03.02.2016
FOTO UND TEXT: Julia Antoniou

Jens Jung vor seiner Backstube «John Baker» beim Bahnhof Stadelhofen.

Mein Tag als

Betreiber einer Backstube

Jens Jung, 44, alias John Baker bäckt gutes, ehrliches Brot wie zu Grossvaters Zeiten. Mit seiner Backstube hat der Nachkomme einer Zürcher Bäckerfamilie den Zeitgeist getroffen. Seine Brote gehen weg wie warme Semmeln.

«Zwei meiner Bäcker stehen schon um vier Uhr in der Backstube. Ich selber beginne meinen Arbeitstag jeweils um sechs mit einem Kaffee. In der halben Stunde, bis der Laden aufgeht, mache ich eine Runde durch den Betrieb. Alles, was wir am Vortag vorbereitet haben, liegt bereit: fertig geflochtene Zöpfe, Brioches mit dem Güpfli dran, der Teig für unsere Brote. Diese formen wir von Hand und backen sie jeden Morgen frisch. 

Am traditionellen Brotbacken fasziniert mich, dass man mit wenigen Ausgangsstoffen so verschiedene Produkte herstellen kann – mit entsprechendem Know-how. Unsere Teige sind lebendige Naturprodukte. Da sie keine Stabilisatoren enthalten, reagieren sie zum Beispiel stark auf das Wetter. Hochdrucklagen, Gewitter oder Schnee verändern die Struktur der Teige; sie laufen breit, werden bockig oder zäh. Ich habe lange gepröbelt, bis ich mein Hausbrot hatte. Neben Gipfeli, Brioches und Kuchen stellen wir acht Brotsorten aus vier Grundteigen her. Bei uns dauert die Herstellung eines Brots vom Teig bis zum gebackenen Produkt bis zu 48 Stunden; in der industriellen Produktion braucht ein Brot nur zwei bis drei Stunden, bis es fertig ist. Oft werden Backwaren heute aus eingefrorenen Teiglingen hergestellt, die bereits mehrere Wochen alt sind; das kommt für mich nicht in Frage.

Morgens zwischen 7 und 8.30 Uhr ist der Andrang im Laden am grössten. Dann helfe ich oft an der Café-Bar aus. Kaffees zuzubereiten, macht mir Spass. Je nachdem, wie ich mich eingeteilt habe, arbeite ich am Bäckertisch oder im Verkauf. Momentan nehme ich an vielen Sitzungen teil, da wir bald die zweite Backstube am Helvetiaplatz eröffnen. Damit expandiere ich viel früher als gedacht; aber das ist gut so. Den Laden hier habe ich vor zwei Jahren zusammen mit drei Zürcher Freunden eröffnet.

Gesund, aromatisch, haltbar

Traditionell hergestellte Brote brauchen Zeit. Der Teig aus unbehandeltem Mehl, Wasser, Salz und Hefe bleibt etwa 24 Stunden stehen. Während dieser Zeit findet ein natürlicher Gärprozess statt. Dieser wirkt ähnlich wie eine Vorverdauung und macht das Brot besonders bekömmlich und aromatisch. Grund ist zum Beispiel der Milchzucker, der sich während der Gärung entwickelt. Er verleiht der Brotkruste nicht nur einen feinen Karamellduft, sondern reichert sie an gesunden Antioxidantien an. Zudem bindet ein handwerklich hergestellter Teig bis zu 80 Prozent Wasser. Dieses hält das Brot feucht und sorgt für eine deutlich längere Haltbarkeit als bei industriellem Brot, das nur etwa 60 Prozent Wasser aufnimmt.

Ich stamme aus einer Zürcher Bäckerfamilie. Schon als Vierjähriger machte ich in der Backstube meines Vaters Pralinés, und als Teenager verdiente ich mein Sackgeld dort. Ich wollte nicht gleich ins Geschäft meines Vaters einsteigen, sondern zuerst einmal weg. Nach meinen Wanderjahren im Ausland kehrte ich in die Bäckerbranche zurück. Ich absolvierte die Bäckermeisterausbildung und arbeitete dreizehn Jahre lang bei meinem Vater.

In den 60er-, 70er-Jahren stellten die meisten Bäckereien auf eine industrielle Produktion um. Das Rationalisierungsdenken führte dazu, dass die meisten Betriebe Produktionsstätten ausserhalb der Stadt errichteten und viel Geld in die Logistik investierten, was sie mit erhöhter Produktion amortisieren müssen. Auf diesen Irrsinn hatte ich keine Lust. Bäcker sind zu Chauffeuren verkommen und verpuffen ihre Energie im Stau, statt sich aufs Handwerk zu konzentrieren. Ein Teufelskreis, der letztlich nur den Herstellern von Backmitteln und Teigführungsmitteln, Autos und Maschinen nützt. Ich wollte in der Stadt arbeiten und alles in Velodistanz vor Ort haben: Backstube, Laden und Café. Und Brot backen wie früher. Nach guter Handwerkstradition. 

Für unsere Brote verwenden wir möglichst naturbelassene Zutaten. Bio ist für mich und mein Umfeld selbstverständlich. Für gewisse Produkte sind wir bereits Bio-Knospe-zertifiziert. Wir kommunizieren das aber nicht gross. Meiner Meinung nach sollten sich konventionelle Betriebe als solche auszeichnen. Ich strebe auch die Demeter-Zertifizierung an. Mir gefällt der spirituelle Aspekt der Anthroposophie, der ein Bestandteil des Demeter-Gedankens ist. Spiritualität schafft einen Ausgleich in meinem Berufsleben. Es geht nicht nur ums Geschäftliche, sondern auch um das Menschliche, die Natur und den Umgang mit allem.

Mittags verpflege ich mich oft in meinem Laden; wir verkaufen an der Theke Sandwiches, Kuchen und Salate. Sehr gerne esse ich unser Schafskäse-Sandwich. Die Produktion läuft bei uns bis etwa drei, vier Uhr weiter. Nachmittags, wenn es ruhiger wird, bin ich oft im Büro und beantworte meine Mails, mache Bestellungen, sehe mich nach neuen Produkten um oder kümmere mich um Anfragen. Gerne besuche ich auch meine Lieferanten, zu denen ich einen direkten Kontakt pflege. 

Zwischendurch nehme ich mir bewusst Zeit für Gespräche mit den Kunden, von zehnjährigen Schülern bis zu Neunzigjährigen. Von den Älteren höre ich immer wieder: ‹Euer Brot schmeckt wie das von früher.› Andere Kunden sagen mir: ‹Euer Brot ist das einzige, das ich ertrage.› Auch der Pfarrer vom Grossmünster kommt fast täglich bei uns vorbei; wir machen sogar sein Abendmahlbrot. 

Ich habe eine lange Präsenzzeit. Feierabend ist erst um 18 Uhr. Dann fahre ich mit dem Velo nach Hause zu meiner Frau. Wir sind frisch verheiratet und geniessen gemeinsam den Abend. Als Gegenpol zur Stadt suchen wir einen Ort auf dem Land, der gut erreichbar ist. Einen Ort, an dem wir uns regelmässig zurückziehen können.» 

John Baker

In seiner Backstube «John Baker» am Zürcher Stadelhofen produziert Jens Jung zusammen mit 15 Angestellten täglich rund 1000 Brote. Zum Erfolgskonzept gehören ein trendiger Auftritt und ein gutes Marketing. Beim Konzept hilft Stilexperte Yves Spink. Für ein gutes Erscheinungsbild sorgt Grafiker Ueli Hinder. Um die Community kümmert sich Facebook- und Medienguy Moritz Frey.

www.johnbaker.ch