20.06.2018
FOTOS UND TEXT: Nadja Tempest
Dustin Nicolodi (Coperlin) in den Zuschauerreihen des Circus Knie

Dustin Nicolodi alias Coperlin vor seiner Verwandlung.

Fünf Fragen an den Zirkusartisten

Manege frei für Coperlin

Dustin Nicolodi, 34, tourt mit dem Circus Knie durch die Schweiz. Als komödiantischer Zauberer und Jongleur hat sich der in Paris aufgewachsene Schweizer international einen Namen gemacht. Was beschäftigt den Künstler abseits der Manege?


Hast du ein Morgenritual?
Latte macchiato! Mehr nicht. Abends nach der Show wird es spät. Ich fahre dann zu meinem Wohnwagen beim Albisgütli, wo während unseres Aufenthalts in Zürich die privaten Unterkünfte stehen. Gegen halb elf oder elf stehe ich auf und brauche dann ausser Kaffee nur das Smartphone. Ist traurig, aber ist halt so. (Lacht.)

Das Make-up ist fertig. Eh wow!Was beinhaltet dein Job?
Ich muss beim Auftritt immer gute Laune haben. Nicht jeden Tag habe ich Lust, den Clown zu spielen. Aber ich bin ja ein fröhlicher Mensch! Meistens mache ich es sehr gerne.

Eine Stunde oder halbe Stunde vor dem Auftritt schminke ich mich und kontrolliere meine Requisiten. Fünfzehn Minuten vor der Show kommt das Kostüm dazu. Meine Nummer ist in drei Teilen über das Programm verteilt und dauert insgesamt ungefähr zwanzig Minuten. Immer dieselben Witze zu erzählen, kann monoton sein, gehört aber zum Job.

Vor Saisonbeginn probten wir mit dem Knie zwei Wochen lang in Rapperswil. Jetzt bin ich für acht Monate hier unter Vertrag und werde pro Tag bezahlt. Mein Agent hilft mir, Aufträge zu finden, oder ich werde direkt angefragt.

Nach der Generalprobe braucht es nicht mehr viel. Ich stelle den Schalter an für die Show und nachher wieder ab. Das ist bei allen hier so. Nach meiner Nummer spiele ich hinter dem Vorhang Pingpong mit den anderen und konzentriere mich erst wieder, wenn ich dran bin.

Es ist sehr locker, wir kennen uns alle. Wir trinken nach der Show im Wohnwagen etwas zusammen. Vor allem wir Italiener. Die Russen sind eher unter sich, halt auch wegen der Sprache.

Reisen gehört auch dazu. Nie am selben Ort sein. Neben dem Zirkus trete ich im Theater auf oder auf einem Kreuzschiff. Bald steht jedoch eine Veränderung an: Meine Frau und ich erwarten unser erstes Kind. Da hat das Nomadenleben vielleicht bald ein Ende.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit du deinen Job gerne machst?
Ein gutes Publikum! Das ist sehr wichtig. Es ist viel einfacher, wenn die Leute lachen. Es gibt auch ein schwieriges Publikum, dem die Show nicht gefällt. Freitag- und samstagabends klappt es meistens gut, weil die Leute frei haben am nächsten Tag. In den Nachmittagsvorstellungen sitzen viele Kinder oder ältere Menschen, da ist es möglich, dass nicht alle Witze verstanden werden. Das ist aber normal; als Kind fand ich die Komiker auch viel weniger spannend als zum Beispiel die Elefanten.

Das Team ist mir wichtig. Es kommt in der Manege herüber, wenn wir uns hinter dem Vorhang gut verstehen. Die Leute merken, wenn wir Spass haben.

Die zauberhafte Kiste. Hier schlummert die Magie. Mit erstaunlich wenigen Requisiten kreiert Coperlin seine magischen Momente. Die Verwandlung nimmt ihren Lauf. Dustin braucht nur zehn Minuten, um sich zu schminken. Zu dritt in der Garderobe: Jeder hat nur für das Nötigste Platz. Coperlins Hemd. Der Samtanzug hat schon viele Shows erlebt. An den weissen Halbschuhen wird später zur Belustigung des Publikums Toilettenpapier kleben. Die Wohnwagen der Artisten am Sechseläutenplatz. Ein Akrobat der Gruppe «Circus Theater Bingo» in einem privaten Moment vor der Show. Die prächtigen Pferde haben Ausblick auf das Zürcher Opernhaus. Chanel Marie Knie turnt zwischen den Waggons herum. Sie tritt später mit den Lamas auf; aber nur, wenn sie will. Sie und ihr Cousin Chris Rui Knie sind als Minderjährige nicht verpflichtet, aufzutreten. Jetzt ist er dran. Manege frei für Coperlin!

Wie wichtig ist dir der private Ausgleich?
Die Show ist mein Leben und mein Beruf, ich kenne gar nichts anderes. Auch meine Partnerin ist als Tänzerin dieses Leben gewohnt. Umso wichtiger ist es, dass ich abschalte. Ich will meine Frau nicht damit belästigen, wenn es schlecht läuft. Früher konnte ich weniger gut trennen zwischen Arbeit und Privatleben, das hat die Beziehung belastet.

An freien Tagen schlendere ich durch die Stadt, trinke einen Kaffee. Hier in Zürich werde ich wohl bald schwimmen gehen. Ich spiele Tennis und Golf. So richtig entspannen kann ich in meinem Zuhause in St. Gallenkappel.

Meine Freunde sind auf der ganzen Welt verstreut, ich halte Kontakt über Facebook. Mit den Akrobaten Fratelli Errani, die diese Saison auch im Knie dabei sind, verbindet mich eine lange Freundschaft. Wir haben zusammen im Alter von zwölf Jahren dieselbe Zirkusschule besucht.

Hast du einen Tipp für gute Laune bei der Arbeit?
Meine Figur ist ja ein Spassmacher. Ich stelle auf Automatik, bevor ich in die Manege gehe. In der Show vergesse ich alles. Erst wenn ich wieder draussen bin, kann die schlechte Laune mich einholen. Unter den Artisten hilft man sich aber gegenseitig. Wir lachen darüber, wenn etwas schiefläuft oder wir uns nicht gut fühlen, das entspannt. Mein Tipp für gute Laune bei der Arbeit ist ein tolles Team.

Zauberkuenstler_und_Jongleur_Coperlin

Ausschnitte aus der Show «Formidable» im Circus Knie; Video: Nadja Tempest
Dustin Nicolodi alias Coperlin, Zirkus Knie

Dustin Nicolodi, geboren 1983 in Paris, lebte dort vierzehn Jahre lang, während sein Vater als Bauchredner am Moulin Rouge engagiert war. Dustin besuchte die Zirkusschule in Cesenatico (Italien) und war danach für zehn Jahre Akrobat, bis eine Schulterverletzung ihn zum Umsatteln zwang. Sein Vater Willer half ihm bei der Kreation seiner charmant-frechen Figur Coperlin und gab ihm Tipps, wie man das Publikum begeistert. Den Wechsel bezeichnet er selbst als Glücksfall: So konnte er Artist bleiben. Schule, studieren, fixer Job, all das kam für ihn nicht in Frage, er wurde ins Showbusiness hineingeboren und wollte immer wie sein Vater sein. 

Vor seinem Engagement beim Circus Knie war Dustin in Deutschland mit seiner Coperlin-Show unterwegs. Jenseits der Grenze gibt es seiner Aussage nach viele Möglichkeiten für Künstler. Die nächsten zwei Jahre wird er wieder in Deutschland mit dem Zirkus Flic Flac verbringen.