«der arbeitsmarkt» 10/2005

Banken oder Unternehmen – wer ist der schwarze Peter?

Die Kreditvergabe von Banken stagniert trotz tiefer Zinsen seit Jahren. Banken und KMU schieben sich die Schuld gegenseitig zu. Der Bericht über ein Missverständnis.

Die Umfrageresultate gleichen sich. In der diesjährigen Investitionsumfrage der KOF (Konjunkturforschungsstelle der ETH) gab fast jedes vierte Kleinunternehmen aus Industrie und verarbeitendem Gewerbe an, die Finanzierung sei ein Haupthindernis bei geplanten Investitionen. Gemäss einer Studie der Universität St.Gallen über die Gastronomie im Kanton fehlten jedem dritten Gastronomen zu Beginn die finanziellen Mittel, aber nur fünf Prozent erhielten einen Bankkredit. Bei einer Befragung des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco) bezeichnete im Jahr 2003 jedes sechste Unternehmen die Zusammenarbeit mit den Banken als unbefriedigend. Hauptschwierigkeit seien die Bedingungen für die Kreditgewährung.

Rückgang des Kreditvolumens

Trotzdem: Unternehmer, die über die zurückhaltende Kreditvergabe jammern, sind aus den Schlagzeilen verschwunden. Im Gegenteil: «Endlich: Banken belohnen Pioniergeist», titelte die Wirtschaftszeitung «Cash» im April. «Geld ist ausreichend vorhanden», heisst es beim seco. Unisono bestreiten Banken und ihre Lobby-Organisationen, dass eine «Kreditklemme» für Klein- und Mittelunternehmen (KMU) exis-tiere, und betonen, dass «gute Unternehmen problemlos zu Kapital kommen».
Für diesen scheinbaren Widerspruch sind mehrere Erklärungen denkbar. Entweder hat sich der Zugang zu Fremdkapital wirklich verbessert. Die Schlussfolgerung wäre: Wer keinen Bankkredit erhält, ist zu Recht nicht kreditwürdig und damit quasi ein Sanierungsfall. Oder die KMU haben sich bereits derart an einen schärferen Wind bei der Kreditvergabe gewöhnt, dass ein öffentlicher Aufschrei ausbleibt. Oder aber es stehen ausreichend alternative Finanzierungsmodelle zur Verfügung.
Tatsache ist, dass die Banken heute einen Fünftel weniger Firmenkredite gewähren als noch vor fünf Jahren. Die Nationalbank klingt bereits erfreut, wenn sie – wie diesen Frühling – vermelden kann, dass die «Kredite an Unternehmen zum ersten Mal seit Mitte 2001 stagnierten, statt zu schrumpfen».
Die Banken begründen den Rückgang des Kreditvolumens mit einer gesunkenen Nachfrage. Sie verweisen auf die geringe Ausschöpfung der bewilligten Kreditlimiten. Gemäss der Mai-Statistik der Nationalbank hätten die KMU nur 53 Prozent der gewährten Betriebs- und Investitionskredite in Höhe von rund 128 Milliarden Franken beansprucht, argumentiert UBS-Sprecherin Rebeca Garcia. «Dies verdeutlicht, dass nicht von einer
Kreditverknappung gesprochen werden kann.» Genau die geringe Beanspruchung zeige, dass nur noch die besten Firmen überhaupt Kredit erhielten, halten KMU-Vertreter entgegen. Aus ihrer Sicht haben die Banken die Trauben derart hoch gehängt, dass sogar solide Unternehmen sie nicht mehr erreichen können. Mangels Erfolgschancen bemühten sich zahlreiche Kleinunternehmerinnen und -unternehmer gar nicht erst
zur Bank.
Hohe Hürden müssten vor allem Jungunternehmende überspringen, sagt KMU-Berater Marc Hamburger vom «Start Unternehmenszentrum» in Zürich. Auf jeden Fall verlangten die Banken eine hundertprozentige Deckung. «Einen Blankokredit gibt es nicht.» Erst nach einer Dreijahresperiode könnten die Banken die Bonität eines neu gegründeten Unternehmens ausreichend abschätzen.

