19.11.2015
FOTOS UND TEXT: Nora Dämpfle
Der islamische Bestatter Hamza Sahbaz in seinem Büro in Zürich

Seit acht Jahren Bestatter: Der 28-jährige Hamza Sahbaz bezeichnet seine Arbeit als «Traumjob».

Islamischer Bestatter

Per Cargo zur letzten Ruhe

Hamza Sahbaz schickt als Geschäftsführer eines islamischen Bestattungsinstituts Verstorbene auf ihre letzte Reise. Er hat einen stressigen Alltag und einen natürlichen Umgang mit dem Tod. Das war nicht immer so.

Rosarote und orange Aktenordner, ein rotes Samtsofa, grauer Spannteppich. Am ebenfalls roten Tisch sitzt Hamza Sahbaz: schwarze Hose, sportliche Jacke, Dreitagebart, lächelnd. Vor ihm liegen zwei Handys. Wenn das rechte klingelt, kann es gut sein, dass ein Kumpel des 28-Jährigen anruft. Klingelt hingegen das linke, bedeutet das Tod. Und Tod bedeutet Arbeit für Sahbaz. Denn als Geschäftsführer von Furat International Repatriations ist er zuständig für die Rückführung von verstorbenen Muslimen in ihre Heimatländer.  

Das Zürcher Unternehmen wurde 1998 ins Leben gerufen. Der Gründer musste sich nach dem Tod eines Freundes mit dem Thema Rückführung auseinandersetzen. «Eine schwierige Angelegenheit, keiner wusste über die nötigen Dokumente und Abläufe Bescheid», erzählt Hamza Sahbaz. Und eine Marktlücke, denn diese Rückführung war und ist kein Einzelfall. Die meisten Muslime wollen nicht in der Schweiz begraben werden, sagt Sahbaz.

Das liege zum einen daran, dass hier nur wenig geeignete Grabfelder vorhanden sind. Muslime müssen auf ihrer rechten Seite liegend, mit dem Gesicht gen Mekka, beerdigt werden. Zum anderen sind gerade ältere Menschen noch in der Heimat aufgewachsen und möchten auch dort beerdigt werden. «Ausserdem glauben wir Muslime, dass die Seele des Verstorbenen bis zum Tag des Jüngsten Gerichts im Grab bleibt; in der Schweiz werden Grabfelder jedoch nach einer bestimmten Frist aufgehoben. Das stört die Totenruhe», erklärt der Geschäftsführer. 

Acht Tote in 24 Stunden

«Wenn das Telefon läutet, müssen wir sofort los.» Der Ablauf ist immer ähnlich. Zuerst muss Sahbaz oder einer der sechs Mitarbeiter den Toten zu Hause, im Spital oder beim Rechtsmedizinischen Institut abholen. «Die Polizei, aber auch viele Botschaften und Spitäler kennen uns gut und sind froh, wenn sie uns die Abwicklung übergeben können. Sie wissen, dass wir schnell und professionell arbeiten», sagt Sahbaz und ist sichtlich stolz auf den guten Ruf des Unternehmens. Der «gute Ruf» sorgt aber auch für Druck: «In diesem sensiblen Geschäft sind Fehler unverzeihlich.»  

Die Gelegenheit, Fehler zu machen, bietet sich dem jungen Mann jeden Tag mehrfach. Und das nicht nur, wenn er die Rekordzahl von acht Toten innert 24 Stunden in alle möglichen Länder senden muss. «Auch das habe ich fehlerfrei über die Bühne gebracht, alle Toten sind im richtigen Land angekommen. Danach war ich fix und fertig.» 

Hamza Sahbaz lebt in einer ständigen Ausnahmesituation, die trotz Routine nie ganz zum Alltag werden kann. «Die Formalitäten erfordern Konzentration, das menschliche Drama Einfühlungsvermögen, Flexibilität und oft auch gute Nerven.» 

Die islamische Bestattung:

Nach dem Tod werden der oder dem Toten die Augen geschlossen. Dann wird der Leichnam auf den Rücken gelegt, Arme und Beine ausgestreckt, Gesicht und Füsse zeigen Richtung Mekka.

Die rituelle Waschung wird im Sterbezimmer oder in der Moschee durchgeführt, bei Frauen wäscht eine Frau, bei Männern ein Mann. Die Waschung folgt im Ablauf der rituellen Waschung, wie sie jeder Gläubige im Alltag zum Beispiel vor dem Beten durchführt. In manchen Kulturen werden die Toten gesalbt. 

Nach der Waschung wird der Leichnam in weisse Tücher gehüllt, danach wird das Totengebet rezitiert. Zum Transport kommt der Leichnam in einen Sarg. Tote sollten möglichst schnell begraben werden. Traditionell werden Muslime nicht im Sarg beerdigt, sondern nur im Leichentuch. Muslime pflegen nur sehr zurückhaltenden Grabschmuck; Bepflanzungen der Gräber sind unüblich. Seit jeher wurden muslimische Friedhöfe auf unnützem Ödland angelegt, denn die Gräber sollen für immer erhalten bleiben. 

