«der arbeitsmarkt» 10/2014TEXT: Joël FreiFOTO: Simone Gloor
Neuorientierung

«Die Kündigung kann eine Chance sein»

Wie geht ein Plan B? Laufbahnberaterin Ellen Perolini erzählt von gelungenen Neuorientierungen ihrer Klienten und warum man sich erst «frei denken» muss, um neu zu beginnen.

Ellen Perolini, auf Ihrem Xing-Profil zitieren Sie den tschechischen Schriftsteller Pavel Kosorin: «Der Neujahrstag ist die einzige wichtige Veränderung, die von selber eintritt.» Standen Sie selbst einmal vor einer wichtigen beruflichen Veränderung?
Ja, ich habe zweimal in meinem Leben meinen Job verloren. Das erste Mal wurde die Firma, für die ich arbeitete, verkauft, und alle altgedienten Berater wurden entlassen. Meine Stelle wurde zwar nicht aufgehoben, doch ich war nicht bereit, Outplacementberatung auf Abruf zu leisten. Ich lehnte mich zu fest aus dem Fenster und wehrte mich. Mir blieb aber nichts anderes übrig, als zu gehen. Beim zweiten Mal wurde die Karriereberatungsstelle, die ich an einem Institut aufgebaut hatte, aus Kostengründen eingespart. Seit Längerem hatte ich mir überlegt, freiberuflich zu arbeiten. Zu jenem Zeitpunkt hatte ich deshalb meinen Plan B schon pfannenfertig in der Schublade. Ich machte mich selbständig und führe nun mein eigenes Beratungsunternehmen. Mein Plan B brauchte aber eine gezielte Vorbereitung, besonders weil ich mich finanziell absichern musste.

Ihr Plan B reifte während Jahren heran. Dies ist eher die Ausnahme. Wie helfen Sie Ihren Klienten, aus einer vagen Vorstellung ein neues, konkretes Ziel zu formulieren?
Wichtig ist, alle seine Wünsche und Vorstellungen aufzuschreiben, damit die «Wolke», die einem vorschwebt, fassbar wird. Danach brechen die Klienten ihre Vorstellungen auf das Wesentliche herunter, und wir formulieren zusammen ein Ziel.

Wie gehen Sie bei Klienten vor, die sich selber nicht so gut einschätzen können?
Selbsteinschätzung ist etwas sehr Schwieriges. Als ich mich selbständig machen wollte, war auch ich auf eine Sicht von aussen angewiesen. Wenn ich selber betroffen bin, nützt mir mein psychologisches Wissen nicht viel, meiner Selbstwahrnehmung fehlt die objektive Distanz. Als Erstes mache ich mit den Klienten eine Standortbestimmung. Dazu gehören ein Stärken-Schwächen-Profil, eine Analyse der Interessen und Hobbys sowie die Übung «Traumjob definieren». Ich gebe meinen Kunden zudem «Hausaufgaben» mit, die dazu dienen, sich selber besser einzuschätzen: Wenn ich nicht weiss, wo meine Stärken und Schwächen liegen, wie ich kommuniziere, was für ein Typ Mensch ich bin und wie ich auf andere wirke, wird es schwierig, ein Berufsziel zu definieren. Auch der Marketingaspekt der Selbsterkenntnis gehört dazu: Was kann ich an einem Vorstellungsgespräch von mir erzählen? 

Nehmen wir an, der Klient weiss nach der Standortbestimmung, was er kann und will, und hat ein Ziel definiert. Nun steht die Weichenstellung bevor. Sie schreiben auf Ihrer Website zur beruflichen Veränderung: «Jeder Entscheid ist besser als keiner.» Warum?
Man kann zu lange warten und daran glauben, dass einem das Leben automatisch Chancen bietet. Besser dran ist aber, wer sein Ziel beharrlich verfolgt. Dadurch wird eine Perspektive gewonnen, und man erkennt die Situationen, bei denen eine berufliche Weichenstellung erst möglich wird. Dabei hilft einem, sich über die angestrebte Branche zu informieren. Ich rate meinen Klienten, mit kompetenten Berufsleuten eines passenden Unternehmens Kontakt aufzunehmen, um ihr Bild zu überprüfen, das sie sich von der Arbeit in der anvisierten Funktion und Branche machen. Die Klienten präsentieren dabei ihre Zielvorstellungen und bitten die Kontaktpersonen um Tipps und Ratschläge, welche dazu dienen, die eigenen Vorstellungen anzupassen.

