«der arbeitsmarkt» 07/2007

Der Künstler als Ökonom

Kunst ist brotlos, sagt der Volksmund. Die Kultur ist zwar zum Wirtschaftsfaktor geworden und die Produktion blüht wie noch nie. An der Situation der Kulturschaffenden hat sich jedoch wenig geändert. Dem Armutsrisiko sind vor allem die Freiberuflichen ausgesetzt.

Was er in Schwaden aus dem Mund bläst, riecht grausig. «Billig-tabak aus der Büchse. 200 Gramm 15 Franken», klärt Thomas Brunner auf. Aus der Tonpfeife geraucht, koste ihn sein Laster nur 30 Franken pro Monat. Der 46-Jährige fällt aus dem von gesellschaftlichen Konventionen normierten Rahmen, gibt sich selbst, schon rein äusserlich, als Randgruppenexistenz zu erkennen. Kleider machen Leute, heisst es. Die seinigen kauft Thomas Brunner in Caritas-Läden, Brockenhäusern, auf Flohmärkten. «Freiheit», sagt er, «ist für mich die heilige Kuh.» Er sah sie ihn Gefahr, als er während eines knappen halben Jahres Sozialhilfe beziehen beziehungsweise «Arbeit statt Sozialhilfe» leisten musste. «Ich empfand diese Zeit als ganz schlimm. Weil plötzlich Massstäbe auf mich angewendet wurden, von denen ich fand, sie seien für mich nicht angemessen.» Er habe geschaut, so schnell als möglich wieder aus diesem öffentlichen Fürsorgesystem rauszukommen, «indem ich versuchte, wieder mit weniger Geld zu leben, als ich via Sozialamt bekam: mit 1000 anstatt 1500 Franken monatlich». Er habe sich dann ein paar Jahre mit Aktmodellstehen in gestalterischen Kursen von Schulen in der ganzen Deutschschweiz durchgeschlagen.
Thomas Brunner war und ist weder arbeitslos noch ausgesteuert, sondern seit einem Vierteljahrhundert selbständig erwerbender Kulturschaffender. Er schreibt.
Vor kurzem ist er als «Zimmerherr» in den Haushalt eines IV-Rentners ins Rheintal gezogen. Das Steueramt am neuen Wohnort habe ihn auf 20000 Franken Jahreseinkommen eingeschätzt und auch sofort eine Steuerrechnung über 4000 Franken geschickt. Im laufenden Jahr habe er mit seinem Schreiben allerdings noch keinen Franken verdient.

Kulturförderung als Zeitgeschenk für einkommensschwache Kunstschaffende

Wie lebt man mit «Einkommen: 0»? Brunner: «Von öffentlicher und privater Kulturförderung. Sie ist für mich sehr wichtig und auch meine Realität der letzten drei Jahre. Mit meinem literarischen Schreiben verdiente ich nichts. Aus anderen Formen meines Schreibens resultierte ebenfalls kein Einkommen: Auftragstexte wie Vernissagenreden und Texte für Projekte anderer Kulturschaffender sind ohnehin selten bezahlt.» Die Lohnschreiberei, mit der Brunner als freier Journalist im Bereich Kunstkritik einst eine regelmässige, wenn auch dünne Einnahmequelle hatte, kommt für ihn wegen zu grossen Substanzverlustes nicht mehr in Frage.
Kulturförderung bezeichnet er als Zeitgeschenk: «Ich kann mich dank eines Werkjahres und eines Projektbeitrags meinem literarischen Schreiben widmen und muss nicht anderen wegen Geld nachspringen.» Seine Strategie: «sehr einfach leben». «Konkret-praktisch schaffe ich es.» Nicht zuletzt, weil er als Schreiber nur Lebenskosten habe, kein teures Material kaufen müsse. Brunners Fixkosten betragen «1200 Franken pro Monat. Davon sind 350 Franken fürs Wohnen, mit 150 Franken ernähre ich mich, 250 Franken beträgt die Krankenkassenprämie. Und die Kosten fürs Generalabonnement, das für mich lebensnotwendig ist.» Wenn er nicht überborde, komme er mit diesem Betrag aus. «Das normale Freizeitverhalten kann ich so nicht mitmachen. Ich will es auch nicht, Zeit haben ist mir wichtiger: der grösste Luxus.» Er müsse seine Lebenseinstellung bei jeder neuen Bekanntschaft aufs Neue rüberzubringen versuchen. «Der Kontakt zu einem grossen Teil der Menschen ist schwierig, wenn es ums Künstlersein geht. –
Was, Künstler? Unterrichten Sie? Und wovon leben Sie? Und dann kommen all die guten Vorschläge, was man tun könnte.» Brunner will nicht als gescheiterte Existenz wahrgenommen, sondern als Künstler ernst genommen werden: als das, was er ist. Gerade neulich wieder sei er gefragt worden, wie man Künstler werde. «Indem man es tut!», habe er geantwortet.

