08.10.2015
FOTOS UND TEXT: Nora Dämpfle

Markus Ruch will den ursprünglichen Charakter seiner Weine herausarbeiten.

Mein Tag als

Winzer

Markus Ruch ist Winzer mit Leib und Seele. Im schaffhausischen Klettgau bewirtschaftet er nach biologisch-dynamischen Grundlagen seine Reben. Er will Weine machen, die möglichst lebendig und authentisch sind.

«Gerade presse ich die Trauben für den Weisswein. Der macht aber nur 30 Prozent meiner Produktion aus. Meine grosse Leidenschaft gilt dem Pinot Noir, der schwierigsten aller Traubensorten. Diese Trauben werden später geerntet. Den Pinot Noir lesen wir vor, will heissen: Wir gehen mehrere Male durch die Reihen und entfernen die faulen Beeren. 

Das Warten ist mental nicht einfach, es gilt, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen. Ich muss darauf achten, dass die Beeren keinen zu hohen Zuckergehalt entwickeln. Zu viel Zucker bedeutet zu viel Alkohol, und das widerspricht dem kühlen, feinen Charakter des Pinot Noir.

Ich möchte wissen, wie mein Wein schmeckt. Darum verändere ich möglichst wenig an der Traube. Mein Ziel ist es, die Weine so zu belassen, wie sie sind, und sie zu begleiten. Ich will keinen Wein machen, der einer Mode entspricht. 

Neben der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise liegt mir am Herzen, dass ich alle Arbeitsschritte selber durchführe. Viel mehr als meine zweieinhalb Hektaren will ich darum nicht bewirtschaften. Arbeit habe ich genug, und das nicht nur im Herbst, wie manch einer meinen könnte. 

Biologisch-dynamischer Weinbau

Die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise geht auf die landwirtschaftlichen Kurse des Anthroposophen Rudolf Steiner (1861–1925) zurück. Der Weinberg wird als Organismus verstanden, den man mit natürlichen Mitteln unterstützt. So etwa mit Kompostpräparaten und Pflanzenstärkungsmitteln, die astrologischen Rhythmen folgend eingesetzt werden. Fungizide und Herbizide sind genauso tabu wie Kunstdünger. 

Die arbeitsreichste Zeit ist der Sommer. In diesen wachstumsintensiven Monaten ist es schwierig, Schritt zu halten. Hinke ich mit der Arbeit hinterher, vermiest mir das die Laune. Generell habe ich aber so viel Freude daran, dass ich im Sommer keinen Wecker brauche – ich stehe mit der Sonne auf. Nach Tee und Müesli geht es ab in die Natur. Sind die Mittagsstunden zu heiss, mache ich ausgedehnt Siesta oder kühle mich im Rhein ab. Die Zeit hole ich am Abend nach.

Wenn auch dieses Jahr das Wetter unproblematisch war – die Arbeiten müssen immer sorgsam ausgeführt werden. Dazu gehört Anfang Sommer das Erlesen. Dabei werden überschüssige Triebe entfernt, um den Ertrag zu regulieren. Ein paar Wochen später flechte ich die Triebe in die Drähte ein. So stelle ich sicher, dass genug Luft an die Trauben kommt. Besonders in feuchteren Jahren ist das wichtig, andernfalls könnten Teile der Ernte durch Pflanzenkrankheiten wie Pilze verloren gehen. Aus dem gleichen Grund entferne ich im Hochsommer nochmals einen Teil des Laubs.

Seit drei Jahren arbeite ich auf meinem Betrieb. Diesen habe ich seit 2007 aufgebaut, während ich bei einem Traubenproduzenten tätig war. Angefangen habe ich mit wenigen Aren. Damals presste ich die Trauben noch bei meinen Eltern in der Garage. 
Meine Idee vom Weinmachen stösst hier im Blauburgunderland nicht auf viel Verständnis. Das stört mich aber nicht sonderlich. Auch an Austausch mit Kollegen mangelt es nicht, der findet einfach eher international statt.

Frühling ist nicht so stressig wie der Sommer, aber der Rebschnitt ist massgebend für die Entwicklung der Pflanzen. Ich freue mich, dass die Wintermonate vorbei sind und ich wieder mehr draussen bin.

