«der arbeitsmarkt» 11/2007

Altersdiskriminierung ist Arbeitsmarktrealität

Das Alter ist eines der grössten Probleme bei der Stellensuche und Arbeitslosigkeit ein massives Gesundheitsrisiko: Fachleute orteten an der AM-Tagung 2007 in St.Gallen dringenden
Handlungsbedarf und diskutierten mögliche Massnahmen.

Es war ein prächtiger Herbstmorgen, als im Untergrund, im Pfalzkeller, Walter Abderhalden seitens des gastgebenden Amts für Arbeit (AfA) St.Gallen die AM-Tagung 2007 eröffnete. Abderhalden freute sich, zur grossen Zahl von Vertreterinnen und Vertretern verschiedenster sanktgallischer Organisationen auch Vertretungen des SECO sowie aus den Kantonen Zürich, Glarus, Graubünden, Aargau und aus dem Fürstentum Liechtenstein begrüssen zu können. Mit den seit 1996 durchgeführten Tagungen will das AfA St.Gallen zu einem bestimmten Thema «Anregungen für den Alltag» vermitteln und den Teilnehmenden ermöglichen, «interessante Kontakte zu knüpfen oder zu vertiefen».
Erklärtes Ziel der diesjährigen AM-Tagung war, Frauen und Männer über 50 durch angepasste Massnahmen und Instrumente im Arbeitsleben zu halten und sie bei Arbeitslosigkeit schneller wieder hineinzubringen. Die Aufwärmrunde des Referate-marathons bestritten die Gastgeber mit Informationen aus dem AfA St.Gallen. Walter Abderhalden, Leiter Prävention & Qualität, fasste die heutige Situation auf dem Arbeitsmarkt zusammen: «Der Wirtschaft geht es laut Statistik gut. Es läuft rund. Der Trend bei den stellensuchenden Personen ist überall im Kanton massiv rückläufig. Aber eine Altersgruppe profitiert vom wirtschaftlichen Aufschwung fast gar nicht: die über 50-Jährigen. Das Alter bildet eines der grössten Probleme bei der Stellensuche.»

Zunehmender Anteil der Älteren an den Erwerbstätigen

Das muss nicht für alle Ewigkeit gelten. Antoine Lukac, Ressort Grundlagen und Analysen beim SECO, bot einen Überblick zur demografischen Entwicklung und zu ihrer Auswirkung auf die Beschäftigung mit dem Fazit: «Es wird in der Schweiz weniger Erwerbstätige geben. Der Anteil der Älteren wird deshalb zunehmen.» Die entscheidende Frage für die Schweiz werde sein: «Wie aktiv sind die 50+?»
Was können die Arbeitgeber dazu beitragen? Darüber referierte Joseph A. Weiss, Ressort Grundlagen Arbeit und Gesundheit im SECO, detail- und aufschlussreich. «Die Gesundheit erhalten ist zentral», betonte er. In der heutigen Arbeitsweltrealität mit ihren hohen Anforderungen seien Gesundheitsprobleme jedoch nicht selten. Der wirtschaftliche Strukturwandel belaste die Mitarbeitenden, ebenso die Trends zu Arbeitsverdichtung, Flexibilisierung, Auslagerung in Länder mit tiefen Lohnkosten und neuen Technologien.
Was sind gute und damit gesunde Arbeitsbedingungen? Als Erstes nannte Weiss eine hohe Gestaltungskompetenz für die eigene Arbeit. Eine gute Arbeitsorganisation reduziere Stresssituationen, welche zu Kreislauf- und psychischen Problemen bis hin zur Invalidisierung führen könnten. Im Weiteren erwähnte er eine sozialkompetente Führung (zu der auch das Erkennen und Nutzen der individuellen Stärken der Mitarbeitenden gehöre), ein betriebliches Gesundheits- und Altersmanagement («altersgemischte Teams einsetzen»), differenzierte Arbeitsmodelle wie Teilzeitarbeit oder Sabbaticals und eine Kultur des Lernens (berufliche Weiterbildung).
Joseph A. Weiss zitierte im weiteren Verlauf den viele Jahre beim Schweizerischen Arbeitgeberverband tätigen, kürzlich pensionierten Hans-Rudolf Schuppisser mit den Worten: «Das Arbeitsleben ist ein Langstreckenlauf, kein Sprint.» Die Arbeitgeber und die Öffentlichkeit sollen für diese Tatsache und die Leistungen der Älteren sensibilisiert werden, verfügten diese doch über Fähigkeiten, die anderes wettmachten. Als besondere Stärken der Älteren erwähnte er die Lebenserfahrung, ein besseres Beurteilungsvermögen und bessere Fähigkeiten, strategisch zu denken. Zudem zeigten sie generell eine höhere Loyalität, ein höheres Qualitätsdenken und verfügten über ein besseres
Beziehungsnetz.

