12.11.2015
FOTO UND TEXT: Nora Dämpfle

Die Psychologin Regula Brunner ist Doula und leitet die Doula-Ausbildung.

Die Dienerinnen der Frau

Regula Brunner begleitet als Doula werdende Eltern vom Ende der Schwangerschaft bis weit über die Geburt hinaus. Für ihre Arbeit braucht sie kein Köfferli, dafür viel Einfühlungsvermögen, gute Menschenkenntnis und eine robuste Konstitution.

Regula Brunners erste Geburt war lang, schmerzhaft und wurde von Komplikationen überschattet. Sie fühlte sich nicht geborgen und vermisste eine liebevolle Person, die ihr beigestanden wäre. In Begleitung einer Doula erlebte sie einige Jahre später die Geburt ihres zweiten Kindes sehr viel positiver.

Diese Erfahrung führte dazu, dass die Psychologin beschloss, Doula und später auch Doula-Ausbildnerin zu werden. «Ich will, dass anderen Frauen erspart bleibt, was ich bei meiner ersten Geburt erleben musste», sagt Brunner. «Damals hätte ich eine geburtserfahrene Frau, eine Freundin an meiner Seite so gut gebrauchen können.» Und genau das soll eine Doula sein: eine Freundin auf Zeit. Jemand, der da ist, der die werdenden Eltern im letzten Drittel der Schwangerschaft sowie während der Geburt und des Wochenbetts begleitet, berät und sie emotional unterstützt.

«Ich will, dass anderen Frauen erspart bleibt, was ich bei meiner ersten Geburt erleben musste.»

Doulas, auf Griechisch bedeutet das so viel wie Dienerinnen der Frau, haben keine medizinischen Kenntnisse, sie brauchen weder Köfferli noch Praxisräume für ihre Arbeit. Ihre Unterstützung ist nicht fachlicher, sondern menschlicher Art. «Eine Doula ist darum auch keine Konkurrentin für Hebammen und Ärzte, sie ist eine Ergänzung», sagt die 50-jährige Geburtsbegleiterin, die gleichzeitig Energie und Souveränität ausstrahlt. 

Die Chemie muss stimmen

In der Regel lernen sich die Doula und die werdenden Eltern im letzten Schwangerschaftsdrittel kennen. Nach einer ersten, noch unverbindlichen Begegnung auf neutralem Boden merke sie schnell, ob die Familie zu ihr und sie zur Familie passe. «Es macht keinen Sinn, Menschen zu begleiten, wenn die Chemie nicht stimmt.» Bei gegenseitiger Sympathie folgen ein bis zwei weitere Gespräche, manchmal auch mehr. «Ich gehe zu den Paaren oder Frauen nach Hause, denn für mich ist es wichtig, ein Gespür dafür zu bekommen, wie die Menschen leben», sagt die erfahrene Doula, welche mit ihrer Familie in einer stilvollen und gemütlichen Wohnung in Zürich wohnt. 

Eine Doula darf und kann nur eine Familie aufs Mal betreuen. «Wir leisten vier Wochen um den errechneten Geburtstermin herum 24-Stunden-Pikettdienst. Da kann frau nicht mehr als eine Familie sinnvoll begleiten», sagt Brunner. Und: Doulas seien eben gerade dafür da, dass bei der Geburt sicher jemand anwesend sei. «Würden wir parallel mehrere Schwangere betreuen, könnten wir die für unsere Arbeit zentrale Konstanz nicht gewährleisten.»

«Ich als Doula habe Vertrauen in die Geburt als natürlichen Vorgang und strahle dieses Vertrauen aus.»

Im letzten Jahr wurden schweizweit rund 130 Geburten durch Doulas vom Doula-Verband Schweiz begleitet, 50 davon in Zürich. Eine kleine Anzahl im Vergleich etwa zu Grossbritannien, wo die Doula-begleitete Geburt sehr viel verbreiteter sei, sagt Brunner. Die nachhaltige Begleitung sieht sie als einen der Gründe, warum die Nachfrage steigen wird. Manche Hebammen seien heute schon froh, wenn eine Doula bei der Geburt dabei sei. Denn Hebammen seien je länger, je mehr mit administrativen Aufgaben so stark belastet, dass sie eine kontinuierliche Geburtsbegleitung gar nicht mehr leisten könnten.

«Natürlich halten uns einige Ärzte und Pflegepersonen nicht für nötig. Diese haben meistens noch nie mit einer Doula zusammengearbeitet», sagt Brunner lächelnd. «Ich selbst machte bis jetzt vorwiegend positive Erfahrungen.» Bei der Geburt sollte eine Doula möglichst von Beginn an dabei sein. «Besonders die Eröffnungsphase kann lange dauern und sehr schmerzhaft sein. Das kann bei der Frau zu Angst und Verkrampfungen führen, und beides ist kontraproduktiv», erklärt Brunner. «Ich als Doula habe Vertrauen in die Geburt als natürlichen Vorgang und strahle dieses Vertrauen aus.» Das alleine könne den werdenden Eltern helfen und die Situation entspannen.  