«Wenn wir den Leichnam abgeholt haben, bringen wir ihn zur rituellen Waschung in unseren Waschraum auf dem Friedhof Schwamendingen.» Dort werden die Toten in der Regel von ihren Angehörigen gewaschen. Im Islam gilt die letzte Waschung als ehrenvolle Aufgabe, jeder Muslim sollte in seinem Leben drei Tote waschen. «Das ermahnt ihn, sein Leben sinnvoll und gut zu leben, bevor es zu Ende ist.» 

150 000 Franken für die letzte Reise

Nach der Waschung wird der Leichnam in weisse Tücher eingehüllt. «Wir kaufen jedes Jahr zwischen 1300 und 1500 Baumwolltücher in Istanbul auf dem Bazar, das reicht für die rund 450 Überführungen jährlich.»

Die Tücher symbolisieren die Gleichheit aller Menschen. Nach dem Tod, wenn die Seele des Verstorbenen vor Gott tritt, spiele nur noch die Lebensführung eine Rolle, weltlicher Besitz habe keine Bedeutung mehr. «Menschen, die sich zu sehr an Besitz orientieren, sagt man auf Türkisch: ‹Kefenin cebi yok›, was so viel bedeutet wie: Das Leichentuch hat keine Taschen.» 

Etwas widersprüchlich findet Hamza Sahbaz da, wenn etwa Saudis einen Privatjet für die Rückführung ihrer Angehörigen verlangen, der über 150 000 Franken kostet. «Erst kürzlich schickte eine einflussreiche Familie aus Kasachstan ihren eigenen Jet für einen hier Verstorbenen.» Auch wenn er dazu eine eigene Meinung hat, Hamza Sahbaz sieht das pragmatisch: «Wir sind Profis und machen unseren Job.» 

Den «Job zu machen» bedeutet gerade nach der Waschung, wenn sich die Familie vom oder von der Toten verabschiedet, Ruhe zu bewahren. Die Trauernden weinen, schreien, fallen in Ohnmacht. Manchmal kommen Beruhigungsmittel zum Einsatz. Besonders schlimm sei, wenn ein Kind oder ein junger Mensch gestorben sei. 

«Die Angehörigen sind ausser sich vor Schmerz, wissen nicht mehr genau, was sie tun und sagen. Ich wurde schon beschimpft und sogar körperlich angegriffen. Da muss ich cool bleiben, das darf ich nicht persönlich nehmen.» Aus Pietätsgründen, aber auch um die notwendige Distanz zu bewahren, fragen Sahbaz und seine Leute nie nach den Todesumständen. 

Bis ins letzte Bergdorf

Weniger emotional, aber wichtig ist der bürokratische Teil von Sahbaz Arbeit. Unterlagen und Dokumente wie etwa der Totenschein müssen zusammengetragen werden. Schnellstmöglich wird ein Flug gebucht und eventuell die Weiterreise im Zielland organisiert. Zugute kommt dem Geschäftsführer, der ungern delegiert, dass er sich über die Jahre bei den zuständigen Behörden einen Namen gemacht hat.

Nach der Waschung kommt der Leichnam ins Rechtsmedizinische Institut, dort wird der Holzsarg für den Transport zusätzlich in einen Zinksarg eingeschweisst. So verpackt geht der Leichnam auf die Reise. Zürich Flughafen, Cargo.

Air-Waybill-Nummer

«Wirklich erleichtert bin ich erst, wenn der Sarg eingecheckt ist und ich die Airway-Bill-Nummer habe.» Dann sei der Hauptteil seiner Arbeit erledigt. Die Nummer schickt er den Angehörigen im Herkunftsland, damit können diese den Sarg in Empfang nehmen.

In Albanien, Mazedonien und der Türkei bringt das Unternehmen die Toten bis zum Zielort. Dafür hat es in den jeweiligen Ländern Fahrer, mit denen es zusammenarbeitet. «In diesen Ländern fahren sie bis ins letzte Bergdorf, genauso wie wir hier die Leute von egal wo abholen.»

«All inclusive» in die Heimat

Die Überführungskosten von der Schweiz ins Zielland werden über Pauschalen für die verschiedenen Länder abgerechnet. So kostet eine Überführung in den Kosovo 3000 Franken. Teuer wird es bei Rückführungen nach Afrika oder in asiatische Länder. «Nach Afghanistan kostet der Flug alleine über 4000 Franken, dort beträgt die Pauschale dann 7500 Franken.» Privatpersonen sind angehalten, bar zu bezahlen. «Wir haben leider nicht nur gute Erfahrungen mit der Zahlungsmoral gemacht.» 

Das Unternehmen nimmt genug ein, um die Kosten zu decken, reich werde man mit diesem Geschäft aber nicht. Übers Jahr verteilt wird nicht immer gleich viel gestorben. «Im Sommer haben wir weniger zu tun, da viele auf Heimatbesuch gehen. Im Winter dafür eher mehr, auch weil mehr Unfälle passieren.» Einen Teil der Einnahmen verwendet das Unternehmen für einen guten Zweck. «Wenn jemand stirbt, der hier keine Angehörigen hat, übernehmen wir die Kosten und begleiten den Leichnam bis in sein Heimatland.» 

