29.03.2017

Jung, ausgebildet und doch ohne Job.

Über- oder unterqualifiziert

Eine «Bachelorette» auf dem Abstellgleis

Als Endzwanzigerin mit einem Bachelorabschluss gestaltet sich die Stellensuche schwierig. Eine Odyssee, geprägt von Verwirrung, Ratlosigkeit und Wut.

Journalistin «der arbeitsmarkt»

«Frau Marty, was wollen Sie mit Ihrem Background genau bei uns?» Da ist sie wieder, diese Frage, die mir an Vorstellungsgesprächen gerne gestellt wird. Die Interviewer blättern in meinen Unterlagen, die säuberlich geordnet vor ihnen auf dem Tisch liegen. Stirnrunzeln macht sich breit.

Ich rechtfertige mich einmal mehr für meinen beruflichen Werdegang. Meine Gesprächspartner nicken dabei verständnisvoll. Die Stirnfalten glätten sich allmählich. Und trotzdem: Sie verstehen überhaupt nichts.

Interessen statt Geld

Im Alter von 20 Jahren kam ich nach Zürich, um an der Universität Skandinavistik, Filmwissenschaft und Populäre Kulturen zu studieren. Ich war mir meiner relativ unkonventionellen Studienwahl bewusst. Damals gewichtete ich meine Interessen mehr als mögliche lukrative Jobaussichten. Meine Eltern hätten sich anderes gewünscht – Rechtswissenschaften oder eine Ausbildung zur Dolmetscherin.

Meine Faszination für den hohen Norden begann in frühester Kindheit. Das hatte nichts mit Pippi Langstrumpf oder Nils Holgersson zu tun, sondern mit meinem Geografielehrer in der Oberstufe – auch wenn Selma Lagerlöf, Autorin der Nils-Holgersson-Bücher, die Geschichten ursprünglich für den Geografieunterricht verfasst hat. Nie zuvor sass ich gebannter im Unterricht als zu jenem Zeitpunkt, an welchem mein Lehrer von Polarlichtern, der Mitternachtssonne und dem Land der Gegensätze – Island – erzählte.


Das Leben geniessen – und die späte Einsicht

Nach meinem Bachelorabschluss hatte ich die Nase voll vom Studieren und wollte Geld verdienen, damit ich mir die schönen Dinge des Lebens, wie zum Beispiel Ferien, leisten konnte. Ich entschied mich also ganz bewusst gegen ein weiterführendes Studium. Zu meiner Zeit steckte das Experiment «Bologna» in den Kinderschuhen. Die Experten gingen davon aus, dass ein Berufseinstieg mit einem Bachelor problemlos möglich sei. Später erkannten sie den Fehler. Und ich auch.

Entgegen den Erwartungen war ein Bachelor einem Lizenziat nicht gleichgestellt, sondern eher eine Art Zwischenstufe. Der weiterführende Masterabschluss hingegen würde einem Lizenziat entsprechen; also ungefähr fünf Jahre Studium im Vollzeitmodus.  


Erste Gehversuche als «Bachelorette» in der Arbeitswelt

Ich fand zunächst Unterschlupf in einer Sicherheitsfirma als Mitarbeiterin in der Alarmzentrale und später beim Kanton Zürich als Sicherheitsbeauftragte. In diesen Bereichen interessiert die Vorbildung niemanden; einzig Zuverlässigkeit und ein tadelloser Leumund sind wichtig.

«Ein Blick auf die Tätigkeiten zeigt jedoch, dass selbst ein trainierter Schimpanse diese erledigen könnte.»

Nach fünf Jahren hatte ich genug von den unregelmässigen Arbeitszeiten, und so steuerte ich einen Bürojob an. Mit Mühe und Not – und nach gefühlten zweihundert Bewerbungen – ergatterte ich eine befristete Anstellung beim Bund in der Administration. Den Sprung ins Büro schaffte ich danach allerdings nicht mehr. Dafür fand ich im Januar dieses Jahres eine Praktikumsstelle bei der Online-Redaktion «der arbeitsmarkt», wo ich meiner Leidenschaft fürs Schreiben nachgehen kann. 


Überqualifizierte Endzwanzigerin

Als Bachelorabgängerin eine Anstellung in einem Büro zu kriegen, ist äusserst schwer. Obwohl ich bereits während des Studiums als administrative Assistentin eines Professors und kürzlich ein Jahr in einem renommierten Bundesamt gearbeitet habe, scheine ich aus Sicht der Arbeitgeber ungeeignet für derartige Positionen zu sein.

Den Personalverantwortlichen stehen die Fragezeichen stets sichtbar auf die Stirn geschrieben. «Frau Marty, wie kommen Sie auf die Idee, dass Sie ins Büro gehören? Das ist doch langweilig für Sie!» 