Verlust: eidgenössisches Jahresbudget

Neuunternehmern empfiehlt Hamburger, sich an Banken mit speziellen Start-up-Programmen zu wenden, etwa
an Kantonalbanken. Die Zürcher Kantonalbank (ZKB) gewährt zum Beispiel jedes Jahr Kredite an 100 bis 200 Start-up-Unternehmen. Das Volumen belief sich letztes Jahr auf 31,5 Millionen Franken, im Vorjahr waren es
25 Millionen Franken. Zusätzliche Gelder werden für Risikofinanzierungen zur Verfügung gestellt. Hamburger bedauert, dass die Grossbanken keine solchen Programme mehr führen, obwohl sie Marktleader bei der Unternehmensfinanzierung sind – noch sind, denn seit der Jahrtausendwende haben sie gegenüber Kantonal- und Regionalbanken massiv an Marktanteilen eingebüsst. Die Start-up-Programme beeindruckten auch
das Bewertungsteam von «Cash Enterprise» derart, dass es jüngst die Berner Kantonalbank zur «KMU-freundlichsten Bank» erklärte, gefolgt von der ZKB, der Schwyzer Kantonalbank, der Alternativen Bank (ABS) und der Glarner Kantonalbank. Die minimale Kreditlimite beträgt in der Regel 50000 Franken – darunter wäre der Bearbeitungsaufwand zu gross.
Die Fachleute stimmen darin überein, dass sich die Kreditbedingungen in den letzten Jahren massiv
verändert haben. Dies hängt zum einen mit der grösseren Vorsicht der Banken zusammen, die in der Immobilienkrise der Neunzigerjahre rund 50 Milliarden Franken ans Bein streichen mussten. Das entspricht immerhin dem Jahresbudget der Eidgenossenschaft. Zum anderen sind neue internationale Eigenkapitalvorschriften vereinbart worden: die so genannten «Basel II»-Richtlinien. 1988 hatte der Ausschuss für Bankenaufsicht in Basel den Banken empfohlen, jeden Kredit mit 8 Prozent
Eigenkapital abzusichern (Basel I). In der Neufassung wird diese starre Vorschrift ersetzt. Nun muss die Bank für jedes Unternehmen ein Rating erstellen, bevor sie einen Kredit gewährt. Besteht ein hohes Risiko, dass
die Firma den Kredit nicht mehr zurückzahlen kann, so muss die Bank bedeutend mehr beiseite legen als bei guten Unternehmen. Diese zusätzlichen Kosten werden in Form eines höheren Zinses auf die Kreditnehmenden überwälzt.
Basel II soll offiziell 2007 in Kraft treten; die meisten Schweizer Banken haben die Vorschriften nach eigenem Bekunden aber bereits umgesetzt. Über die Folgen für KMU sind sich die Fachleute uneinig. Der Unternehmer und FDP-Nationalrat Otto Ineichen befürchtet etwa, dass bis zu 10 Prozent aller KMU, also etwa 30000 Unternehmen, durch höhere Zinsen in Existenznot geraten könnten. Die Banker wiegeln ab. Das Abkommen werde überbewertet, meint etwa Thomas Bieri, Bereichsleiter Kreditproduktion bei der ABS. «Bei uns hat Basel II keinen grossen Einfluss.» Auch UBS-Sprecherin Garcia glaubt, dass es für die schweizerischen Firmen keine grösseren Veränderungen geben werde.

Kredite von Geschäftspartnern

Wahr ist allerdings, dass der Aufwand der Banken durch die Ratings gestiegen ist, vor allem bei Neukunden. Weil auch diese Kosten auf die Kreditnehmer überwälzt werden, die Höhe des Kredits aber keine Rolle spielt,
werden Jungunternehmer und KMU proportional stärker belastet als Grosskonzerne. Mit Spezialsoftware versuchen die Banken, die Betriebe möglichst effizient einzuschätzen und Kosten zu sparen. Aus Sicht von «Start»-Chef Marc Hamburger birgt dies aber die Gefahr, dass die Kreditvergabe zu «mechanisiert» abläuft. «Aus meiner Sicht ist die Persönlichkeit des Unternehmers das Wichtigste.» Dieser Aspekt drohe verloren zu gehen, wenn nicht mehr der Frontmann in der Filiale den Kreditentscheid trifft, sondern ein Computerprogramm am Hauptsitz.
Einig sind sich die Banken und KMU-Vertreter in der Einsicht, dass viele Jung- und Kleinunternehmer nur
ungenügende Unterlagen vorlegen können. «Sie wissen alles über ihr Fachgebiet, aber sind zu wenig mit Finanzthemen vertraut», sagt Hamburger, der in seinem Unternehmen von Biotechfirmen über Ingenieure und Schreiner bis hin zu Boutiquebesitzerinnen alle möglichen angehenden Selbständigen beraten hat. Wichtig sei insbesondere, dass der Businessplan plausible Projektionen für die zukünftige Entwicklung enthält. Andere Fachleute bestätigen, dass die Bonität eines Unternehmens gegenüber der Deckung an Bedeutung gewinnt.
Allerdings beeinflussen auch andere Faktoren den Kreditentscheid der Bank. Zum Beispiel die Branche.
Gastronomiebetriebe werden von einigen Banken von der Kreditvergabe ausgeschlossen oder mit überhöhten Zinsen abgeschreckt, wie Insider versichern. Zugeben würde das niemand, die Konkurrenz anschwärzen hingegen schon. ABS-Kreditchef Bieri, der einen solchen Vorwurf in den Raum stellt, kann immerhin belegen, dass Gastronomen bei der Alternativen Bank tatsächlich zum Zuge kommen. Dem jüngsten Geschäftsbericht ist zu ent-nehmen, dass etwa das Basler Restaurant «Hirscheneck» oder das Hotel-Restaurant «Löwengraben» in Luzern einen ABS-Kredit erhalten haben. Auch die Wirtschaftsregion eines Betriebs spielt eine Rolle. Firmen, die im Export, gesamtschweizerisch oder in Agglomerationen tätig sind, haben meist bessere Zinskonditionen als Unternehmen in einem strukturschwachen Markt.
Wer allen Bemühungen zum Trotz von der Bank die rote Karte gezeigt erhält, kann zunehmend auf Alternativen zurückgreifen. Die gebräuchlichste Methode, kurzfristige Liquiditätsengpässe zu vermeiden, sind
Kredite von Geschäftspartnern (Lieferanten oder Kunden). Auch Leasing und neue Finanzierungsinstrumente befinden sich auf dem Vormarsch. Der Bankkredit ist aber noch keine aussterbende Spezies. Dass die Bedeutung von Bankkrediten für KMU zurückgehe, ist nach Einschätzung der UBS «derzeit nicht in Sicht».

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