24.04.2019
TEXT: Yvonne ChristofFOTOS: zVg
Patrik Wägeli beim Zieleinlauf Frankfurt Marathon 2017 in 02:17:02

Patrik Wägeli beim Zieleinlauf Frankfurt Marathon 2017 in 02:17:02.

Interview mit dem «Fastest Farmer»

«Das Wichtigste als Profisportler ist Selbständigkeit, Disziplin und Selbstbewusstsein»

Nach Tadesse Abraham ist Patrik Wägeli aktuell der schnellste Schweizer Langstreckenläufer. Beim Frühjahresmarathon 2019 in Sevilla erreichte er seine persönliche Bestzeit von 02:15:22 und belegt in der Gesamtwertung Herren den 13. Platz. Mit dieser Zeit kommt Patrik seinem nächsten Ziel näher: den Olympischen Spielen 2020 in Tokio.

Warum Olympia?
Ausschlaggebend war unter anderem die starke Leistung der Schweizer bei der Halbmarathon-Europa-Meisterschaft, als diese im Team die Goldmedaille holten. Bei den Olympischen Sommerspielen anschliessend in Rio 2016 begeisterte mich die Leistung von Christian Kreienbühl. Das wollte ich auch erreichen. Bei einem Marathon eine Zeit von 02:14 zu laufen, ist sehr beachtlich. Zu diesem Zeitpunkt stand fest: Wenn ich mich jetzt wirklich darauf konzentriere, kann ich das auch schaffen. Die Entscheidung, an den nächsten Olympischen Spielen teilzunehmen, fiel eigentlich erst im Jahr 2016.

Dann sind Sie mit dieser Entscheidung zu Ihrem Trainer Dan Uebersax gegangen und haben ihn über das neue Vorhaben informiert?
Ja, ich habe Dan über mein neues Ziel informiert und ihn gefragt, ob er mich auf dem Weg nach Olympia als Trainer weiterhin betreut. Der Aufwand und die Trainingsbetreuung werden sich für ihn ebenfalls erhöhen. Aber er war gleich dabei und meinte: «Ja, das machen wir.»

Hat Ihnen der Trainer dieses Vorhaben auch von Anfang an zugetraut, oder hatte er doch ein wenig Bedenken?
Er hat es mir von Anfang an zugetraut. Aber er hat mir auch gesagt, dass es ein harter Weg wird und ich einiges in meinem Leben dafür umstellen muss. Dafür muss ich bereit sein. Ich habe ihm versichern können, dass mir die Konsequenzen bewusst sind und ich die Bereitschaft mitbringe, Training, Arbeit und Freizeit künftig umzustellen. Mit Dan habe ich einen guten Trainer an meiner Seite.

Sie sprechen es gerade an: Sie müssen etwas umstellen, wahrscheinlich auch in Ihrem Beruf. Sie sind ja einerseits Teilzeitathlet und anderseits selbständiger Landwirt. Haben Sie als Selbständiger bessere Möglichkeiten, die Arbeit umzustellen, als ein Arbeitnehmer?
Mit dem Arbeiten kann ich auf der einen Seite sagen, dass es etwas einfacher ist, die Umstellungen zu koordinieren. Aber auf der anderen Seite ist es für uns mit dem Familienbetrieb doch etwas schwieriger. In einem Angestelltenverhältnis hätte ich schon vor zwei Jahren sagen können, dass ich nur noch 50 Prozent arbeiten möchte oder dass ich mich nach einer anderen Arbeitsstelle umsehe. Aber daheim auf dem Hof haben wir unsere geregelten Abläufe, welche Monat für Monat an die jeweiligen Gegebenheiten der Landwirtschaft angepasst werden müssen. Dies noch mit meinem veränderten Trainingsaufwand zu vereinbaren, ist für alle Beteiligten eine Herausforderung.

Patrik Wägeli beim Marathon in Sevilla. Haben Sie sich weitere Leute in Form eines Teams für den Weg nach Olympia an die Seite geholt?
Im Hinblick auf die Olympia-Vorbereitung habe ich jetzt mehr Kontakt mit Profisportlern oder Halbprofisportlern, die sich auf einem ähnlichen Leistungsniveau befinden. Meinen Aufenthalt in Iten - dem Höhentrainingslager in Kenia - nutzte ich verstärkt dazu, um mit Schweizer oder deutschen Athleten zusammenzuarbeiten. Für künftige Trainingslager ist es ebenfalls gut, sich dort mit Athleten aus Europa zu treffen und gemeinsam zu laufen. Diese Kontakte zu anderen Sportlern habe ich in einer solchen Intensität vor zwei Jahren noch nicht gehabt. Insofern kann ich sagen, dass sich meine Trainingsumgebung verbessert hat.