Erwerbslose fallen oft in ein tiefes Loch, weil ihnen gekündigt worden ist. Worauf muss in einer solchen Situation geachtet werden?
Wichtig ist, dass die als Kränkung erlebte Kündigung verarbeitet wird, bevor man sich auf Stellensuche begibt. Weiter braucht der Stellensuchende eine optimistische Grundeinstellung. Diese kann er aus einer gründlich erarbeiteten und realistischen Zielsetzung gewinnen. Dazu gehört auch die Überzeugung, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis man auf die richtige Stelle trifft. Zur Stellensuche gehört auch, sein Umfeld über die eigene Situation zu informieren, bis hin zur Schwiegermutter. Wichtig ist, sich nicht abzuschotten. Wer seine Situation nicht kommuniziert, dem weichen die Leute aus, weil sie nicht wissen, wie sie mit einem umgehen sollen. Wer aber eine Perspektive gefunden hat und weiss, was und wohin er will, strahlt Motivation, Zuversicht und Selbstvertrauen aus, was wichtig ist, um eine neue Stelle zu finden. Die Kündigung kann auch eine Chance sein. Klienten sagen mir, dass sie nie mehr in ein so tiefes Loch fallen werden, weil sie eine grosse Entwicklung durchgemacht haben.

Oft muss ein Plan B unfreiwillig und unter Zeitdruck ausgearbeitet werden.
Ein grosser «Gegenspieler» ist die Rahmenfrist der Arbeitslosenkasse, besonders für Stellensuchende über Mitte 40. Ich muss vermeiden, dass meine Klienten ausgesteuert werden. Ich glaube aber an das Schicksal, und meine Berufserfahrung bestätigt es mir immer wieder: Wer mit Überzeugung sein Ziel verfolgt, seien auch noch so viele Hürden zu überwinden, dem öffnet sich über kurz oder lang die richtige Türe.

Können Sie eines Ihrer Erfolgserlebnisse beschreiben, als einer Ihrer Klienten aus einer Notsituation heraus eine passende Arbeitsstelle fand?
Einmal wurde in einem grossen Unternehmen eine ganze IT-Abteilung geschlossen. Die Firma beauftragte mich mit einem Outplacement-Mandat für drei Angestellte. Die drei hatten sich während über 15 Jahren als Arbeitskollegen nie über das Nötigste hinaus ausgetauscht. Ich ermunterte sie dazu, die «Hausaufgaben» gemeinsam zu lösen und sich über ihre Zukunftspläne auszutauschen. Für alle drei tat sich eine neue Welt auf! Zwei fanden wieder eine Stelle in ihrer Branche, der dritte jedoch schlug seinen eigenen Weg ein: Während eines Ausflugs knüpfte er einen Kontakt zu jemandem aus einer anderen Branche und sucht nun eine Stelle im Bereich alternative Energien. Im Hinblick auf seinen Plan B besucht er nun Messen und vergrössert sein Kontaktnetz.

Kann ein Plan B auch nur ein sinnvoller Umweg sein, um das ursprüngliche Ziel später doch noch zu erreichen?
Das ist sehr oft der Fall. Fast bei jedem Klienten empfehle ich, zuerst ein oder zwei Zwischenziele anzustreben. Ein Klient war Einkäufer in einem Modeunternehmen. Sein Plan B war, sich selbständig zu machen und ein Herrenmodegeschäft zu eröffnen. Er stellte diesen Plan aber für den Moment zurück, weil er als Familienvater Geld verdienen musste. Er nahm darum eine Stelle in der Modebranche an, fand aber schon während der Probezeit ein Geschäft, das er sich leisten konnte. Er machte sich selbständig. Das war genau das Richtige für ihn: Heute ist er Inhaber von drei Modegeschäften.

