«der arbeitsmarkt» 03/2007

Die Klimaverbesserer

Die Diskussionen um Mobbing, sexuelle Belästigung und Burnout machen deutlich, wie vergiftet das Betriebsklima mancherorts ist. Dies hat eine Unzahl von Fachleuten auf den Markt gerufen, die mittels Coaching, Supervision oder Führungstraining Besserung versprechen.

Wenn sich in der Firma die Zahl der krankheitsbedingten Absenzen bedenklich erhöht, in der Kaffeeküche auch ohne Raucher dicke Luft herrscht und die Neuen sich schon bald wieder verabschieden, dann dürfte jedem Vorgesetzten klar werden, dass in seinem Betrieb der Haussegen schief hängt und er etwas zur Verbesserung des Betriebsklimas unternehmen muss. Zumal die miese Stimmung durchaus einen Einfluss auf die Produktivität des Betriebes hat und somit auch ökonomische Konsequenzen nach sich zieht.
Nebst internen Massnahmen wie etwa intensiven Mitarbeitergesprächen besteht für Führungskräfte die Option, nach externen Spezialisten Ausschau zu halten, welche das Betriebsklima wieder ins Lot bringen helfen. Doch wer nun über das Internet Informationen über mögliche Klimaverbesserer einholen will, wird erst einmal von einer Flut von Angeboten unter diversen Schlagworten überschwemmt: Coaching, Supervision, Consulting,
Mediation, Betriebsentwicklung, Konfliktmanagement, Employee Relationship Management und so weiter. Die Beraterbranche boomt offenbar nicht nur im rein ökonomischen Segment, sondern auch im sozialen und strukturellen Bereich. Selbst die Gewerkschaft Unia behandelt in ihrem neuen «Handbuch für die Personalvertretung» in einem speziellen Kapitel das Thema «Handlungsfeld Betriebsklima».
Doch was ist dieses ominöse Betriebsklima, und wie lässt sich darauf Einfluss nehmen? «Ein Betriebsklima ist die Summe der Mitarbeiterzufriedenheit», erklärt die Organisationsentwicklerin Esther Lauper vom Institut für Neues Lernen in Wallisellen. Deshalb lässt sich ein gutes Betriebsklima auch nicht einfach von oben verordnen, sondern muss im Kontakt mit den einzelnen Mitarbeitenden und Führungskräften gestaltet werden. Für Esther Lauper ist es daher klar, dass im Falle von Konflikten eine Intervention nur dann sinnvoll ist, wenn alle bereit sind, sich auf einen Veränderungsprozess einzulassen. Je nach Situation und Auftrag wählt sie dann einen Zugang über die Führungsebene oder das Team.

Der Belegschaft den Spiegel vorhalten

Esther Lauper geht in ihrem ganzheitlichen Ansatz davon aus, dass es für ein ideales Betriebsklima eine Balance in der Gewichtung der Bereiche «Struktur/Führungslinie», «Freiraum/Kreativität», «Beziehung» und «Philosophie/Ziele» braucht. So können beispielsweise zu enge Handlungsspielräume auf der strukturellen Ebene Innovationen blockieren, da die Freiräume zu stark begrenzt sind. Gerade kreative Mitarbeitende können dadurch frustriert werden, was sich dann natürlich wiederum auf der Beziehungsebene bemerkbar macht. So erweisen sich die akuten Probleme in den Betrieben, deretwegen man Fachleute zu Hilfe ruft, beim genaueren Hinsehen oft als Symptome einer tiefer liegenden Problematik.
Um im Falle einer Intervention den eigentlichen Problemen näher zu kommen, hat sich Esther Lauper über die Jahre eine vielfältige methodische Werkzeugkiste angeeignet, aus der sie je nach Fall und Situation eine andere Methode zu Hilfe nimmt. Bei manchen Teamproblemen engagiert sie beispielsweise das Forumtheater Zürich für einen Workshop, bei dem den Mitarbeitenden oder Führungskräften eines Unternehmens in einem ersten Schritt ein Spiegel des aktuellen Betriebsklimas vorgehalten wird. In einem zweiten Schritt sollen die Teilnehmenden die Schauspielerinnen und Schauspieler auffordern, gewisse Verhaltensmuster zu ändern, und erleben dann auf der Bühne, wie es eben auch anders gehen könnte. Schauspielerinnen und Schauspieler engagiert Esther Lauper zudem oft bei der Führungsausbildung, um quasi in der Rolle des Hofnarren der oder dem Vorgesetzten den Spiegel vorzuhalten und so einen Prozess des Umdenkens einzuleiten.
Eine weitere Methode, um eingeschliffene Verhaltensmuster von Kaderleuten aufzudecken, besteht darin, dass Lauper – ausgerüstet mit einer Videokamera – die Führungskraft zu einem Pferdestall mitnimmt und beim Lösen von Aufgaben zusammen mit dem Pferd beobachtet. Denn ein Pferd gehorcht nur, wenn Führungskraft, Beziehungsfähigkeit und Kommunikation in einem ausgeglichenen Verhältnis sind. Wer nur mit Kraft und
Wille arbeitet, scheitert da genauso sehr wie einer, der ständig zögert oder nur gut zuredet.
Über solche modellhaften Anlagen fällt es einfacher, einen kritischen Blick auf sein eigenes Verhalten zu werfen, als wenn es im belasteten Umfeld geschieht. Für Esther Lauper ist von zentraler Bedeutung, dass in einem weiteren Schritt die durch eine Modellsituation gemachten Einsichten über Mängel und Stärken eingehend analysiert und auf die konkreten Situationen im Betrieb übertragen werden. Erst durch diesen «Transfer» kann eine nachhaltige Wirkung erzielt werden. Sonst besteht die Gefahr, dass diese modellhaften Zugangsweisen zu blossen Betriebsevents verkommen, ohne Einfluss auf die eingefahrenen Strukturen. Dies kann bei so genannten Outdoor-Trainings passieren, wo beispielsweise mit River Rafting und Abseilübungen gearbeitet wird. Aber auch gut gemeinte Mediationen können dazu führen, dass zwar vordergründig Abmachungen über das Zusammenleben getroffen werden, aber das unterschwellige Problem damit noch tiefer unter den Teppich gekehrt wird und früher oder später den Betrieb quasi aus dem unbewussten Bereich heraus wieder heimsucht.