Haben Sie sich auch Physiotherapeuten oder ähnliche Unterstützung mit ins Team geholt, so wie es andere Profisportler machen?
Eine Masseurin habe ich schon seit längerer Zeit, die mich auch als Physiotherapeutin betreut und mich unentgeltlich massiert. Das ist natürlich super und eine tolle Unterstützung. Als Trainer betreut mich weiterhin Dan. Worüber ich aktuell noch nachdenke, wäre eventuell, mir die Unterstützung eines Mentaltrainers zu holen. Bis jetzt war meine mentale Stärke noch ausreichend und erforderte keine professionelle Unterstützung. Aber das kann sich vielleicht ändern, wenn es dann wirklich um die Wurst geht und der Druck noch mal höher ist. In dem Sinne wurde im Hinblick auf die Olympia-Vorbereitung nicht schlagartig viel verändert. Das ist alles mehr so Schritt für Schritt gewesen, und mehr braucht’s auch gar nicht. Zuerst einmal muss ich selber gut trainieren können.

Wie sollte Ihrer Meinung nach mit Profi-Langstreckenläufern verfahren werden, die positiv getestet wurden?
Ich beschäftige mich nicht wirklich mit diesem Thema, da es für mich ein rotes Tuch ist. Meiner Meinung nach dopt man nicht, und jeder, der dopt, gehört auf lange Zeit gesperrt, auch für alle Wettkämpfe. Ob eine solche Sperre auf vier oder zehn Jahre festgelegt wird, darüber lässt sich streiten. Im Profisport vier Jahre gesperrt zu werden, ist schon eine sehr lange Zeit. Aber es sollte jetzt sicher nicht so sein, dass einer, der positiv getestet wird, nach zwei Jahren wieder an einer Weltmeisterschaft oder an den Olympischen Spielen teilnehmen darf.

Für ein restriktiveres, komplettes Berufsverbot wären Sie nicht?
Dopingsünder sollten bestraft werden. Wenn man jemanden so dabei erwischt, wie es aktuell der Fall bei Max Hauke ist, der ja bei einer Doping-Razzia mit der Nadel im Arm erwischt wurde, dann kann meiner Meinung nach richtig streng durchgegriffen werden. Führt man allerdings lebenslange Berufsverbote für Dopingsünder ein, kann das auch zu gezielten Manipulationen unter den Konkurrenten führen. Es wäre relativ einfach, jemand anderem eine Dopingsünde anzuhängen, wenn man es darauf anlegt. In Kenia trainieren die besten Läufer aus aller Welt miteinander, und die Möglichkeit besteht immer, den Konkurrenten verbotene Substanzen in ihre Trinkflaschen zu geben. Wenn dann eine lebenslange Strafe ausgesprochen würde, weiss ich nicht, ob dies nicht vielleicht einen falschen Anreiz gibt. Ich selber werde häufig von Hobbyathleten angesprochen, ob ich davor keine Angst habe, wenn ich in diesen Ländern trainiere. Meine Antwort ist dann eigentlich immer dieselbe: «Nein, ich vertraue den anderen Läufern. Auch wenn es meine Konkurrenten sind.» Mir selber ist zwar noch kein Fall bekannt, in dem es so gemacht wurde, aber die Möglichkeit ist da, und es wäre relativ einfach.

Sevilla 2019

Das Trainingslager in Iten (Kenia) haben Sie sich ja zum Beispiel mit einer recht erfolgreichen Crowdfunding-Aktion finanzieren können. Wie organisieren Sie sich finanziell?
Die Crowdfunding-Aktion für mein Trainingslager in Iten Anfang 2019 war zum Glück sehr erfolgreich. Darüber hinaus habe ich mir selber noch ein bis zwei Sponsoren gesucht. Nach potenziellen Sponsoren halte ich immer Ausschau.

Was sagen Ihre Eltern zu dem Olympia-Weg?
Natürlich waren meine Eltern von Anfang an begeistert und freuten sich sehr, mich bei diesem ehrgeizigen Ziel zu unterstützen und dabei zu sein. Aber es ist auch für sie eine Herausforderung. Wie viel Mehraufwand dies auch für sie bedeutet und welche Schwierigkeiten da auf uns zukommen, war uns allen am Anfang nicht ganz bewusst.

Wie stehen Sie zu den eingekauften Athleten?
Dieses Thema ist ebenfalls etwas kompliziert. Einerseits nehmen die eingekauften Athleten den Schweizern ganz klar die Plätze weg, wenn es um die grossen Wettkämpfe wie zum Beispiel Olympia geht. Auf der anderen Seite können sie auch eine grossartige Unterstützung sein. Nehmen wir das Beispiel Tadesse Abraham. Tadesse ist Schweizer Langstreckenläufer mit eritreischer Herkunft. Er lebt den gemeinsamen Teamgedanken und pusht uns. Nach meinem Lauf in Sevilla hat er sich sehr gefreut für mich und mir sofort gratuliert. Er war sehr daran interessiert, wie es für mich in Sevilla gelaufen ist. Das finde ich super. Einen Athleten einzubürgern, wie jetzt Tadesse Abraham, der hier schon so lange lebt, sich einsetzt und etwas macht für die anderen Schweizer, das befürworte ich. Tadesse ist ein richtiges Zugpferd für uns Schweizer Athleten. Im Gegensatz dazu ist es für uns ja nicht förderlich, wenn ein ausländischer Athlet in der Schweiz lebt und einfach so sein Ding macht und nur Schweizer werden will, damit er an die Meisterschaften gehen kann. Einen solchen Athleten sehe ich auch eher als Konkurrenten und nicht so sehr als Teamkollegen. Es geht dann natürlich um die Plätze bei den Meisterschaften. Wenn man es sich genau überlegt, müssten es ja die anderen Läufer bestimmen. Es müsste auch genauer hingesehen und hinterfragt werden: Ist er gut integriert? Macht er auch etwas für die anderen Läufer, ist er da auch anerkannt? Das wäre eigentlich das Richtige.

