«der arbeitsmarkt» 08/2005

Der verflogene Traum von langfristigen Arbeitsplätzen

Was ist von den tausenden Arbeitsplätzen des Expo-Sommers 2002 übrig geblieben? Was ist aus den Beschäftigten geworden? Eine Spurensuche.

Als die Jobs kamen, drehte der Wind. In der Drei-Seen-Region überwog anfänglich die Skepsis gegenüber der expo.02. Gross war die Angst vor Blechlawinen, einer Verschandelung der Seeufer, einem finanziellen Desaster. Die Führungskrise im Jahr 1999 mit dem Abgang von Generaldirektorin Jacqueline Fendt und der künstlerischen Leiterin Pipilotti Rist trug nicht zur Vertrauensbildung bei. Doch im Frühling 2001 äusserten in einer Umfrage des «Bieler Tagblatts» drei Viertel der Befragten, sie rechneten mit neuen Arbeitsplätzen für die Region. Der Optimismus stieg.
Mit Recht, wie sich rückblickend zeigt. Laut einer Studie des Neuenburger Wirtschaftsprofessors Denis Maillat schuf die Expo 20400 Jahresarbeitsplätze, davon 11000 in den fünf Expo-Kantonen und 9400 in der übrigen Schweiz. Es handle sich um eine theoretische Berechnung auf Basis des insgesamt geschaffenen Einkommens von 2,5 Milliarden Franken, erläutert Denis Maillat. Dass die Bundesausgaben von einer Milliarde Franken einer Subvention von 50000 Franken pro Arbeitsplatz entsprechen, findet der Ökonom nicht übertrieben: «Für die Swissair haben wir zwei Milliarden ausgegeben, und es wurden sogar Arbeitsplätze abgebaut.»
Der Haken der Expo-Stellen: Sie waren mehrheitlich auf wenige Monate befristet. Etwas länger liefen die
Arbeitsverträge in der Organisation, beim Auf- und Rückbau sowie bei den Infrastrukturbauten in den
Expo-Städten. Ein langfristiger Effekt auf den Arbeitsmarkt sei nie vorgesehen gewesen, betont Maillat. Von
einer beschränkten Wirkungszeit spricht auch Martin Heller, künstlerischer Direktor der expo.02 (siehe auch Interview).
Die Aussagen decken sich mit den Beobachtungen der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV). Sie stellten während der Ausstellungsdauer einen positiven, wenn auch nicht durchschlagenden Effekt auf den
Arbeitsmarkt fest. In Neuenburg sei die Arbeitslosigkeit bedeutend zurückgegangen und habe im Juni 2002 mit 2,8 Prozent einen Tiefststand erreicht, sagt der Chef des Arbeitsamtes, Fabio Fierloni. «Die Expo hat bei uns Arbeitsplätze geschaffen», erinnert sich Bernard Evalet, Leiter des RAV Biel. Zeitweise seien doppelt so viele
offene Stellen gemeldet gewesen wie üblich. Wegen der Konjunkturschwäche im Jahr 2002 stieg die Arbeitslosenquote trotzdem an, wenn auch weniger stark als im schweizerischen Durchschnitt. In der Region Murten nahm die Arbeitslosigkeit während der Expo zu, als einige Arteplage-Restaurants und -Kioske aufgrund ihres tiefen Umsatzes Stellen abbauten, wie Véronique Scherer Kaeser vom Arbeitsamt des Kantons Freiburg sagt. In Yverdon waren zur Enttäuschung des RAV nur einige Dutzend Einheimische auf der Arteplage angestellt worden.
Umgekehrt war das Ende der Landesausstellung bei den RAV spürbar. Die Region verzeichnete einen
Anstieg der Arbeitslosigkeit. In Kanton Neuenburg nahm die Quote binnen Quartalsfrist um einen Prozentpunkt auf 4,2 Prozent zu. Vor allem in der Hotellerie, dem Reinigungswesen und der Sicherheitsbranche wirkte sich laut Arbeitsamt die Schliessung der expo.02 direkt aus. Auch der Amtsbezirk Biel verzeichnete Ende 2002
eine Arbeitslosenrate von 4,8 Prozent, 1,3 Prozent mehr als vor der Expo. Nach Angaben der RAV-Fachleute
spielten auch saisonale und konjunkturelle Gründe eine Rolle. Genau kann die Zahl der «Expo-Arbeitslosen» also nicht beziffert werden.