Trotz boomender Märkte nur hartes Brot für die Urheber

Lebens- und Produktionsbedingungen mit prekärem Charakter sind unter den 60000 in Berufsverbänden organisierten Kunst- und Kulturschaffenden der Schweiz weit verbreitet. Die soziale Situation der Kulturschaffenden in der Schweiz sei schlecht und müsse dringend verbessert werden, hielt der Dachverband Suisseculture einmal mehr fest, als der Bundesrat im vergangenen Jahr das Kulturförderungsgesetz in die Vernehmlassung schickte.
Dabei hat sich seit den 80er-Jahren einiges bewegt. Die Schweiz ist keine kulturelle Provinz mehr, das öffentliche, privatwirtschaftliche und gemeinnützige Kulturangebot ist vielfältig und reichhaltig. Und es besteht auch eine Nachfrage nach solchen Leistungen und Gütern. Mit dem vor vier Jahren erschienenen
1.Kulturwirtschaftsbericht Schweiz liegt die erste umfassende Betrachtung der hiesigen Kulturwirtschaft vor. Realität ist danach: «In der schweizerischen Kulturwirtschaft haben sich in den letzten Jahrzehnten eigene kulturelle Märkte herausgebildet. Dazu zählen die Musikwirtschaft, der Literatur- und Buchmarkt, der Kunstmarkt, die Filmwirtschaft sowie der Markt der darstellenden Kunst. Dieser kulturelle Branchenmix unterscheidet sich vom öffentlich finanzierten Kulturbereich dadurch, dass hier privatwirtschaftliche Kleinunternehmen und freiberufliche Künstler tätig sind, die künstlerische und kulturelle Güter und Dienstleistungen für einen Endverbrauchermarkt erzeugen.» Die Studie zeigt, dass die dynamische Kulturwirtschaft auch in der Schweiz «eine strategisch wichtige Branche mit grossem Arbeits- und Beschäftigungspotenzial ist, die in einigen kulturellen Teilmärkten beachtliche wirtschaftliche Umsatzpotenziale aufweist».
Kultur ist zum Wirtschaftsfaktor geworden. Kaum ein Standortmarketing, kaum eine Debatte über Kreativität, Innovation, Entwicklung und Lebensqualität kommt heute mehr aus, ohne die Kultur ins Feld zu führen. Deren Früchte werden denn auch fleissig geerntet: 5,3 Milliarden Franken setzte die schweizerische Kulturwirtschaft bereits vor fünf Jahren um – notabene zu Zeiten einer weltwirtschaftlichen Krise. Der wichtigste Bereich war damals der Literatur- und Buchmarkt mit 2 Milliarden Franken, gefolgt von der Musikwirtschaft und dem Kunstmarkt. Der Kulturwirtschaftsbericht hat auch jene Branchen miteinbezogen, die für die Verbreitung sorgen, beispielsweise Phono- und Pressemärkte, Rundfunk und kunsthandwerkliche Wirtschaftszweige. Für diese sogenannte erweiterte Kulturwirtschaft mit ihren 15000 Arbeitsstätten und 82000 Beschäftigten errechneten die Forscher einen Gesamtumsatz von 17 Milliarden Franken.