Kann die Abkehr von ursprünglich gesteckten, unrealistischen Zielen eine gute Entscheidung für die Zufriedenheit im Beruf sein?
Ich habe keine Berufseinsteiger unter meinen Klienten. Als junger Mensch hat man oft keine klaren Zielvorstellungen, sondern eher Wünsche. Auch ich war schon überfordert mit der Freiheit, aus vielen Möglichkeiten ein Ziel zu definieren. Ich masse mir aber nicht an, jemandem zu empfehlen, seinen Berufswunsch aufzugeben. Ich coache die Klienten aus dem Hintergrund heraus, die Kontaktgespräche mit Berufsleuten in der Branche führen sie selber. Oft stellt sich erst in diesen Gesprächen heraus, ob sie in das jeweilige Berufsfeld passen würden.

Nehmen wir an, Sie haben einen Klienten, der seit 25 Jahren beim gleichen Arbeitgeber war, sich neu orientieren muss, aber gar keine Vorstellung davon hat, in welche Richtung es gehen soll. Was raten Sie ihm? 
Klienten, die so lange im gleichen Beruf gearbeitet haben, möchten von mir oft gar keine Standortbestimmung. Sie wollen sofort mit der Suche nach einer Stelle beginnen, in der sie dieselbe Tätigkeit zu vergleichbaren Konditionen in einer möglichst ähnlichen Firma und Branche ausüben können. Von dieser Vorstellung sind sie erst nach langer, erfolgloser Stellensuche abzubringen. 

Wer sich keine Vorstellungen von seiner Zukunft macht, möchte möglichst keine Veränderungen in seinem Leben?
Natürlich. Das ist auch absolut menschlich. Jede Erschütterung eines noch so schlecht funktionierenden Systems verändert dieses nicht grundlegend. Die meisten Menschen halten lieber fest am Vertrauten, als sich auf etwas Neues einzulassen. Wenn jemand beispielsweise einen unternehmerischen Geist und Risikobereitschaft zeigt, dann sucht er schon in jungen Jahren den Weg in eine selbstverantwortliche Tätigkeit.

Sie bieten auch Karriereberatung 50plus an. Auf Ihrer Website beschreiben Sie die Krise einer Klientin, der 56-jährigen Anna, welche die Leitung der Marketingabteilung eines grossen Medienunternehmens abgeben musste und sich in einem neuen Arbeitsgebiet derselben Firma nicht entfalten konnte. Ein wichtiger Aspekt Ihrer Beratung ist das «Sich-frei-Denken». Was verstehen Sie darunter? 
Meine Beratung soll darauf hinwirken, festgefahrene Vorstellungen zu hinterfragen und aufzubrechen. Anna und ich arbeiteten ein Projekt aus: Sie wollte sich in derselben Firma für eine Stelle bewerben, die noch nicht existierte, für die sie aber Bedarf festgestellt hatte. Bei der Ausarbeitung dieses Projekts machte sie einen grossen Veränderungsprozess durch, und eine «Lawine» kam ins Rollen. Anna begann, sich frei zu strampeln, sich anders zu verhalten und nicht mehr ihren Frust vor sich herzutragen. Schon nach kurzer Zeit wurde sie von den Mitarbeitenden und dem Chef als angenehmer im Umgang wahrgenommen, was sich auch auf deren Verhalten positiv auswirkte. Schon durch kleine Verhaltensänderungen kann viel erreicht werden. Ich empfahl ihr beispielsweise, dem Chef weniger herausfordernd in die Augen zu schauen und sich stattdessen Notizen zu machen – Chefs lieben das, weil sie sich dann wichtig fühlen. Auch wenn man Schiffchenversenken spielt, statt ihre Ausführungen aufzuschreiben. Anna fand einen besseren Umgang mit ihrem Vorgesetzten. Das ausgearbeitete Projekt präsentierte sie der Personalverantwortlichen und der Geschäftsleitung. Daraufhin wurde ihr Stellenprofil den neuen Aufgaben entsprechend angepasst.