Ökonomische Nachhaltigkeit?

Was ist also aus den rund 9000 Personen geworden, die auf den Arteplages tätig waren? Haben sie sofort
eine Stelle gefunden? Denis Maillat weist darauf hin, dass sich ein Grossteil des Expo-Personals normaler-
weise gar nicht auf dem Arbeitsmarkt tummelt. «In Neuenburg haben sehr viele Studierende bei der Expo
gearbeitet. Auch meine Tochter hatte dort einen Job. Im Herbst nahm sie ihr Studium wieder auf.» Hausfrauen und -männer kehrten an den Herd zurück, Rentnerinnen und Rentner in ihren Schaukelstuhl und befristet angestellte ausländische Arbeitskräfte in ihre Heimat.
In der Zahl von 9000 inbegriffen ist auch das Personal, das von Institutionen wie Polizei, Zivilschutz, Feuerwehr oder Sanität für die Expo abgestellt worden war. Sind im Zuge des «Rückbaus» demnach wirklich
alle Arbeitsplätze verschwunden? Hatte die expo.02 keine nachhaltige Wirkung auf den Arbeitsmarkt, obwohl «Nachhaltigkeit» einer der meistverwendeten Begriffe in den Politikerreden zur expo.02 war? Doch, glauben die befragten Arbeitsmarktfachleute und nennen drei Bereiche:
• Einige im Hinblick auf die Expo geschaffene Arbeitsplätze konnten erhalten werden.
• Die Verbesserung der Infrastruktur erleichtert die wirtschaftliche Entwicklung der Drei-Seen-Region mit entsprechenden Effekten auf den Arbeitsmarkt.
• Die Expo-Erfahrung im Lebenslauf verbesserte bei
einem Teil des Personals die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Am konkretesten lässt sich der Langzeiteffekt der expo.02 bei den geretteten Arbeitsplätzen nachweisen. Es handelt sich allerdings nur um eine Hand voll Stellen in den Bereichen Gastronomie/Hotellerie, Tourismus und Kultur. Zum Beispiel im Luxushotel «Palafitte» in Neuenburg-Monruz. Das von der Sandoz-Familienstiftung auf Pfählen im Neuenburgersee erbaute Hotel wurde einen Monat vor Expo-Beginn eröffnet und hätte Ende 2003 geschlossen werden sollen. Trotz der Zimmerpreise von bis zu 660 Franken war es so erfolgreich, dass es noch heute existiert. Nach Angaben von Marketingchefin Géraldine Feruglio sind im «Palafitte» 48 Personen beschäftigt, je nach Bedarf sogar mehr.
Das Restaurant Baraplage in Biel wurde erst 2004 eröffnet und befindet sich in einem Gebäude, das bereits vor der Expo existierte. Trotzdem ist es direkt auf die Landesausstellung zurückzuführen. Der Pächter Tom Rüfenacht hatte an der Expo eine beliebte Bar geführt. Ihm stiess auf, dass das zum Strandbad gehörende
Restaurant nur während der Öffnungszeiten des Bades geöffnet war und ein beschränktes Take-away-Angebot für die Badegäste führte. «Ich sagte mir: Ein wunderschöner Bau aus den 1930er-Jahren, eine Terrasse mit Blick auf den See – das muss besser genutzt werden», sagt Rüfenacht. Er schlug der Stadt Biel als Eignerin vor, das Restaurant ganzjährig zu führen. Nun sorgen Expo-Bilder, nachgebaute Expo-Liegestühle und Musikevents für einen gehörigen Schuss Expo-Nostalgie. 32 Personen teilen sich die rund zwei Dutzend im «Baraplage» geschaffenen Stellen – ebenso viele, wie Rüfenacht während der expo.02 beschäftigen konnte.
In redimensionierter Form überlebt hat auch die Bike Station GmbH, die während der Expo 800 Fahrräder und 500 Paar Inlineskates vermietete. «Natürlich war uns bewusst, dass es nicht im gleichen Rahmen weitergehen würde», sagt Unternehmensgründer Patrik Mathys. Während der Expo beschäftigte er bis zu 25 Personen, zurzeit sind es zwei festangestellte und mehrere freischaffende Mitarbeitende. Neben der Velovermietung bietet Mathys Fahr- und Sicherheitskurse für Firmen und Schulen an und organisiert Sportevents.
In allen Sparten ist er optimistisch, das Geschäft ausbauen zu können. Etwa bei der Velovermietung an Behinderte, einem Angebot, das die Bike Station und die Stiftung cerebral für die Expo entwickelt hatten. «In der laufenden Saison hat die Nachfrage erstmals markant zugelegt», freut sich Mathys. Dank der Expo konnte das Radwegnetz in der Drei-Seen-Region verdichtet werden. «Der Velotourismus im Seeland ist attraktiv und hat sein Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft», sagt Mathys. «Aber man muss Ausdauer haben.» Die hatten die Betreiber der Bieler Velotaxis nicht. Im Anschluss an eine hoch defizitäre Nach-Expo-Saison beschlossen sie, den Dienst einzustellen.