«Kunst und kulturelle Leistung sind sowohl öffentliche Güter als auch Wirtschaftsgüter», brachte es der Projektleiter und Mitverfasser des Berichtes, Christoph Weckerle, damals auf den Punkt. Aber auch wenn Kultur als Wirtschaftsfaktor betrachtet werde, dürfe man sich nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass der Kultursektor aus drei Quellen gespeist werde: vom Staat, vom Markt und von Privaten. Und zwischen diesen drei existiere ein «kapillares Austauschsystem», das neuer Denkansätze, neuer Förderkonzepte bedürfe (siehe Interview Seite 24). Die Beziehung von Kultur und Wirtschaft sei dabei mit Sicherheit ein zentrales Thema.
Während das Abschöpfen kultureller Leistungen und Güter im Vermittlungs- und Konsumentensektor also ein markt- und volkswirtschaftlicher Gewinn ist, bedeutet das Erbringen und Produzieren dieser Werte auf Seiten der Werkschöpferinnen und Urheber vielfach «hartes Brot». Nur wenige können von ihrer Arbeit allein – von ihrem künstlerischen Beruf, der ihnen zugleich Berufung ist – ein Leben lang leben.
Laut langjährigen Erfahrungswerten von Suisseculture Sociale, dem aus Bundesmitteln gespeisten Sozialfonds des Dachverbands, können sich weniger als 10 Prozent der berufsorganisierten Autorinnen und Autoren von ihrem Kulturschaffen ernähren. Etwa 10 Prozent können hauptberuflich schreiben und damit mehr als 50 Prozent ihres Einkommens erzielen. Auch der im Zuge der Hochkonjunktur wieder boomende weltweite Kunstmarkt verleitet zu falschen Vermutungen. Peter Schmid von Suisseculture Sociale deklariert die weit verbreitete Annahme, dass wenigstens die bekanntesten Kunstschaffenden in der Schweiz von ihrer Arbeit gut leben können, als verfehlt: Sogar breit anerkannte Kunstschaffende seien oft lebenslang auf öffentliche Zuschüsse angewiesen. «Der Lebensstandard und die Ansprüche der Kulturschaffenden in der Schweiz sind bescheiden», hält er fest. «2000 bis 3000 Franken monatlich reichen den meisten – und das ein Leben lang. Jedoch nur, wenn keine Familie zu ernähren ist.»