Oft schafft Führungsverhalten Probleme

Grossen Wert auf die Nachhaltigkeit des Coachings legt auch Philipp E. Schädler, der ein Coachingunternehmen in Eschen FL führt. Beim systemischen Coaching, wie es Philipp Schädler praktiziert, spielt die Technik der Organisations- und Strukturaufstellung eine tragende Rolle. Auch ihm geht es bei dieser ganzheitlichen Zugangsweise darum, festzustellen, was die tiefer liegenden Ursachen für Konflikte sind. Ähnlich wie beim bekannten Familienaufstellen werden bei Organisationsaufstellungen Mitarbeitende oder Führungskräfte stellvertretend für die wichtigsten Elemente des betrieblichen Systems im Raum platziert. So kann die ursächliche Problematik der Spannungs- und Beziehungsaspekte deutlich sicht- und spürbar gemacht werden. Um eine Art Kontrollinstrument für den nachhaltigen Transfer in den Betriebsalltag zu haben, legt Philipp Schädler mit den Beteiligten zu Beginn des Coachings konkrete, überprüfbare und messbare Ziele fest.
Bei der Suche nach den Hintergründen für ein schlechtes Betriebsklima zeigt es sich gemäss Esther Lauper, dass die Probleme oft im Führungsbereich ihren Ursprung haben. Das bestätigt auch Bruno Bollinger, Bildungsbeauftragter der Gewerkschaft Unia in Bern. Er weist darauf hin, dass Angestellte beim geselligen Zusammensein vor allem über das schlechte Betriebsklima und die unfähigen Vorgesetzten redeten – und nicht etwa über Fussball. Wobei für den Gewerkschafter das Hauptproblem darin liegt, dass die Führungskräfte viel zu wenig auf die Arbeitnehmenden eingehen und sie mit ihrem Know-how nicht ernst nehmen. «Dabei könnte die Personalvertretung die beste Beratung ermöglichen – und das erst noch billig», meint Bruno Bollinger pointiert.
Für die Organisationsentwicklerin Esther Lauper liegt das Problem dagegen eher im fehlenden «Empowerment», das heisst in einem defizitären Führungsbewusstsein der Vorgesetzten. Sie hat im Laufe ihrer Arbeit festgestellt, dass die spürbaren Führungsunsicherheiten unter anderen bei jenen Vorgesetzten stark verbreitet sind, die durch die antiautoritären Ideale der 68er-Bewegung geprägt wurden. Aber ohne Führungsverständnis und klare Kompetenzregelungen kommt es beim Personal rasch einmal zu Unstimmigkeiten und Konflikten, weil Einzelne das Führungsvakuum selber auszufüllen beginnen und sich gewisse Eigenmächtigkeiten anmassen. So erstaunt es auch nicht, dass Esther Lauper gerade im Sozialbereich, wo eine grössere Skepsis gegenüber klaren Richtlinien und Strukturen besteht, sehr häufig zu Interventionen gerufen wird. Aus dieser Erfahrung heraus sieht sie auch im Bereich des Mobbings immer wieder Führungsschwächen als Ursache, selbst wenn das Mobbing augenscheinlich nicht von oben geschieht: «Vorgesetzte, die Mobbing längere Zeit dulden, müssen irgendeinen Nutzen haben.» Sie spricht deshalb in solchen Fällen auch von einem «delegierten Mobbing» und hält die theoretische Unterscheidung zwischen Bossing, also Mobbing von oben, und Staffing, Mobbing durch Gleichgestellte, für etwas akademisch.

Intervenieren, bevor die Situation eskaliert

Gerade weil es oft in den oberen Etagen harzt, ist die Arbeit des Coachs eine äusserst heikle Angelegenheit. Esther Lauper erklärt, dass sie immer darauf bedacht sei, die Führungskräfte zu stützen und ihre Autorität gegenüber den Mitarbeitenden nie zu untergraben, auch wenn «Entwicklungsbedarf» auszumachen sei. Deshalb hütet sie sich, auf mehreren Ebenen gleichzeitig zu arbeiten. Wenn sie etwa in einem Mobbingfall mit dem Team arbeitet, rät sie bei Bedarf zu einem zusätzlichen Führungscoaching durch jemand anderen und weist darauf hin, dass die Mobbingbetroffenen einer Einzeltherapie bedürfen, damit sie die traumatischen Erlebnisse mit professioneller Hilfe aufarbeiten können.
Das sind komplexe und oft aufwändige Prozesse. In immer mehr Unternehmen wächst denn auch die Erkenntnis, dass Vorbeugen besser ist als Heilen. Statt zu warten, bis das Betriebsklima zu einem Problem geworden ist, setzen Verantwortliche vermehrt auf präventives Coaching und eine gezielte Schulung der Führungskräfte.

Mehr Infos: www.neueslernen.ch, www.philipp-schaedler.li
www.denkschule.com, www.infomediation.ch, www.forumtheater.ch

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