Kulturelle Geburtshelferin

Über 13000 Events fanden an der Expo statt. Mehrere dieser kulturellen Veranstaltungen oder Organisationsformen haben es geschafft, sich dauerhaft zu etablieren. Eine der bekanntesten ist «Das Zelt», mit dem der Seiltänzer David Dimitri während der Expo eine Dreiviertelmillion Besuchende anzog. Heute zieht «Das Zelt» mit wechselnden Programmen aus Musik, Comedy und weiteren Formen der Bühnenkunst durch die Schweiz. Das ehemalige Mummenschanz-Theater fand dieses Jahr in Villars-sur-Glâne bei Freiburg eine neue Heimat und dient nun als Auftrittsort für Theater- und Tanzdarbietungen. Die Arteplage Mobile du Jura wurde von der Stiftung des Montreux Jazz Festival gekauft und lädt zu Kreuzfahrtkonzerten auf dem Lac Léman. «In Neuenburg finden seit der Expo mehr kulturelle Veranstaltungen statt oder sie sind grösser geworden», beobachtet Arbeitsamt-Leiter Fierloni. So konnte das 2001 lancierte Musikfestival «Festi’neuch» seine Besucherzahl verdreifachen.
Allerdings sind auch im Kulturbereich einige Projekte gescheitert oder stehen vor einer ungewissen Zukunft. Schiffbruch erlitt ausgerechnet die erste gemeinsame Kulturveranstaltung der vier Expo-Städte. Das Musik- und Kleinkunstfestival «Festtrilacs» mit regionalen Künstlern zog im Jahr 2004 bedeutend weniger Zuschauende an als erwartet und fuhr ein Defizit von 160000 Franken ein. Im selben Jahr floppte das Musikfestival «Best of Berne», trotz des Auftritts bekannter Rock- und Popbands wie «Züri West», «Plüsch» oder «Stiller Has».
Anders als bei den Einzelprojekten ist der Expo-Effekt auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Region weit schwieriger zu beurteilen. Die deutlichsten Auswirkungen hätte der Tourismus erwarten können – immerhin haben rund 4,2 Millionen Menschen aus dem In- und Ausland die Region besucht und laut Umfragen ein weitgehend positives Bild mitgenommen. Die Hotelleriezahlen sprechen eine andere Sprache. Im Jahr 2003 büsste die Region das 16-prozentige Wachstum der Übernachtungen aus dem Vorjahr wieder vollständig ein. Wiedergekommen sind die Expo-Gäste nicht.
Der Tourismus habe zu wenig von der Chance Expo profitiert, findet Wirtschaftsprofessor Maillat. Dass sich die Region bisher nicht auf die Vermarktung des Labels «Drei-Seen-Land» einigen konnte, betrachtet er als grosses Versäumnis. Erschwert wird die Tourismuspromotion allerdings durch den fast kompletten Rückbau der Expo. Bike-Unternehmer Mathys weist darauf hin, dass der auch für eine Ausstellung errichtete Eiffelturm heute «ein magischer Anziehungspunkt» sei. «Einen solchen hätten wir im Murtensee gehabt: den Monolithen.»
Auch der ehemalige Berner CVP-Nationalrat Remo Galli, der sich für einen nachhaltigen wirtschaftlichen Effekt der expo.02 eingesetzt hatte, bedauert den Abbau der Expo-Symbole mit ihrem touristisch nutzbaren
Wiedererkennungswert. «Einige Bauwerke hätten durchaus stehen bleiben können, vielleicht nicht für 100,
aber für 30 Jahre.» Maillat betont, dass daran nicht die Expo schuld sei, sondern die Politik. «Ich bedauere, dass aufgrund ökologischer Versprechen alles zerstört wurde», sagt er.
Nur teilweise haben die vier Expo-Städte den Schwung der Landesausstellung für ihre eigene Stadtentwicklung genutzt. Die befragten Fachleute sind sich einig, dass dies der Stadt Biel am besten gelungen sei. Zahlreiche Umgestaltungen in der Innenstadt und die Öffnung der Stadt hin zum See haben Biel 2004 zum Wakkerpreis des Heimatschutzes verholfen. Von solchen Imagesteigerungen erhoffen sich die Lokalpolitiker, dass die Stadt ihren Ruf als industrielle Krisenregion loswird und für Investoren attraktiver wird. Hingegen sind in Neuenburg lediglich die Seilbahn Bahnhof–See sowie einige sanierte Plätze und Parks direkt auf die Expo zurückzuführen. Keine sichtbare Strukturbereinigung löste die Expo in Yverdon und Murten aus – wobei Murten im Tourismus bereits sehr gut positioniert ist und keinen Attraktivitätsschub benötigt.