In diesen Momenten denke ich, dass die Personalabteilung eher befürchtet, ich könnte aufgrund meiner akademischen Ausbildung zu viel Lohn verlangen. Niemand stellt eine vermeintlich überqualifizierte Endzwanzigerin ein, wenn eine blutjunge KV-Abgängerin den Job für – wie sie denken – die Hälfte machen würde.

Für diese Leute ist klar: Da sitzt eine junge Frau, die zwar gut ausgebildet ist – wenn auch in relativ exotischen Fächern –, aber völlig ungeeignet ist für den Sachbearbeiterjob. «Frau Marty, wir denken, dass Sie hier falsch sind. Sie sind völlig überqualifiziert!» Damit ist das Thema für sie beendet. Für mich allerdings nicht, aber mich fragt ja auch niemand. 

Für anspruchsvollere Stellen – zum Beispiel Assistentin der Geschäftsleitung – reichen meine Qualifikationen dann doch nicht aus, beziehungsweise habe ich die falschen vorzuweisen. Meist fehlen das für die Stelle relevante Fachwissen und/oder die Arbeitserfahrung. Die Tatsache, dass es für mich als Akademikerin problemlos möglich wäre, mich in komplexe Themengebiete einzuarbeiten, wird ausgeblendet. Hinzu kommt, dass ich mich nicht grundlos auf eine Stelle bewerbe, sondern weil ich beispielsweise das Umfeld und die Tätigkeit spannend finde. Für mich sind Motivation und Interesse ausschlaggebend. Nicht so für den Arbeitgeber, wie es scheint. 


Master of Disaster

Ein Berufsberater riet mir, ich solle auf jeden Fall meinen Master machen. Das Fach sei an sich egal. Ein Master sei immer besser als ein Bachelor, und ich würde damit meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen.

Mir scheint ein Masterstudium in Anbetracht meiner Fächer allerdings sinnlos, denn diese würden weder aufgewertet, noch würde sich meine Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Ich würde aufgrund meiner Spezifikationen immer eine Exotin sein und – wenn überhaupt – nur auf dem verdeckten Arbeitsmarkt eine passende Stelle finden. 

Bei meiner Suche nach einem Bürojob erhalte ich eine Absage nach der anderen mit der Begründung, ich hätte «zu viel» zu bieten oder eben das Falsche. Wieso sollte ich also meinen Master machen? 

Dennoch birgt dieser Rat des Berufsberaters einen Funken Wahrheit. Ich sehe ausgeschriebene Stellen, für welche Masterabgänger bevorzugt werden. Ein Blick auf die Tätigkeiten zeigt jedoch, dass selbst ein trainierter Schimpanse diese erledigen könnte. Einmal mehr macht sich bei mir Verwirrung breit.


Paradox

Wie kann es denn sein, dass ich als Bachelor für einen Sachbearbeiterjob überqualifiziert sein soll, für eine ähnliche Stelle aber Masterabsolventen bevorzugt werden und diese nicht einmal anspruchsvolleren Arbeiten mit mehr Verantwortung nachgehen dürfen? 

Mit meinem Bachelor scheine ich weder Fisch noch Vogel zu sein. Entweder bin ich zu teuer und zu gut für eine Stelle, oder dann bin ich unterqualifiziert und werde aussortiert, sobald der Personaler sieht, dass ich «nur» eine «Bachelorette» bin. Es ist ganz einfach paradox – die Katze beisst sich in den Schwanz. Und ich werde kurzerhand aufs Abstellgleis geschoben.


Auf einen neuen Zug aufspringen

Unter diesen Umständen sehe ich mich gezwungen, meinen Master nachzuholen! Ein gutes Gefühl habe ich dabei trotzdem nicht. Was ist, wenn sich innerhalb dieser Jahre die Meinung ändert und plötzlich doch Bachelorabgänger bevorzugt werden, weil sie weniger kosten? Das wäre fatal. Ausserdem wird überall gesagt, dass sich viel zu viele Masterstudenten auf dem Arbeitsmarkt tummeln würden und viele von ihnen arbeitslos seien. 

So oder so: Ich werde mich – wenn dann – für ein Fach entscheiden, das zwar mit meinem Hauptfach verwandt ist, jedoch – wie ich hoffe – nicht in der Brotlosigkeit enden wird. «Fachdidaktik Deutsche Sprache» wäre zum Beispiel eine Lösung. So könnte ich eine meiner wesentlichen Stärken – das Gefühl für die deutsche Sprache – sinnvoll einsetzen. Oder ich verfolge den Weg der Journalistin weiter und mache es mir zur Aufgabe, der Welt da draussen eine andere Sicht der Dinge zu schildern, die zum Nachdenken anregt. 

Auf der Suche nach dem Anschlusszug.