«der arbeitsmarkt» 03/2007

Ausflug mit viel Betrieb

Nirgendwo wird das gute Arbeitsklima so oft
beschworen wie auf dem Betriebsausflug. Das gilt für kleine und mittlere Betriebe genauso wie für grössere Firmen oder den Bundesrat.

Er wählte sehr bildhafte Worte: «Jedes Jahr macht der Bundesrat einen Ausflug in den Heimatkanton des Bundespräsidenten und spielt dort, je nachdem, wo es gerade ist, Hackbrett oder formt Grittibänze.» Wer es 1996 in einer Rede im Berner Stadttheater so der Allgemeinheit erklärte, hatte selber noch wenig Erfahrung. Moritz Leuenberger war damals der Grünschnabel im Bundesrat. Letztes Jahr jedoch durfte er als «Ministerpräsident» die Route des Betriebsausfluges schon zum zweiten Mal vorgeben. Hatte er 2001 mit Wädenswil noch links gewählt, auf die Seite des Zürichsees bezogen, so musste er letztes Jahr wohl oder übel das Ufer wechseln. Von Rapperswil ging es mit dem Schiff nach Stäfa, man schüttelte viele Hände und besuchte Phonak, den innovativen Hörgeräte-Giganten. Am Nachmittag ging es zum Nachwuchs an die Kantonsschule in Wetzikon.
Am ministerialen Anlass – auch Schulreisli genannt – lässt sich schön aufzeigen, was den guten Betriebsausflug ausmacht. Er sollte Überraschungen enthalten, nicht nur Vergnügungen bieten, Ortsverschiebungen einbauen und da und dort ein geistvolles Aha-Erlebnis steigen lassen, vor allem aber soll er die Kollegialität fördern. Das Kollegialitätsprinzip wird dem Bundesrat traditionell abgefordert. Sieben Münder, aber eine Stimme, heisst das Credo. Man geht, zumindest im öffentlichen Raum, fair miteinander um, auch wenn man den andern nicht unbedingt an die Brust drücken möchte. Man pflegt eine währschafte Nettigkeit, giftelt aber dann und wann im Tagesgeschäft miteinander. Sachliches und Menschliches sind zwei verschiedene Ebenen, auf dem Schulreisli sowieso. Micheline neckt Christoph und so weiter.
Am nächsten Tag – Betriebsausflüge sind oft zweitägig – stiessen die Landesväter (und die einzige Landesmutter) nach Deutschland vor, in den Grenzort Jestetten. (Immer öfter führen Betriebsausflüge ins Ausland, wir sind Europäer.) Das nächste Highlight war das Gleiten im Weidling nach Schaffhausen. Petrus war nicht ganz milde gestimmt, und so hatte Madame aus Genève für den Wasserweg eindeutig die falschen Schuhe an. Im Car sei sie dann im Munotstädtchen angekommen, lächelnd wie immer und trocken.

Freiwilligkeit ist die oberste Pflicht

Der Dresscode ist beim Betriebsausflug ein nicht zu vernachlässigender Punkt. Es darf nicht vorkommen, dass man nach einem Fussmarsch mit Schweissflecken unter den Achselhöhlen angehalten wird, ein Glas Sekt zu heben. Nicht nur die Damen möchten gemütlich Zeit haben, sich frisch und schön zu machen und sich umzuziehen. Und wo? Zweitägige Ausflüge sind da sehr praktisch, weil so alle mit dem Hotelzimmer – selbst wenn sie es teilen müssen – ein Réduit haben. Geschrieben und gemailt und verschickt werde vor den Veranstaltungen jeweils viel, weiss die Arbeitspsychologin Karin Ammann und fragt: «Aber ist es auch das Richtige? Wissen die Eingeladenen, was sie erwartet? Existiert eine zentrale Auskunftsstelle? Kursieren Gerüchte, Missverständnisse, gar Vorbehalte? Wenn ja, sollten diese sofort ausgeräumt werden.»
Ein gewisser Individualismus muss Platz haben. Wer nicht wandern mag oder kann oder einfach ein Trotzkopf ist, wird nicht gezwungen und auch nicht weich geklopft. Bewährt haben sich Programme im Baukastensystem, so dass nur der Hauptteil von allen absolviert wird. Auch wenn ohne Ausnahme alle Mitarbeitenden eine Einladung erhalten sollten – das Übergehen eines Mitarbeitenden wäre eine unverzeihliche Panne –, so sollte dennoch nicht mitkommen müssen, wer nicht will. Pascal Couchepin zum Beispiel war am zweiten Tag auch nicht dabei, er blieb in Bundesbern.
Was geschehen kann, wenn der Betriebsausflug zur «Pauschalreise» wird, wo alle pauschal behandelt werden, erlebten die Angestellten einer Belper Firma am 11. Juni 2001. Für die 16 Leute stand ein «Velodraisine- und Kanuplausch» bevor: paddelnd von Laupen nach Niederried. Die Saane fliesst hoch und schnell an jenem Tag und Rocco D., der 52-jährige Italiener, der neu in der Firma ist, sagt einem Guide des Kanu-Unternehmens am Morgen ganz deutlich, er mache nicht mit. Als dann alle mit den Schwimmwesten bereitstehen, ist auch D. darunter. Gruppendruck? Jedenfalls gibt der Chef – wir bilden doch geschlossen eine Firma, mag er gedacht haben – noch einen drauf, indem er kommandiert: «Alle kommen mit!» Es kam, wie es nicht hätte kommen dürfen. Rocco D. kentert und das ganze Notfallszenario ist so katastrophal, dass der Betriebsausflug mit dem Tod des Italieners endet. Fünfzig Minuten trieb er im zehngrädigen Wasser. Er war Nichtschwimmer, niemand wusste es. Alle Angestellten der Kanu-Firma wurden zu 14 Tagen Gefängnis bedingt verurteilt.