Ein Beispiel einer «freiwilligen» Neuorientierung: Eine PR-Fachfrau kündigt ihre Stelle in einem Pharmaunternehmen. Sie sucht eine Stelle in einer NGO. Wie kann sie ihren Berufswunsch erfüllen und potenzielle Arbeitgeber in diesem neuen Berufsfeld auf sich aufmerksam machen?
Eine solche Neuorientierung würde ich nur empfehlen, wenn dies vom Alter – Mitte bis Ende 30 – noch infrage kommt. Im Moment sollte sie aber dort bleiben, wo sie ist, und nebenher eine Zusatzausbildung in NGO-Kommunikation oder dergleichen absolvieren. Sie hat gute Chancen, bei einer NGO unterzukommen, weil sie aus der Wirtschaft stammt. NGOs müssen leistungs- und zielorientiert und nach wirtschaftlichen Kriterien arbeiten. Wenn das Ziel klar definiert wird und jemand motiviert ist, strahlt die Person dies aus, und ihr eröffnen sich neue Möglichkeiten. 

Veränderungen kündigen sich manchmal mit übermässigem Stress an. Wie merkt man, dass eine berufliche Neuorientierung aus gesundheitlichen Gründen ansteht?
Viele nehmen die Zeichen einer bevorstehenden Erschöpfung nicht wahr. Sie merken es nicht oder wollen sie nicht wahrhaben. Mit einem Klienten arbeitete ich einmal einen Plan aus, um einem drohenden Burn-out vorzubeugen. Darin versuchten wir, mit einem Hotelaufenthalt seinen Arbeitsweg zu reduzieren. Wir planten Spaziergänge am See ein und auch Zeit zum Entspannen sowie Massagen. Doch der Klient setzte den Plan nicht um und kam nicht wieder. Diese Leute haben oft sehr hohe Ansprüche an sich – und an andere – und sind unfähig, ihr Büro um 17 Uhr zu verlassen. Ich arbeite lieber mit Klienten zusammen, die ein Burn-out durchgemacht haben. Diese wollen etwas an ihrem Leben verändern. Ich habe einen Geschäftsleiter beraten, der zweimal ausgebrannt war. Er sagte mir, er brauche jemanden, der ihn daran hindere, sich nochmals in eine solche Stresssituation zu begeben. Er war Mitte vierzig und hatte klare Vorstellungen, was er will: eine Familie gründen und nur noch 80 Prozent arbeiten. Ich musste ihm einmal «verbieten», einen Job anzunehmen, der seinem Wunsch nicht entsprach. Schliesslich fand er genau das, was er suchte: eine 80-Prozent-Stelle in einer leitenden Funktion. 

Kommt es vor, dass Ihre Beratungen scheitern?
Ja. Manchmal stimmt die Chemie zwischen mir und den Klienten nicht. Gewisse Klienten können nicht Abstand von ihrer Sicht der Dinge nehmen und erwarten, dass ich zu 100 Prozent ihre Selbsteinschätzung teile. Dann wird die Beratung oft abgebrochen. Die Fähigkeit, sich mit einem Fremdbild auseinanderzusetzen, ist wichtig bei einer Beratung. Beim Outplacement breche ich eine Beratung nur ungern ab, wenn die Firma kein Zusatzbudget zur Verfügung stellt, obwohl jemand noch keine neue Stelle gefunden hat. Dann kommt es vor, dass ich Klienten per Mail oder Telefon weiterbetreue, bis wir eine neue Lösung gefunden haben.

Ellen Perolini
ist seit zwölf Jahren Inhaberin der ellen perolini beratung epb in Zürich. Sie ist Mitglied bei der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) und spezialisierte sich in Arbeits- und Organisationspsychologie. Sie bildete sich weiter in Diagnostik, Persönlichkeitsentwicklung, systemischer Therapie sowie Coaching und Beratung. Ellen Perolini arbeitete 13 Jahre lang für das Outplacement-Unternehmen DMB, wo sie den psychologischen Dienst deutsche Schweiz leitete. Am Institut für Angewandte Psychologie baute sie zudem eine Beratungsstelle zur Laufbahngestaltung 50plus auf. Sie hat eine erwachsene Tochter und lebt in Zürich.