Profil ist Trumpf, Selbstmarketing ein Muss für Arbeitnehmende und Dienstleistende. Fragt sich bloss, wie das uns bescheidenen Schweizern gelingen soll.

Ein zaghaftes Bekenntnis, schon oft gehört: «Ich bin nun mal nicht der Verkäufertyp», klönen Dienstleistende und Arbeitnehmende. Sie hoffen fest, dass ihre Leistung für sich selbst spricht.
Ach, die bescheidenen Schweizer! «Alles Mögliche können sie verkaufen, sogar Kühlschränke in der Antarktis», sinniert Christoph Kühnhanss, Personalberater in Bern. «Aber wir haben Mühe, uns selber zu verkaufen.» Wir sind fixiert auf Ängste, Sorgen, Nöte und nicht zufällig das überversichertste Volk der Welt. Kühnhanss nennt zwei Gründe dafür: Erstens haben die Bewohner unseres kleinen Alpenlandes im Lauf der Jahrhunderte einen kleinstaatlichen Minderwertigkeitskomplex entwickelt. Zweitens ist der ganze Westen von einer Jagd nach immer neuen Superlativen geprägt: «Ständig werden sie uns präsentiert: Supermodels, Supererfolgreiche, Supergestylte. Wir vergleichen uns immer mit dem absoluten Maximum. 
Dabei ist dieses Maximum nicht real und 98 Prozent der Menschen sind überhaupt nicht ausserordentlich, sondern ziemlich normal.»
Kühnhanss, ein Schweizer mit bayrischen Wurzeln, hat sich vorgenommen, den Eidgenossen auf die Sprünge zu helfen – vor allem den Stellensuchenden. Sein Buch «BeWerben ist Werben» kämpft mit praktischen Tipps gegen den grassierenden Kleinmut. Leser sind begeistert und Fachleute flechten Lorbeerkränze.  
Aber das Anti-Verkaufs-Geklöne ist nicht nur ein Problem von Stellensuchenden. Firmen umwerben Top-Professionals und Nachwuchskräfte frisch von der Hochschule. Was ist mit der dritten Gruppe, der Schar der etablierten Mitarbeiter von 35 Jahren an aufwärts? Sie halten den Betrieb seit Jahren in Schwung, doch sie haben verlernt, die eigene Person aktiv zu verkaufen.
Auch bei den Dienstleistern hapert es. Viele Kleinunternehmer und Gewerbler sind mehr krampfhaft als erfolgreich bemüht, Aufträge hereinzuholen. Dies ist kein speziell schweizerisches Problem. In Amerika, wo die Meister der Selbstanpreisung wohnen, hat der Berater Allan Boress den Finger auf den wunden Punkt gelegt. Der Wirtschaftsprüfer und Wanderprediger in der Kunst des Verkaufens wird nicht müde, zu wiederholen: Wer eine Dienstleistung anbietet, verkauft nicht in erster Linie ein Produkt, er verkauft sich selbst. Er muss die Sympathie und Wertschätzung des Auftraggebers gewinnen, und seine beste Strategie ist: aufmerksam und empathisch zuhören wie ein besorgter Hausarzt. Dann eine Diagnose machen und den Weg zur Heilung aufzeigen.
Sich selbst als Person darf man nicht wie Cola verkaufen. Die braune Brause trinkt man gerne, selbst wenn einem der Kellner unsympathisch ist. Auch eine Vertrauensbeziehung zum Lieferanten ist nicht Vorbedingung. Bei Selbstverkäufern wirken andere Mechanismen der Vermarktung – aber eines können sie dennoch von den Cola-Strategen lernen: Deren Werbebotschaften sind mit Verstärkern vollgepackt, die einen atemberaubenden, prickelnden und frischen Genuss versprechen. Warum nicht auch dann Verstärker einsetzen, wenn es um die eigene Person oder das eigene Geschäft geht – selbstverständlich nur positive!

Verkaufen mit Ehrlichkeit, Köpfchen und Herz

Irène Nager, PR-Frau in Meggen, ist eine Meisterin des blumigen Adjektivs. Die Grundstimmung ihrer Medienmitteilungen ist lustig, charmant, fröhlich, locker, informativ. Solche Verstärker kommen an. Aber Irène Nagers eiserne Regel ist Ehrlichkeit. Sie will vertrauenswürdig bleiben bei ihren Adressaten, den Journalisten, und bei ihren Kunden: «Für meine Schäfchen wehre ich mich.» Irène Nager hat den Musikredaktoren während zweier Jahre «Subzonic» angeboten, bevor die Band endlich zum Begriff wurde. Claudia Lässer, Star-TV-Moderatorin und nette Blonde von nebenan, stieg dank der Promo-Frau und dank «Blick» in den Kreis der Promis auf. Wie steuert Irène Nager das Image von Claudia Lässer? «Ich höre ihr einfach zu, wohin sie will, und biete ihr verschiedene Varianten an, ihre Botschaft zu platzieren.» Mit viel Spass organisiert Irène Nager auch Events mit schnellen Autos für Frauen.
Hat sie Verkaufsgeheimnisse? Kaum, sie vertraut Köpfchen und Herz. Ihr visueller «Auftritt» wirkt elegant und trendy. Noch mehr prägt die angenehme Stimme ihr Image, weil sie die Journalisten vor allem von Telefongesprächen her kennt. Irène Nager ist ehemalige Sängerin und hat auch die Haltestellenansagen für die Luzerner Verkehrsbetriebe gemacht. 

