11.06.2015
FOTO UND TEXT: Ines Schöne

Stefan Gerster vor dem Tradingfloor an der Europastrasse in Opfikon.

Mein Tag als

Devisenhändler

Stephan Gerster ist Banker und Spezialist für Währungen. Er findet für Kunden und ihre Portfolios die passende Strategie. Keine Frage ist ihm zu banal, keine Krise zu verheerend – persönliche Nähe und Verbindlichkeit sind für ihn entscheidend. 

«Im Devisenhandel beginnt ein Arbeitstag um 0 Uhr. Währungen werden rund um die Uhr getauscht, ausser am Wochenende. Wenn ich morgens die Augen aufschlage, ist der Handel in Asien schon seit Stunden in vollem Gange. Ich wache praktisch mitten am Tag auf.

Mein Mobiltelefon ist immer eingeschaltet. Ein Kundenberater hat mich einmal morgens um drei aus dem Bett geholt. Das war zwar eine Ausnahme, aber die weltweiten Ereignisse nehmen keine Rücksicht auf uns. In so einem Fall rufe ich unseren Händler in Singapur an, der den Währungstausch abwickelt und mir danach eine E-Mail schickt. Ich arbeite im Auftrag des Kundenberaters, der seinerseits vom Kunden beauftragt wurde.

Ich arbeite in Zürich-Opfikon. Wenn ich ins Büro komme, brauche ich frische Information. Am Bildschirm sehe ich, was gestern in New York und am Morgen in Singapur passiert ist. In diesen beiden Städten läuft der gesamte Handel für Amerika und Asien zusammen. Dann spreche ich mit ein paar Kollegen. Wir sind etwa 30, im offenen Büro. Ich schätze ihre Infos – auch zwischen den Zeilen –, ihr Expertenurteil, ihre Intuition, vielleicht Gerüchte.

«Ich brenne für mein FX-Business

Stephan Gerster

Bei uns kann es laut werden, wenn die Kurse sich stark bewegen. Der Markt ist lebendig, auf Nachrichten reagiert er sofort, und darauf sind wir eingestellt. Wenn ich mir einen Überblick verschafft habe, bin ich bereit für die telefonischen Anfragen der Kundenberater vom Paradeplatz.

Das Telefon ist mein Arbeitsgerät Nummer eins. E-Mail ist für mich Mittelalter, viel zu langsam. Ausserdem habe ich mehrere Monitore vor mir, für Marktdaten, Nachrichten und Kundenkonten, mit einer Eingabemaske, in der ich den aktuellen Kurs sehe und den Deal abschliessen kann. Dieses System ist direkt mit dem eigentlichen Händler verbunden.

Mein Ziel ist, für den Kunden eine gute Transaktion zu machen. Nur auf den Knopf zu drücken finde ich zu simpel. Ich möchte beraten. Dazu muss ich die Person spüren. Was will sie erreichen – will sie tauschen oder spekulieren? Wieviel Zeit hat sie? Wie gross ist ihre Risikobereitschaft?

Das Telefon klingelt, der erste Berater ist dran. Sein Kunde möchte Geld tauschen, um sich eine Wohnung zu kaufen. Er möchte investieren. Sein Zeithorizont erstreckt sich auf mehrere Tage – im besten Fall auf mehrere Wochen. Ich erkläre ihm, welche Kursveränderung wir in diesem Zeitraum erwarten. Dann schliesse ich zum Beispiel ein Termingeschäft mit ihm ab. Er kauft in einem Monat zu einem Preis, den wir jetzt abmachen. In der Zwischenzeit kann das Geld noch für ihn arbeiten.

Der zweite Berater ruft an, er hat eine Kundin in der Linie. Sie ist spekulativ unterwegs und hat klare Vorstellungen davon, wohin der Markt gehen wird. Ich beantworte ihre Fragen und berate sie, ob sie mit einer Option oder einem Termingeschäft ihre Idee besser verwirklichen kann. Die Kundin ist intensiv. Das mag ich. 

«Ich möchte die Kunden spüren, und ich mag intensive Kunden.»

Stephan Gerster

Die eigentlichen Währungshändler heissen Spothändler und sitzen bei uns im Grossraumbüro. Jeder von ihnen ist zuständig für ein Währungspaar. Sie geben uns zu jedem Zeitpunkt einen gültigen Handelskurs, auch in der grössten Hektik. In Minuten schichten sie Hunderte von Millionen Franken um und können damit die Kursrichtung beeinflussen. Für Beratung und Erklärungen haben sie keine Zeit. Das ist mein Job.