An seine erste Rückführung dieser Art erinnert sich Hamza Sahbaz ungern. «Ich war damals 21 und noch nicht lange dabei.» Ein irakischer Kurde war gestorben und musste über die Türkei nach Hause gebracht werden. «Ich checkte den Sarg in Zürich ein und flog via Istanbul an den Bestimmungsort. Der Sarg aber blieb in Istanbul.» Wütende Angehörige nahmen Sahbaz in Empfang, die Kommunikation war schwierig, weil keiner die Sprache des andern verstand. «Ich hab mich weit weg gewünscht, ich war echt überfordert und unglaublich erleichtert, als ich den Heimweg antreten konnte.» Mittlerweile sei er viel routinierter.

Leben mit dem Tod

«Ich bin immer happy, von Natur aus ein fröhlicher Mensch», sagt Hamza Sahbaz über sich. Er, der eigentlich Sportlehrer werden wollte, hat gelernt, mit dem Tod zu leben. Das sei nicht immer so gewesen. «Als Jugendlicher hatte ich Angst vor dem Tod, ich konnte nicht mal Horrorfilme schauen, ohne danach schlecht zu schlafen», erzählt Sahbaz, der als Kind türkischer Eltern in der Schweiz geboren und teils in der Türkei, teils in der Schweiz aufgewachsen ist. 

Der islamische Bestatter muss immer erreichbar sein.
Gestorben wird rund um die Uhr. Hamza Sahbaz und seine ständigen Begleiter: die Handys.

Der Geschäftsinhaber von Furat International Repatriations und Freund seines Vaters fragte ihn vor rund acht Jahren, ob er ihn nicht einmal bei der Arbeit begleiten wolle. Zuerst war der junge Mann wenig begeistert. «Ich konnte mir das gar nicht vorstellen.» 

Auch sein erster Fall war nicht hilfreich, seine Haltung zu ändern. «Ein 15-jähriger Junge, der plötzlich verstorben war. Das ist mir schon eingefahren.» Er wollte sich damals keine Blösse geben, machte weiter und merkte, dass ihm die Arbeit gefiel: Ständig in Bewegung zu sein, jeden Tag neue Herausforderungen, die Verantwortung – das entspreche ihm. Auch der Respekt gegenüber seiner Tätigkeit und die Bekanntheit, die sein Job mit sich bringt, behagen ihm. «Mein Traumjob», sagt er, lacht und schüttelt etwas ungläubig den Kopf. «Wenigstens im Moment», ergänzt er nach kurzem Innehalten. 

Kein schöner Anblick

Abschalten müsse man können, sonst sei das nicht die richtige Arbeit. In der Regel gelinge ihm das gut, aber nicht immer. «Manchmal sehe ich Dinge, die sind einfach krass.» Etwa aussergewöhnliche Todesursachen wie Selbstmorde oder Unfälle. «Einmal rief mich die Polizei an, weil ein Mann bei Strassenbelagsarbeiten von einer Planierwalze überfahren worden war – kein schöner Anblick.» Der Sarg ist bereit zum Abtransport Ein anderes Mal musste Sahbaz einen Toten abholen, der über zwei Wochen in seiner Wohnung gelegen hatte. «Diese Bilder bleiben.» Auch den Anblick von Erhängten oder von Menschen, die vor einen Zug gesprungen seien, könne er nicht immer wegschieben, sagt der junge Geschäftsführer. 

Es sind aber nicht diese Tatsachen seines Berufes, die ihn sagen lassen: «Ich werde diesen Job nicht mein Leben lang machen. Irgendwann will ich eine Arbeit, bei der ich lebende Menschen glücklich machen kann. Autohändler vielleicht.» Bis dahin lebt Sahbaz damit, dass er in manchen Nächten drei Mal aus dem Bett geklingelt wird. «Der Stress ist zeitweise enorm», und je älter ich werde, desto weniger gut vertrage ich den Rund-um-die-Uhr-Dienst.» Zwar hat er einen Stellvertreter, und theoretisch gibt es aufgeteilten Pikettdienst, aber der Perfektionist weiss: Sobald es Komplikationen gibt oder Fragen auftauchen, ist er gefragt.  

Wenig Beerdigungen in der Schweiz

Zwischendurch organisieren Sahbaz und sein Team auch Beerdigungen in der Schweiz. Dann findet das, was sonst im Heimatland nach Ankunft der Toten geschieht, in Witikon (ZH) auf dem islamischen Grabfeld statt. Der Imam singt die Totenmesse, dann kommt der Verstorbene unter die Erde. Mit einem Gebet endet das Begräbnis. 

In Zukunft werden sich mehr Menschen hier beerdigen lassen, ist Hamza Sahbaz sich sicher. Die zweite und dritte Generation ist hier geboren und aufgewachsen, so wie Hamza Sahbaz. «Wenn ich sterbe, möchte ich auch in der Schweiz beerdigt werden. Auf einem islamischen Grabfeld.»