Der gelungene Auftritt im falschen Hemd

Der richtige Auftritt öffnet Türen. Dies demonstriert Kurt H. Illi virtuos. Stets sieht man den bekanntesten Schweizer Touristiker aus der Leuchtenstadt mit luzernblau umrandeter Brille und blauem Hemd mit weissem Kragen. «Einmal trug ich privat ein anderes Hemd, und prompt bemerkte ein Passant: ‹Sie, das ist das falsche Hemd›», erzählt er lachend. Für Illi gehören touristisches Verkaufen und Selbstmarketing zusammen wie eineiige Zwillinge. Illi hat Luzerns Kapellbrücke und den Wasserturm weltbekannt gemacht. Und immer wieder ins Bild gerückt, selbst wenn viele Luzerner meckerten: «Nicht schon wieder diese Kapellbrücke!» Der ehemalige Verkehrsdirektor und heutige Präsident der City-Vereinigung predigt radikale Einfachheit in der Werbebotschaft. Wenige Worte müssen genügen, um ein Objekt oder eine Leistung begehrenswert zu machen. Für die Leuchtenstadt sind dies Illis Worte: Stadt – See – Berge. Personalberater Kühnhanss empfiehlt für Bewerbungsschreiben die Kurzformel KISS. Keep it simple and stupid: Formuliere einfach und narrensicher. 

Das eigene Profil schärfen auf dem Boden der Realität

Toni Nadig führt eine Firma für Outplacement. Er berät Menschen, die aus einer Firma «hinausplatziert» werden. «Als ich diese Firma gründete, dachte ich: Es gibt 110 Berater in der Stadt Zürich, die Outplacement anbieten, also muss ich mein Profil schärfen.» Nadig kombinierte seine hervorstechendsten beruflichen Merkmale: Psychologe, Personalchef und Führungserfahrung. Drei Elemente, die ihn einzigartig machen. Dieses Profil nutzt er zur Kundenwerbung. «Ich spreche jene an, denen diese spezielle Kombination gefällt. Ich bin Psychologe, war aber auch Direktionsmitglied eines Finanzkonzerns!» Wenn Toni Nadig heute Menschen berät, die neue Ziele anpeilen, rät er ihnen: «Das Profil schärfen, aber die Realität nicht aus den Augen verlieren. Denn es ist die Nachfrage, die über die Verkaufschancen bestimmt.»
Innere Kämpfe um die Profilierung des Ichs sind hart. Davon kann der Psychologe Dieter Hauser, Leiter der Laufbahnberatung am Institut für Angewandte Psychologie (IAP) in Zürich, einen Eindruck vermitteln: «Jemand möchte sein Bewerbungsdossier mit einem Qualifikationsprofil bereichern: Doch wie soll das aussehen? Kann ich denn sagen: Das ist meine Stärke?» Hauser rät den Klienten, zu den eigenen Qualitäten zu stehen. «Das zahlt sich aus, weil solche Hinweise die Angesprochenen neugierig machen.» Persönlichkeitstests zeigen laut Hauser ein gemischtes Bild: Teils überschätzen sich die Menschen, teils unterschätzen sie sich. Die Zahl der Überbescheidenen sei deutlich höher als jene der hochmütigen Narzissten.  