Bundesrätliche Strategie und faire Arbeitsmodelle

Damit bringen die Älteren just jene persönlichen Fähigkeiten mit, die über die Fachkompetenz hinaus in fast jedem Stelleninserat als Soft Skills gefordert sind. Die Arbeitgeber müssten sich ergo um die älteren Stellensuchenden reissen. Dem ist jedoch nicht so. Weiss: «In Umfragen gibt es faktisch keine Altersstigmatisierung, praktisch aber eine Altersdiskriminierung.»
Ende August hat der Bundesrat einen Bericht verabschiedet, der Leitlinien als Grundlage für eine schweizerische Alterspolitik vorlegt, die verstärkt auf die Ressourcen und das Potenzial der älteren Menschen setzt. Ohne laut Weiss eine bestimmte Altersgruppe im Auge zu haben, bilde der Erhalt der Arbeitsfähigkeit und Arbeitsmotivation dank Prävention und Weiterbildung einen elementaren Bestandteil der bundesrätlichen Strategie. Kantone, Gemeinden und weitere Partner sollen darin eingebunden werden.
Bereits aktiv auf diesem Gebiet ist die Fairness at Work GmbH in Bern. Sie bietet Unternehmen, die faire Arbeitsmodelle für ältere Erwerbstätige erarbeiten, umsetzen und evaluieren wollen, Projekte an. Von Pia Tschannen, die als Geschäftsleiterin des Unternehmens für die Bereiche Arbeitsmodelle, Forschung und Coaching zuständig ist, erwarteten die Veranstalter «pointierte Worte». «Ich bin als Gleichstellungsfachfrau eingeladen worden. Gleichstellung geht auch Männer an», bemerkte Pia Tschannen dazu. In ihrem engagierten Referat «Frauen 50+ im Arbeitsmarkt – Aspekte zur Arbeitsmarktintegration» fielen auch kritische Worte an die Adresse der RAV: «Gefragt ist schnelle Integration – ist das bei den 50+ überhaupt möglich? Ich setze da ein Fragezeichen.» Zur Heterogenität in RAV-Weiterbildungsveranstaltungen sagte Tschannen: «Wenn ältere und jüngere Arbeitslose mit ganz unterschiedlichem Hintergrund zusammen Kurse besuchen müssen, ist es oft schwierig, dass es allen etwas bringt.» Beim Stichwort «Zumutbarkeit der Stellen» richtete sich Pia Tschannen direkt an die Tagungsteilnehmenden: «Würden Sie etwas tun,
worauf Sie überhaupt keine Lust haben?
Unmotivierte Bewerbungen sind keine guten Bewerbungen, unmotivierte Arbeitskräfte keine guten Arbeitskräfte.» Gerade bei Frauen über 50 könne eine so zustande gekommene schnelle Integration – vor allem wenn sie in eine unterqualifizierte Arbeit erfolge – die Motivationsprobleme verschärfen und jede weitere Integration erschweren. «Wenn eine 45-jährige Wiedereinsteigerin fünf Jahre lang eine unqualifizierte Arbeit macht, hat sie mit 50 noch viel mehr Probleme.»

Tipps zur Integration von Frauen über 50…

Pia Tschannen schlug fünf Maximen zur Arbeitsmarktintegration von Frauen 50+ vor:
• Langsam ist besser als schnell. («Die Investition muss die ganze restliche Erwerbsarbeitszeit der Frauen umfassen, etwa 15 bis 20 Jahre.»)
• Homogenität ist besser als Heterogenität. («Die Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeitsbiografie wäre eine Anregung für einen Kurs für Wiedereinsteigerinnen.»)
• Zeitgerechte Ausbildung anstatt auf Vorrat. («Einen Computerkurs zu machen, wenn man das Gelernte nicht direkt in eine Arbeit umsetzen kann, ist sinnlos, denn man vergisst das Gelernte bald.»)
• Lernen können ist besser als nur Erfahrungen haben. («Lücken in den Frauen-Erwerbsverläufen bedeuten meist: Das Lernenkönnen ist abhanden gekommen – Erfahrungen muss man reflektieren können.»)
• Mehr Geld am Anfang investieren hilft Kosten sparen. («Die ALV könnte beispielsweise eine Einarbeitungszeit on the job mittragen.»)

…und Elemente arbeitsmarktlicher Massnahmen für Ältere

Den Reigen der Referierenden schloss Susanne Schmugge mit einem Resümee der Studie «Massnahmen für ältere Erwerbslose im internationalen Vergleich», die das Büro BASS im Auftrag des AfA St.Gallen erstellt hat. Welche Erfahrungen wurden im Ausland mit aktiven AM gemacht? Die vielversprechenden Ansätze der erfolgreichen Projekte im Ausland bauen laut Susanne Schmugge auf folgenden Elementen auf:
• Erwerbslose begleiten, beraten, aufbauen, qualifizieren und – wenn alle anderen Bedingungen gewährleistet sind – Anreize setzen (befristete Lohnbeihilfe).
• Kontakte mit Unternehmen pflegen, Verständnis fördern, Bedürfnisse ermitteln, entlasten und – wenn alle anderen Bedingungen gewährleistet sind – Anreize setzen (befristeter Einstellungszuschuss).
• Zupackende, motivierte, optimistische Personen als Beraterinnen und Berater suchen: «Ihre Vermittlung ist die wirksamste Massnahme, also lässt sich Motivation übertragen.»
Die Ansätze, die in der Schweiz verfolgt werden, gehen in die richtige Richtung, ist das Fazit der Studie. «In eine gute, in eine sehr gute Richtung», schloss Susanne Schmugge.

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