Patrik Wägeli, Schweizer Marathonläufer
Patrik Wägeli trotzt der Hitze beim Sevilla Marathon.

Wie ist Ihre Einschätzung, wird für den Leichtathletiknachwuchs genug gemacht? Sind genug nachfolgende Athleten im Langstreckenbereich in den Vereinen?
Für mich persönlich wird immer noch etwas zu wenig gemacht. Aktuell treten in Europa, auch in der Schweiz, vermehrt Nachwuchsathleten in die Vereine ein. Der Nachwuchs hat auch grosses Potenzial. Ich sehe aber die Problematik noch im Aufbau der Leichtathletikvereine. Dabei handelt es sich meistens um Mischvereine, in denen viele verschiedene Sportarten, wie Werfen, Hoch- und Weitsprung, angeboten werden. Meistens bleiben sie dann in einer dieser Disziplinen, da sich dort auch schon ein Freundeskreis gebildet hat. Die wenigsten wechseln dann weiter in den Laufbereich. Es gibt auch Vereine, die ausschliesslich Laufdisziplinen anbieten, und diese verzeichnen aktuell wirklich einen Aufschwung. Dort haben sie sehr gute Trainer, die die Leute pushen. Das funktioniert. Das fängt schon im Schulsport an: Dort ist der 1000-Meter-Lauf auch nur eine Disziplin unter vielen. Wenn das Kind nicht von sich aus sagt: «Wow, Laufen gefällt mir super», dann macht es das nicht und macht lieber alles andere.

Was wäre Ihr Vorschlag?
Man sollte früher anfangen und den Laufsport attraktiver gestalten. Ein Vorschlag wäre, einen Regionalkader für Langstreckenläufer in den Altersklassen 14 bis 20 einzuführen. Die reine Vereinsebene bietet nur wenig Potenzial für einen Nachwuchs, der es in den Profisport bringen möchte. Ich selber war in einem Verein, in dem ich in meiner Altersklasse fast der einzige Langstreckenläufer auf diesem Niveau war. In meiner Altersklasse von 20 bis 26 hatte es dann schon fast keine Athleten mehr auf meinem Niveau. Somit bin ich dann teilweise in Bern oder Zürich gelaufen und habe mir meine Trainings so zusammengestellt, wie ich es brauche. Wenn ich gesagt hätte: «Ich gehe in einen Verein und hole mir mein Training da», hätte ich wahrscheinlich auch schon mit 18 mit dem Laufen aufgehört.

Welchen Tipp geben Sie jungen Leuten, um Profisportler zu werden?
Das Wichtigste ist Disziplin, Selbstbewusstsein und Selbständigkeit. Als Profisportler gehört viel Eigenständigkeit dazu, man muss seinen eigenen Weg gehen. Und Leute zu sich holen, die einen auf diesem Weg begleiten und unterstützen. Als Profisportler muss man viel an sich arbeiten, und es bedarf auch der Unterstützung durch das persönliche Umfeld. Disziplin ist das eine. Das andere ist, sich zu fragen: «Was möchte ich jetzt eigentlich wirklich?», und im Anschluss daran seinen Plan zurechtzulegen und zu sagen: «Um das zu erreichen, muss ich auf das und das verzichten.» Um diesen Plan dann auch erfolgreich umzusetzen, braucht es viel Selbstorganisation. Gerade im Langstreckenbereich. Ich muss mir mein Training selber einteilen und die Vorgaben umsetzen, die mir mein Trainer gibt. Ich habe morgen zum Beispiel 30 Kilometer Lauftraining und am darauffolgenden Tag Intervalltraining. Da muss ich mich selbständig organisieren und sehen, wie ich das mache. Mache ich es alleine oder mit einem Trainingspartner oder im Club? Nur so wird man stark.

Patrik Wägeli
Geboren am 1.1.1991 in Nussbaumen TG
Meisterlandwirt und sportlich erfolgreich seit 2005
Trainer: Dan Uebersax
Zielsetzung: Olympische Spiele in Tokio 2020
Auszug seiner sportlichen Erfolge:
2018
Halbmarathon Barcelona in 01:04:51
Halbmarathon Berlin in 01:05:53
EM-Marathon 43. Rang in 02:21:59
2017
CISM Marathon WM 14. Rang
2016
Zürich Marathon 5. Rang Overall in 02:24:00
2015
Barcelona Marathondebut 13. Rang in 02:27:46
2009–2011
Schweizer Junioren-OL-Kader
https://fastestfarmer.ch/

Weitere Informationen Projekt Crowdfunding
https://www.lokalhelden.ch/fastestfarmer