Hohe Schule des Verkaufens: Humor und Originalität

Die Kunst des Verkaufens beruht nicht nur auf bodenständigen Rezepten. Wer die Augen des Publikums zum Glänzen bringen will, lässt etwas Humor einfliessen oder überrascht durch Originalität und kunstvolle Inszenierung. Stephan Klapproth, beliebtester Deutschschweizer Fernsehmoderator, nutzt seine Möglichkeiten perfekt: Sein Witz ist sehr dezent und dem nüchternen Umfeld des Nachrichtenmagazins «10 vor 10» angepasst. Klapproth weiss sich in einer langen Tradition: «Schon Horaz hatte vor 2000 Jahren gefordert, dass jeder, der sich an ein Publikum wendet, gleichzeitig ‹prodesse et delectare›, das heisst nützen und ergötzen müsse. Dass der gescheite Inhalt eine attraktive Verpackung braucht, ist also schon seit alters bekannt.» Insofern habe sich die Kunst des Verkaufens wohl nicht grundsätzlich geändert, statt lateinisch beschreibe man ihre Methode heute lieber mit englischem Managementvokabular.
Originalität vervielfacht die Durchschlagskraft von Werbebotschaften. Dies bewies wiederum Kurt H. Illi – wer denn sonst? Er posierte im Trachtenhemd auf der Chinesischen Mauer, bot Dubais Bewohnern Ferien in Luzern mit garantiert drei Tagen Regen an und machte Luzern in Japan als Stadt zum Heiraten bekannt. 

Das Verkaufsgespräch ohne Zittern und Schwitzen

Der Werbefleiss hat sich gelohnt, endlich hat man einen Fuss in der Tür – aber was passiert dann? Die Kehle wird trocken, die Hände zittern vor entscheidenden Auftritten und Gesprächen. Um ohne Stolpern ins Besprechungszimmer zu treten, hilft Vorbereitung. Die wichtigsten Fragen im Voraus studieren, die denkbaren Szenarien der Begegnung abchecken – und etwas fürs Selbstbewusstsein tun. Kühnhanss rät, Auftritte vor dem Spiegel zu üben.
Ein Verkaufsgespräch läuft nach Regeln ab. Eine der wichtigsten besagt: Nie seine Angebote auf den Tisch knallen, sondern zuerst die Bedürfnisse des Kunden erfragen und erspüren. Erst wenn Vertrauen hergestellt ist, spricht der Verkäufer über seine Trümpfe. «Wir haben das, was Sie brauchen», lautet die klassische Anpreisung in unermesslichen Varianten. Eine Begründung sollte nicht 
fehlen. Ein erprobter Autoverkäufer spricht vielleicht die Sehnsüchte und Ängste des Kunden an, die er herausgehört hat. Dem Ängstlichen offeriert er ein sicheres Gefährt, dem Anspruchsvollen eine stattliche Limousine. 
«Ich bin die Person, die Sie suchen» – so tönt das zentrale Argument bei Job-Bewerbern oder Dienstleistern. Oder so sollte es tönen, denn oft säen die Bewerber selbst Zweifel. Auf die Frage «Was haben Sie im letzten Job gemacht?» kommen zögerliche und tastende Antworten. «Es geht darum, wie eine Rakete loszulegen», empfiehlt Kühnhanss. «Das habe ich gemacht, jenes 
habe ich geleistet. Plakativ! Zahlen nennen und Facts mit Beispielen untermauern.»

Manipulieren und überzeugen wie die Amerikaner

Menschen entscheiden oft automatisch, ohne lange nachzudenken. Das ist nützlich bei Zeitdruck und Informationsüberflutung. Doch gewiefte Überzeugungsprofis machen sich diese «Klick»-Effekte zu Nutze, wie der amerikanische Psychologe Robert E. Cialdini erläutert. So bieten Krishna-Jünger selbstgemachte Küchlein an, Kaufhäuser offerieren Gratisproben. Denn sie wissen, dass sich der Empfänger spontan zu einer Gegenleistung verpflichtet fühlt – selbst wenn er ein ungutes Gefühl im Bauch hat. Schon als Kinder haben wir das Reziprozitätsprinzip verinnerlicht, auf dem dieser Mechanismus beruht.  
Stephan Klapproth nimmt es gelassen: Als junger Politologiestudent hielt er die «hidden persuaders», wie man die Werbemanipulatoren damals nannte, in der Tat für eine unheimliche Gefahr. «Heute», philosophiert der Fernsehmann, «sehe ich das etwas weniger aufgeregt und denke: Das ganze Leben ist ein wechselseitiges Werben, und wer nicht übertölpelt werden will, muss seine Entscheidungen periodisch rational überprüfen und doppel- oder dreifachchecken.»
Jeder kann zum Manipulator werden, gerade auch der Selbstvermarkter. Christoph Kühnhanss mag nicht säuseln und will der Realität ins Auge schauen: «Ganz klar: Auch bei Bewerbungsgesprächen geht es darum, zu manipulieren. Ich will, dass die Leute, die mich anstellen sollen, mir einen Arbeitsvertrag schicken. Das ist Manipulation vom Feinsten, positiv gefärbt kann man es überzeugen nennen. Oder werben, werben, werben. Die Amerikaner könnens.» Es sei erlaubt, nicht über die eigenen Schwächen zu sprechen. «Denn die Firma schweigt auch über ihre Schattenseiten.» Kühnhanss warnt jedoch davor, das Blaue vom Himmel herunterzulügen.
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