«der arbeitsmarkt» 04/2014TEXT: Sandra Gehring
Arbeitssuche über 50

Altersguillotine

Die Diskriminierung älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt ist ein heikles Thema. Vor nicht langer Zeit galt eine Person erst mit 58 Jahren auf der Stellensuche als alt. Mittlerweile bekommen bereits 45-Jährige zu spüren, dass sie zu einer weniger gefragten Altersgruppe gehören.

Rosa ist eine von sechs Stellensuchenden, die sich als Botschafterinnen und Botschafter für die Plakatkampagne «Potenzial 50plus» des Kantons Aargau zur Verfügung gestellt haben. Sie will dazu beitragen, dass über 50-Jährige, die eine Stelle suchen, in der Gesellschaft vermehrt wahrgenommen werden. «Wenn die Kampagne etwas an der Einstellung gegenüber älteren Stellensuchenden verändern kann, bin ich gerne dabei», erklärt sie ihr Mitmachen. Mit fünf weiteren Stellensuchenden über 50 Jahre stellte sie sich den Fotografen .

Ihr Porträt hängt nun bereits zum zweiten Mal an Bushaltestellen und öffentlichen Plätzen im Kanton Aargau. Die Kampagne des Amts für Wirtschaft und Arbeit Aargau (AWA) wird von verschiedenen Gewerbe-, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden unterstützt. Mit den Porträtplakaten soll sie Arbeitgeber und die Öffentlichkeit auf die besonderen Kompetenzen der über 50-Jährigen aufmerksam machen. Mit Erfolg, wie das Echo auf die erste, im letzten Herbst lancierte Plakatserie zeigt: Bereits knapp zwei Monate nach der Lancierung meldeten sich zahlreiche ältere Stellensuchende beim AWA. Sie hatten positive Rückmeldungen aus der Bevölkerung erhalten und freuten sich darüber, dass der Kanton sie bei ihrer Stellensuche unterstützt.

«Wir bekommen immer wieder Anrufe aus der Bevölkerung sowie von älteren Stellensuchenden», sagt Urs Schmid, Projektleiter AWA und operativer Kampagnenleiter. «Auf dem Arbeitsmarkt gilt eine eigene Definition von ‹älter›. Älter kann man schon ab 40 sein. Stellensuchende gegen 50 und darüber sind bei der Stellensuche deutlich benachteiligt.» Das Potenzial dieser Menschen solle und dürfe nicht brachliegen. «Die über 50-jährigen Mitarbeitenden sind sehr wertvoll für die Unternehmen. Das ist schon lange bekannt. Eine gute Mischung zwischen Jung und Alt ist für die Betriebe sehr wichtig», ist Urs Schmid überzeugt.

Im Kanton Aargau waren 2013 im Jahresdurchschnitt rund 3600 Erwerbslose über 50 Jahre alt. Das sind nach Angaben von Urs Schmid rund 26 Prozent aller Stellensuchenden im Kanton. Für sie ist der Wiedereinstieg besonders schwer und die Gefahr einer Langzeitarbeitslosigkeit oder Aussteuerung rund 20 Prozent grösser als bei jüngeren Stellensuchenden (siehe Kasten).

Chancengleichheit erwünscht

Das Alter scheint bei der Suche nach einer Stelle mit gleichwertigem Lohn tatsächlich einen deutlich stärkeren Einfluss zu haben als das Geschlecht, die Berufsgruppe oder die Ausbildung. Das zeigt eine Untersuchung zur Wiederbeschäftigung nach Betriebsschliessungen im Industriesektor des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) aus dem Jahr 2013. Ungefähr zwei Jahre nach der Schliessung ihres Unternehmens fanden zwei von drei Angestellten wieder eine Stelle. Eine von sechs befragten Personen war immer noch arbeitslos, und eine von neun hatte sich vorzeitig pensionieren lassen.

Während der Übergang in ein anderes Unternehmen für die weniger als 40 Jahre alten Kandidaten im Allgemeinen gut verlief, hatten die Stellensuchenden über 54 Jahre viel mehr Mühe gehabt, sich wieder einzugliedern. Diejenigen, die eine Stelle ergatterten, mussten oft beachtliche Lohneinbussen in Kauf nehmen.

Diese Ergebnisse für die älteren Arbeitnehmenden kontrastieren stark mit den Wiedereinstellungsraten der wenig qualifizierten Arbeitskräfte. Mehr als 80 Prozent der Angestellten unter 50 Jahren und ohne Ausbildung hatten zur Zeit der Untersuchung eine neue Stelle gefunden. Ausserdem mussten sie nicht mehr Lohneinbussen in Kauf nehmen als Personen mit einer Lehre. Auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt ist ein über 55-jähriger Arbeitnehmer, der eine Berufslehre absolviert hat, offensichtlich nach einer Entlassung benachteiligter als eine 40 Jahre alte Person ohne Ausbildung.

Eine Frage des Engagements

Dennoch gehen einige Firmen mit gutem Beispiel voran. Die Aargauer Kantonalbank etwa achtet auf eine gesunde Durchmischung der Belegschaft über alle Hierarchiestufen hinweg. Daher zeige sich die Altersstruktur weitgehend ausgeglichen, sagt Andreas Koch, Leiter Human Resources: «Mehrere Neueingestellte, auch in den höheren Hierarchiestufen, sind 50 und älter.»

Die Bank habe zudem spezielle Modelle entwickelt, die es älteren Erwerbstätigen ermöglichen, auf Wunsch stufenweise und flexibel aus dem Erwerbsleben zurückzutreten. Laut Andreas Koch hat die Aargauer Kantonalbank auch im Rekrutierungsprozess keine Altersbeschränkungen. Bewerbungen von Arbeitnehmenden in beiden Lebenshälften würden gleichermassen berücksichtigt.

Die Arbeitslosenversicherung fördert Qualifizierungsmassnahmen von älteren Stellensuchenden. Ziel ist einerseits, die Beschäftigung durch Qualifizierung zu sichern, und andererseits, Weiterbildungen anzubieten. Wer lernt, die eigenen Stärken zu verkaufen, und für neue Situationen offen ist, verbessert die Chancen, wieder eine Stelle zu finden.

Initiativen der Kantone, wie diejenige des Kantons Aargau, sind weitere wichtige Massnahmen zur Wiedereingliederung älterer Stellensuchender. Dass sie etwas bringen, zeigt auch die Aargauer Plakatkampagne: Bald vier der sechs Stellensuchenden, die für die Plakate Modell standen, sind heute wieder eingestellt. Trotzdem muss sich die Botschaft «Potenzial 50plus» laut Urs Schmid noch besser in den Köpfen aller festsetzen. «So eine Aktion braucht eben auch Geduld und Zeit.» Eine dritte Welle mit Plakaten ist für diesen Herbst geplant.

 

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