23.03.2017

Bigna Knecht in ihrem ersten Studio in Uster.

Mein Tag als

Klassische Pilates-Trainerin und -Ausbildnerin

Bigna Knecht, 38, meistert den Zeitplan ihrer beruflichen und privaten Verpflichtungen ohne «Zwischenlandung». Inspiriert von der Leidenschaft für klassisches Pilates, führt sie zwei Studios und bewältigt den Familienalltag.

Frühmorgens, wenn die Dunkelheit der vergangenen Nacht noch über der Stadt schwebt, beginnt mein Tag – voller Verpflichtungen. Ich muss effizient und produktiv sein. Für einen Moment jedoch darf ich einfach Mama sein. Und dann geniessen mein Sohn Enea, meine Tochter Maila und ich das Frühstück. Kurz danach, zwischen Tür und Angel, folgt ein flüchtiger Abschiedskuss, und wir gehen unseren Pflichten nach.

Meine erste Pilates-Stunde gebe ich um 7 Uhr. Ich liebe den Zauber dieses Ganzkörpertrainings. Diese faszinierende Methode habe ich durch eine glückliche Begebenheit kennengelernt.

«Ich wollte alles über klassisches Pilates lernen und die Methode verstehen.»

Ich hatte eine Ausbildung zur Physiotherapeutin abgebrochen, da mir die ganzheitliche Betrachtung des Bewegungsapparates fehlte. Meine Leidenschaft galt seit jeher dem Tanz, und so begann ich eine professionelle Tanzausbildung. Für kurze Zeit unterrichtete uns eine Aushilfslehrerin. Sie liess uns vor dem Tanzen eine klare Abfolge verschiedener Übungen machen. Bald erzielte ich so eine deutliche Verbesserung meiner Körperspannung und erfuhr meinen Körper anders – elastischer, beweglicher und voller Kraft.

Fortan wollte ich alles über diese Methode, klassisches Pilates, lernen, sie verstehen und eine Perfektion darin entwickeln. In der Schweiz gab es damals dafür allerdings keine Ausbildungsmöglichkeit. So ging ich für zwei Jahre nach Hamburg, wo ich die Ausbildungen zur klassischen Pilates-Trainerin und -Ausbildnerin absolvierte.

Bis nachmittags um 15 Uhr gebe ich in meinem Studio in Zürich Lektion um Lektion, einzig unterbrochen durch Mikropausen von maximal fünf Minuten. Meine Kunden trainieren diszipliniert und konzentriert. Wir verfolgen ein gemeinsames Ziel: präzise und sorgfältige Bewegungsabläufe.

«Meine Kunden trainieren diszipliniert und konzentriert.»

Nur so können die Teilnehmenden eine hohe Stabilität und Körperkontrolle erreichen. Dies ist insbesondere bei Klienten mit Rückenproblemen wichtig, und davon habe ich viele. Ohnehin, jeder Teilnehmende hat unterschiedliche Bedürfnisse und gesundheitliche Restriktionen, auf die ich eingehen will. So versuche ich, aufmerksam und einfühlsam zu sein.

Meine Arbeit verlangt mir viel Energie ab, aber die Motivation meiner Kunden macht mich glücklich. Ich liebe diese Interaktion und freue mich, wenn die Trainierenden eine bessere Lebensqualität erreichen. Das war der massgebende Grund, warum ich 2009, voller Tatendrang, mein erstes Studio in Uster gründete. Das war nur ein kleiner Raum im Gebäude einer Malerwerkstatt. Enea war damals knapp ein Jahr alt.

In Zürich trainieren während der Mittagszeit hauptsächlich berufstätige Männer. Diese legen Wert auf Privatsphäre. So bin ich hier zumeist Personal Trainer.

Das zweite Studio war nicht geplant, vielmehr bin ich durch das Zusammenspiel verschiedener Entwicklungen dazu gekommen. Die Nachfrage nach Pilates war unerwartet hoch. Ich hatte bereits das Studio in Uster vergrössert und zusätzliche Trainer ausgebildet, um diesem Interesse gerecht zu werden. Mir fehlten aber Räumlichkeiten. Überraschend fand sich eine neue Wirkungsstätte in der Nähe des Paradeplatzes. So realisierte ich dort ein Studio, welches Pilates, Physiotherapie und Sportrehabilitation vereint.

Direkt nach meiner letzten Lektion in Zürich nehme ich den Zug zurück nach Uster. Zwischen 15.30 und 16 Uhr treffe ich dort ein und habe kurz Zeit, endlich etwas zu essen. Schon um 17 Uhr muss ich die praktischen Prüfungen meiner Schüler für den «Pilates Standard Trainer» abnehmen.

«Joseph H. Pilates entwickelte das Training in den 1910er Jahren.»

Anschliessend gebe ich wieder Training bis 22 Uhr. Zusehends trainieren mehr Männer. Dies ist naheliegend, schliesslich war der Entwickler dieser Methode ein Mann, Joseph H. Pilates, mit allen Attitüden, die man einem Mann gerne zuordnet: «Jo», der ehemalige Boxer, trank Whiskey, war eitel und genoss die Gegenwart hübscher Balletttänzerinnen. Ende der 1920er-Jahre etablierte er sein Körpertraining in New York.

Ich beobachte, dass Männer in Gruppen durchwegs kompetitiver als Frauen trainieren. Im Einzeltraining benötigen sie dagegen mehr Lob und beurteilen den Trainingserfolg eher unter dem Aspekt der Eitelkeit. Männer sind mehrheitlich schmerzsensitiver und kommen zumeist auf Anregung ihrer Frauen. Bei den Frauen ist diese Trainingsmethode en vogue.

Derzeit erledige ich die Administration und Organisation meiner Studios in der Nacht, bis etwa 1 Uhr. Es verbleiben keine Mussestunden. Ich hoffe, dass sich dieser straffe Zeitplan ändern wird. Iwan, mein Mann, und Maja, meine Mama, absolvieren die Trainerausbildung, und wir planen, bald ein kleines Familienunternehmen zu führen. Ich wünsche mir, in Zukunft mehr Zeit für mich und meine Kinder zu haben.