Wichtigster Programmpunkt ist Kontaktpflege

Anbieter für sinn-, unsinn- und teamgeiststiftende Events gibt es en masse. Die HR-Abteilungen haben die Qual der Wahl. Die ganze Belegschaft schmiedet mit Hämmern am Amboss eine Firmenskulptur und schafft so einen bleibenden Wert aus Eisen – wie wäre denn das? Ebenfalls eher für Kleinbetriebe: Balancieren Sie auf dem Melkstuhl und erleben Sie, wie sich ein Euter anfasst und melken lässt. Ihr erstes eigenes Glas Milch! Danach folgt Käsen. Soll das Essen wie beim letzten Firmenausflug schon wieder am Tisch eingenommen werden? Nein, es gibt neu die Möglichkeit, es im tiefen Schnee – ja, das Essen – vergraben zu lassen und es dann mit dem Lawinenverschüttetensuchgerät zu orten. Oder einfach im Kieswerk als Sachbearbeiterin oder Verkaufschef einmal mit einem richtigen Bagger spielen.
Die Kolleginnen und Kollegen von einer anderen Seite kennen lernen, darum geht es, das ist der wichtigste Aspekt des Betriebsausflugs, der zuvorderst ja für die Verbesserung (oder Erhaltung) des Betriebsklimas in Szene gesetzt wird. (Das Betriebsklima meint die Stimmung in der Firma, das Arbeitsklima das Makroklima am einzelnen Arbeitsplatz. Abteilungen können ganz unterschiedliche Betriebsklimata haben.) In unserer Zeit der Dauerberieselung und Reizüberflutung empfiehlt Arbeitspsychologin Ammann eher die direkte Kontaktpflege, klein, aber fein und mit mässiger Ablenkung. Überfüllte Programme kommen nicht an. Bei grösseren Anlässen sei es zudem weise, sich den Künstler, den man buchen will, vorher anzuschauen.

Der Betriebsausflug als PR-Event

3200 Personen gemeinsam ausfliegen zu lassen, ist Generalstabsarbeit. Alle zwei, drei Jahre organisiert die ETA Suisse SA (Swatch) eine Reise für die gesamte Belegschaft. Eine Zehnerschaft aus der Geschäftsleitung beginnt rund ein Jahr vorher mit der Organisation. 2005 ging es von Grenchen, Biel und Fontainemelon in sechzig Reisebussen nach Huttwil. Je nach Wanderlust stiegen die Teilnehmer schon vorher aus und peilten in einer gewaltigen Sternwanderung das Nationale Sportzentrum an. Streckenposten und vier Sanitätsstationen halfen mit, das Heer heil ans Ziel zu bringen. Allein 650 Kilo Pouletfleisch wurden für das Mittagessen verbraten. An 28 Spielstationen konnte man am Nachmittag blödeln und sich austoben, von Hau-den-Lukas bis zum Sägewettkampf. Von den Busfahrern über die 20 Köche bis hin zu den 11 Musikern waren über 300 Personen beschäftigt. Obwohl der Anlass an einem arbeitsfreien Tag über die Bühne ging, machten die meisten mit. Der Trick: Alle Familienangehörigen durften mitkommen – und in der Eishalle konnte man günstig Uhren von Calvin, Certina und Tissot ergattern.
Betriebsausflüge sind bei grösseren Firmen oft auch eine PR-Angelegenheit. Die Grosszügigkeit soll nach aussen bekannt werden. Die Presse wird informiert, die Lokalzeitung berichtet beflissen und die Firmen stellen die Erlebnisberichte und die Fotos ins Internet. So finden wir etwa bei der Marti Betriebe im luzernischen Zell einen Link zu den Bildern der Ausgelassenheit gleich schon prominent auf der Startseite. Aha, zwei Tage in Berlin waren die Kies-, Beton- und Transportprofis im letzten November.
Zu hundertdreiundzwanzigst flog man hin. Und im «Willisauer Boten» liest man ergänzend, dass es dafür eine Swiss- und eine Lufthansa-Maschine brauchte und sich alle Beteiligten einig waren, «dass die im Herzen Berlins gelegene Schweizer Botschaft keine besondere Schönheit ist». Dem lokalen Reisebüro wird in der Zeitung namentlich und gratis auf die Schulter geklopft. Tadellos habe es den herrlichen Betriebsausflug organisiert.
Anderes einfallen lassen hat sich die Firma Pius Buchmann AG in Ruswil, die Traktoren und Landmaschinen verkauft und wartet. Sie entschied sich für etwas zur Branche Passendes, für eine kecke Mischung aus Inland, Bodenständigkeit und Motorenrausch. Wie sie mit ihrem Bild auf der Homepage belegt – eine der 15 Personen stützt sich auf eine Schindel (Holzschläger) ab –, spielte die Belegschaft am Nachmittag im Emmental zuerst Hornussen, «und am Abend in Bern staunten wir beim Töff Freestyle Spektakel im Stade de Suisse bei Nights of the jumps».
Es gibt aber auch die Möglichkeit, den Betriebsausflug sinnvoll ins Wasser fallen zu lassen. Die Mitarbeitenden von Siemens in Volketswil verzichteten 2005 ganz darauf und spendeten die dafür reservierten 25000 Franken für die Opfer des Seebebens in Südostasien.

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