Vier Wochen Ausnahmezustand

«30 Geburten habe ich bis heute begleitet», erzählt Regula Brunner. «Zwei bis vier Begleitungen pro Jahr sind üblich.» Für Regula Brunner sind zwei Einsätze im Jahr genug. Denn neben dem Eltern-Kind-Zentrum in Stäfa leitet sie zusammen mit einer Kollegin auch noch die Doula-Ausbildung in der Schweiz. «Die Planung ist eine Herausforderung, denn wann eine Geburt beginnt, weiss ich ja in der Regel nicht vorher.» Brunner muss rund um die Geburt während vier Wochen ihr ganzes Leben auf Pikettbetrieb umstellen. «Innerhalb einer Stunde muss ich mich auf den Weg machen können.»

Viele Dinge laufen während dieser vier Wochen ein bisschen anders. Regula Brunner trinkt keinen Alkohol, isst keine stark gewürzten Speisen. Ihr Handy ist immer geladen, und geduscht wird oft schon abends. Bei der Arbeit vertagt sie wichtige oder heikle Angelegenheiten. «Zum Glück sind meine Kinder schon grösser, sodass ich dort nicht viel organisieren muss. Das sieht bei Kolleginnen mit kleinen Kindern ganz anders aus.» 

Eine Doula bleibt auch nach der Geburt eine wichtige Ansprechpartnerin für die Eltern.

«Frische Luft und das Adrenalin helfen sehr.» 

Ist es dann so weit, lässt die Doula alles stehen und liegen. Gehe sie aus dem Haus, wisse sie nie, wie lange sie weg sein werde. «Wir müssen robust sein. Wenn eine Geburt 30 Stunden dauert, sind wir 30 Stunden im Einsatz.» Doulas haben Arbeitszeiten, die in keinem anderen Beruf geleistet werden müssen. «Frische Luft und das Adrenalin helfen sehr.»

Trotzdem ist es eine grosse Herausforderung, so lange ohne grosse Pause wach und präsent zu sein. «Das ist heftig und wird immer heftiger, je älter ich werde. Vor einigen Jahren habe ich solche langen Einsätze noch viel besser weggesteckt.» Oft geht das (Arbeits-)Leben nach wenigen Stunden Schlaf weiter. So können schon einmal einige Tage vergehen, bis eine Doula wieder in ihren normalen Alltagsrhythmus hineinfindet.

Mutterschaft als Kernkompetenz

Eine Vorbildung im klassischen Sinne ist nicht erforderlich, wenn eine Frau Doula werden möchte. «Unter meinen Kolleginnen sind genauso Frauen ohne erlernten Beruf wie Hochschulabsolventinnen», sagt Brunner. Ein Kriterium gilt dennoch: Die Frau muss selbst Mutter sein. Das Selbsterlebte sei bereits während der Ausbildung eine wichtige Grundlage, mit der viel gearbeitet werde, sagt die Leiterin der Doula-Ausbildung. In den letzten Jahren seien die 16 Ausbildungsplätze meistens belegt gewesen. Regula Brunner wundert das nicht: «Als Doula zu arbeiten, ist eine wunderschöne Aufgabe.»

Einfühlungsvermögen, sehr gut zuhören können und die Fähigkeit, sich in verschiedensten Kreisen zu bewegen, seien wichtig: «Eine gute Menschenkenntnis und intuitives Handeln sind ebenso grundlegend.» Denn so vielfältig die Hintergründe der Doulas sind, so verschieden sind die Frauen und Paare, die sie auf ihrem Weg zur Familie begleiten.

«Paare, die einen anderen kulturellen Background haben, sind genauso froh um eine Doula wie ganz junge oder alleinstehende Frauen», erzählt Brunner. Eltern in spe, bei denen der Mann viel im Ausland zu tun hat und nicht sichergestellt ist, ob er da ist, wenn die Geburt losgeht, greifen ebenfalls gerne auf eine Doula zurück. «Oder eben Frauen, die bei der ersten Geburt keine gute Erfahrung machen konnten und nun vielleicht Angst haben», sagt Brunner. 

Jede Familie sei wieder anders. Manchmal sei das spannend, ein anderes Mal berührend. So etwa im positiven Sinne, wenn ein Frau nach einer schwierigen Erstgeburt, die in einem Notkaiserschnitt endete, beim zweiten Mal komplikationslos gebären konnte. «Da ist die Freude und Dankbarkeit auch bei mir gross.» Oder dramatisch, wenn die Doula bei einer Geburt die grosse Unruhe eines Paares spürt und erst später erfährt, dass der frischgebackene Vater ein Sans-Papier ist.

