«der arbeitsmarkt» 10/2014TEXT: Kathrin Koch
Filmmusik

Der mit den Noten tanzt

Machen Sie die Probe aufs Exempel: Schalten Sie Ihren Fernseher auf lautlos und schauen Sie eine Sequenz Ihres Lieblingsfilms ohne Ton. Nicht nur die Dialoge werden Ihnen fehlen, sondern ganz besonders auch die Musik. Einer, der die Bilder musikalisch mit Stimmung und Emotionen anreichert, ist der Filmkomponist Jonas Zellweger. Ein Porträt.

Begleitet von einem sanften Brummen, rinnt die hellbraune Flüssigkeit aus der Maschine und füllt langsam die Kaffeetasse. Jonas Zellweger genehmigt sich eine kurze Pause im Vorzimmer zu seinem Musikstudio in einem Zürcher Wohnquartier. Er zeigt auf ein Filmplakat an der Wand: George Lucasʼ «Star Wars». Die Musik zur Saga um Sternenkrieger und Jedi-Ritter im Weltall stammt vom amerikanischen Komponisten John Williams – seinem Vorbild, denn auch Jonas Zellweger schreibt Musik für das bewegte Bild. Mit der Kaffeetasse in der Hand läuft der 35-Jährige ein paar Schritte in sein Studio, vorbei an weiteren Plakaten von Filmklassikern wie Hitchcocks «Die Vögel» oder Fellinis «La Dolce Vita». 

Der Arbeitsplatz von Jonas Zellweger ist ein kleiner, heller Raum mit einem Fenster. Hinter dem Bürostuhl ist als Schalldämpfung ein graues Wandpaneel verankert, ein mit Schaumstoff gefülltes Stoffrechteck. Auf dem Pult steht allerlei technisches Equipment: Bildschirme, kleine Mischpulte mit Laustärkereglern, ein Mikrofon, Boxen und eine Klaviertastatur. Auf dieser Tastatur, Controller genannt, kann Jonas Zellweger eine Melodie spielen – die Tonspur dazu erscheint sofort visuell in einem Audioprogramm auf dem Computer. Ein anderer Bildschirm im Hochformat zeigt ein digitales Notenblatt. Jonas Zellweger klickt mit der Maus in die Notenzeile, und das Computerprogramm zeichnet automatisch die dazugehörige Note – und weitere Tonspuren für verschiedene Instrumente eines ganzen Orchesters. Komponieren im 21. Jahrhundert. Keine fliegenden und raschelnden Notenblätter. Keine gespitzten Bleistifte und Radiergummiröllchen. Jonas Zellweger lacht. «Wir sind tatsächlich oft mit Computerprogramm-Updates beschäftigt.» Einige Filmkomponisten würden jedoch immer noch von Hand ihre Kompositionen schreiben. Auch er greift hin und wieder auf das gelernte Handwerk zurück, wenn das technische Equipment fehlt, denn «die Ideen fliessen immer. Es kommt vor, dass ich auf der Zugfahrt ein paar Noten auf ein Stück Tageszeitung kritzle oder während des Kochens schnell eine Melodie in ein Aufnahmegerät singe.» 

Übersetzungsleistung

Die Musik, sie war schon immer eine Leidenschaft von Jonas Zellweger. In der Primarschule beginnt er, Klavier zu spielen, später kommen Schlagzeug und Gitarre hinzu. Den Weg als Berufsmusiker hat er jedoch nicht gewählt, «da spielen andere eindeutig besser als ich». Seine Leidenschaft gilt dem Komponieren, dem Schreiben von Musik für Film-, Theater- oder Werbeproduktionen. Alleine um der Musik willen wollte er jedoch nie komponieren. «Am liebsten arbeite ich an einer bestehenden Vorlage, wie einem Film, einem Theater oder einem Hörspiel», sagt Jonas Zellweger. Seit 2009 ist er als selbständig erwerbender Komponist und Orchestrator tätig. «Ein Komponist fängt bei null an. Er hat vor sich das leere Blatt und lässt etwas Musikalisches entstehen. Der Orchestrator hingegen baut etwas Bestehendes aus oder verändert es.» 