Führungscrew hebt ab

Ganz andere Auswirkungen hatte die Expo auf die Akteure. Qualifizierung und Bildung von Netzwerken – für das Expo-Personal sind diese Effekte arbeitsmarktlich relevant. «Die an der Expo geknüpften Kontakte haben einigen Personen zu einem Job verholfen», betont Bernard Evalet vom RAV Biel. Tendenziell dürfte das
Expo-Personal in höheren Positionen stärker profitiert haben als das Fussvolk.
Zu einem Karrieresprung hat es der obersten Führung gereicht, die stark in den Medien präsent war.  Generaldirektorin Nelly Wenger, vor der Expo in der Westschweiz in der Raumplanung tätig, wurde an die Spitze von Nestlé Schweiz katapultiert und mag sich nicht mehr zur Expo äussern. Der künstlerische Direktor Martin Heller gründete ein Kulturunternehmen und zieht attraktive internationale Mandate an Land. Finanzdirektor Walter Häusermann machte sich als Unternehmensberater ebenfalls selbständig und wurde 2004 in die Verwaltungsräte mehrerer Firmen gewählt, darunter bei der Swissmetal.
Doch nicht allen fiel die Neuorientierung nach der expo.02 leicht, sogar auf Stufe Geschäftsleitung. Roy Schedler war als Leiter des «Département Créations» für die Durchführung sämtlicher Expo-Projekte im Theater-, Tanz- und Performance-Bereich verantwortlich und managte ein Budget von über zehn Millionen Franken. Über seine wichtigsten Erkenntnisse aus dreieinhalb Jahren Expo-Arbeit sagt er: «Ich habe den unternehmerischen Ansatz in der Kultur verinnerlicht, aber gleichzeitig gesehen, dass die Wirtschaft nicht Zweck, sondern nur Mittel sein darf.» Nach der Landesausstellung habe er lange nach einer Stelle gesucht. «Die schweizerische Kulturwelt konnte die vielen Leute, die mit einem guten Profil auf den Arbeitsmarkt gelangten, nicht alle aufnehmen. Oft hiess es: ‹Sie sind überqualifiziert.› Das war für mich eine ernüchternde Erfahrung», sagt Schedler. Er versuchte, sich selbständig zu machen. Unter anderem arbeitete er ein Forschungsprojekt zur «Theorie des Kulturmanagements» aus. «Doch als das Projekt spruchreif war, zog sich die anfänglich interessierte Universität Basel zurück», bedauert er. Schliesslich setzte sich Schedler, der ausserdem als Berater für Kultureinrichtungen beim Basler Unternehmen NonproCons tätig ist, unter 90 Mitbewerbenden als Geschäftsleiter der Solothurner Filmtage durch. Zwischen der Expo und den Filmtagen sieht Schedler durchaus Parallelen: «Beide haben einen starken Bezug zur Schweiz und zum schweizerischen Kulturschaffen.»
Seine Expo-Erfahrungen direkt einbringen kann auch Marketingdirektor Rainer Müller. Er ist heute als Marketingleiter des Mystery Parks tätig. «In der Schweiz gibt es nur wenige Freizeitangebote dieser Grössenordnung», sagt er. Beiden Projekten gemeinsam sei die Fragestellung, wie eine grosse Nachfrage generiert werden könne. Anders als bei der befristeten Expo müsse im Mystery Park der Neuheitseffekt immer wieder neu geschaffen werden. Dies sei eine zusätzliche Herausforderung.
Viereinhalb Jahre lang war Leonhard Zwiauer bei der Expo tätig. Als Finanzverantwortlicher in der
Betriebsdirektion hatte er zum Teil unangenehme Aufgaben zu erledigen: «Regelmässig gab uns Finanzchef Häusermann den Auftrag, weitere 15 Millionen Franken zu sparen», erinnert sich Zwiauer. Als wertvollste Erfahrung nennt er die interdisziplinäre Arbeitsweise. «Der Kontakt zu Architekten, Touristikern, Ingenieuren war sehr positiv.» Viel gelernt habe er auch in den Bereichen Verhandlungstechnik, Personal- und Vertragswesen. Als einer der letzten Expo-Mitarbeiter wickelte Zwiauer bis Mitte 2003 übrig gebliebene Fälle aus dem Rechnungswesen ab, etwa Versicherungsfälle und einige aussergerichtliche Vergleiche.