Foto: Nora Dämpfle

«Wir müssen robust sein. Wenn eine Geburt 30 Stunden dauert, sind wir 30 Stunden im Einsatz.»

Die Leistungen einer Doula werden nicht von der Krankenkasse getragen. Das bedeute aber nicht, dass nur Besserverdienende sich eine Begleitung leisten könnten. Die mindestens 800 Franken können je nach Situation Sozialdienste oder Stiftungen übernehmen. «Ich zum Beispiel habe schon zwei Mal minderjährige Mütter begleitet. Damals wurde mein Honorar auch über Stiftungen finanziert», erzählt Brunner.

Weniger Schmerzmittel und Komplikationen

Die positiven Auswirkungen einer Doula auf das Geburtsgeschehen wurden in Studien nachgewiesen. Diese stellten fest, dass Geburten mit Doulas durchschnittlich weniger lange dauern und die Frauen weniger Schmerzmittel brauchen. Begleitete Geburten erlebten die Gebärenden positiver, selbst wenn sie nicht komplikationsfrei abliefen, so ein weiteres Ergebnis. Ein Satz ist Brunner besonders in Erinnerung geblieben: «Eine Frau, die ich begleitete, sagte nach der Geburt zu mir: ‹Du warst mein Schmerzmittel, Regula.»

Aber nicht nur die werdenden Mütter profitieren von einer Doula. «Die Väter sind durch unsere Anwesenheit ruhiger.» Für sie sei es oft schwierig, in ihre Rolle als Begleiter, als passive Teilnehmer hineinzufinden. «Männer wollen etwas tun, wollen aktiv sein.» Das sei bei einer Geburt nicht gefragt. Geduld haben und einfach da sein, darum gehe es, erklärt Brunner.

Bis zum ersten Geburtstag

Nach der Geburt zieht sich die Doula zurück, um das erste Kennenlernen der Familie nicht zu stören. Im Wochenbett steht die «Freundin auf Zeit» eher mit Rat denn mit Tat zur Seite. «Ich bin eine wandelnde Adressdatenbank», sagt Brunner. Sie sei weder Stillberaterin noch Haushaltshilfe, aber sie wisse sehr gut, wo welche Hilfe zu bekommen sei.

«Gerade Frauen, die noch nicht lange in der Schweiz sind, haben oft keine Ahnung, welche Leistungen ihnen zustehen und wo sie sich hinwenden können.» Mit einigem Abstand zur Geburt folgen die Nachgespräche. Traten bei der Geburt Komplikationen auf, aber nicht nur dann, bilden diese Gespräche einen wichtigen Baustein im Verarbeitungsprozess. «Eine Geburt ist immer ein gewaltiges Erlebnis. Danach ist nichts, wie es vorher war.»

Nach einem Jahr schickt Regula Brunner der Familie eine Karte zum 1. Geburtstag des Kindes. Mit diesem Ritual schliesst sie als Doula die Begleitung ab.

Das Menschenrecht «Selbstbestimmte Geburt»

Ende September nahm Regula Brunner in London am europäischen Doula-Kongress teil. Das zentrale Thema dort: Geburtsrecht als Menschenrecht. «Es ist tatsächlich ein Menschenrecht, dass eine Frau bestimmen darf, wo und mit wem sie ihr Kind zur Welt bringt», sagt die Doula.

Ein Recht, das nicht so allgemein gültig ist, wie es sein sollte. Auch in der Schweiz sei dieses Recht nicht intakt. So würden hier seit Anfang des Jahres Geburtshäuser, aus sicherheits- und versicherungstechnischen Gründen, keine Zweitgeburten mehr betreuen, wenn die Frau bei der ersten Geburt per Kaiserschnitt entbunden werden musste.

In anderen Ländern werde dieses Recht aber noch viel massiver missachtet. So etwa in Bulgarien, wo ein Vater, will er bei der Geburt dabei sein, dafür bezahlen muss. Oder in Ungarn, wo Hausgeburten per Gesetz verboten sind und Hebammen bei Zuwiderhandeln im Gefängnis landen. «Die Geburt als natürlicher Vorgang ist bedroht», resümiert Brunner, und das könne so nicht hingenommen werden.

Konkrete Schritte seien jedoch schwierig. Langwierige und kostenintensive Gerichtsverfahren wären in vielen Fällen nötig, und solche anzustrengen, sei für die meisten Doulas nicht vorstellbar. «Wir haben daher einen ethischen Kodex ausgearbeitet, der europaweit gültig sein wird», berichtet Brunner. Ein Schritt in die richtige Richtung sei das. Denn es gebe eine gemeinsame Basis und ermögliche ein geschlossenes Auftreten als Berufsgruppe.