Atelierstipendien, Werkbeiträge und Kunstpreise

Freiberufliche Künstlerin und Mutter sein ist aus ökonomischen Gründen kaum miteinander vereinbar. Rahel Müller wusste das. Ohne einen Partner, der die Existenz der Familie hätte sichern können, war ein Kind für sie nicht vorstellbar. Um ihre fixen Lebenskosten zu decken, muss sie jeden Monat 2700 Franken aufbringen. Die 43-jährige bildende Künstlerin, «eine der bekannteren im Thurgau», wie sie selbst sagt, bewohnt ein WG-Zimmer und leistet sich den «Luxus» eines Ateliers: günstige Räume im ehemaligen Pförtnerhaus einer umgenutzten Grossspinnerei. Hier empfängt die grossgewachsene, in schlicht-elegant-legeres Dunkel gekleidete Frau in ihrem Atelier. Kunst an allen Wänden: übermalte Collagen, fotografische Arbeiten, ein weisser Solitär mit winzigen Wortzeilenbändchen, raumgreifende Arte povera – leise, dezent, nichts drängt sich in den Vordergrund. Rahel Müller, die «relativ früh wusste, dass mich Malerei interessiert, dass ich etwas zu sagen habe», hat sich vor 20 Jahren fürs Kunst-selber-Machen statt -Vermitteln entschieden.
Seit 1990 ist sie freischaffend auf verschiedenen Feldern der Kunst tätig, die ihr alle gleich wichtig sind: Malerei, Fotografie, Kunst am Bau, performative Aktion, Installation. Und sie schreibt. Sie habe wohl alle Modelle versucht, um selbständig zu bleiben, meint Rahel Müller, so auch blockweises Kunstschaffen kombiniert mit strukturiertem Jobben in Teilpensen. Eine Vollzeitstelle hat sie jedoch nie angenommen: «Ich will mich nicht binden lassen. Die Motivation für künstlerische Arbeit kann sinken, wenn das Einkommen durch einen Brotjob gedeckt ist», glaubt sie. «Der Schub soll in meine künstlerische Entwicklung gehen, nicht in Teilzeitjobs – eine Pseudosicherheit –, sonst bin ich keine Unternehmerin. Mein Raum, meine Zeit sind meine Kapitalien! Kunstschaffen ist Forschung und Selbstausdruck – der einzige Vorteil, den dieser Beruf hat.»
Rahel Müllers «Wunsch, Vision ist, mit der eigenen Kunst durchzukommen». Bisher hat sie noch «nie über 50000 Franken im Jahr» verdient, «in den letzten Jahren um die 30000 Franken, eher weniger. Das reicht eigentlich nicht.» Von einem Job auf Abruf als technische Assistentin bei einem Hochbauamt, der ihr bis etwa 8500 Franken jährlich eintrug, hat sie sich wegen zu schlechter Bezahlung dieser Tage entledigt. Ihr kulturpolitisches Engagement als Mitglied der Kulturstiftung des Kantons Thurgau wird jährlich mit etwa 4500 Franken abgegolten.
Die Hauptquelle ihrer Einkünfte aus künstlerischer Tätigkeit ist der Bilderverkauf an Private. Mit Kunst am Bau war Rahel Müller schon einige Male erfolgreich; ein grosser und gut dotierter Auftrag aber, der einige Zeit ohne ökonomische Sorgen gewährleistet hätte, ist ihr kürzlich knapp entgangen. «Den öffentlichen Geldern bin ich nicht allzu sehr nachgerannt», sagt Müller. Sie hat dennoch schon einige Kulturförderung erfahren: Atelierstipendien, Werkbeiträge, Preise.
Um leben zu können, erachtet Rahel Müller 3000 Franken Einkommen pro Monat als realistisch. «Mit weniger kann ich kein Material einkaufen, kann ich weder Weiterbildungen noch kulturelle Angebote besuchen.» Sie sei, «typisch Frau», risikoscheu, wolle sich nicht verschulden. Sie jammere nicht darüber, dass sie sich Coiffeur, Pedicure, Ausgang, Wellness seit Jahren nicht leisten könne, sondern dann, wenn sie die Krankenkassenprämie nicht bezahlen könne. «Mir ist sehr bewusst, dass ich eine Lebensform gewählt habe, die mir niemand aufgezwungen hat», sagt Rahel Müller. Aber: «Ich lebe auch dank Leuten, die mir Dinge schenken, mich zum Essen einladen, all das Sozialnetzmässige, wenn es die Tauschgeschäfte Arbeit gegen Naturalien und auch Kunst gegen Naturalien nicht gäbe, mein Zahnarzt nicht mit sich handeln liesse – wenn das nicht funktionieren würde…»
«Ich sehe mich nicht als Bedürftige», sagt sie, «auf keiner der sich überlappenden Grundhaltungsebenen – das wäre der Tod der Kreativität. Man ist doch innerlich reich.»