Drei Jahre auf den Lohn gewartet

Danach schloss der studierte Geograf das Gymnasiallehrerdiplom ab, eine Stelle fand er zunächst aber nicht. Nach einem temporären Engagement bei der UNO arbeitet er nun in der Abteilung Raumentwicklung des Kantons Aargau. Hat ihm das «Expo»-Label im Lebenslauf die Stellensuche erleichtert? Einige Personalverantwortliche hätten positiv reagiert, sagt Zwiauer. Die Expo-Erfahrung könne «das Salz in der Suppe» sein bei Personen, die schon vorher spezialisierte Berufserfahrungen hatten. «Die anderen haben es schwerer, auch wenn sie einen guten Job gemacht haben.»
Das Beispiel von Philipp Meier* zeigt dies. Seine Erfahrungen im Expo-Sicherheitsdienst wurden bei
seinem Wunsch, eine Ausbildung bei der Polizei zu beginnen, nicht berücksichtigt. Meier hielt sich mit
Gelegenheitsarbeiten über Wasser, etwa als Zeitungsverträger, bis er in das elterliche Unterhalts- und Reinigungsunternehmen einsteigen konnte.
Und schliesslich gibt es noch einige Arbeitnehmer, denen die Expo jahrelanges Ungemach bereitet hat. Zum Beispiel den ehemaligen Angestellten zweier Restaurants auf der Neuenburger Arteplage. Wegen katastrophaler Arbeitsbedingungen – unbezahlte Überzeit von bis zu 100 Prozent, 800 Franken «Logis»-Lohnabzug für ein Bett in einem winzigen Viererzimmer – waren die beiden Lokale im Juli 2002 von den Behörden geschlossen worden, der portugiesische Geschäftsführer setzte sich ab. Ein Neuenburger Lebensmittel- und Weinhändler übernahm die beiden Lokale, weigerte sich aber, die Schulden seines Vorgängers zu bezahlen. Die Angestellten siegten mit ihrer Lohnklage vor Gericht. Der Weinhändler zog das Urteil bis ans Bundesgericht weiter. Erst mit der Ablehnung des Rekurses im Mai dieses Jahres fand diese Affäre ein vorläufiges Ende. Drei Jahre nach der Expo erhalten die ehemaligen Servicemitarbeitenden ihren Lohn – auf diese Interpretation des Begriffs «Nachhaltigkeit» hätten sie liebend gern verzichtet.

 

Sie tanzten nur einen Sommer

Martin Heller war künstlerischer Direktor der expo.02. Heute ist er als selbständiger Kulturunternehmer in Zürich tätig. Seine Firma Heller Enterprises beschäftigt sechs Mitarbeitende.