Er mag die bunte Palette, die ihm seine Arbeit bietet. Manchmal entwickelt er von Beginn an musikalische Ideen für einen Film. Ein anderes Mal setzt er die Ideen eines Berufskollegen konkret um. Er ist dann quasi ein Übersetzer, der die Musik für die Musiker überhaupt erst spielbar macht. Zentral ist für ihn bei seiner Arbeit jedoch immer eine Sache: «Ich mag es, an einem Projekt zu arbeiten, an dem andere Personen beteiligt sind.» Jonas Zellweger sieht das Komponieren als einen beweglichen Prozess – und ist gerne im regen Austausch mit anderen. Als Teamplayer teilt er seine Ideen und entwickelt bestehendes Material weiter. Mit dieser Arbeitsweise konnte er sich eine Nische schaffen. Er unterscheidet sich dadurch von einem Komponisten, der primär die eigene Idee umsetzen will und dabei nur ungern Kompromisse eingeht. Dass Komponieren zuweilen trotzdem ein einsamer Job sein kann, wenn er beispielsweise für ein Projekt mehrere Wochen lang bis spät in die Nacht alleine im Studio sitzt und tüftelt, nimmt Jonas Zellweger in Kauf.  

«Grausam bis lässig»

Was wäre die Duschszene aus Hitchcocks «Psycho» ohne die spitzen und schmerzenden Klänge einer Violine? Was wären die Fluchtszenen in der «Lord of the Rings»-Trilogie ohne epische Orchesterklänge? Ohne die passende Musik fehlt dem Film eine wichtige Sinneswahrnehmung. Auf keine andere Art lassen sich Emotionen so stark ausdrücken oder vertiefen. «Die Wahl der Musik ist eine weitere bewusste Entscheidung des Regisseurs, zusätzlich zur Kameraführung oder zum Schnitt. Damit kann der Zuschauer gelenkt werden», sagt Jonas Zellweger. Er würde sich wünschen, dass die Filmkomponisten den Auftrag zum Schreiben der Musik bereits in der Drehbuchphase erhielten. «Man hätte dann mehr Zeit, sich mit der Komposition zu beschäftigen, und könnte musikalisch einen eigenen Weg aufgleisen.» Die Realität sieht jedoch oftmals anders aus: Der Filmkomponist erhält den Rohschnitt des Films, der bereits mit bestehender Musik unterlegt wurde – damit die erste Fassung beispielsweise den Geldgebern gezeigt werden kann. Der Nachteil dabei: «Regisseur und Produzent sind dadurch oft auf diese Musik fixiert und möchten von uns Komponisten eine ähnliche Arbeit sehen», erzählt Jonas Zellweger. Das mache es schwierig, eigene Ideen einzubringen. 

In einem ersten Arbeitsschritt sitzen also der Regisseur und der Filmkomponist zusammen und schauen in der sogenannten «Spotting-Session» den Film an. Dazu überlegen sie, an welcher Stelle welche Art von Musik benötigt wird. Dann zieht sich der Komponist in sein Studio zurück und tüftelt. «Von Vorteil ist, dass ich dabei eher allgemein komponiere und mich nicht zu stark auf das Bild fixiere», sagt Jonas Zellweger, «weil der Film meistens noch mehrere Male umgeschnitten wird.» Er versucht, die Stimmung eines Bildes zu treffen, und gleicht dabei seine Kompositionen und Ideen laufend mit dem Film ab. Was geschieht mit der Szene, wenn die Musik verändert wird? Komponieren ist ein beweglicher Prozess, bei dem die Filmkomponisten immer wieder im Austausch sind mit dem Regisseur. Vorschläge und Rückmeldungen – so wird stetig auf das Endprodukt hingearbeitet. «Ich darf die Kritik nicht persönlich nehmen», sagt er. Mit dem etwas härteren Umgangston, der oftmals herrscht, kann er umgehen. «Wir diskutieren ja primär zur Sache, damit Neues entstehen kann.» Wer dabei jedoch keine hohe Kompromissbereitschaft vorweisen könne, für den werde es schwierig. Wie fühlt er sich bei seiner Arbeit? Die Frage beantwortet Jonas Zellweger mit einem ehrlichen und tiefen Lachen: «Die Bandbreite geht von grausam bis lässig.» Manchmal hat er nur kurze Deadlines, die er einhalten muss. Lange Arbeitstage bis spät in die Nacht sind keine Seltenheit. Wenig Schlaf. «Ja, ich habe mir auch schon einen Nine-to-five-Job gewünscht», schmunzelt er. Dennoch: Jonas Zellweger liebt seine Arbeit, und das Endresultat entschädigt ihn jedes Mal für seine Mühen.  