Leben ohne Taggeldversicherung und Altersvorsorge

Wie es um die Rahmenbedingungen für Kunst- und Kulturschaffen bestellt ist, hat Anfang Jahr auch der Bundesrat vermittelt erhalten: Die «Arbeitsgruppe Bundesamt für Kultur (BAK), Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) und Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO)» brachte der Landesregierung ihren Bericht «Die soziale Sicherheit der Kulturschaffenden in der Schweiz» zur Kenntnis. Die in diesem Bericht dargelegte aktuelle Einkommenssituation der Kulturschaffenden stützt sich – weil eine generelle Kulturstatistik fehlt – auf eine durch Suisseculture respektive zwölf ihr angeschlossene Organisationen Ende 2005, Anfang 2006 durchgeführte Umfrage.
Auch aus dieser Momentaufnahme, deren Grobauswertung dem «arbeitsmarkt» vorliegt, stechen die Kulturschaffenden aus den beiden Sparten Literatur/Buch und Kunst heraus – als diejenigen mit den grössten ökonomischen Schwierigkeiten. Paradoxerweise leben in der Schweiz also hauptsächlich die Urheberinnen und Wertschöpfer jener Kulturwirtschaftszweige in prekären Verhältnissen, die die höchsten Umsatzzahlen generieren.
65 Prozent der Schreibenden und Kunstschaffenden sind selbständig – die mit Abstand grösste Quote unter den Kulturschaffenden. Weitere 25 Prozent beziehungsweise 30 Prozent sind in einer Mischform selbständig/unselbständig tätig. Sehr auffällig: Bei den Schreibenden ist fast die Hälfte nicht oder zu weniger als 50 Prozent im Kultursektor tätig. Es wird auch erhärtet, dass die Autoren und bildenden Künstlerinnen weitaus am häufigsten einen zweiten oder gar mehrere Tätigkeitsbereiche haben (müssen): Die Hälfte der Autoren sowie 4 von 10 bildenden Künstlern erzielen weniger als 20 Prozent ihres Einkommens aus ihrem Kulturschaffen – lediglich 2 von 10 mehr als 80 Prozent. Zum Verdienst: 6 von 10 Schreibenden und 4 von 10 Kunstschaffenden verdienen unter 10000 Franken jährlich mit ihrer kulturellen Tätigkeit, nur knapp 20 Prozent verdienen über 25000 Franken. In Anbetracht der sehr hohen Selbständigerwerbendenquote – der nationale Durchschnittswert beträgt 13 Prozent – kann davon ausgegangen werden, dass die beiden Berufsgruppen Autorinnen und Autoren und bildende Künstlerinnen und Künstler zumindest Working-Poor-gefährdet sind. Fehlende Altersvorsorge und Krankentaggeldversicherung steigern das Risiko zusätzlich.