Streng genommen bin ich Devisenverkäufer, auf Englisch FX Sales, wie es auf meiner Visitenkarte heisst. FX steht für Foreign Exchange, wörtlich übersetzt Währungswechsel. Gemeint ist der Devisenhandel, der übrigens von den Börsen losgelöst ist und daher auch keine Öffnungszeiten kennt. Im Devisenhandel können alle Englisch. Unsere Kunden sind international.

Zeit für das Mittagessen nehme ich mir fast immer und geniesse sie auch. Ich treffe gern Kollegen aus anderen Abteilungen im Haus wie zum Beispiel Aktien-, Edelmetall- und Rohstoffhändler, um nur einige zu nennen. Mich interessiert, was bei ihnen und generell in der Bank läuft. Bei starken Marktbewegungen holt einer von uns kurz Sandwiches für alle in der Kantine, während die anderen am Platz bleiben.

Jede Woche bin ich am Paradeplatz und treffe Kunden, gemeinsam mit ihren Beratern. Währungen sind so wichtig im Portfolio-Kontext, und ich brenne für mein FX-Business. Seit Jahrzehnten kämpfe ich jetzt für mehr Aufmerksamkeit, und langsam haben wir Erfolg. Wenn bei mir kein Feuer brennt, kann es beim Kunden keine Flamme geben.

Ich möchte, dass der Kunde sein Risiko genau versteht. Dafür erkläre ich geduldig die Zusammenhänge und versuche, jeden einzelnen dort abzuholen, wo er steht. Das braucht grosses Einfühlungsvermögen.

Stephan Gerster
Am 1. Januar 1989 trat Stephan Gerster in Lausanne in den Schweizerischen Bankverein ein. Dieser fusionierte 1998 mit der Schweizerischen Bankgesellschaft zur UBS. Stephan Gerster spezialisierte sich früh auf den Devisenhandel. Heute arbeitet er bei UBS in Opfikon und berät internationale High-End-Kunden beim Währungstausch. Er wird im Juli 51 Jahre alt und lebt mit seiner Frau und drei Kindern in der Region Zürich.

 

Bei einer Beratung spiele ich mit dem Kunden gern Situationen durch, um das Währungsrisiko klarzumachen. Der Kunde verdient sein Geld in Schweizer Franken und möchte in den US-amerikanischen Markt investieren. Wir tauschen Franken in Dollar um und kaufen Microsoft-Aktien. Der Wert von Microsoft steigt, feine Sache. Nach ein paar Jahren verkaufen wir die Aktien und realisieren einen Gewinn – in Dollar. Aber was ist mit dem Kurs passiert? Er ist gefallen. Schön teuer ist er geworden, der Franken gegenüber dem Dollar. Der Kunde tauscht zurück und sein Gewinn schmilzt. Dann frage ich den Kunden: Willst du das in Kauf nehmen? Wenn der Kunde dieses Prinzip nach dem Gespräch mit mir verinnerlicht hat, dann habe ich einen guten Job gemacht.

Der 15. Januar war ein Stress-Tag. Die Nationalbank löste den Floor auf beim Euro-Franken-Kurs. Das kam für viele im Markt überraschend. Der Kurs geriet heftig in Bewegung und fiel stark ab. Auch andere Währungen verloren gegenüber dem Franken. Es tat überall weh. Genau in diesen Momenten muss ich da sein. Mit jedem Kunden, der angerufen hat, bin ich seine Positionen durchgegangen. Die einen haben Profit gemacht, die anderen Verluste erlitten.

Was dann hilft, ist nur nach vorne schauen und aus der Situation lernen. Welche Erwartungen habe ich, welches Risiko bin ich bereit zu tragen? Ein paar Wochen später habe ich mehrmals gehört, dass es schön war, an so einem Tag ein paar Minuten mit mir zu reden. Solche Rückmeldungen tun gut.

Ich bin verheiratet und habe drei Kinder im Teenager-Alter. Mit dem öffentlichen Verkehr bin ich in einer halben Stunde zu Hause. Diese Zeit nutze ich, um Abstand zu gewinnen und mich auf meine Familie zu freuen. Zu Hause angekommen, ist bei mir Schnitt. Meine Familie will, dass ich zu Hause voll da bin. Als unsere Kinder noch klein waren, haben sie auf mich wie ein Scheibenwischer gewirkt. Ich kam ins Wohnzimmer, und da sassen dann mein kleiner Sohn und meine beiden Töchter und wollten mit Papi Klötzli und Puppen spielen. Sport ist auch gut zum Abschalten. Früher bin ich regelmässig zum Fussball gegangen – ich habe das geliebt und war mit Feuereifer bei der Sache. Dies möchte ich bald wieder machen.»