30.01.2017
FOTO UND TEXT: Raphaela Marty

Eine emotionale Susanne Mathys bei der Gesangsprobe.

Mein Tag als

Klassische Sängerin

Susanne Mathys erfüllte sich im Alter von 39 Jahren einen Lebenstraum und liess sich zur klassischen Sängerin ausbilden. Ein Beweis dafür, dass Träume mit dem Alter nicht sterben müssen.

«Ich würde morgens nicht einmal bügeln, wenn ich abends auftreten muss. Ich muss schauen, dass ich früh aufstehe. Acht Uhr ist früh für mich. Ich lasse den Tag zunächst langsam angehen und beginne mit ersten Atemübungen. Dabei atme ich aus, bis es nicht mehr geht, und lasse die Luft dann langsam wieder hineinströmen. Das füllt die Lunge gewaltig und ist eine der effektivsten Atemübungen überhaupt. Mir ist wichtig, dass ich nicht zu früh auf Hochtouren komme, ansonsten bin ich abends bereits wieder erschöpft. Wenn ich am Abend singe, widme ich mich überhaupt keinen anstrengenden Tätigkeiten. Dazu gehören Hausarbeiten. In diesen Momenten bin ich ganz egoistisch und schaue nur zu mir. 

Neben meinem Beruf als klassische Sängerin bin ich Hausfrau und Mutter von zwei inzwischen erwachsenen Kindern. Ich habe das grosse Glück, von meinem Mann viel Unterstützung zu bekommen. Er ist überzeugt von meinem Talent und von dem, was ich mache, und steht voll und ganz hinter mir.

Vom Beruf der klassischen Sängerin alleine könnte ich nicht leben. Die meisten Sänger unterrichten nebenbei Gesang an Musikschulen oder geben Privatunterricht. Ich selbst habe nur sporadisch einige Gesangsschüler. Mir fehlen einerseits die pädagogische Ausbildung und andererseits auch das Flair für das Unterrichten.

Ursprünglich habe ich eine Ausbildung zur Krankenpflegerin absolviert. Nach einer Weiterbildung zur Praxisassistentin habe ich zehn Jahre lang in einer Arztpraxis gearbeitet. Gesungen habe ich allerdings schon immer sehr gerne. Die Vorliebe für klassische Musik begann im frühen Kindesalter. Meine Eltern hörten sie leidenschaftlich gerne. Ich kann mich gut an einen Fernsehabend erinnern, als wir alle vor dem Flimmerkasten sassen und die Übertragung eines Galaabends mit Anneliese Rothenberger schauten und ich anfing mitzusingen.

Mit 19 Jahren begann ich in einem klassischen Konzertchor zu singen und investierte in Gesangsunterricht. Leider konnte ich von den dortigen Gesangslehrern zu wenig profitieren, und so liess ich es sein. Hinzu kam, dass mir nach der Gründung meiner eigenen Familie die Zeit fehlte. Die Familie stand für mich immer an erster Stelle, und so rückte mein Traum zunächst in den Hintergrund.

Foto: zVg. Susanne Mathys (r.) als Mercedes in der Oper «Carmen».

«Ich staunte nicht schlecht, als ich erkannte, dass ich mit meiner Stimme Geld verdienen konnte.»

Susanne Mathys

In meinen Mittdreissigern hatte ich plötzlich das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Mein Gesangstalent war mir durchaus bewusst, und mir war klar, dass ich diese Chance nutzen musste. Ich nahm Gesangsstunden bei einer ungarischen Opernsängerin. Anschliessend absolvierte ich in Zürich eine Gesangsausbildung beim Schweizerischen Musikpädagogischen Verband. Ich bewarb mich schon bald auf ausgeschriebene Rollen, sang bei Kirchenmusikern vor und erhielt mit der Zeit immer mehr Engagements. Ich staunte nicht schlecht, als ich erkannte, dass ich mit meiner Stimme Geld verdienen konnte.

Wenn ich abends im Theater, in der Oper oder Operette auftrete, mache ich mich früh genug auf die Socken. Ich muss ungefähr eineinhalb Stunden vor Aufführungsbeginn in der Maske sein. Die Autofahrt und allfällige Staus muss ich zusätzlich einberechnen. Ich bin gerne früh vor Ort, so kann ich den Alltag hinter mir lassen und in den Sängermodus wechseln. 

Meine Stimme hüte ich wie meinen Augapfel. Ich achte strikte darauf, am Abend vor dem Auftritt keine alkoholischen Getränke zu mir zu nehmen. Das gilt auch für eiskalte Getränke, denn diese schaden der Stimme eher, besonders im Winter, wenn die Gefahr für Erkältungen sehr hoch ist. In dieser Zeit ist ein warmer Tee nie verkehrt. Ingwer ist dabei ein guter Zusatz. Das Beste für die Stimme ist meiner Meinung nach aber reines Wasser mit Zimmertemperatur.

Die Stimme übermässig zu schonen, finde ich unnötig. Ich benutze meine Stimme tagsüber ganz normal, wenn ich abends singe. Einzig vor dem Auftritt, wenn manche Sänger wie wild plappern, werde ich still und ziehe mich zurück in eine ruhige Ecke. 

Um der Nervosität vorzubeugen, meditiere ich oft und konzentriere mich auf meine Rolle. Unter Nervenflattern leide ich glücklicherweise schon länger nicht mehr. Ich kenne das aber durchaus von früher. Am Anfang meiner Sängerkarriere konnte ich teilweise tagelang nicht schlafen und fragte mich, was ich mir da bloss eingebrockt hatte. Damals habe ich mit Meditieren begonnen. 

Nach all den Jahren bin ich trotzdem noch aufgeregt, bevor ich auf die Bühne muss. Ich empfinde es als freudiges Kribbeln. Das Beste ist, wenn ich im Rampenlicht stehe, dass ich mit meiner eigenen Stimme Emotionen ausdrücken und diese auch beim Publikum hervorrufen kann. Ich tue etwas, das ich gerne mache, und ich darf diese Freude mit anderen teilen. Ferner darf ich in Rollen schlüpfen, die mir im Alltag oft gänzlich unbekannt sind.

Auf der Bühne fühle ich mich frei. Der Applaus am Schluss ist wundervoll. Wenn ich sehe, dass die Vorstellung den Menschen gefallen hat, weiss ich, dass sich die Anstrengung gelohnt hat.»

Ausschnitte aus einer Gesangsprobe mit Vocalcoach Denette Whitter am Piano. Susanne Mathys singt aus «Après un rêve» von Gabriel Fauré und «Cavalleria rusticana» von Pietro Mascagni.