Persönliche Quersubventionen ermöglichen passables Auskommen

Die journalistische Anfrage «Wie läbsch?» erzeugt bei Etrit Hasler erst mal Abwehr, dann eine rhetorische Gegenfrage: «Wie viele Kulturschaffende kennst du denn, die davon leben können?» Der 29-jährige «Man in black» ist bekannt wie ein bunter Hund. An der Verbreitung von Zuschreibungen wie Sklavenarbeiter, satanischer Strassenprediger und Progagandaschleuder dürfte er selbst mitgewirkt – sie zumindest nicht verhindert – haben; der gewiefte Stratege weiss sehr wohl um die Macht der (Schlag-)Worte und wie der Öffentlichkeitsmarkt funktioniert. Darauf angesprochen, lacht er: «Idiot oder Hofnarr zu spielen, ist
zuerst mal eine sehr angenehme Position.»
«Ich arbeite mit Sprache», sagt Hasler, der, wie sein Vorname verrät, kosovo-albanischer Herkunft ist. «Ich tue das seit ungefähr anderthalb Jahren in drei Jobs: im Journalismus, im Poetry Slam und im Stadtparlament von St. Gallen.» Nach Etrit Haslers Dafürhalten «kommt Inspiration aus der Realität. Jedenfalls als Schriftsteller ist man gezwungen, an der Welt dranzubleiben.» Er zweifle deshalb «an der These, dass Künstler ausschliesslich von ihrer Kunst leben sollen». Zudem tue ihnen das langfristig gar nicht gut. Auch in der Wirtschaft sei anerkannt, dass man nicht nur für den einen Job lebe, dass man daneben noch anderes haben müsse, beispielsweise Hobbys. «Von daher finde ich, einen Tatsachenjob nebendran zu haben, kann nicht schaden.» Es brauche aber Organisationstalent, alles miteinander zu managen.
Hasler stellt aber unmissverständlich klar, dass sein literarisches Schaffen alles andere denn nur ein Hobby ist. Den Brotjob könne er nur machen, sofern er dabei die Möglichkeit habe, das Andere weiterhin zu betreiben – andernfalls würde er ihn hinschmeissen.
Slam Poetry ist seit 2000 Etrit Haslers «Passion». «Leben kann man davon nicht», sagt er, allerdings habe er es auch noch nie probiert. Slam Poetry, ein performativer Dichterwettstreit, bei welchem dem vom Publikum bestimmten Sieger eine Flasche Whiskey als Preis winkt, bringt kein Geld ein. Bekanntere Slammer erhielten von Veranstaltern «50 bis 100 Stutz in die Hand, und wenn’s gut geht, zahlen sie die Reisekosten». Im deutschsprachigen Raum gebe es nur wenige, die so monatlich auf 800 bis 1000 Franken kämen. Etrit Hasler macht jährlich 50 bis 100 Auftritte an Poetry Slams. Gute Anlässe, wo einfach alles stimmt, bestreitet er auch mal ohne Auftrittshonorar. Zusammen mit Slammerkollegen hält er Slam-Poetry-Vorträge an Schulen – faktisch ein vierter Job. Etwa 1000 bis 3000 Franken kämen so pro Jahr zusammen, die jedoch als «Quersubventionierung» der Reise- und Verpflegungskosten dienen. Mit seinem 50-Prozent-Pensum als Redaktionsleiter der «FabrikZeitung» des Kulturzentrums Rote Fabrik Zürich verdient Etrit Hasler «etwa 2200 Franken netto. So schlecht lebt man damit nicht» – in St.Gallen, wo man billig und dennoch in sehr angenehmer Wohnsituation leben könne. Er könne sich sogar eine Lebensversicherung leisten. Hasler bezeichnet seinen Lebensstandard dann doch als unterdurchschnittlich: «Ich kann leben, bin aber nicht in einer komfortablen Situation.» Es seien nicht alles bewusste Entscheide, wo er überall spare: «Zeitungen lese ich im Café, Internetzugang habe ich auf der Redaktion, mit meinem Prepaid-Handy schreibe ich nur SMS, und Leute, die etwas von mir wollen, sollen mich anrufen.» «An eine teure Ausbildung, wie meine Freundin gerade eine macht, ist im Moment auch nicht zu denken. Irgendwann möchte ich aber noch fertig studieren. In diesem Jahrzehnt ist das wohl nicht möglich», bilanziert er.
Ob er ein glücklicher Mensch sei? «Ich bin nicht unzufrieden. Da, wo ich mit etwas unzufrieden bin, wo ich etwas ändern will, gehe ich in die Politik.»
Mitte Juni «verzichtete» der Bundesrat «aus finanziellen Gründen» auf besondere Massnahmen zur Verbesserung der sozialen Situation der Kulturschaffenden via Kulturförderungsgesetz. Die Kulturpolitik des Bundes müsse «Raum für ein Kunstschaffen lassen, zu dem immer auch ein Schuss Anarchie gehört», sagte
Kulturminister Pascal Couchepin.

Links
Etrit Hasler: www.etrit.ch
Dachverband der professionellen Kulturschaffenden der Schweiz: www.suisseculture.ch
1. Kulturwirtschaftsbericht Schweiz (2003) und laufende Forschungsprojekte der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich (HGKZ) zum Thema «Kulturwirtschaft/Kreativwirtschaft»:
www.kulturwirtschaft.ch

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