Das war ein Grund, warum ich meinem Job bei der Bank an den Nagel hängte. Ich konnte mir nicht vorstellen, den Rest meines Arbeitslebens in einem Büro zu verbringen. Bei einem Praktikum im Weinbau sprang der Funke über. Nach der Winzerausbildung in Wädenswil (ZH) arbeitete ich während zehn Jahren auf Weingütern, so etwa in Chile, in der Toskana und im Wallis.

Diese Trauben wurden nach der Ernte abgebeert und zerdrückt. Der «Brei» aus Saft, Kernen, Häutchen und Fruchtfleisch, Maische genannt, bleibt einige Stunden sich selbst überlassen. So lösen sich Stoffe wie Aromavorstufen aus den Beeren. Die Stoffe beeinfl Markus Ruch füllt von Hand Maische in die Traubenpresse. Seine Presse arbeitet, wie heute üblich, mit Vakuum. Die Trauben müssen schonend gekeltert werden. Ist der Druck des Vakuums zu stark, werden die Kerne angepresst, und unerwünschte Bitterstoffe gela Während des Kelterns läuft der Traubenmost in ein Becken und von dort in einen Stahlzylinder. Die ausgepressten Traubenreste mit den Kernen – der Trester – werden als Viehfutter oder als Dünger weiterverwendet. Ruchs Betrieb befindet sich in der ehemaligen Zehntenscheune des Konstanzer Bischofs. Mitten im Städtli Neunkirch (SH) lagerte dieser die Ernteanteile, die ihm die Bauern entrichten mussten. Viel Platz hat Markus Ruch an seinem Arbeitsplatz nicht. Das historische Gebäude bietet ihm aber eine gute Grundstruktur: Neben dem Naturkeller und dem Produktionsraum befindet sich im Haus die Wohnung des Winzers. Im Keller lagern die Rotweine. In den hölzernen Burgunder Pièces reift der Wein zwischen 12 und 18 Monate. Ein Fass enthält 228 Liter Wein. Ist der Wein ausgereift, füllt ihn Ruch von Hand ab und etikettiert die Flaschen. Es sind die letzten Handgriffe von vielen. Mehr als zwei Jahre kann es dauern, bis ein Wein in der Flasche landet. Wer ihn probieren will, zahlt zwischen 17 und 45 Franken f

Bei einer Blinddegustation beeindruckten mich zwei biologisch-dynamisch produzierte Weine so sehr, dass für mich klar war: Solche Weine will ich machen. Ich bin bis heute nicht zertifiziert, aber mir geht es nicht um ein Label. Ich will Qualität schaffen, und dafür finde ich die biologisch-dynamischen Grundlagen nützlich.

Während eines Aufenthaltes im Burgund setzte ich mich nicht nur intensiv mit dem Pinot Noir auseinander, sondern lernte auch konsequentes Terroir-Denken kennen. Diese Herangehensweise stellt die naturgegebenen Faktoren wie Gelände und Klima ins Zentrum. Das Terroir-Denken beeinflusst nicht nur meine Arbeitsweise, sondern hat mich schliesslich auch in den Klettgau geführt. Hier wird traditionell Blauburgunder angebaut, zu dem der Pinot Noir gehört. 

Auch im Winter sitzen wir Winzer nicht müssig herum. Aber Zeit für ein Buch finde ich während der kalten Monate am ehesten. Ist die Ernte endlich im Keller beziehungsweise im Stahltank, fülle ich die Weine vom vorherigen Jahr ab. Ich etikettiere die Flaschen und mache sie für den Versand bereit. Die meisten meiner Produkte gehen auf eine längere Reise – nur einen kleinen Teil der jährlich 10 000 bis 12 000 Flaschen verkaufe ich im Kanton. Ich beliefere Weinhandlungen in der Schweiz und im Ausland wie auch Spitzengastronomen. 

Seit ich die Rebberge aus herkömmlicher Wirtschaftsweise übernahm, haben sich meine Weine stark verändert. Das liegt vor allem an der Umstellung von konventionell auf biologisch-dynamisch. 
Es wird noch viel Zeit brauchen, bis der Boden sich von der traditionellen Wirtschaftsweise erholt hat. In den nächsten Jahren werde ich an der Qualität meiner Weine feilen. Darauf freue ich mich, denn ich sehe es als meine Lebensaufgabe, herauszufinden, wie der Klettgau schmeckt.»