Engagiert im Berufsverband

Dadurch, dass die Komponisten im ganzen Entstehungsprozess eines Films meistens erst am Schluss ins Boot geholt werden, ist das Budget oft bereits überschritten. «Es darf nur noch günstiger werden, aber sicher nicht mehr teurer», sagt Jonas Zellweger. Den Produzenten sei oftmals nicht bewusst, was eine Musikproduktion effektiv koste: dass beispielsweise eben nicht nur die Leistung des Filmkomponisten bezahlt werden muss, sondern auch noch einzelne Musiker oder ein ganzes Orchester. Für die Filmmusik seien immer noch alte Zahlen budgetiert, die über mehr als fünfzehn Jahre nie angepasst worden seien, sagt Jonas Zellweger. Er stellt diese Aussagen jedoch nicht einfach vorwurfsvoll in den Raum, sondern engagiert sich aktiv beim Smeca, dem Berufsverband der Schweizer Medien-Komponisten, für eine Verbesserung des Tarifsystems – auch wenn dies kein einfaches Unterfangen ist. «Die Arbeitszeit eines Komponisten lässt sich nicht so einfach definieren», weiss Jonas Zellweger aus eigener Erfahrung. «Es kann sein, dass ich im ersten Monat nur für den Papierkorb arbeite: Die Ideen kreisen ständig, ich probiere aus, verwerfe vieles jedoch wieder.» Hier eine gute Mitte zu finden zwischen Aufwand und Ertrag, ist nicht leicht. Filmkomponisten verdienen ihr Einkommen nur projektbezogen – und wissen manchmal nicht, wann sie welchen Lohn erhalten. Um nicht ständig diesem finanziellen Druck ausgesetzt zu sein, arbeitet Jonas Zellweger nebenberuflich als Geschäftsführer in einem Computer-Fachgeschäft. Er sichert sich damit ein regelmässiges Einkommen und behält auch eine gewisse Unabhängigkeit. Der 35-Jährige schätzt diese Freiheit, sowohl finanziell als auch künstlerisch: «Ich kann mir die Projekte aussuchen, die ich machen will – und bin nicht gezwungen, jeden Job anzunehmen.» 

Schreiben für ein Orchester

Die Filmkomponisten treten seit ein paar Jahren etwas öfter in Erscheinung. Auch das diesjährige Zurich Film Festival (ZFF) vom 25. September bis 5. Oktober würdigt die Filmmusik und rückt sie ins Scheinwerferlicht, wenn einer ihrer bekanntesten Vertreter, der in den USA lebende Deutsche Hans Zimmer, den Preis für sein Lebenswerk erhält. Der Filmkomponist produzierte die Musik für unzählige Hollywood-Blockbuster wie «Inception», «Pirates of the Caribbean», «Rain Man» oder «Der König der Löwen», für den er 1994 auch einen Oscar gewann. Auch im Rahmen des Festivals wird bereits zum dritten Mal der Internationale Filmmusikwettbewerb für Nachwuchskomponisten durchgeführt. Jonas Zellweger arbeitet bei der Organisation des Wettbewerbs mit und hat im vergangenen Jahr mitgeholfen, die Musik für das Filmmusikkonzert des Zürcher Kammerorchesters und des Zurich Jazz Orchestra zu arrangieren. Mit sehr guten Musikerinnen und Musikern zusammenzuarbeiten, Finessen zu bearbeiten und das Optimum herauszuholen, sei ein besonderes Erlebnis. Auch sein Traum geht in diese Richtung: «Ich wünschte mir, für ein Orchester, wie das London Symphony Orchestra, eine Komposition schreiben zu dürfen», sagt Jonas Zellweger mit einem verlegenen Lächeln – als wäre dieser Gedanke zu vermessen, um klar benannt zu werden. Dieses Orchester wird oft für Filmmusik angefragt und hat bereits unzählige Soundtracks eingespielt, unter anderem die Musik für die «Star Wars»- und «Harry Potter»-Filme. Trotz der Zusammenarbeit mit renommierten Orchestern gibt sich Jonas Zellweger bescheiden. Er ist kein Mensch, der sich zu stark in den Vordergrund stellen will. Dass bei einem Film meistens die anderen, wie Regisseure und Schauspieler, im Vordergrund stehen, stört ihn nicht. Die Frage «Und wer bist du?», die ihm bisweilen an Filmpremieren gestellt wird, wirft ihn nicht aus dem Konzept; vielmehr amüsiert sie ihn. Er kennt den Anteil, den er zu einem guten Film beigetragen hat.