«der arbeitsmarkt»: Martin Heller, die Expo hat den Bund eine Milliarde Franken gekostet, siebenmal mehr
als ursprünglich geplant. Was ist drei Jahre danach übrig geblieben?
Martin Heller: Die expo.02 war konzeptionell auf eine beschränkte Wirkungszeit ausgerichtet. Hauptziel war , der Schweizer Bevölkerung während eines Sommers in der Drei-Seen-Region ein attraktives und inhaltlich ambitioniertes Programm zu bieten. Und es wurde ein guter Sommer! Es wäre jedoch illusorisch zu glauben, dass mit dem Geld anderswo eine langfristigere Wirkung hätte erzielt werden können. Ohne Expo wäre es überhaupt nicht geflossen. Ich hätte mir aber in der Tat eine grössere physische Nachhaltigkeit gewünscht. Als Generaldirektorin Nelly Wenger und ich zum Team stiessen, war der Rückbau nach einer zum Teil völlig
hysterisch geführten Diskussion schon beschlossene Sache.

Welches Bauwerk hätten Sie denn am liebsten erhalten?
M.H.: Das wäre ungerecht, ein bestimmtes Objekt herauszupicken. Hätte man den Palais de l'Equilibre in Neuenburg stehen lassen sollen? Viel lieber wäre mir gewesen, das Expo-Gelände hätte als öffentlicher Raum erhalten werden können. Die Stadt Neuenburg hat diese Chance aber fahrlässig verspielt. Jetzt befindet sich auf dem Gelände, das die Neuenburger während der Expo als ihre «Wohnstube» bezeichneten, wieder ein Parkplatz, wie zuvor. Unglaublich.

Sehen Sie Langzeitauswirkungen der Expo auf das Schweizer Kulturleben?
M.H.: Die expo.02 hat im Kulturmanagement einen grossen Kompetenzschub gebracht. Immer mehr Expo-Mitarbeiter gelangen mittlerweile in Positionen, in denen sie ihre Erfahrungen einbringen können. Die so erzielte Professionalisierung führt dazu, dass die Stimme der Kultur wieder deutlicher gehört wird. Ich stelle dies konkret in Gesprächen mit Führungsleuten aus Politik und Wirtschaft fest. Allerdings halte ich es für ein Drama, dass in der Schweiz aufgrund föderalistischer Widerstände keine nationale Kulturpolitik existiert.

Was haben Sie persönlich bei Ihrer Arbeit für die Expo gelernt?
M.H.: Bei der Expo war ich ständig an Schnittstellen zwischen Kultur, Politik und Wirtschaft tätig und habe unter hohem öffentlichem Druck gearbeitet. Dies kommt mir bei meinen heutigen, ebenfalls komplexen Projekten entgegen – beispielsweise bei der Bewerbung Bremens als europäische Kulturhauptstadt oder bei der künstlerischen Leitung der Tiroler Landesausstellung. Ich glaube nicht, dass ich ohne meine Expo-Erfahrungen diese Mandate erhalten hätte.

Wann konnten Sie sich damit befassen, was Sie nach der Expo tun würden?
M.H.: Ich war mit Haut und Haar für die expo.02 tätig und hatte buchstäblich keine Zeit für die Zeit danach. Es war mir aber klar, dass meine künftige Arbeit ganz anders aussehen würde als vor der Expo. Ende 2002 fällte ich den Entscheid, mich selbständig zu machen. Diese völlig neue Art des Lebens und Arbeitens kommt mir sehr entgegen.

Konnten Sie auch Ihre Mitarbeiter vermitteln?
M.H.: In mehreren Fällen. Die Leute meines Teams bringen heute nebst inhaltlichen Qualitäten besondere Erfahrungen in Sachen Stressresistenz und Druck der Öffentlichkeit mit. Ich konnte ihnen entsprechende Referenzen geben.

Bremen hat den Zuschlag als Kulturhauptstadt nicht erhalten. Sie haben aber bereits ein nächstes Grossereignis im Auge.
M.H.: Sie meinen das Projekt Doppelpass für die Fussball-EM in der Schweiz und Österreich? Ich finde, wenn ein solches Ereignis veranstaltet wird, sollte auch auf kultureller Ebene etwas laufen. Es geht schliesslich um ein kulturelles Standortmarketing für die Schweiz. Bei den Organisatoren bleibt dafür aus verständlichen Gründen wenig kreative Energie übrig. Deshalb habe ich mit einigen Enthusiasten ein Kulturprojekt für 2008 lanciert. Die Reaktionen waren in beiden Ländern positiv, zumal wir uns keineswegs nur an
ein Fussballpublikum richten.

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